Management

Was bringt die Integrierte Versorgung den Apothekern?

Mit der Vernetzung und der möglichst optimalen Abstimmung verschiedener heilberuflicher Leistungen, die bei dem Gesundungsprozess eines Patienten ineinander greifen, sollen im Rahmen der Integrierten Versorgung Einsparpotenziale erschlossen werden. Auch Apotheken sollen in die Integrierte Versorgung mit eingebunden werden. Ob sie von diesem Modell profitieren oder aber die Verliererrolle zugewiesen bekommen, darüber streiten sich ein Vertreter der Ärzteschaft mit einem standespolitischen Funktionär der Apotheker.

Die Apotheke – Gewinner der Integrierten Versorgung

Gerhard Wandel 
Der Verfasser ist in verschiedenen Positionen im Apothekerverband Schleswig Holstein seit mehr als 15 Jahren für Vertragsangelegenheiten zuständig.

Blicken wir zunächst auf die gesetzlichen Vorgaben und die Tatsachen: Der Gesetzgeber sieht in § 140b SGB V ausdrücklich Apotheken – nicht aber Großhändler und die pharmazeutische Industrie – als Beteiligte von Integrationsversorgungsverträgen vor! Denn Apotheken sind "sonstige berechtigte Leistungserbringer" im System der GKV. Sie können auch als Gemeinschaften an den Verträgen zu integrierten Versorgungsformen teilnehmen. Ergänzend wird in § 129 SGB V bestimmt, dass bei Verträgen mit Apotheken über deren Beteiligung an der Integrationsversorgung zugleich das Nähere über Qualität und Struktur dieser Versorgung geregelt werden kann.

Zudem macht der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens deutlich, dass auf dieser Versorgungsstufe ein Preiswettbewerb aus gutem Grund nicht gewollt ist. Zugleich stärkt die zu Jahresbeginn erfolgte Umstellung der Arzneimittelpreisverordnung auf ein Fixaufschlagsystem den Apotheker in seiner Rolle als unabhängigen Arzneimittelfachmann. Ohne Rücksicht auf seine kaufmännischen Interessen kann er nunmehr pharmazeutisch begründete und zugleich wirtschaftliche Therapieempfehlungen geben: Das macht ihn zum geborenen pharmakoökonomischen Berater und Partner der Ärzte, auch und vor allem bei Verträgen über neue Versorgungsformen.

Zu diesem Ergebnis kommt man auch bei einer vertiefenden Betrachtung: Ohne Zweifel ist das Konzept der integrierten Versorgung im Kern ein Wettbewerbsmodell. Nur, wo soll der Wettbewerb im Arzneimittelbereich stattfinden? Trennen wir einmal gedanklich die Versorgungskosten von den Arzneimittelkosten (immerhin knapp 70% der Arzneimittelausgaben der Kassen): Soll der Wettbewerb auf der Ebene der Versorgung ausgefochten werden oder auf der Ebene der Arzneimittelkosten? Und wie soll der Wettbewerb aussehen? Der Gesetzgeber hat sich hier klar geäußert und wünscht einen differenzierten Wettbewerb jeweils dort, wo er am effektivsten für das System ausgefochten werden kann: Auf der Ebene der Arzneimittelkosten den Preiswettbewerb und auf der Ebene der Versorgung und deren Kosten den Qualitätswettbewerb!

Apotheker sorgen für bessere Compliance

Diese Differenzierung ist sinnvoll, weil die Apotheke wesentlich mehr als ein simpler Logistiker ist. Es sei in diesem Zusammenhang an die Binsenweisheit erinnert, dass die Arzneimittelversorgung mitnichten durch die Packungsabgabe endet. Gerade im "letzten Meter" der Arzneimittelversorgung und beim Patienten liegen die höchsten wirtschaftlichen und qualitativen Potenziale. Welcher Patient wendet sein Arzneimittel wirklich optimal an? Warum ist eine Neueinstellung oft so schwierig? Warum werden in einigen Indikationsfeldern 30 bis 50% der verordneten Arzneimittel ganz einfach nicht – oder permanent falsch – verwendet? Warum viele ausgestellte Verordnungen gar nicht erst eingelöst?

Dies sind die Probleme, die in Verträgen zur Integrationsversorgung mit Arzneimitteln gelöst werden müssen, wenn diese Verträge ihren Namen wirklich verdienen wollen. Das Aufkleben einer Briefmarke auf ein Arzneimittelpäckchen löst hingegen kein einziges dieser wirtschaftlich und medizinisch höchst bedeutsamen Versorgungsprobleme.

