Epidemiologie

D. WenderleinAIDS in Afrika – Wie kann man sin

Laut dem Bericht der UNO-Behörde UNAIDS vom Dezember 2000 zur globalen HIV/AIDS-Situation [1] sind weltweit 36,1 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Davon leben 95%, das sind 34,3 Millionen Menschen, in Entwicklungsländern, etwa 25,3 Millionen allein in Afrika südlich der Sahara. Täglich infizieren sich 16000 Menschen neu mit HIV-1. Seit Beginn der Epidemie starben 21,8 Millionen Menschen an AIDS. Von den etwa 3 Millionen AIDS-Toten weltweit im Jahr 2000 starben allein in Afrika 2,4 Millionen [1, 2]. Die Immunschwäche fordert in Afrika mehr Tote als alle Kriege und Hungersnöte zusammen. Damit gehört HIV/AIDS zusammen mit Tuberkulose und Malaria zu den drei am häufigsten zum Tode führenden Infektionskrankheiten.1

Die epidemiologische Situation

"Die AIDS-Situation in Afrika ist katastrophal, und Afrika südlich der Sahara nimmt weiterhin die Spitzenposition als weltweit meistbetroffene Region ein", erklärt Peter Piot, der Exekutivdirektor der UNO-Behörde UNAIDS. Ein relativ bescheidener Betrag - 3 Milliarden US-Dollar - könnte in dieser Situation eine Wende herbeiführen. Das ist ein Bruchteil der 52 Milliarden US-Dollar, die in den USA alljährlich wegen Fettleibigkeit ausgegeben werden. In 16 afrikanischen Ländern sind über 10% und in sieben Ländern über 20% der Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren HIV-positiv. In diesen Staaten lassen sich mehr als 80% aller Todesfälle bei Erwachsenen zwischen 25 und 45 Jahren auf AIDS zurückführen [3]. Die höchste Prävalenz weisen Botswana mit 36% und Simbabwe mit 25% HIV-infizierten Erwachsenen auf, an dritter Stelle folgt Südafrika. Ein ähnlicher Anstieg der AIDS-Prävalenz wird bei gleichbleibender Entwicklung auch für Indien erwartet [4].

Trotz der hohen Gesamtzahl der Neuinfektionen gab es im vergangenen Jahr in einigen Ländern Afrikas südlich der Sahara mit 3,8 Millionen Neuinfektionen im Vergleich zu 4 Millionen im Jahr 1999 stabile oder rückläufige Infektionsraten (Abb. 3). Grund hierfür ist, neben erfolgreichen Kampagnen, dass sich in Gebieten mit einer hohen HIV-Prävalenz vergleichsweise weniger Menschen überhaupt noch infizieren können. Gro Harlem Brundtland, die Generaldirektorin der WHO, warnt: "Wenn es aber in bisher weniger betroffenen Ländern zu einer explosionsartigen Ausbreitung der HIV-Infektionen käme, könnte die Zahl der jährlichen Neuinfektionen in der Region wieder zu steigen beginnen." So gibt es in Nordafrika neue Hinweise auf steigende Infektionsraten, z. B. in Südalgerien und im Sudan [1].

Von der AIDS-Epidemie ist in erster Linie der produktive Bevölkerungsteil betroffen: Junge Erwachsene, Fachkräfte, die für den wirtschaftlichen Aufbau der Länder unentbehrlich sind und für ihre Familien den nötigen Lebensunterhalt verdienen, und die von ihren Kindern als Vater und Mutter gebraucht werden. In Südafrika oder Simbabwe werden voraussichtlich die Hälfte aller derzeit 15-jährigen Personen an den Folgen von AIDS sterben, in Botswana sogar zwei Drittel. Besonders gefährdet sind Mädchen und junge Frauen, deren Anste-ckungsraten im Vergleich zu entwickelten Ländern fünfmal höher liegen als die der jungen Männer. Die Zahl der AIDS-Waisen liegt weltweit bei 13,2 Millionen (Afrika südlich der Sahara: 12,1 Millionen; Abb. 4), und bis 2010, so die Prognose von UNICEF, könnte diese Zahl auf weltweit 40 Millionen steigen. 90% davon werden in Afrika leben.

