Gesundheitspolitik

F. Diener:Integrationsversorgung & Vernetzung: Fakte

Mit der Gesundheitsreform 2000, die am 1. Januar in Kraft getreten ist, schuf der Gesetzgeber die Möglichkeit, in unserem Gesundheitswesen die integrierte Versorgung zu erproben, "eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten"; sie zielt auf die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Der nachfolgende Beitrag zeigt auf, was man sich darunter im Einzelnen vorzustellen hat, und weist darauf hin, dass bereits seit 1989 neue Instrumente in die GKV eingeführt wurden, die einzeln oder im Verbund Spielräume für vernetzte und integrierte Versorgungsformen bildeten.

Vision einer schönen, neuen Welt?

Am Anfang ist die Lyrik. Integrierte Versorgung, Netze und vernetzte Strukturen, die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, Managed-Care-Konzepte werden quer durch alle Fraktionen und von vielen Beteiligten, aber auch von sehr vielen im Gesundheitswesen Unbeteiligten zwar mit unterschiedlichen Akzentuierungen, aber per saldo doch mit großem Wohlwollen und vor allem mit Verve empfohlen.

Die Befürworter dieser Grundlinie bekommen leuchtende Augen, wenn sie davon erzählen, wie ein besseres Gesundheitswesen aussehen wird: Sie sehen eine Welt, in der der hausärztliche Gatekeeper den bedauernswerten Patienten durch den undurchschaubaren medizinisch-pharmazeutischindustriellen Komplex führt, dabei strikt auf die Einhaltung von evidence based medicine achtet und durch incentives so motiviert ist, dass von ihm nur noch indizierte Leistungen veranlasst werden.

Die nun dominierenden regionalen Leistungserbringernetze werden nicht mehr für die Krankenbehandlung vergütet, sondern erhalten über die neue Vergütungsform "capitation" je eingeschriebenen Versicherten unabhängig von erbrachten Behandlungsleistungen eine Kopfpauschale. Das führte dazu, dass sie nicht mehr an der Krankenbehandlung von Patienten, sondern an der Gesundheit eingeschriebener Versicherter materiell interessiert sind.

Die Patienten lernen dabei recht schnell, dass diese neue Motivation der Leistungserbringer eine bessere Versorgungsqualität für sie bedeutet, weil es durch Präventionsprogramme gar nicht mehr zu Krankheiten kommt, unnötige Operationen unterbleiben und sie sich auch keine überflüssigen und untauglichen Arzneimittel mehr auf Rezept in der Apotheke mühsam besorgen müssen, die sie dann doch nicht einnehmen und nachher auch noch höchst umweltbedenklich über den Hausmüll entsorgen.

Überhaupt verschwindet die kleine Apotheke um die Ecke und wird durch Ketten- und Versandapotheken ersetzt, was ja auch den Vorteil hätte, dass die Fahrzeuge des pharmazeutischen Großhandels nicht mehr die vielen Staus auf deutschen Straßen verursachen. Die pharmazeutische Industrie wird in dieser neuen schönen Welt auch endlich einsehen, dass es keinen Sinn macht, mit immer neuen Generikaangeboten und Schein-Innovationen den Markt zu überschwemmen, sondern bietet zu Rekordtiefstpreisen nur noch absolut innovative Produkte an, deren Entwicklung dann über die ausländischen Pharmamärkte finanziert wird.

Die mehr als hundertjährige sektorale Verkastelung des Gesundheitswesens ist in dieser neuen schönen Welt endlich überwunden, alles ist mit jedem verzahnt, und weil jeder Leistungserbringer mit allen anderen in Konkurrenz steht, wobei nur noch der zum Zuge kommt, der die Leistung mit der gebotenen einzigartigen Qualität am billigsten erbringt, wird vorbildlich sparsam mit dem knappen Beitragsgeld der Versicherten umgegangen.

