Berichte

Aktuelle pharmazeutische Forschungen

Das Pharmazeutische Kolloquium des Wintersemesters 2001/2002 an der Universität Greifswald wurde am 16. Oktober durch Prof. Dr. Adelheid Brantner, Institut für Pharmakognosie der Universität Graz, mit dem Thema: "Methoden zur Untersuchung biologischer Aktivitäten von Arzneipflanzen" eröffnet.

Test von Arzneidrogen auf mikrobielle Kontamination

Die Referentin stellte die rechtlichen Grundlagen wie Arzneimittelgesetz, GMP-Leitfaden, diverse EU-Richtlinien, DIN-Normen und die Pharmazeutische Betriebsverordnung vor. Dann behandelte sie das Validieren, Qualifizieren und Kalibrieren von Verfahren. Insbesondere ging Sie auf die Funktion des Validierungsteams und die Problematik der Revalidierung ein.

Die unterschiedlichen Keimzahlbestimmungsmethoden wie Membranfiltration, Plattengießverfahren oder Verdünnungsreihen veranschaulichte sie am Beispiel der Untersuchungen an Malvenblüten Dann stellte die Referentin diverse feste und flüssige Nährmedien vor: Schnelltests zum fluoreszenzoptischen Nachweis von E. coli sind z. B. Fluorocult-Medien, mit denen ein Ergebnis (im Gegensatz zu herkömmlichen Methoden) bereits nach 24 bis 48 Stunden anhand eines Farbumschlages möglich ist. Eintauchtester, die ursprünglich für nativen Urin zur bakteriologischen Untersuchung u. a. auf Tuberkulose benutzt wurden, eigenen sich als Nachweismöglichkeit für Bakterien und Pilze.

Mit Ausführungen zu eigenen Projekten zur Wirkstofffindung antimikrobiell wirksamer Substanzen aus Extrakten äthiopischer Heilpflanzen rundete Brantner ihren Vortrag ab.

Tumorselektive Wirkstoffe

Am 23. Oktober stellte Dr. Karin Achilles in ihrem Vortrag mit dem Thema "Auf dem Weg zu Elastase-sensitiven Antitumor-Prodrugs" erste Ergebnisse ihrer Habilitationsarbeit vor.

Ein Ansatz, die geringe Selektivität von Antitumorwirkstoffen zu verbessern, besteht in der Entwicklung von tumorselektiv aktivierbaren Prodrugs. Tumoren zeichnen sich durch im Vergleich zum gesunden Gewebe veränderte Eigenschaften aus, wie ein um 0,5 Punkte niedrigerer pH-Wert, Sauerstoffarmut oder eine erhöhte proteolytische Aktivität; diese Besonderheiten können zur tumorselektiven Aktivierung von Prodrugs genutzt werden.

Bisher sind in Tumorgewebe signifikant erhöhte Konzentrationen von Enzymen aller vier Proteaseklassen nachgewiesen. Der Serinprotease Elastase kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Stellung als Marker für eine Progression bzw. für Rezidive zu. Dr. Achilles hat sich im Rahmen ihrer Arbeit auf die Entwicklung von Dreikomponenten-Prodrugs für das Enzym Elastase und die Etablierung eines Zellkulturassays zur Testung von Prodrugs konzentriert.

Dreikomponenten-Prodrugs enthalten im Gegensatz zu Zweikomponenten-Prodrugs neben dem Träger (Carrier) und dem Wirkstoff (Drug) eine spontan abtrennbare Zwischenkette als Abstandshalter (Spacer), der die räumliche Trennung von Träger und Wirkstoff ermöglicht. Die Carrier bestehen im konkreten Fall aus verschiedenen Peptiderkennungssequenzen für das Enzym Elastase, als Spacer werden 4-Aminobuttersäure, 5-Aminovaleriansäure, Trimethyl-Lock und Cumarin eingesetzt. Der Wirkstoff wurde für erste, orientierende Untersuchungen durch Modellgruppen wie z. B. p-Anisidin imitiert.