HIV/AIDS beeinflusst zunehmend die demographische Entwicklung in Afrika. Von 1950 bis 1990 stieg die Lebenserwartung von durchschnittlich 40 auf 63 Jahre. Jetzt ist HIV dabei, diese enorme Errungenschaft der Menschheit zunichte zu machen: Ohne durchschlagende Therapie- oder Präventionserfolge werden in Botswana, Namibia, Swasiland und Simbabwe die Menschen im Jahr 2010 durchschnittlich mit etwa 30 Jahren sterben. Das entspräche der dortigen Lebenserwartung zu Beginn des 20. Jahrhunderts [4]. Diese Entwicklungen gefährden die soziale Stabilität, da der unterstützungsbedürftige Anteil der Bevölkerung immer größer wird. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen werden immer dramatischer: Bis 2010 werden die Folgen der Epidemie in Südafrika 17% des Bruttoinlandsprodukts und in Botswana 20% verschlingen [1, 5].

Hilfskonzepte

Angesichts dieser Entwicklungen bündelte die UNO 1996 die AIDS-Kampagnen von sieben UN-Behörden² und gründete als zentrales Organ im Kampf gegen die Epidemie UNAIDS. Ziel von UNAIDS ist, Initiativen gegen HIV/AIDS von UN-Organen, nationalen Regierungen, Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs), religiösen Organisationen u. a. besser zu vernetzen, zu koordinieren und zu fördern [6]. Mit einem Jahresbudget von 60 Millionen US-Dollar gehört UNAIDS mit Sitz in Genf zu den UN-Organen von mittlerer Größe.

Der Schlüssel zum Stopp der AIDS-Epidemie ist, die reproduktive Rate von HIV, also die durchschnittliche Anzahl der HIV-Übertragungen durch eine HIV-positive Person während ihrer Lebenszeit, unter 1 zu drücken. Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, steht, trotz aller Beschränktheit der Mittel und medizinischen Optionen, eine nicht unerhebliche Zahl von Werkzeugen zur Verfügung. Diese lassen sich in drei eng verbundene Arten von Maßnahmen gliedern:

  • Prävention,
  • Therapie und
  • politische und soziale Initiativen [5].

Prävention

Allgemein akzeptiert ist, dass neben Abstinenz und Treue in partnerschaftlichen Beziehungen die Anwendung von Kondomen und HIV-Testprogramme in Verbindung mit intensiven Aufklärungsmaßnahmen präventiv wirksam sind (z. B. [5, 7]). Kenntnisse über Übertragungswege, Schutzmaßnahmen und den Verlauf einer HIV-Infektion sind in der afrikanischen Bevölkerung wenig verbreitet. Die Probleme sind vielfältig: Traditionell gibt es starke Vorbehalte gegen die Anwendung von Kondomen. Vielen Afrikanern ist nicht bekannt, dass auch ein gesund aussehender Mensch HIV-positiv sein kann. HIV-Tests werden oft wenig akzeptiert, da AIDS mit einem starken Stigma behaftet ist, das zu Ausgrenzung oder sogar Gewaltanwendung gegen Personen führen kann, von denen bekannt wird, dass sie HIV-positiv sind.