Unter dem Dach eines allumfassenden Globalbudgets folgt das Geld der Leistung. Dabei stehen den Krankenkassen Daten – selbstverständlich unter vollkommener Beachtung des Datenschutzes – für alle Leistungsbereiche sektorübergreifend und/oder nach Vertragsregionen differenziert zur Verfügung und erlauben ihnen anstatt der früher praktizierten nachträglichen Bestrafung insuffizienter Leistungserbringer eine perfekte Ex-ante-Systemsteuerung, in der sie vor der Behandlungsdurchführung durch den Arzt die Therapiewahl von einem zentralen Server aus optimieren.

Den Leistungserbringern ist der Zugang zu diesen Daten natürlich verwehrt; es genügt ja, wenn sie die Daten unentgeltlich bereit stellen. Geld gibt es nur noch für zertifizierte, qualitätsgesicherte Leistung. Die alles lähmenden Leistungserbringermonopole sind zerschlagen, die Leistungserbringernetze schließen einzeln Verträge mit den Krankenkassenverbänden. Durch flexible Vertragsgestaltung finden die Krankenkassen durch gemeinsame und einheitliche Ausschreibungen die besten der besten Leistungserbringer heraus (man nennt das solidarischen Wettbewerb) und erschließen dabei so ganz nebenbei Wirtschaftlichkeitsreserven in einem derart gigantischen Ausmaß, dass die Finanzierung des Gesundheitswesens bei unbegrenzter Teilhabe am medizinischen Fortschritt keine Probleme mehr bereitet.

Im Gegenteil, die Krankenkassen unterbieten sich in immer kürzeren Abständen mit Beitragssatzsenkungen, was die Lohnnebenkosten drastisch senkt und so endlich den entscheidenden volkswirtschaftlichen Impuls für Vollbeschäftigung gibt. Vollbeschäftigung wiederum verbreitert die Finanzierungsgrundlage der GKV, so dass diese neue schöne Welt der Gesundheitsversorgung sich praktisch von selbst finanziert. Alle Völker dieser Erde werden neidvoll auf dieses System schauen. Soweit die Lyrik.

Zwischen Angst und Aktionismus

Bei den leistungserbringenden Heilberuflern wecken derartige Verheißungen dunkle Erinnerungen an ihre Primanerzeit, als George Orwell's 1948 geschriebene Endzeitsatire "1984" noch Pflichtlektüre war. Das bundesweite Bündnis für Gesundheit, das sich im vergangenen Jahr aus vielen lokalen spontanen Initiativen herausbildete, war der gemeinsame, medienwirksam vorgetragene Protest der Heilberufler gegen eine solche gesundheitspolitische Ausrichtung. Es wurde überdeutlich, dass die Heilberufler eine solche Welt zwar als neu, aber nicht als schön und keinesfalls als erstrebenswert ansehen. Unisono machten Patientenorganisationen, Ärzte, Apotheker und Pflegeberufler Front gegen die rot-grüne gesundheitspolitische Vision.

Nichtsdestoweniger befassen sich fast ausnahmslos alle am Gesundheitswesen Beteiligten mit dem Thema "Integrationsversorgung" und "Vernetzung". Viele haben auch schon mit "Modellversuchen" begonnen. In den Programmen und Grundsatzpapieren der Akteure findet sich allenthalben die Forderungen nach einer stärkeren Integration, Vernetzung und Verzahnung des Gesundheitswesens. Die Parteien im Deutschen Bundestag, die Verbände der gesetzlichen und privaten Krankenkassen, die Organisationen der Ärzte, die pharmazeutische Industrie und interessierte Dritte (Consultants, Makler, Banken, Rückversicherungen, Fonds und viele mehr, die in Goldgräberstimmung sich Anteile an den Gesundheitsausgaben sichern möchten) befassen sich – getrieben oder gestützt von breitem medialem Druck – mit dem Thema.

Die Vokabeln Integration und Vernetzung gehören mittlerweile zum Grundwortschatz der gesundheitspolitischen Diskussion in Deutschland. Doch was die Vokabeln bedeuten, welchen Kontext sie haben, ist alles andere als einheitlich. Es herrscht eine geradezu babylonische Verwirrung, was denn darunter zu verstehen ist, wie die Ausgestaltung sein könnte und welche Ergebnisse damit konkret erreicht werden sollen.