Testung der Enzymaktivität

Der von Achilles entwickelte Assay ermöglicht die qualitative und quantitative Bestimmung der Elastase-artigen Enzymaktivität in Zellkulturen, die Untersuchung der Toxizität von intakten Elastase-sensitiven Prodrugs sowie die Untersuchung der Spezifität der Prodrug-Aktivierung. Auch die Testung von möglichen Inhibitoren ist mit diesem Assay gegeben.

Bei Aminobuttersäure und Aminovaleriansäure als Spacer trat entgegen den Erwartungen keine Elastase-spezifische Aktivierung durch Spaltung der Peptidbindung ein, sondern unabhängig vom Enzym wurden bei den Erkennungssequenzen mit einem Alanintripeptid ausschließlich die terminalen Esterbindungen hydrolysiert. Erkennungssequenzen mit den Aminosäuren Valin und Prolin wurden nach Inkubation mit dem Enzym Elastase unverändert zurückerhalten.

Die Verbindungen mit Trimethyl-Lock sind schlecht wasserlöslich und bedürfen zur Verbesserung der Wasserlöslichkeit der Weiterentwicklung durch Derivatisierung. Die Einführung des Cumarinspacers führt aufgrund synthetischer Limitierungen nicht zu den gewünschten Zielverbindungen.

Zwar wurden statt angestrebter Dreikomponenten-Prodrugs nur effektive Zweikomponenten-Prodrugs gefunden. Achilles stellt jedoch mit dem entwickelten Assay ein leistungsstarkes Instrument zur Quantifizierung Elastase-artiger Enzymaktivität in Zellkultur zur Verfügung. Der Einsatz weiterer Spacer und die Einführung von Doxorubicin als Wirkstoff sind erfolgversprechende Ansätze für die weitere Forschung.

Therapie mit modifizierten Peptiden

Im Rahmen seines aktuellen Forschungsaufenthaltes an der Universität Greifswald trug Prof. Dr. Golovinsky am 25. Oktober über seine Forschungen zur Synthese und zu den pharmakologischen Wirkungen von modifizierten Peptiden vor. Als Inhaber von Patenten für die Synthese von cis-Platin und als Autor eines Standardwerkes über Antimetaboliten ist Golovinsky der Fachwelt in Deutschland gut bekannt. Er leitet das Institut für Molekulare Biologie in Bulgarien seit der Gründung vor nunmehr zwanzig Jahren. Dessen vier Abteilungen befassen sich mit Antimetaboliten des Nukleinstoffwechsels, modifizierten Aminosäuren und Peptiden, Platinkomplexen und biochemischen Wirkungsmechanismen.

Als Aminosäureanaloga führte der Referent S-Aminosäuren, wie S-Lysin, S-Leucin, S-Isoleucin, die eine Sulfonamidgruppe aufweisen und als Taurinderivate angesehen werden können, sowie das l-Canaverin an, bei dem eine Methylengruppe des Arginins durch Sauerstoff ersetzt ist.

l-Canaverin und seine Hydrazide

Canaverin ist eine nichtproteinogene, in den Argininstoffwechsel eingreifende Aminosäure, die insektizide Wirkungen wegen des Austausches von Arginin durch Canaverin in Proteinen aufweist. Die Chemie dieses antibakteriell und antitumoral wirksamen Phytoalexins wurde maßgeblich am Institut von Golovinsky bearbeitet. Traditionell widmete sich sein Arbeitskreis wie bei der Erforschung der Pyrimidinantimetaboliten und des cis-Platins den Hydrazinabkömmlingen.

Nach der Modellvorstellung der "dual antagonists" entwickelte die Forschergruppe ein Canaverinderivat mit bereits wirksamer Hydrazidstruktur, das zusätzlich einen alkylierenden Rest aufweist. Weiterhin trat bei dem Canaverinphenylhydrazid durch die Hemmung der Proteinbiosynthese ein interessanter Wirkmechanismus hervor.