Aufklärung und die Kenntnis des eigenen Infektionsstatus sind grundlegend in der HIV-Prävention, denn die meisten HIV-Positiven wissen nicht einmal, dass sie infiziert sind. Um den Teufelskreis von Unwissenheit, Angst, Stigmatisierung und Ablehnung zu durchbrechen, sind Kampagnen, in denen breite Bevölkerungsgruppen über den Verlauf einer HIV-Infektion und Maßnahmen zum Schutz vor Ansteckung aufgeklärt werden, verbunden mit einem HIV-Test, von großer Bedeutung: Personen, die die Krankheit realistisch einschätzen und ihren Infektionsstatus kennen, werden mehr darauf achten, sich nicht zu infizieren oder ihren Partner zu schützen. Uganda gilt hierbei als Musterland. Mit gezielten Strategien wird von staatlicher Seite dem Problem HIV begegnet, und die Bereitschaft zur Durchführung von Kampagnen und kontrollierter Studien ist groß. Die bisher erzielten Erfolge sind ermutigend: Während 1990 in Kampala 31% der schwangeren Frauen, die zur Geburtsvorbereitung ein Krankenhaus besuchten, HIV-positiv waren, konnte diese Rate im Jahr 1998 auf 14% gesenkt werden [7].

Gegenstand von in Uganda [8] und Tansania [9] durchgeführten Studien ist die Annahme, dass eine breite Behandlung von durch sexuellen Kontakt übertragbaren Erkrankungen (Sexually Transmitted Diseases; STD) die Inzidenz von HIV-1-Infektionen senkt. Zur endgültigen Klärung der Studienergebnisse sind jedoch weitere Untersuchungen nötig [10].

Therapie

Hauptursache der katastrophalen therapeutischen Möglichkeiten sind die schlechte Verfügbarkeit und die noch immer überhöhten Arzneimittelpreise von antiretroviralen Medikamenten und von Arzneimitteln gegen opportunistische Infektionen. Zusätzlich fehlen diagnostische Möglichkeiten und befriedigende epidemiologische Daten, die zur Planung und Durchführung therapeutischer Hilfskonzepte unentbehrlich sind.

Der verbesserte Zugang zu essenziellen Arzneimitteln ist eines der großen Anliegen der WHO und vieler anderer Hilfsorganisationen. Das WHO Expert Committee on the Use of Essential Drugs setzte deshalb 22 Arzneistoffe zur Therapie AIDS-Kranker und gegen Sekundärinfektionen auf die WHO Model list of essential drugs. Die WHO und Hilfsorganisationen stehen in komplexen Verhandlungen mit der Pharmaindustrie über die Preissenkung antiretroviraler Medikamente, Antibiotika oder Antimykotika wie Fluconazol [11].

In den letzten Monaten gaben einige Hersteller antiretroviraler Medikamente dem internationalen Druck nach und senkten in bilateralen Abkommen mit afrikanischen Staaten die Medikamentenpreise, um den illegalen Handel mit antiretroviralen Generika zu verhindern: Die Hersteller fürchten finanzielle Einbußen durch Parallelimporte der Generika in Entwicklungsländer oder Reimporte nach Europa und Nordamerika. Antiretrovirale Nachahmerpräparate werden in Indien und Brasilien produziert.

Schwer von AIDS getroffene Länder wie Südafrika berufen sich auf das 1995 getroffene WTO-Übereinkommen über handelsbezogene Rechte an geistigem Eigentum (Trade-related aspects of intellectual property rights; TRIPS), das unter anderem den Umgang mit Arzneistoffpatenten regelt. Gemäß dem TRIPS-Abkommen können sich Länder, in denen sich medizinische Katastrophen wie Seuchen ereignen, über das internationale Patentrecht hinwegsetzen und Generika importieren oder herstellen. Nach Ansicht vieler Regierungen und Hilfsorganisationen ist die AIDS-Epidemie in Afrika eine solche Notsituation.

39 Pharmahersteller versuchten Südafrika in einem spektakulären Gerichtsverfahren am Import antiretroviraler Generika zu hindern und das TRIPS-Abkommen in ihrem Sinne auszulegen. Die vor kurzem getroffene Übereinkunft, sich außergerichtlich zu einigen, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die AIDS-Therapie für die armen Länder bezahlbar zu machen. Die grundsätzlichen Probleme, wie das TRIPS-Abkommen interpretiert werden soll, bleiben bestehen.