Von der Lyrik zu den Fakten

Wenn sich "alle" mit dem Thema befassen – sei es aus Angst oder Aktionismus – kommen auch die Apotheker nicht umhin, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Doch wie kommt man von der Lyrik zu den Fakten, oder anders gefragt: Wie kann die Diskussion um das Thema Integration, Netze und Vernetzung und Verzahnung vom Kopf auf die Füße gestellt werden? Was ist jetzt, nach dem Inkrafttreten des "GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000" Sachlage? Ist jetzt alles erlaubt, was denkbar ist? Folgt jetzt die Realisierung der Orwellschen Bedrohung im Gesundheitswesen? Was bedeutet das für die Arzneimittelversorgung? Oder: was kann es für sie bedeuten?

Das Thema ist nicht neu: bereits seit 1989 werden Spielräume geschaffen!

Entgegen der landläufigen Meinung ist das Thema Integration und Vernetzung keine "rot-grüne" Erfindung, die erst mit dem Regierungswechsel im Herbst 1998 in die Diskussion gekommen und mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 zum 1. Januar 2000 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden wäre. Vielmehr sind bereits vorher von den unionsgeführten Bundesregierungen unter den Ministern Blüm und Seehofer neue Instrumente in die GKV eingeführt worden, die einzeln oder im Verbund Spielräume für vernetzte und integrierte Versorgungsformen bilden.

Instrument "Modellvorhaben"

1989 wurde im Zuge des Gesundheitsreformgesetzes der Zehnte Abschnitt des SGB V mit den Paragraphen 63 bis 65 eingeführt. Waren zunächst nur Erprobungsregelungen zu neuen Instrumenten wie Beitragsrückgewähr und Kostenerstattung für Versicherte möglich, so wurden 1997 mit den beiden GKV-Neuordnungsgesetzen Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Versorgung in das Gesetz aufgenommen und so der Spielraum für Modellvorhaben erheblich erweitert.

Mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 sind die Regelungen nochmals verändert worden, so dass sich nun aufgrund der aktuell gültigen §§ 63 ff SGB V folgender Sachstand ergibt:

  • Unter dem Oberziel "Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung" sind Modellvorhaben a) zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung oder b) zu Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten möglich.
  • Modellvorhaben können entweder von den Krankenkassen(verbänden) durchgeführt oder von ihnen mit Leistungserbringern(gruppen) vereinbart werden.
  • Modellvorhaben müssen auf maximal acht Jahre befristet sein (sie werden also nicht irgendwann automatisch zur Routine) und bedürfen einer wissenschaftlichen Begleitung. Diese Beschränkungen haben – jedenfalls bisher – dazu geführt, dass das Instrument Modellvorhaben vergleichsweise wenig und nach allen vorliegenden Erkenntnissen bisher auch ohne durchschlagenden Erfolg genutzt worden ist.
  • Wenn Versicherte sich verpflichtet haben, vertragsärztliche Leistungen außerhalb der hausärztlichen Versorgung nur auf Veranlassung des von ihnen gewählten Hausarztes zu beanspruchen, kann ihnen von ihrer Krankenkasse ein Bonus gewährt werden, der sich nach den erzielten Einsparungen zu richten hat (§ 65a SGB V).
  • Bei Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung sind Abweichungen vom Vierten Kapitel des SGB V und Krankenhausfinanzierungsgesetzes möglich – jedoch nicht von anderweitigen Rechtsvorschriften! Im Vierten Kapitel des SGB V (§§ 69 bis 140 SGB V) sind die Beziehungen der Krankenkassen zu den verschiedenen Leistungserbringern geregelt, unter anderem auch die liefervertraglichen Grundlagen zwischen Apothekern und Krankenkassen. Mithin kann in Modellvorhaben – soweit sie die Arzneimittelversorgung betreffen und Apotheker einbezogen werden – zwar von liefervertraglichen Regelungen abgewichen werden, nicht aber von sonstigen Rechtsvorschriften. Das bedeutet, dass in Modellvorhaben nach § 63 ff. SGB V Abweichungen von der Apothekenbetriebsordnung oder Arzneimittelpreisverordnung, aber auch von Arzneimittel- oder Apothekengesetz und anderen arzneimittel- und apothekenrelevanten Rechtsvorschriften nicht zulässig sind. Die Arzneimittelabrechnung steht ebenfalls nicht zur Disposition, denn § 300 SGB V ist im Zehnten Kapitel des SGB V enthalten.