Neben den bekannten Wirkungen der Canaverinderivate belegen neueste Forschungen eine starke analgetische Wirksamkeit von Peptiden, in denen l-Canaverin gegen l-Leucin oder l-Arginin ausgetauscht ist. Die synthetisierten Peptidomimetika vom Typ des Kyotorphins und der Mif-1-Reihe weisen eine den Opiaten vergleichbare analgetische und antikonvulsive Wirkkomponente auf, allerdings werden sie nach peroraler Einnahme inaktiviert.

In der abschließenden Diskussion ergänzte Golovinsky, dass Canaverinabkömmlinge im Hinblick auf die Stickstoffmonoxidsynthetase sowohl aktivierende als auch inhibierende Effekte ausüben.

Moderne Diabetestherapie

Prof. Dr. Eugen J. Verspohl von der Abteilung Pharmakologie und Toxikologie für Naturwissenschaftler der Universität Münster konfrontierte in seinem Vortrag über "Aktuelle Aspekte der modernen Diabetestherapie" das Auditorium mit der einleitenden Feststellung, dass 85 Prozent der Diabetiker falsch behandelt oder betreut werden. Insulin ist als Hormon mit einer anabolen und antikatabolen Wirkung auf den Kohlenhydrat-, Fett- und Proteinstoffwechsel bekannt; Störungen manifestieren sich bei beiden Typen des Diabetes mellitus.

Der in vielen Lehrbüchern ausschließlich auf das Alter zwischen 15 und 24 Jahren beschränkte Manifestationszeitraum für den Typ-1-Diabetes sollte korrigiert werden, da in den letzten Jahren vermehrt Manifestationen bei älteren Erwachsenen Beachtung fanden. Der insulinunbehandelte Diabetiker vom Typ 1 erscheint untergewichtig, während der Behandlung mit Insulin tritt der so genannte Mästungseffekt ein: Eine Bereitstellung von zusätzlich 500 bis 600 kcal täglich kann die Folge sein.

Interessant bleibt die Beobachtung, dass der Typ-1-Diabetes statistisch gehäuft in den Wintermonaten manifest wird; er wird evoziert von Viruserkrankungen, die im Winter häufiger auftreten. Ebenso wird die Manifestation des Typ-1-Diabetes mit protein- und nitrosaminreicher Diät sowie Kuhmilchnahrung im Säuglingsalter in Zusammenhang gebracht, dagegen sollen eine lange Stillzeit und Impfungen gegen Viruserkrankungen (Röteln, Masern) den Ausbruch der Erkrankung hemmen.

Beim Typ-2 Diabetes beobachtet man in 90% der Fälle Übergewicht bei den Betroffenen, daher kommt der Ernährungsberatung bei solchen Patienten eine wichtige Rolle zu. Die auftretende Insulinresistenz führt bei diesen Patienten zu einer erhöhten Insulinproduktion. An dieser Stelle stellte der Redner die Therapie mit insulinotrop wirkenden Sulfonylharnstoffen in Frage.

Diagnostik und Folgeerkrankungen

Die Diagnostik von Diabetes wird in vielen Fällen (in den USA ausschließlich) durch die Untersuchung des Glucosespiegels im nüchternen Zustand durchgeführt. Damit auch untergewichtige Diabetiker erfasst werden, ist zusätzlich der Glucosetoleranztest erforderlich. Pharmakoökonomisch entfallen auf einen gut eingestellten Patienten durchschnittlich 3000 DM im Jahr, während der schlecht eingestellte Diabetiker durch auftretende Folgeerkrankungen, die Operationen am Auge oder Dialyse notwendig werden lassen, mit 15 000 DM angesetzt wird.

Die Therapieansätze mit Natriumkanalblockern wie Phenytoin oder Lidocain bei Neuropathien bzw. die prophylaktische Gabe von Aldosereduktasehemmern wie Sorbinil oder Ponalrestat gegen Retinopathien vermögen unter Beachtung anzusetzender Evidenzrichtlinien nicht zu überzeugen.