Diese begrüßenswerten Schritte sind jedoch nur ein Teil zur Lösung der komplexen Probleme, denn in den meisten afrikanischen Staaten müssen erst die gesundheitspolitischen und infrastrukturellen Voraussetzungen zur Durchführung einer AIDS-Therapie geschaffen werden.

Prophylaxe der vertikalen HIV-Übertragung

Weltweit infizieren sich jährlich etwa 600 000 Kinder mit HIV-1 durch Übertragung des Virus von schwangeren HIV-positiven Frauen auf ihr Kind (Mother to child transmission; MTCT). 90% dieser HIV-1-positiven Kinder werden in Afrika geboren. Die Übertragungsrate durch MTCT in unterentwickelten Ländern stieg von 21 auf 43%. Zu etwa zwei Drittel der Infektionen kommt es in der späten Schwangerschaft oder während der Geburt, ein weiteres Drittel der Kinder infiziert sich über die Muttermilch. Die Unterbrechung dieses Infektionsweges könnte verhindern, dass in Afrika eine Generation von HIV-positiven Kindern zur Welt kommt.

Die Studienergebnisse sind ermutigend: Durch MTCT-Prophylaxe mit Zidovudin (Mutter: 600 mg AZT oral bei Beginn der Wehen und 300 mg AZT oral bis zur Geburt; Kind: 4 mg/kg AZT 2 x tgl. bis zum 7. Lebenstag) kann das vertikale Übertragungsrisiko um 37 bis 38% bei stillenden und um 50% bei nicht-stillenden Müttern gesenkt werden. Nach den Ergebnissen der HIVNET-012-Studie in Uganda [12] konnte die Einmalgabe von Nevirapin (Mutter: 200 mg oral bei Beginn der Wehen; Kind: 2 mg/kg innerhalb von 3 Tagen nach der Geburt) das Risiko sogar um 47% bei stillenden Müttern im Vergleich zum AZT-Regime senken. Unter Nevirapin kam es zu 13% Mutter-Kind-Infektionen im Vergleich zu 25% unter Zidovudin bei 14 bis 16 Wochen alten Kindern. Das Nevirapin-Regime wurde ebenso gut vertragen wie das AZT-Regime, ist dabei aber erheblich billiger und einfacher. Die Nevirapin-Einmalgabe scheint nur geringfügig zu Resistenzen zu führen [13].

Ohne MTCT-Prophylaxe werden von 2000 bis 2005 in Südafrika etwa 276 000 HIV-positive Babys geboren. Durch das Nevirapin-Regime könnten 110 000 dieser HIV-Übertragungen und eine Abnahme der Lebenserwartung um knapp ein Jahr verhindert werden [14]. Auch wenn diese Ergebnisse in weiteren Studien bestätigt werden müssen, sind sie ein hervorragendes Beispiel für die Entwicklung unkomplizierter Strategien zur Minimierung des Infektionsrisikos einer Risikogruppe.

Die beschriebenen Initiativen müssen mit großen Anstrengungen der nationalen Regierungen und der internationalen Gemeinschaft einhergehen, die Armut in den unterentwickelten Ländern zu verringern. Die Verbreitung von HIV-1 wird durch Unterentwicklung und mangelnde Bildung begünstigt und treibt die afrikanischen Länder durch den Ausfall von Arbeitskräften, die vielen AIDS-Waisen und die enormen Kosten zur medizinischen Versorgung immer weiter in Armut und Abhängigkeit.

AIDS-Prävention und/oder -Therapie?

Durch Einführung der Highly active antiretroviral therapy (HAART) wandelte sich AIDS von einer in wenigen Jahren zwangsläufig zum Tode führenden Zerstörung der zellvermittelten Immunität zu einer chronischen Krankheit. Während in Industrieländern die Therapie an AIDS erkrankter Personen etabliert ist, gilt für Entwicklungsländer, in denen mehr als 90% der HIV-Infizierten leben, die Prävention als die einzig durchführbare Option.

