Pharmakoökonomie

T. Müller-BohnViel Gesundheit fürs Geld – Be

Neue Arzneimittel kosten viel Geld, aber sind sie es auch wert? Diese Frage zu beantworten, ist einer der Hauptaufgaben der Pharmakoökonomie. Wie die Methoden dieser noch jungen Wissenschaft in jüngster Zeit weiterentwickelt wurden, wie die Wirtschaftlichkeit neuer Arzneimittel erforscht wurde und wieweit die Pharmakoökonomie bereits in vielen Ländern in die Vorschriften zur Erstattungsfähigkeit und Preisbildung eingegangen ist, zeigte die 5. Europakonferenz der ISPOR. Vom 3. bis 5. November 2002 kamen in Rotterdam etwa 800 Pharmakoökonomen aus Industrie, Wissenschaft und Verwaltung zusammen, um die neuesten Ergebnisse auszutauschen.

Die gesundheitspolitische Entwicklung und die allgemeinen Methoden der Pharmakoökonomie wurden in drei Plenarveranstaltungen, zehn Foren und über 20 Workshops diskutiert. In etwa 50 Kurzvorträgen und auf über 300 Postern wurden Einzelergebnisse zur Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln und zu speziellen Fragestellungen für begrenzte Indikationsgebiete präsentiert.

Die vierte Hürde

In den Vorträgen und Workshops zu politischen und methodischen Fragen wurde immer wieder das zentrale Thema angesprochen, das sich wie ein roter Faden durch den Kongress zog: die vierte Hürde, d. h. die Überprüfung der ökonomischen Effektivität von Arzneimitteln als Voraussetzung für ihre Erstattungsfähigkeit. Für die arzneimittelrechtliche Zulassung reichen weiterhin die klassischen Hürden Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.

Doch für die Vermarktung eines neuen Arzneimittels ist die Erstattungsfähigkeit zu Lasten der Krankenversicherungen bzw. der nationalen Gesundheitsdienste meistens ebenso wichtig. Welche Bedingungen an die Entscheidungsprozesse im Rahmen der vierten Hürde aus wissenschaftlicher und politischer Sicht zu stellen sind und wie die Pharmaindustrie mit diesen Anforderungen umgeht, wurde aus verschiedenen Perspektiven dargestellt.

Länder mit strengen Regeln

Referenten aus zahlreichen Ländern präsentierten die unterschiedlichen Regelungen und boten den Teilnehmern damit eine internationale Übersicht über die Umsetzung der vierten Hürde. Schon seit einigen Jahren sind in Australien und Kanada pharmakoökonomische Evaluationen neuer Arzneimittel als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit vorgeschrieben.

In Portugal entscheidet das INFARMED-Institut, ob ein neues Arzneimittel erstattungsfähig wird. Es kann dafür ökonomische Studien anfordern. Die pharmakoökonomischen Leitlinien bieten nach Einschätzung von Prof. Dr. Carlos Gouveia Pinto, Technische Universität Lissabon, einen breiten Freiraum für diese Bewertung. Problematisch sei der Mangel an aussagekräftigen Daten für das portugiesische System, da nur wenige Studien auf die Situation in diesem Land eingehen. Für die Preisbildung besteht ein Referenzpreissystem. Es gilt jeweils der geringste Preis aus den Vergleichsländern Frankreich, Italien und Spanien, weil diese Länder erfahrungsgemäß die niedrigsten Arzneimittelpreise haben.

In Finnland sind seit 1999 ökonomische Evaluationen neuer Arzneimittel vorgeschrieben, wie Dr. Taina Irene Sirkia, die Generalsekretärin der zuständigen Behörde, erläuterte. In den Jahren 2000 und 2001 wurden jeweils etwa 60 Evaluationen bearbeitet. Dies betrifft nicht nur neue Arzneimittel, sondern auch bereits im Handel befindliche Produkte, für die die Hersteller freiwillig Studien liefern, um den Preis zu rechtfertigen.

