Die Seite 3

Ökonomie: Wissenschaft statt Politik

Thomas Müller-Bohn

Preisbildung, Arzneimittelinnovationen, Kosten-Nutzen-Analysen, Festbeträge, Beitragssätze, Gesundheitsprämien, Bürgerversicherung – es gibt viele Schlagwörter für ökonomisch geprägte Themen rund um die Pharmazie: Doch nehmen Apothekerinnen und Apotheker die Ökonomie primär über die Politik wahr und erleben sie meist als Angriff auf ihre Brieftasche. Dadurch kann leicht übersehen werden, dass die Ökonomie eine wertneutrale Wissenschaft ist, mit einem umfangreichen Theoriegebäude und einer ausgefeilten Methodik. Was Apotheker tagtäglich erleben, ist aber nicht die ökonomische Wissenschaft, sondern das Ergebnis aus ökonomisch relevanten Entscheidungen der Politiker – und die halten sich leider oft nicht an wissenschaftliche Empfehlungen.

Für Ökonomen ist es selbstverständlich, dass die Inhalte ihrer Wissenschaft Gegenstand politischer Diskussionen sind. Für Naturwissenschaftler und Mediziner ist dies dagegen eher die Ausnahme, beispielsweise in der Gentechnik. Mit der Gesundheits- und Pharmakoökonomie sind nun auch auf die Apotheker Wissenschaften zugekommen, deren Inhalte in hohem Maße politisch diskutiert werden. Dadurch ist der wissenschaftliche Hintergrund dieser Fächer mitunter kaum noch wahrzunehmen. Außerdem sind in diesen Wissenschaften weitaus mehr Ökonomen als Pharmazeuten tätig, und diese Fächer werden in vielen anderen Ländern erheblich intensiver als in Deutschland betrieben.

Immerhin hält die Pharmakoökonomie als Teil der klinischen Pharmazie über die novellierte Approbationsordnung von 2001 inzwischen Einzug ins Pharmaziestudium. Die ersten Studierenden, die ihr Studium ab Herbst 2001 begonnen haben, haben die Semester mit dem neuen Unterrichts- und Prüfungsstoff erreicht. Für die Studierenden ist die Pharmakoökonomie allerdings eine beachtliche Herausforderung, weil sie auf ganz anderen Grundlagen als das restliche Pharmaziestudium aufbaut und damit einen Fremdkörper im Curriculum bildet. So ist es für viele eine große Überraschung, dass es dabei zunächst um theoretische Grundlagen, abstrakte Begriffe und komplexe Bewertungsmethoden und erst später vielleicht um politische Konsequenzen geht.

Auch in der Diskussion um das neue Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin steht die Politik im Vordergrund. Dagegen wären gerade beim Aufbau eines solchen Instituts inhaltliche Fragen zu den Anforderungen an pharmakoökonomische Evaluationen viel interessanter: Dies wären beispielsweise Fragen nach den Kriterien für die Wahl des jeweiligen Referenzarzneimittels, nach Kalkulationsgrundlagen für indirekte Kosten, nach den empfehlenswerten Wirksamkeitsmaßen in Kosten-Effektivitäts-Analysen, nach einer möglichen Akzeptanzgrenze für das Kosten-Nutzwert-Verhältnis, nach Kapitalisierungssätzen bei langfristigen Betrachtungen oder nach der Auswahl geeigneter Modellbildungsverfahren. Gerade beim Aufbau eines neuen Institutes gilt es, in solchen wichtigen Fragen die Weichen zu stellen, die später wahrscheinlich über die Akzeptanz neuer Arzneimittel entscheiden werden.

Zur Geringschätzung dieser fachlichen Fragen tragen vielleicht auch die Standespolitiker bei, die praktisch einhellig eine angebliche "Ökonomisierung" der Pharmazie beklagen. Damit dürfte aber kaum das zarte Pflänzlein der Pharmakoökonomie gemeint sein, sondern die Ausrichtung der Gesundheitspolitik an kurzfristigen Sparmaßnahmen – doch auch die sollten nicht mit wertneutralen ökonomischen Zusammenhängen verwechselt werden, denen sich niemand entziehen kann.

Ein weiterer Grund für die geringe Wahrnehmung der Gesundheits- und Pharmakoökonomie als Wissenschaften dürften die seltenen Präsentationen wissenschaftlicher Inhalte im Kontrast zur allgegenwärtigen Politik sein. Doch da steht eine Ausnahme ins Haus: Vom 24. bis 26. Oktober findet in Hamburg die siebte Europakonferenz der International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (ISPOR) statt. Sicher wird auch in einer solchen Fachkonferenz die Politik einen gewissen Raum finden, in den Plenarsitzungen soll es beispielsweise um Disease Management Programme und um die Umsetzung der "vierten Hürde" der Arzneimittelzulassung in verschiedenen Ländern Europas gehen. Doch in den zahlreichen Workshops und Einzelpräsentationen stehen wissenschaftliche Methoden und Ergebnisse pharmakoökonomischer Evaluationen auf dem Programm. So ist zu hoffen, dass die Anwesenheit der europäischen Pharmakoökonomen dieser Disziplin auch in Deutschland zu mehr Aufmerksamkeit verhilft.

Eine Kurzfassung des Kongressprogramms finden Sie in der DAZ 35, S. 105 – 106. Wer nicht nach Hamburg kommen kann, wird sich nach der Veranstaltung selbstverständlich in der DAZ über die interessantesten Inhalte informieren können. Ein anderes Beispiel für ein politisch bedeutsames ökonomisches Thema mit wissenschaftlichem Hintergrund finden Sie bereits in einem Beitrag in dieser DAZ. Darin geht der Volkswirtschafts-Professor Volker Ulrich der Frage nach, wie die Gesundheit angesichts der demographischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschritts bezahlbar bleiben kann.

Thomas Müller-Bohn

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