Angesichts des Leids der afrikanischen AIDS-Kranken können die Kosten nicht das entscheidende Kriterium für oder gegen die antiretrovirale Therapie sein. Allein aus ethischen Gründen kann man sich nicht damit zufrieden geben, die medizinischen Möglichkeiten in den reichen Ländern kontinuierlich zu verbessern, in Afrika aber therapeutische Interventionen im besten Falle für STDs und opportunistische Infektionen in Erwägung zu ziehen. Angesichts des medizinischen Fortschritts in den reichen Ländern dürfen Millionen von AIDS-Kranken in Entwicklungsländern nicht übersehen werden. Das Unbehagen, das einen bei Betrachtung dieses Ungleichgewichtes befällt, zeigt, wie berechtigt die Forderung der AIDS-Kranken Afrikas nach einer adäquaten Therapie ist.

Auch mit wissenschaftlichen Kriterien lässt sich nachweisen, dass es sinnvoll und möglich ist, AIDS-Kranke in Entwicklungsländern mit HAART zu therapieren [15]:

  • Die Grenzen der reinen AIDS-Prävention sind evident, denn trotz der Präventionskampagnen breitet sich die Epidemie in Afrika mit einer beängstigenden Geschwindigkeit aus. Überraschenderweise verfügen wir auch am Ende des zweiten Jahrzehnts der AIDS-Pandemie über keine eindeutigen Anhaltspunkte, dass die primäre Prävention funktioniert; es besteht dringender Bedarf an randomisierten, kontrollierten Studien über die primäre Prävention [16]. Das Risiko einer HIV-Infektion hängt nicht nur von Kenntnis oder Unkenntnis des Übertragungsweges ab, sondern entscheidend von den sozialen Lebensverhältnissen. Die Armutsbekämpfung steht hier im Vordergrund.
  • An AIDS sterben vor allem Menschen, die für den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Aufbau ihrer Heimatländer von größter Bedeutung sind (Arbeiter, Bauern, Lehrer, Ärzte usw.). Selbst wenn die Infektionsrate künftig drastisch reduziert wird, sind schon heute die gesellschaftlichen Konsequenzen durch den Tod der bereits an AIDS Erkrankten kaum abzuschätzen.
  • Die ständig wachsende Zahl der AIDS-Waisen ist nur zu verringern, wenn ihre Eltern am Leben bleiben. Damit würde verhindert, dass die Kinder in die Prostitution, Kriminalität, in ein Leben auf der Straße oder als Kindersoldaten abgleiten.
  • Die AIDS-Therapie wäre ein wesentlicher Beitrag zur Senkung der Inzidenz opportunistischer Infektionen wie Tuberkulose und Malaria.
  • Allgemein verbreitet ist die Ansicht, dass wir in einer Zeit begrenzter finanzieller und personeller Möglichkeiten leben. Doch die Ressourcen sind nicht zu wenig, sondern für die, die ihrer am meis-ten bedürfen, unerreichbar. Die Herausforderung besteht darin, die Aufmerksamkeit nicht nur auf die "finanziellen Löcher" zu richten, sondern darauf, wie die Schwierigkeiten überwunden werden können.

Zum Stopp der AIDS-Epidemie können Prävention und Therapie nicht voneinander getrennt werden. Therapie ist eine wichtige Spielart der Prävention, und die AIDS-Therapie ist ohne Prävention nicht denkbar. Der Kampf gegen AIDS ist deshalb in drei Richtungen auszuweiten:

  • Kurzfristig: Präventive Maßnahmen müssen weiterhin zur Anwendung kommen. Laut UNAIDS könnten bei konsequenter Prävention in den nächsten Jahren 25% der erwarteten HIV-Infektionen verhindert werden.
  • Mittelfristig: Da Prävention allein nicht ausreicht und ein Impfstoff nicht in Sicht ist, steht als mittelfristig wirksame Intervention für bereits an AIDS erkrankte Personen nur die breite Anwendung der antiretroviralen Therapie zur Verfügung.
  • Langfristig: Endgültig lässt sich das AIDS-Problem nur durch einen Impfstoff lösen.