Pharmaceutical Benefit Board in Schweden

In Schweden wurde bisher auf regionaler Ebene über die Erstattungsfähigkeit entschieden. Doch am 1. Oktober 2002 hat das Pharmaceutical Benefit Board seine Arbeit aufgenommen. Diese unabhängige Institution entscheidet nun über die Erstattungsfähigkeit. Das grundlegende Kriterium für die Entscheidung ist nach Darstellung von Prof. Dr. Bengt Jönsson, Universität Stockholm, die Solidarität, d. h. Arzneimittel für grundlegende Bedürfnisse bzw. gegen schwere Erkrankungen sollen Vorrang haben. Erst danach soll die ökonomische Effektivität, das typische pharmakoökonomische Beurteilungskriterium, betrachtet werden. Bisher wurden Homöopathika und Arzneimittel gegen Haarausfall und zur Entwöhnung des Rauchens durch die neue Behörde von der Erstattung ausgeschlossen.

Mit der neuen Regelung wurde das seit 1953 in Schweden geltende Referenzpreissystem abgeschafft. Denn die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit ist stets im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Preis zu sehen. So wird in der Praxis ein Preis auszuhandeln sein, zu dem die zuständige Behörde die Erstattungsfähigkeit genehmigen kann. Jönsson fordert, das neue Verfahren dürfe die Verfügbarkeit neuer Substanzen nicht verzögern.

NICE-Empfehlungen in Großbritannien

In Großbritannien erstellt das National Institute for Clinical Excellence (NICE) Empfehlungen für den nationalen Gesundheitsdienst, die formal betrachtet keine bindende Wirkung haben. Trotz dieser eingeschränkten Bedeutung im Land selbst wird das NICE international in der Pharmakoökomomie sehr stark beachtet und gilt in der Reformdebatte in vielen Ländern als Vorbild für die Arbeitsweise bei der pharmakoökonomischen Bewertung.

Alistair McGuire, Universität London, stellte fest, dass innovative Behandlungsmethoden in Großbritannien viel langsamer eingeführt werden als beispielsweise in den USA. Besonders problematisch sei die Budgetierung in Großbritannien. Ein Budget behindere stets die Effizienz der Behandlung.

Andererseits wies Prof. Dr. Martin Buxton, Brunel Universität, Uxbridge, England, auf kritische Stimmen hin, die positiven Bescheide des NICE würden nicht rechtzeitig umgesetzt, d. h. diese Therapien würden nicht genug angewendet. Er hob außerdem hervor, dass die Arbeit des NICE kein undurchsichtiger technokratischer Prozess ist. Vielmehr seien die Daten transparent und die Entscheidungen nachvollziehbar.

Länder ohne Reglementierung

In den meisten anderen Ländern bestehen weniger strenge Regeln. So existieren für die USA Leitlinien für die pharmakoökonomische Evaluation, aber kein formaler Prozess für ihre Anwendung. Bereits von 1992 bis 1994 sei über eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens diskutiert worden, die dann aber unterblieb, wie Prof. Dr. C. Daniel Mullins, Universität Maryland, Baltimore, erläuterte.

Auch in Dänemark, Norwegen und einigen weiteren Ländern existieren Regeln über die Gestaltung pharmakoökonomischer Studien, die aber nicht im Rahmen eines formalen Verfahrens genutzt werden. In Italien und Spanien wird die ökonomische Effektivität von Arzneimitteln auf regionaler Ebene bewertet. Sogar die Zuzahlungen für Arzneimittel werden in Italien regional festgelegt.

Für Deutschland konstatierte Dr. Wolfgang Greiner, Universität Hannover, dass die pharmakoökonomische Effektivität nicht als generelles Entscheidungskriterium anerkannt ist, aber auf lokaler Ebene berücksichtigt wird. Für das nächste Jahr werde eine Positivliste für Arzneimittel und später eine vierte Hürde nach dem Vorbild des NICE erwartet.

Preisverhandlungen in Frankreich

In Frankreich werden umfangreiche Preisverhandlungen zwischen der Pharmaindustrie und den Regierungsbehörden geführt, doch gehen pharmakoökonomische Untersuchungen dabei bisher offiziell nicht ein. Dr. Claude Le Pen, Paris, gab einen Einblick in das komplizierte System der Preisverhandlungen. Demnach existieren nur für Krankenhäuser strikte Budgets.