Instrument "Kassenwettbewerb"

Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz wurden 1992 in die §§ 173 ff. SGB V Wahlrechte für Versicherte und damit Regelungen zum Wettbewerb unter den Krankenkassen eingeführt. Die Krankenkassen geraten dadurch untereinander in Wettbewerb, dass die Versicherungspflichtigen unter einer Vielzahl gesetzlicher Krankenkassen wählen können. Der Versicherte ist zwar für 12 Monate an die Wahl der Krankenkasse gebunden, kann aber mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Kalenderjahres die Kasse wechseln. Bei Beitragssatzerhöhungen haben die Versicherten ein außerordentliches Kündigungsrecht. Da die Satzung der Krankenkassen nur Leistungen vorsehen darf, die im SGB V enthalten sind (§ 194 SGB V), ist der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen faktisch einheitlich geregelt.

Bundesgesundheitsminister Seehofer hatte bekanntlich 1992 beim GSG gegen den erbitterten Widerstand der Krankenkassen durchgesetzt, dass Leistungen wie Yoga, Bauchtanz- und Kochkurse nicht mehr möglich sind. Das bedeutet, dass – jedenfalls bisher – der Beitragssatz das einzige "harte" Entscheidungskriterium für den Versicherungspflichtigen bei seiner Kassenwahl ist. Das "alte" Instrument Kassenwettbewerb führt absehbar dazu, dass Krankenkassen ihren Versicherten neben dem Beitragssatz auch auf der Leistungsseite unterschiedliche Angebote unterbreiten wollen, um so die Kassenwahl in ihrem Sinne positiv zu beeinflussen. Dabei können sie jedoch nicht den allgemeinen Leistungskatalog des SGB V selbst verändern, sondern sie müssen versuchen, diesen bestehenden Leistungskatalog des SGB V durch die Nutzung der "neuen" Instrumente auf andere Art und Weise als bisher erbringen zu lassen, also beispielsweise dadurch, dass sie mit Netzen für ihre Versicherte neue Versorgungsformen vereinbaren.

Anders gesagt: das "alte" Instrument Kassenwettbewerb wird die Nutzung der "neuen" Instrumente Modellvorhaben, Strukturverträge oder Integrationsversorgung forcieren.

Instrument "Strukturverträge"

Die Möglichkeit so genannter Strukturverträge wurde 1997 mit den GKV-Neuordnungsgesetzen als § 73a in das SGB V eingeführt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen können mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassenverbänden bei der Regelung der vertragsärztlichen Versorgung besondere Versorgungs- und Vergütungsstrukturen bei der hausärztlichen Versorgung oder auch im Rahmen von Arztverbünden (vernetzte Praxen) vereinbaren und dem Versicherten als Alternative zur bestehenden Versorgung anbieten.

Sowohl für die Versicherten wie für die Vertragsärzte ist die Teilnahme an einem solchen Netz freiwillig. In dem entsprechenden Strukturvertrag kann ein festes Budget für die vertragsärztlichen Leistungen vorgesehen werden; für diese vertragsärztlichen Leistungen (und nur für diese!) kann dabei von der üblichen Entgeltform abgewichen werden. Abweichungen vom Apotheken- und Arzneimittelrecht (AMG, ApoG, ApBetrO, AMpreisV etc.) sind nicht zulässig. Zusätzlich ist es mit den Strukturverträgen auch möglich, in die Budgetverantwortung des Netzes veranlasste Ausgaben für Arznei-, Verband- und Heilmittel sowie weitere Leistungsbereiche einzubeziehen, was Bonuszahlungen für das Netz zur Folge haben kann.