Internationale Hilfe

Rund 95% aller öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen werden von 22 Industrienationen und der Europäischen Union aufgebracht. Nach Angaben der OECD betrug die "Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit" (ODA, Official Development Assistance) der Industrieländer, das heißt staatliche Hilfen für Entwicklungsländer in Form von finanzieller Unterstützung, technischer Zusammenarbeit und anderen Leistungen, für Projekte zur AIDS-Kontrolle in Afrika südlich der Sahara von 1990 bis 1998 durchschnittlich 78 Millionen US-Dollar pro Jahr. Erst seit 1994 leistet auch Deutschland staatliche Hilfe für afrikanische AIDS-Projekte, von 1994 bis 1998 waren es insgesamt 66,6 Millionen Dollar [17].

Selbst bei optimistischer Einschätzung wurden 1998 für jeden HIV-positiven Menschen in Afrika südlich der Sahara weniger als 5 Dollar aufgewendet. Die finanzielle Unterstützung ist absolut unzureichend und steht in keinem Verhältnis zur Ausbreitung von AIDS. Während in den 90er-Jahren die HIV-Prävalenz in Afrika südlich der Sahara das Ausmaß einer Pandemie erreichte, wurde im gleichen Zeitraum die geleistete "Öffentliche Entwicklungszusammenarbeit" für AIDS-Projekte nur unwesentlich erhöht. Das bedeutet, dass aufgrund der explosionsartigen Ausbreitung von HIV-1 die durchschnittliche Hilfe pro afrikanischem HIV-Patient von 1988 bis 1997 um über 50% abnahm [17].

Warum bemühten sich die Geberländer nicht um eine Intensivierung der AIDS-Hilfen, als offensichtlich wurde, dass die geleisteten Hilfen nicht ausreichten? Die verbreitete Ansicht, die Schuld liege vor allem bei afrikanischen Politikern, die sich nicht mit HIV/AIDS auseinander setzen wollten, da ihnen Tabuthemen wie Homosexualität, Promiskuität oder Drogenkonsum unangenehm seien, ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Geschichte der WHO-Aktivitäten gegen AIDS zeigt nämlich, dass die Anfragen der afrikanischen Regierungen nach AIDS-Hilfe regelmäßig die von der WHO bereitgestellten Mittel überstiegen. Tatsächlich wurden die finanziellen Mittel der WHO für AIDS-Projekte im Laufe der Jahre immer weiter verringert.

Die finanziellen Hilfen der Industrienationen für eine erfolgreiche AIDS-Kontrolle müssen entscheidend gesteigert werden. Matteo Zuppi, Vorsitzender der Kommission für Frieden und Sicherheit bei den Friedensverhandlungen für Burundi und verantwortlich für die Afrikaarbeit der Gemeinschaft Sant' Egidio, erklärt: "Es ist nötig, sich für eine wirkliche, intensive Synergie der Kräfte und für eine Afrikapolitik mit einem langen Atem zu entscheiden. Am Anfang eines neuen Jahrhunderts spüren wir, dass diese Fragen sowohl für den Westen als auch für den afrikanischen Kontinent entscheidend sind. Das Schicksal Europas ist untrennbar mit dem Schicksal Afrikas verbunden."