Für ambulant verordnete Arzneimittel wird jährlich eine Steigerungsrate ausgehandelt. Wenn diese Rate überschritten wird, muss die Industrie eine Strafgebühr in Abhängigkeit von der Überschreitung zahlen. Diese wird in Einklang mit einem Vertrag auf die einzelnen Hersteller umgerechnet, wobei die Budgetüberschreitungen in verschiedenen Indikationsgebieten als Verteilungsschlüssel dienen. Da Unternehmen, die dem Vertrag nicht beitreten, stärker belastet werden, erkennen die meisten Hersteller das System an. Für die Zukunft ist außerdem ein Referenzpreissystem für Generika geplant. Die Bedeutung dieses Systems wird allerdings durch eine Besonderheit der französischen Krankenversicherung relativiert. Denn 91,6% der Bevölkerung verfügen neben der öffentlichen Krankenversicherung über eine private Zusatzversicherung.

Testphase in den Niederlanden

Derzeit gilt in den Niederlanden ein Budgetsystem, das bereits in den Achtzigerjahren eingeführt wurde, wie Dr. Marc Koopmanschap, Erasmus Universität Rotterdam, erläuterte. Für Arzneimittel außerhalb des Krankenhauses hat das Budget allerdings nur orientierenden Charakter und ist nicht einklagbar. Für Arzneimittel gilt ein Referenzpreissystem, das sich an den Preisen in Belgien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland orientiert. Diverse Protokolle geben Anreize für rationales Verschreibungsverhalten der Ärzte. Für die Zukunft werde diskutiert, den Krankenversicherern eine stärkere Rolle im Gesundheitswesen zu geben. Dies könnte sogar einschließen, dass Versicherer eigene Apotheken eröffnen, zumal in den Niederlanden Apothekenketten zulässig sind.

Beeindruckend ist das strategisch sorgfältig geplante Vorgehen zur Einführung der vierten Hürde in den Niederlanden, das der niederländische Gesundheitsstaatssekretär Léon Wever im Rahmen der Kongresseröffnung vorstellte. Bereits 1999 wurden dort pharmakoökonomische Leitlinien in Anlehnung an die Regelungen in Australien und Kanada erstellt. Wie dabei die Kosten zu ermitteln sind, beschreibt seit 2000 ein Manual. Die ersten pharmakoökonomischen Dossiers wurden 2002 probeweise bearbeitet. Nach der Testphase sollen ab 2005 alle neuen Arzneistoffe zwingend pharmakoökonomisch bewertet werden.

In der Testphase will die Regierung so intensiv wie möglich mit der Industrie zusammenarbeiten, um zu einem praktikablen Verfahren zu kommen. Als besonders schwierig erweist sich dabei die Validierung pharmakoökonomischer Modelle. Doch ist Wever für die Zukunft optimistisch. Je mehr Länder solche Studien fordern, umso besser werde die Qualität der Arbeiten.

Für die niederländische Regierung sind die pharmakoökonomischen Bewertungen nicht als Innovationshindernis und auch ausdrücklich nicht als Maßnahme zur Senkung der Kosten gedacht. Es gehe vielmehr um transparente und wissenschaftlich nachprüfbare Entscheidungen. Es sollte ein robustes Entscheidungswerkzeug geschaffen werden, um ggf. auch hohe Kosten für bestimmte Arzneimittel gegenüber der Gesellschaft zu rechtfertigen.

Mögliche Vorteile ...

Auch Le Pen forderte, das Ziel der Politik sollte nicht sein, Kosten zu kontrollieren, sondern für gute Therapieergebnisse zu sorgen. Vielfach wurde auf die große Bedeutung eines transparenten Verfahrens hingewiesen. Die Industrie müsse sich auf die Bewertung der Arzneimittel einstellen können, um Sicherheit für die eigene Planung zu haben. Pinto meinte, die transparente Vorgehensweise bei der Arzneimittelbewertung in Portugal habe das Verhältnis zwischen Regierung und Pharmaindustrie deutlich verbessert.