Anders gesagt, damit sind so genannte kombinierte Budgets zulässig. In einigen KV-Regionen wurden mit verschiedenen Bonusmodellen auch bereits die Arzneimittelausgaben in die Budgetverantwortung integriert:

  • Bonusregelungen mit progressiver Einsparbeteiligung bei Minderverordnungen. Das Modell der KV und AOK Berlin sieht dabei für die Ärzte einen um so höheren Bonus vor, je stärker sie die vereinbarten Arzneimittelausgaben unterschreiten. Die Einsparbeteiligung wächst mit steigenden Einsparvolumen von 30 bis auf 60 %. Steigende Erfolgsbeteiligungen werden damit gerechtfertigt, dass es für die Ärzte zunehmend anstrengender wird, höhere Einsparquoten zu realisieren.
  • Bonusregelungen mit linear-konstanter Einsparbeteiligung bei Minderverordnungen. Die AOK Hessen und die Betriebskrankenkassen in Berlin gewähren den Ärzten bei Unterschreitung der Zielgrößen eine lineare Erfolgsbeteiligung von konstant 40 bzw. 50 % des Unterschreitungsbetrages.
  • Bonusmodelle mit degressiver Einsparbeteiligung bei Minderverordnungen. Die AOK Brandenburg hat mit der dortigen KV eine von 60 bis auf 40 % fallende Einsparbeteiligung der Ärzte vereinbart. Offensichtlich soll mit der Degression vermieden werden, dass die Ärzte in ihrem Einspareifer allzu ungestüm werden. Um diese, im Jahr 1998 vereinbarten Bonusverträge ist es zwischenzeitlich, nicht zuletzt wegen des damit verbundenen ethischen Dilemmas für die Ärzte, sehr still geworden.

Instrument "Integrationsversorgung"

Jüngstes Instrument ist die erst mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 eingeführte "integrierte Versorgung". Sie ist seit 1. Januar 2000 in den neuen Paragraphen 140 a bis h des SGB V enthalten. Im Unterschied zu den Strukturverträgen, die sich auf die vertragsärztliche Versorgung beschränken und bilateral zwischen der KV und den Krankenkassenverbänden abgeschlossen werden, soll die integrierte Versorgung "eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten" ermöglichen, sie zielt also auf die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung.

Mit diesem Instrument wird, wie die weiteren Ausführungen zeigen, Neuland betreten. Es liegen noch keine Erfahrungen im Umgang damit vor. Zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung muss eine Rahmenvereinbarung zur integrierten Versorgung geschlossen werden; zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und den "für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen von anderen Leistungserbringern" (also beispielsweise dem Deutschen Apothekerverband) können Rahmenvereinbarungen über den Inhalt und die Durchführung der Integrierten Versorgung geschlossen werden.

Die darauf aufbauenden konkreten, sektoral übergreifenden Verträge zur integrierten Versorgung werden von den Krankenkassen jeweils mit den Netzbeteiligten" geschlossen, dies können nur sein:

  • Vertragsärztegemeinschaften, einzelne sonstige Leistungserbringer oder deren Gemeinschaften,
  • Kassenärztliche Vereinigungen,
  • Träger von Krankenhäusern, Reha- oder Vorsorgeeinrichtungen oder
  • Gemeinschaften der vorgenannten Leistungserbringer

Je nach vertraglicher Ausgestaltung und Zusammensetzung der Netzbeteiligten kann das Leistungsspektrum der integrierten Versorgung mehr oder weniger umfassend sein. Für die Versicherten ist die Teilnahme an der integrierten Versorgung freiwillig.

Zentraler Punkt der Teilnahmebedingungen wird die Erklärung des Versicherten sein, alle Versorgungsleistungen, die das von ihm gewählte Netz anbietet, tatsächlich auch nur "im Netz" und nicht außerhalb des Netzes zu beanspruchen. Lediglich Leistungen, die das Netz nicht anbietet, können vom Versicherten außerhalb des Netzes beansprucht werden. Mit der Teilnahmeerklärung verzichtet der Versicherte also auf die freie Arztwahl und beschränkt sie freiwillig auf das Netz. Wenn Versicherte sich für eine bestimmte Dauer zur Teilnahme an der integrierten Versorgung verpflichten und die Teilnahmebedingungen eingehalten haben, kann ihnen ein Bonus gewährt werden, der sich nach den Einsparungen richtet. Ein Teil der Ersparnis kann aber auch für die Netzbeteiligten verwandt werden.