Resümee

Auf die "magic bullett" gegen HIV/AIDS zu warten hat keinen Sinn. Auch wenn in absehbarer Zeit die Heilung von AIDS nicht möglich sein wird, gibt es keinen Grund für Resignation und Lethargie, denn das Instrumentarium zum Schutz vor HIV-Infektionen und zur AIDS-Therapie ist bekannt. Aufgabe nationaler Regierungen und der internationalen Hilfswerke ist es, Kernprioritäten zu formulieren, die mit den verfügbaren Möglichkeiten realisierbar sind und auf der Basis kontrollierter Studien erfolgversprechend sind. Die AIDS-Therapie ist in Afrika möglich und unverzichtbar. Konzepte gegen eine weitere Ausbreitung der Epidemie müssen entwickelt werden: Etwa 4,8 Milliarden Menschen leben in Gebieten, in denen die AIDS-Epidemie gerade im Entstehen ist. Diese Menschen können durch konsequentes Eingreifen geschützt werden [5]. Die Menschlichkeit gebietet diese Schritte ohne Verzögerung.

Fußnoten

1 Ein Beitrag über "Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern" erschien in DAZ 17, S. 39 - 46. 2 UNICEF, UNESCO, WHO, Weltbank, UNDP, UNFPA (United Nations Population Fund), UNDCP (United Nations Drug Control Programme).

Kastentext: Kostenvergleich

Die von der Weltbank als "low income"-Länder klassifizierten Staaten geben jährlich durchschnittlich 23 US-Dollar pro Person für die medizinische Versorgung aus. Die jährlichen Kosten zur palliativen Versorgung eines AIDS-Kranken inklusive Behandlung aller opportunistischen Infektionen (Tuberkulose, Pneumocystis-carinii-Pneumonie, Toxoplasmose, Fieber, Diarrhö, Schmerzen, Übelkeit usw.) betragen 490 US-Dollar, und werden nur die preisgünstig zu behandelnden Erkrankungen gerechnet, sind es immerhin noch 299 US-Dollar.

Kastentext: Bedarf: 7,5 Milliarden Dollar

Bereits ein begrenzter Einsatz antiretroviraler Medikamente hätte eine positive Wirkung: Nach epidemiologischen Berechnungen könnte die antiretrovirale Behandlung eines Viertels der HIV-1-positiven Bevölkerung Südafrikas von 2000 bis 2005 die Lebenserwartung um 3,1 Jahre steigern und über 430 000 neue AIDS-Fälle verhindern [14]. Mit einem jährlichen Budget von etwa 7,5 Milliarden Dollar - das sind nicht mehr als 4 Cent pro 100 Dollar des Volkseinkommens der Industrienationen - könnte die AIDS-Epidemie in Afrika wirkungsvoll bekämpft werden, einschließlich der breiten Anwendung von HAART [17]. Demnach scheint das auf dem G8-Gipfel in Okinawa erklärte Ziel, die Zahl HIV-infizierter junger Menschen bis 2010 um 25% zu senken, keine unmögliche Aufgabe zu sein.

Kastentext: AIDS-Projekt der Gemeinschaft Sant' Egidio

In Mosambik liegt die durchschnittliche HIV-Infektionsrate der über 15-Jährigen bei etwa 16%, in manchen Landesteilen bis zu 30%. Pro Jahr werden 25 000 HIV-positive Kinder geboren. Die AIDS-Waisen schätzt man auf über 170 000. Mit einer Ärztedichte von knapp 17 Ärzten auf 100 000 Einwohner (Deutschland: 350 Ärzte pro 100 000 Einwohner), einem Gesundheitsbudget von 5,8% des Bruttoinlandprodukts (Deutschland: 10,5%) und durchschnittlichen Gesundheitsausgaben von 36 Dollar pro Person (Deutschland: 1832 Dollar) gehört Mosambik zu den ärmsten Ländern der Welt [18, 19].

Die Gemeinschaft Sant' Egidio bereitet in Mosambik ein AIDS-Projekt vor, in dem zum erstenmal in großem Maßstab die aktuellen Erkenntnisse über die Prophylaxe der peripartalen HIV-Übertragung (MTCT) in die Praxis umgesetzt werden sollen. Nach einer Vorbereitungsphase, während der die strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden, soll in den drei größten Städten des Landes ein HIV-Screening an Schwangeren und MTCT-Prophylaxe durchgeführt werden.