... und Gefahren

Jönsson bezeichnete es als wesentliche Herausforderung für die Gestaltung der vierten Hürde, ein angemessenes Gleichgewicht für die beiden möglichen Entscheidungsfehler zu finden. Einerseits sollte verhindert werden, dass ein neues Arzneimittel auf den Markt kommt, dessen Kosten im Verhältnis zur Wirksamkeit zu hoch sind. Andererseits dürften neue kosten-effektive Arzneimittel nicht durch den Regulierungsapparat vom Markt ausgeschlossen oder in ihrer Einführung verzögert werden. Es gelte, sowohl eine Überregulierung als auch eine zu geringe Regulierung des Marktes zu vermeiden. Dabei sei die Kosten-Effektivität niemals eine Eigenschaft des Arzneimittels an sich, sondern stets im Rahmen der Anwendung für eine bestimmte Indikation zu beurteilen. Jönsson kritisierte, dass die Kosten-Effektivitäts-Betrachtungen für nicht-medikamentöse Therapien nicht mit der gleichen Energie vorangetrieben würden wie im Bereich der Arzneitherapien.

Darüber hinaus wurden die Kosten pharmakoökonomischer Evaluationen angesprochen. Selbstverständlich steigen durch die regulatorischen Anforderungen und die Durchführung der Studien die Kosten für die Entwicklung neuer Arzneimittel. Die Pharmaindustrie sieht die Studien oft primär als kostentreibenden Faktor. Daher müssen Kosten-Effektivitäts-Studien selbst kosten-effektiv sein. Die Einsparungen aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse müssen die Kosten der Forschung übersteigen.

Mehrere Referenten beklagten die drohende Überregulierung. Insbesondere durch unterschiedliche Anforderungen in den einzelnen Ländern würden große Datenmengen erhoben, die nicht immer nützlich seien. Der ungünstigste Fall ist nach Darstellung von Mullins eine Situation, in der pharmakoökonomische Evaluationen gefordert, die Ergebnisse dann aber nicht genutzt werden. Dann führen die Studien zu einem gesamtgesellschaftlichen Verlust.

Wie werden Innovationen schnell verfügbar?

Zudem sollten einmal getroffene Entscheidungen nicht unbegrenzt gültig bleiben. Insbesondere für neue Arzneistoffe könnte ein späteres Re-Assessment das Problem der verzögerten Einführung neuer Substanzen lösen. Dr. Jens Grüger, Novartis, Basel, schlug vor, neue Arzneimittel sollten nach ihrer Markteinführung möglichst umgehend erstattungsfähig werden, auch wenn naturgemäß noch keine validen Daten über ihre Wirtschaftlichkeit vorliegen können. Innerhalb von einigen Jahren nach Markteinführung könnten dann aussagekräftige Studien erstellt werden, um später eine Entscheidung für die weitere Zukunft zu treffen und ggf. den Preis anzupassen.

Damit werde die Innovation schnell verfügbar und die Entscheidung basiere auf gesicherten Grundlagen. Allerdings dürfe ein solches Re-Assessment der ökonomischen Effektivität von den Behörden nicht als Budgetsteuerung zweckentfremdet werden. Es wurde zudem kritisch diskutiert, nach welchem Zeitraum angemessene Daten vorliegen können. Bei einem sehr langen Zeitraum wäre auch zu fragen, ob die Substanz bis dahin nicht ohnehin durch spätere Innovationen überholt sein könnte.

In der Vortragsrunde zum Thema Re-Assessment wies Dr. Ralph Crott, European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC), Brüssel, auf ein bekanntes, aber offenbar immer noch ungenügend beachtetes methodisches Problem der Gestaltung pharmakoökonomischer Analysen hin. So sollten in der Pharmakoökonomie möglichst keine randomisierten klinischen Studien genutzt werden. Stattdessen sollten viel mehr Beobachtungsstudien zur tatsächlichen Versorgung von Patienten in realen Behandlungssituationen durchgeführt werden. Nur dies liefere aussagekräftige Daten. Da diese Vorgehensweise in den Gesellschaftswissenschaften üblich und erprobt ist, stehe ein gutes Instrumentarium zur Auswertung zur Verfügung.

Wie hoch wird die Hürde?

Wenn die vierte Hürde eingeführt wird, entsteht zwangsläufig die Frage, wie hoch sie sein soll. Es ist zu fragen, wie viel die Gesellschaft bereit ist, für eine bestimmte therapeutische Wirkung zu bezahlen. Als Maß haben sich hierfür in der Pharmakoökonomie die Kosten für ein qualitätsadjustiertes Lebensjahr (QALY, quality adjusted life year) herausgebildet. Das QALY ist einer der zentralen Begriffe der Pharmakoökonomie und bezeichnet ein Lebensjahr bei uneingeschränkter Gesundheit.