Unklar ist, ob und, wenn ja, wie bei den Versicherten Verstöße gegen die Teilnahmebedingungen geahndet werden. Die Vergütung für die Netzbeteiligten wird in den Verträgen zur integrierten Versorgung festgelegt. Es muss sich dabei um eine Komplettvergütung für alle einbezogenen Leistungen handeln. Wenn teilnehmende Versicherte Leistungen, die innerhalb des Netzes" angeboten werden, dennoch außerhalb des Netzes beanspruchen, muss dies auch aus der Komplettvergütung entgolten werden.

Auch bei der integrierten Versorgung kann zwar von den Bestimmungen des Vierten Kapitels des SGB V abgewichen werden, nicht jedoch von anderweitigen Rechtsvorschriften. Das bedeutet, dass auch in der Integrationsversorgung von den apotheken- und arzneimittelrelevanten Gesetzen und Verordnungen AMG, ApoG, ApBetrO, AMpreisV usw.) sowie der im Zehnten Kapitel des SGB V geregelten Arzneimittelabrechnung nicht abgewichen werden darf.

Wie schon bei den Strukturverträgen kann in den Verträgen zur integrierten Versorgung auch die Übernahme zur Budgetverantwortung für veranlasste Leistungen wie Arzneimittel vereinbart werden, so dass hier ebenfalls sog. kombinierte Budgets möglich sind. Wenn die Arzneimittelausgaben in das Netzbudget integriert sind, wird das für die jeweilige KV-Region gültige Arzneimittelbudget entsprechend reduziert. Unterschreiten die Arzneimittelausgaben des Netzes den eingeplanten Betrag, erhöht sich entsprechend das "Netzeinkommen".

Wenn die Arzneimittelausgaben nicht in das Netzbudget integriert sind, haftet das "Netz" beim kollektiven KV-Arzneimittelbudget wie ein einzelner Vertragsarzt mit. Wie hat man sich die Arzneimittelversorgung und Vergütung in der integrierten Versorgung vorzustellen? Wenn im Rahmen des Netzes bei teilnehmenden Versicherten eine Arzneimittelverordnung erforderlich ist, erfolgt die ärztliche Verordnung wie bisher.

Der teilnehmende Versicherte erhält das Verordnungsblatt und sucht eine öffentliche Apotheke seiner Wahl (!) auf, in der das Rezept beliefert wird. Wie die Abgabe zu erfolgen hat, ist lückenlos mit allen Krankenkassen in Lieferverträgen der Bundes- bzw. Landesebene geregelt. Die Arzneimittelabrechnung muss auf der Grundlage der Arzneimittelpreisverordnung und entsprechend der Vereinbarung nach § 300 SGB V erfolgen – beides ist nicht Bestandteil des Vierten Kapitels des SGB V, so dass davon auch nicht abgewichen werden kann. Mit wem werden "Netz-Rezepte" abgerechnet?

  • Der einfachste Fall ist, dass die abgebende öffentliche Apotheke über das Apothekenrechenzentrum mit der zuständigen Krankenkasse abrechnet. Dieser Fall ist bereits heute vertraglich vollständig geregelt.
  • Rechtlich noch intensiv zu prüfen ist, ob das "Netz" im Rahmen der integrierten Versorgung alle Versorgungsleistungen vollständig für die teilnehmenden Versicherten garantiert, dafür von der Krankenkasse mit einem befreienden Gesamtbetrag honoriert wird und selbst zum Kostenträger bei den veranlassten Leistungen wird.

In diesem Fall müsste zwischen dem Landesapothekerverband und dem "Netz" die Arzneimittelabgabe und Abrechnung vertraglich geregelt werden, da nur so das für die GKV-Versorgung fundamentale Sachleistungsprinzip gewährleistet werden kann. Damit würde eine neue Vertragsebene etabliert. Die heutige Krankenkasse würde damit praktisch zu Beitragsinkassostelle degenerieren, während das Netz das komplette Versicherungsrisiko und die Kostenträgerschaft übernimmt.