Informationen: www.santegidio.org Bankverbindung: Gemeinschaft Sant Egidio Sparkasse Mainfranken, BLZ 790 500 00 Konto-Nr. 414 686 12

Literatur [1] Report on the global HIV/AIDS epidemic. December 2000. Unter: www.unaids.org/epidemic_update/report_dec00/index_dec.html [2] WHO-Report on the global HIV/AIDS epidemic. Juni 2000. Unter: www.unaids.org/epidemic_update/report/index.html [3] WHO-Fact-sheet: HIV/AIDS in Africa. Juni 2000. Unter: www.unaids.org/fact_sheets/files/Africa_Eng.html [4] Die Lebenserwartung sinkt um 30 Jahre. Pharm. Ztg. 145, 2320-2321 (2000). [5] Ainsworth M, Teokul W: Breaking the silence: setting realistic priorities for AIDS-control in less-developed countries. Lancet 356, 55-60 (2000). [6] Unaids: What unaids does. Unter: www.unaids.org/about/what.asp [7] UNAIDS/WHO: Epidemiological fact sheet - Uganda. 2000 update. [8] Wawer MJ et al.: Control of sexually transmitted diseases for AIDS prevention in Uganda: a randomised community trial. Lancet, 525-535 (1999). [9] Grosskurth H et al.: Impact of improved treatment of sexually transmitted diseases on HIV infection in rural Tanzania: randomised controlled trial. Lancet, 530-536 (1995). [10] Quinn TC et al.: Viral load and heterosexual transmission of human immunodeficiency virus type 1. N. Engl. J. Med., 921-929 (2000). [11] UNAIDS Document: Essential drugs used in the care of people living with AIDS: sources and prices. Dezember 1999. Unter: www.unaids.org/publications/documents/health/access/drugs1.html [12] Guay LA et al.: Intrapartum and neonatal single-dose nevirapine compared with zidovudine for prevention of mother-to-child transmission of HIV-1 in Kampala, Uganda: HIVNET 012 randomised trial. Lancet, 795-802 (1999). [13] UNAIDS Publication: Use of nevirapine to reduce mother-to-child-transmission of HIV (MTCT). 24. März 2000. Unter: www.unaids.org/publications/documents/mtct/NVP:Resistance.htm [14] Wood E et al.: Extent to which low-level use of antiretroviral treatment could curb the AIDS epidemic in sub-Saharan Africa. Lancet, 2095-2100 (2000). [15] Farmer P (Harvard Medical School): Prevention without treatment is not sustainable. 13 July 2000, 13. International AIDS Conference Durban, South Africa. [16] Mayaud P et al.: Advances in control of sexually transmitted diseases in developing countries. Lancet, 29-32 (1998). [17] Attaran A, Sachs J: Defining and refining international donor support for combating the AIDS pandemic. Lancet 357, 57-61 (2001). [18] WHO-Statistics, World Health Report 2000: Basic indicators for all member states, Annex Table 2, 1999. Selected national health accounts indicators for all member states, Annex Table 8, 1997. Unter: www.who.int/whr/2000/en/statistics.htm [19] WHO Estimates of health personnel, 1998. Unter: www.nt.who.int/whosis/statistics/whr_statistics/locate.cfm?path= statistics,whr_statistics,whr_locate&language=english [20] www.unaids.org/wac/2000/wad00/files/wad 2000 MasterGerman/index.htm

Laut dem Bericht der UNO-Behörde UNAIDS waren letztes Jahr weltweit 36,1 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Davon leben über 25 Millionen in Afrika südlich der Sahara. Die Immunschwächekrankheit fordert in Afrika mehr Tote als alle Kriege und Hungersnöte zusammen. Damit gehört AIDS zusammen mit Tuberkulose und Malaria zu den drei am häufigsten zum Tode führenden Infektionskrankheiten. Die Lage erscheint zwar hoffnungslos, aber Hilfe ist möglich. Lesen Sie dazu den Beitrag eines Apothekers und Afrikakenners.

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