Den Stand der Diskussion über die zahlenmäßige Beschreibung der vierten Hürde trugen John Hutton, Dr. Josephine Mauskopf und Agnes Benedict, MEDTAP International, in einem Workshop zusammen. Demnach muss streng zwischen Systemen mit festem Budget und solchen mit einem festen Grenzbetrag für die Kosten pro QALY unterschieden werden. Wenn Budgets festgelegt werden, ergeben sich zwangsläufig im Zeitverlauf unterschiedliche Grenzen für die Erstattungsfähigkeit.

Die Maßnahmen werden nach ihrer Kosten-Effektivität geordnet. Je nach Finanzlage würde sich die gerade noch finanzierbare Grenze verschieben, so wären bestimmte Maßnahmen in einigen Jahren erstattungsfähig, in anderen nicht. Das Beispiel des Oregon Health Care Plan, der eine solche Vorgehensweise enthielt, habe gezeigt, dass dies politisch und praktisch kaum durchführbar sei. So bleibt die besser vermittelbare Alternative, einen Grenzbetrag für ein QALY festzulegen. Daraus folgt zwangsläufig, dass das Budget nicht festliegen darf, zumal immer wieder neue Therapien hinzukommen.

Fraglich ist jedoch, wie viel für ein QALY gezahlt werden soll. Hierzu wurde 1992 in der Literatur erstmals ein Betrag von 50 000 CAN-Dollar vorgeschlagen, aber nicht wissenschaftlich begründet. Durch vielfaches Zitieren sei mittlerweile ein Zirkelschluss entstanden. Jeder argumentiere mit Beträgen in dieser Größenordnung, weil andere diese Zahlen ebenfalls benutzen.

In der Literatur sind mittlerweile Zahlen von nur 20 000 neuseeländischen Dollar (etwa 10 000 Euro) bis zu 100 000 US-Dollar zu finden. Zwischen dem Bruttosozialprodukt pro Einwohner und Grenzwerten, die für das betreffende Land diskutiert werden, ist keine Korrelation festzustellen. Es wurde mehrfach versucht, aus dem Verhalten von Menschen auf ihre Präferenzrate für langfristiges Überleben zu schließen. So wurde ermittelt, welche zusätzlichen Gehälter für besonders gefährliche Berufe gezahlt werden und welche Preise für zusätzliche Sicherheitsausstattungen in Autos akzeptiert werden. Aus solchen Daten wurde für Großbritannien ein Wert in der Größenordnung von 30 000 brit. Pfund pro QALY ermittelt. Dies ist zugleich der Grenzwert, den das NICE für seine Empfehlungen zugrundelegt. Für die neue Behörde in Schweden wurde bisher kein Grenzwert festgelegt.

In dem Workshop wurde argumentiert, dass es vermutlich nicht ausreicht, die politischen Entscheidungsträger mit QALY-Werten verschiedener Therapien zu versorgen und der Politik die Grenzziehung zu überlassen. Die Grenze selbst müsse Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion sein, weil in der Politik oft nicht genug Sachverstand für das komplexe Thema bestehe.

Grenzen der Berechnung

Doch steckt in solchen Zahlenwerten ein hohes Maß an Unsicherheit. Denn die in pharmakoökonomischen Evaluationen ermittelten Daten für Kosten und QALYs hängen von zahlreichen Annahmen und Voraussetzungen ab. Dies sind keinesfalls eindeutige Größen wie in naturwissenschaftlichen Untersuchungen. Die Methoden zur Ermittlung von Kosten können sich grundlegend unterscheiden, wie in verschiedenen Vorträgen der ISPOR-Konferenz immer wieder deutlich wurde.

Nicht selten hängen die ermittelten Kosten für eine Therapie mehr von der Verrechnungsmethode in dem jeweiligen Gesundheitssystem als vom materiellen Aufwand bei der Patientenversorgung ab, wie Mullins erläuterte. Daher ergäben sich manche Abweichungen zwischen einzelnen Ländern eher durch unterschiedliche Erhebungsmethoden als durch tatsächliche Versorgungsunterschiede.