1989 wurde die St. Vincent Deklaration verabschiedet, mit dem Ziel einer weltweit besseren Einstellung der Diabetiker, die eine Reduktion der Nierentransplantationen und der Retinopathie um je 30% und der Makroangiopathie um 50% zur Folge haben sollte. Bis heute wurde das Ziel in Deutschland nicht erreicht.

Varianten des Insulins

Die Hoffnungen, durch Einführung des Humaninsulin die Immunogenität des Schweineinsulins umgehen zu können, haben sich nicht völlig erfüllt. Auch Humaninsulin kann immunologische Reaktionen hervorrufen!

Bei dem Derivat Insulin lispro wurden die Aminosäuren B28 und B29 (Lysin und Prolin) vertauscht, wodurch das applizierte Insulin nicht zum Hexamer aggregiert und somit schnell hohe Blutspiegel erreicht werden. Daher muss auf einen kurzen Ess-Spritz-Abstand geachtet werden. Als me-too-Präparat wurde anschließend Insulin aspart zugelassen.

Insulin glargin weist aufgrund der Einführung basischer Aminosäuren in den Positionen B31 und B32 einen veränderten isoelektrischen Punkt auf, der für das Auskristallisieren und damit die Depotwirkung des Insulins unter physiologischen Bedingungen verantwortlich ist.

Insulin durch Inhalation zu applizieren, hat den Redner bisher nicht besonders überzeugt, da die tmax vorzeitig erreicht wird und die Bioverfügbarkeit bei hoher Standardabweichung schlecht ist. Dadurch ist einerseits eine exakte Dosierung nur schwer zu erreichen, und andererseits werden die Kosten in die Höhe getrieben, da ein 10facher Rezepturzuschlag notwendig wird.

Das nadelfreie Injex-System erzeugt durch komprimiertes Kohlendioxid einen erhöhten Druck und ermöglicht eine reproduzierbare, fast schmerzfreie Applikation in das Unterhautfettgewebe. Auch diese Applikationsart ist mit hohen Kosten verbunden.

Medikamente für Typ-2-Diabetiker

Diabetes Typ-2 wird überwiegend mit oralen Antidiabetika behandelt. Darunter werden nach Einschätzung des Referenten die Sulfonylharnstoffe - wie bereits erwähnt - wegen der insulinotropen Wirkung eher abgelehnt. In den USA wurde die Verschreibung dieser Arzneistoffgruppe um zwei Drittel gesenkt.

Unter Beachtung der Kontraindikation wie respiratorische Insuffizienz oder Alkoholabusus, die durch Erniedrigung des Blut-pH-Wertes die gefürchtete Lactatazidose fördern, lässt sich mit Biguaniden die Empfindlichkeit der Insulinrezeptoren verbessern und damit ein wertvoller Beitrag zur Therapie der Typ-2-Diabetiker leisten.

Acarbose verhindert die schnelle enzymatische Spaltung komplexer Kohlenhydrate. Die eher hohen Therapiekosten (ca. 4 DM pro Tag) rechtfertigen den breiten Einsatz dieses Wirkstoffes nach Ansicht von Verspohl jedoch nicht.

Mit den Thiazolidindionen (u. a. Rosiglitazon) kann bei Diabetikern erstmals gezielt in die Genexpression eingegriffen und die Insulinresistenz korrigiert werden. Auf diesem Gebiet sind noch weiterführende Forschungen anzustellen, schließlich greift das Erklärungsmodell von Ligand und Rezeptor bei dieser Substanzklasse zu kurz.

Verspohl schloss seinen umfassenden Vortrag mit der Vorstellung eigener Forschungen, die sich mit der Wirkweise der vom Adenosindiphosphat abgeleiteten Biadenosinpolyphosphate beschäftigen.

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