Das Gesetz ist erst wenige Wochen in Kraft. Es gibt derzeit noch keinen einzigen Vertrag gemäß § 140 b SGB V zur integrierten Versorgung. Auch die entsprechenden Rahmenverträge sind noch nicht abgeschlossen. Insofern liegen noch keine Erfahrungen dazu vor, inwieweit solche Verträge rechtlich, organisatorisch und kommunikativ stabil sein werden.

Konsequenzen für die Apotheker

Ganz gleich, ob man die Tendenz in Richtung Vernetzung gut findet oder nicht – sie ist da und nimmt ihren Gang. Es werden sicherlich eine Vielzahl von "Netztypen" erprobt werden. Es ist auch absehbar, dass Netze "um die Ärzteschaft" herum gestrickt werden. Was sich aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Praxisnetzen abzeichnet, ist, dass die Überschaubarkeit eines Netzes eine wesentliche Erfolgsbedingung ist: Netze, die ganze Landkreise oder noch größere Räume umfassen, beginnen bereits sich in kleinräumigere Netze zu zerlegen. Vieles spricht auch dafür, dass in ein und derselben Region mehrere Netze nebeneinander existieren werden. Es ist auch denkbar, dass ein und derselbe Arzt Mitglied in mehreren Netzen ist. Die neuen Netze werden vielfältig sein und mannigfaltige Ausprägungen haben. Es gibt bereits heute in Deutschland schätzungsweise über 200 ärztliche Praxisnetze – genaue Zahlen sind nicht bekannt. Auch wenn in Pressemeldungen anderes suggeriert wird, es findet keine nachvollziehbare Erfolgsmessung anhand harter Messgrößen statt.

Inwieweit die bestehenden Netze den neuen gesetzlichen Bestimmungen genügen oder sich umbauen oder durch neue ersetzt werden, bleibt abzuwarten. Es wird bei dieser Vernetzung auch nicht so sein, dass alles, was irgendwo auf der Welt unter dem Stichwort "Managed Care" gemacht oder gedacht wird, auch in Deutschland zulässig ist.

Es gibt bei Strukturverträgen, Modellversuchen, dem Kassenwettbewerb und nicht zuletzt auch in der Integrationsversorgung vielmehr klare gesetzliche Grenzen. Die rechtlichen Fixpunkte des heutigen Systems der Arzneimittelversorgung sind mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 nicht verändert worden. Aus dieser Gesamtsituation heraus wird klar, dass eine singuläre Strategie "Apotheker ins Netz" oder "Apotheker als Hoflieferant" weder rechtlich zulässig noch betriebswirtschaftlich sinnvoll wäre.

Für die Apotheker kommt es nicht darauf an, in die Netze aufgenommen zu werden, sondern darauf, sinnvoll mit Netzen umzugehen. Nicht ohne Grund hat der Gesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, dass zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband in einer Bundesvereinbarung gemäß des neuen § 140 e SGB V der Rahmen über Inhalte und die Durchführung integrierter Versorgungsformen gegeben wird.

Im Deutschen Apothekerverband wird im Hinblick darauf das Modell der pharmazeutischen Leistungsgemeinschaft entwickelt und operationalisiert, mit dem die von lokalen Netzen betroffenen Apotheker sich unter dem Dach der Landesapothekerverbände gemeinschaftlich gegenüber Netzen positionieren können, indem sie auf die jeweiligen Netzbedürfnisse maßgeschneiderte Dienstleistungsangebote machen: zeitnahe Datenservices, pharmazeutisches Consulting, Compliance-Optimierung, Verzahnung der heilberuflichen Notdienste, Telematik und vieles andere mehr werden dabei maßgebliche Bausteine sein.

Mit der Gesundheitsreform 2000, die am 1. Januar in Kraft getreten ist, schuf der Gesetzgeber die Möglichkeit, in unserem Gesundheitswesen die integrierte Versorgung zu erproben, "eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten". Ambulante und stationäre Versorgung soll verzahnt werden. Doch diese Instrumente sind nicht neu. Bereits seit 1989 besteht die Möglichkeit, im Verbund Spielräume für vernetzte und integrierte Versorgungsformen zu bilden. Der Beitrag zeigt auf, was an sich darunter im Einzelnen vorzustellen hat.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.