Speziell bei der Ermittlung der QALYs müssen auch die sozialen Präferenzen berücksichtigt werden. So hängen die QALY-Werte davon ab, wie gut oder schlecht in einer Gesellschaft ein bestimmter Gesundheitszustand eingeschätzt wird. Paul Kind, Universität York, warnte davor, die Präferenzen der Wissenschaftler zu nutzen, die die Studie gestalten. Es sollte eine repräsentative Auswahl der Bevölkerung befragt werden, um die Gesundheitszustände zu bewerten.

Innovative Vertragskonzepte

Möglicherweise lässt sich die vierte Hürde aber auch durch intelligentere Lösungen umgehen, sodass sich die Frage nach einer allgemein verbindlichen Grenze für die Erstattungsfähigkeit nicht mehr stellt. Einen solchen Ansatz präsentierte Adrian Towse, London, in Form von Risk-sharing-Modellen. Dabei sollen ökonomische Modelle für die Konzeption von Verträgen unter Unsicherheit und bei Informationsasymmetrie zwischen den Vertragspartnern in der Praxis genutzt werden. Solche Verträge sollen Anreize enthalten, die den Informationsvorsprung des Herstellers eines Arzneimittels gegenüber Behörden und Patienten ausgleichen. Außerdem gilt es, die Kosten der Informationsbeschaffung für alle Beteiligten zu minimieren.

Beispiele hierfür sind Preisabschläge oder Geld-zurück-Garantien bei erfolglosen Therapien. So wurde in den USA der Kaufpreis von Zocor® (Simvastatin) zurückgezahlt, wenn der Cholesterolspiegel nicht in einem zuvor bestimmten Maß sank. In Kanada wurde das Geld für Proscar® (Finasterid) zurückgezahlt, wenn innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Aufnahme in ein Krankenhaus nicht verhindert werden konnte. Die Preise für ein Kathetersystem sollten nachträglich korrigiert werden, wenn in einem Krankenhaus die Infektionsrate nicht fällt.

Denkbar sind auch Preise, die proportional zu den Therapieerfolgen steigen. In Großbritannien hat der nationale Gesundheitsdienst kürzlich ein Risk-sharing-Abkommen zur Therapie der Multiplen Sklerose geschlossen. Dabei sollen 36 000 brit. Pfund pro QALY gezahlt werden. Wenn dieser Wert bei dem bisherigen Preis der eingesetzten Arzneimittel überschritten wird, muss der Preis nachträglich reduziert werden. In einem solchen Vertrag müssen die Einzelheiten zur Ermittlung der Therapieergebnisse sorgfältig festgelegt werden.

Die Herstellerunternehmen dürften gegenüber solchen Regelungen aufgeschlossen sein, denn die Hersteller selbst sollten vom Nutzen ihrer Produkte überzeugt sein. Eine andere Haltung ließe vermuten, dass der Hersteller über negative Informationen zum Produkt verfügt. So bieten Risk-sharing-Modelle nach Ansicht von Towse einen weitaus besseren Ansatz als die vierte Hürde, um die Arzneimittelausgaben aus der Perspektive der Gesellschaft zu optimieren. Außerdem wird daran deutlich, dass pharmakoökonomische Bewertungen keineswegs immer in eine Entscheidung über Erstattung oder Ablehnung eines Arzneimittels münden müssen, sondern weitaus differenzierter sein können.

Die fünfte Hürde: Erschwinglichkeit

Ein weiteres Problem, das sich bei Installation einer vierten Hürde, möglicherweise aber auch bei Risk-sharing-Verträgen, stellt, wird inzwischen als fünfte Hürde tituliert. Diese wird international als affordability, übersetzt etwa Erschwinglichkeit, bezeichnet. Dabei geht es um die Frage, ob die verfügbaren Finanzmittel für alle Therapien oder Arzneimittel ausreichen, die die vierte Hürde überwunden haben. Denn auch wenn diese noch so viel Gesundheit fürs Geld bieten, muss dieses Geld vorhanden sein.

Das Werkzeug zur Bearbeitung dieses Problems wird als budget impact analysis bezeichnet, die von den pharmakoökonomischen Effektivitätsbetrachtungen der vierten Hürde streng unterschieden werden muss. Die Analysen der Budgetkonsequenzen weisen aus, welche Kosten insgesamt für die Kostenträger bei der Realisierung einer bestimmten Maßnahme entstehen.

Sie sind in Australien und Finnland bereits vorgeschrieben und waren auf der ISPOR-Tagung Gegenstand eines Workshops. Dabei wurde herausgearbeitet, dass solche Analysen stets auch deutlich machen sollten, welcher gesundheitliche Nutzen damit auf der Ebene der Gesamtbevölkerung erzielt wird. So entsteht ein enger Zusammenhang zu epidemiologischen Fragestellungen. Üblicherweise würden die Behörden dies bei der Budgetanalyse nicht abfragen, doch sollten wie überall in der Pharmakoökonomie Kosten und Nutzen stets im Zusammenhang betrachtet werden.

Die sechste Hürde: Angemessenheit

Doch nicht genug der fünften Hürde, auch die sechste Hürde hat bereits einen Namen: appropriateness, d.h. Angemessenheit. Dabei ist zu klären, inwieweit die Erstattung einer medizinischen Leistung als gesellschaftlich angemessen gilt. So wird beispielsweise Viagra® in den meisten Gesundheitssystemen nicht erstattet, obwohl dies eine durchaus kosten-effektive Medikation im Vergleich zu vielen anderen Therapien ist. Andererseits werden extrem teure Operationen finanziert, die vielleicht nur geringe Erfolgsaussichten haben. Doch soll keine Chance auf Lebenserhaltung ungenutzt bleiben. Damit wird die vierte Hürde relativiert, weil so möglicherweise auch wenig kosten-effektive Maßnahmen akzeptiert werden.

Dies erscheint auf den ersten Blick ethisch gerechtfertigt, birgt aber eine problematische Rationalitätenfalle. Denn es könnten alle jenen potenziellen Maßnahmen unbeachtet bleiben, die nicht stattfinden, weil das Geld dafür nicht vorhanden ist. Denn niemand berücksichtigt dabei, wer sterben muss, weil bestimmte Behandlungsmöglichkeiten gar nicht zur Verfügung stehen, weil die Finanzmittel an anderer Stelle bereits ausgegeben wurden. Dies sehen Verfechter der klassischen pharmakoökonomischen Effektivitätsbetrachtung als ein wichtiges Argument für eine konsequent angewendete vierte Hürde.

Zahlungsbereitschaft für pharmazeutische Dienstleistungen

Bei der ISPOR-Tagung ging es allerdings nicht nur um die Hürden zur Erstattungsfähigkeit, sondern auch um viele methodische Detailfragen, so beispielsweise um die angemessene Gestaltung von Zahlungsbereitschaftsanalysen. Aus Apothekensicht besonders interessant an diesem Workshop waren die dort präsentierten Beispiele. Denn dabei ging es um Dienstleistungen öffentlicher Apotheken.

In einer US-amerikanischen Studie wurde ein Programm angeboten, bei dem Apotheken aufgrund von Fragebögen und ggf. Blutproben Empfehlungen zu einer möglichen Hormonsubstitution bei postmenopausalen Frauen gaben. Im Mittel waren die Befragten bereit, dafür etwa 40 US-Dollar auszugeben. In einer kanadischen Arbeit wurden durchschnittlich etwa 35 CAN-Dollar als Zahlungsbereitschaft für ein Programm zur Begleitung der Medikation gegen erhöhte Blutfettwerte ermittelt. Darin war die Überprüfung der Werte enthalten. Die Zahlungsbereitschaft korrelierte nicht mit dem Therapieerfolg.

Unabhängig von den methodischen Fragen zeigen diese Ergebnisse, dass auch in Apotheken Dienstleistungen gegen Gebühr angeboten werden können und der pharmazeutische Mehrwert vermittelbar ist. Doch wurde in der Diskussion bezweifelt, inwieweit die Ergebnisse auf Europa übertragbar sind.

Pharmakoökonomie für alle neuen Arzneimittel

Insgesamt zeigte die ISPOR-Tagung, wie schnell die Behandlung wichtiger Fragen der Pharmakoökonomie in jüngster Zeit auf internationaler Ebene vorangeschritten ist, dass aber auch noch viele Fragen offen sind. Neben den Vorträgen und Workshops zu grundsätzlichen Themen bot die Tagung eine enorme Fülle von Einzelpräsentationen, mündlich und auf Postern, zu fast allen Indikationsgebieten. Eine halbwegs repräsentative Auswahl würde den Rahmen eines Kongressberichtes sprengen.

Doch bleibt festzuhalten, dass inzwischen für nahezu alle Indikationen Methoden und Werkzeuge zur Durchführung pharmakoökonomischer Analysen vorliegen oder entwickelt werden. Auf dem Weltmarkt sind pharmakoökonomische Untersuchungen zu neuen Arzneimitteln zum selbstverständlichen Standard geworden.

Die Pharmakoökonomie befasst sich mit der Frage, welchen therapeutischen Wert ein Arzneimittel hat und in welchem Verhältnis dieser Wert zu den Kosten steht. Die Berechnungen entscheiden darüber, ob Arzneimittel erstattungsfähig sind oder nicht, und sind mittlerweile für die Gesundheitssysteme fast aller Staaten von praktischer Bedeutung. Allerdings gibt es hier große nationale Unterschiede, wie ein internationaler Kongress zeigte.

Was ist die ISPOR? Die International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (ISPOR) wurde 1995 gegründet und ist eine internationale Non-Profit-Organisation zur Förderung der Pharmakoökonomie und health outcomes-Forschung in Praxis und Wissenschaft. Ihre Mitglieder sind Ärzte, Apotheker, Ökonomen, Pflegekräfte und Forscher in Wissenschaft, Pharmaindustrie, staatlichen Institutionen, privatwirtschaftlichen Forschungsinstituten und bei Kostenträgern.

Ziel der Gesellschaft ist es, die pharmakoökonomische und ergebnisorientierte Forschung in die Praxis zu übertragen und sicherzustellen, dass die knappen Ressourcen im Gesundheitswesen vernünftig, fair und effizient eingesetzt werden. (Übersetzung des ISPOR Mission Statements)

Die ISPOR veranstaltet jährlich eine Weltkonferenz und seit 1998 jährlich eine Europakonferenz. Die nächste Europakonferenz wird vom 9. bis 11. November 2003 in Barcelona stattfinden, die übernächste voraussichtlich im November 2004 in Berlin.

Nähere Informationen unter: www.ispor.org

Kosten-Effektivität Die Kosten-Effektivität ist einer der zentralen Begriffe der Pharmakoökonomie. Kosten-Effektivitäts-Analysen sind vergleichende Untersuchungen, bei denen die Kosten und die therapeutischen Konsequenzen einer (neuen) Therapie mit denen einer Standardtherapie verglichen werden. Eine Therapie gilt (vereinfacht dargestellt) dann als kosten-effektiv, wenn sie das therapeutische Ergebnis der Standardtherapie mit weniger Kosten erzielt oder wenn der therapeutische Vorteil gegenüber der Standardtherapie in einem angemessenen Verhältnis zu den Mehrkosten steht. Was dabei als angemessen gilt, ist Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion, siehe unter der Zwischenüberschrift "Wie hoch wird die Hürde?" Der Begriff der Kosten-Effektivität setzt zwingend voraus, dass sowohl die Kosten als auch das therapeutische Ergebnis betrachtet werden. Keinesfalls darf nur eine dieser Größen allein gesehen werden.

Literaturtipp Pharmakoökonomie. Einführung in die ökonomische Analyse der Arzneimittelanwendung. Von Thomas Müller-Bohn und Volker Ulrich. 208 Seiten, 20 Abb., 8 Tab., 29,70 Euro. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2000. ISBN 3-8047-1761-6

Die Autoren vermitteln in diesem Buch die wesentlichen Verfahren dieser in Deutschland noch jungen Disziplin. Die Erläuterungen wichtiger wirtschaftlicher Zusammenhänge macht es auch Nicht-Ökonomen leicht, in diese neue Materie einzusteigen. Sie schaffen sich dadurch die Grundlagen, um pharmakoökonomische Studien zu interpretieren, zu bewerten oder selbst zu gestalten.

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