Wie müssen also Vertragsinhalte aussehen, die sich mit der Struktur und der Qualität der Arzneimittelversorgung auseinandersetzen? Vertragliche Werkzeuge sind beispielsweise effektive Maßnahmen zur Erhöhung der Compliance bei Dauerversorgung. Dazu kann das Führen softwaregestützter Arzneimitteltagebücher in der Apotheke gehören, die Dosierung und Reichweite darstellen, oder das bedarfsgerechte Stellen von Arzneimitteln in speziellen Versorgungsfällen. Die Umsetzung dieser Inhalte gelingt nur in enger Absprache mit den Ärzten vor Ort durch Etablierung verbindlicher lokaler Therapiezirkel. Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V und Vereinbarungen zur wirtschaftlichen Auswahl ergänzen diese Verträge und sorgen so für den notwendigen Wettbewerb auf der Arzneimittelebene.

Diese und weitere Werkzeuge gilt es nun, im Rahmen von Integrationsversorgungsverträgen sinnvoll und umsetzbar zu kombinieren. Dabei stehen die Apotheken durchaus im Wettbewerb untereinander. Verträge zur Integrationsversorgung sind im Kern Beitrittsverträge, bei denen jeder Apothekenleiter entscheiden muss, ob er dem jeweiligen Vertrag beitritt oder nicht und ob er die vereinbarten Qualitätsanforderungen erfüllen kann und will. Daher bin ich der Überzeugung, dass die Einbindung von Apotheken in Verträge zur Integrationsversorgung sinnvoll und vor allem nachhaltig ist. Empfindlichkeiten sind dabei nur störend und sollten auch als solche gesehen und überwunden werden.

 

Die Apotheke – Verlierer der Integrierten Versorgung

Ekkehard Becker 
Der Verfasser ist Leiter der Strukturabteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein. Die KVSH begleitet seit nahezu zehn Jahren Regionale Praxisnetze und berät Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen bei innovativen Vertragsmodellen.

Die bisherigen Erfahrungen mit Verhandlungen von Integrationsverträgen zeigen, dass für Apotheken entsprechende Vorsicht geboten ist. Die Integrationsversorgung nach § 140b SGB V soll die Probleme unseres Gesundheitswesens lösen. Sie überwindet die Sektorengrenzen, fördert die Kooperation zwischen Ambulant und Stationär und führt Vergütungsanteile zusammen. Der Patient steht im Mittelpunkt, die Behandlung wird bei gleicher oder höherer Qualität wirtschaftlicher. Soweit die in jedem Vortrag zum Thema gepriesenen Vorzüge.

Es wird auch immer gern die Win-Win-Situation zitiert. Doch wenn in einem geschlossenen und budgetierten System gewonnen wird, muss zwangsläufig auch verloren werden. Die Integrationsversorgung bringt ja kein neues Geld in das System, sondern verteilt altes – und weniger werdendes – lediglich um. Sie ist daher in ihrem Innersten ein Wettbewerbsmodell. Krankenkassen nutzen den Wettbewerb, um Gelder umzulenken. Dabei sind die Bereiche von höchstem Interesse, die mit hohen Ausgaben und einer großen Dynamik bei den Ausgaben verbunden sind.

Konsequenterweise schwimmen auf der ersten Vertragswelle Endoprothetik und andere stationäre Leistungen, die in nahezu industrialisierten Prozessen erbracht werden. Bei hohem Leistungsvolumen und hohem Preisniveau. Ideale Voraussetzungen für Krankenkassen, echte Preisverhandlungen über Komplexpauschalen zu führen. Dies führt in diesen Segmenten zu einer Flurbereinigung in der stationären Anbieterlandschaft.

Der zweite Bereich wird die Arzneimittelversorgung sein. Ein Markt mit vielen Produzenten und einer Unzahl von Produkten, deren Unterschiede sich einem nicht immer erschließen. Dazu kommen ein zwischengeschalteter Großhandel und die öffentliche Apotheke als Endglied der Wertschöpfungskette. Der Patient als Konsument mit seiner Eigenbeteiligung und seine Krankenkasse finanzieren den akkumulierten Mehrwert, Vertragsärzte haften mit ihrem Honorar.

Preisdruck wird an Apotheken durchgereicht

Die zweite Vertragswelle wird daher Vereinbarungen an den Integrationsstrand spülen, die Einsparungen im Arzneimittelbereich versprechen. Mit Verträgen nach § 130 SGB V versuchen die Hersteller, ihre Produkte bei den Krankenkassen zu positionieren. Die Krankenkassen bringen die Verträge als Mitgift in ihre Integrationsehen ein, die sie mit Ärztenetzen und Medizinischen Versorgungszentren schließen. Selbst bei der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein bieten Pharmareferenten ihre Lösungen für Ärztenetze an. Rabattvertrag mit Krankenkassen, Abgabe der Arzneimittel frei Haus über eine Lieferapotheke. Sie versprechen sich eine Sicherung der Marktposition sowie eine Verschlankung der Akquisition. Der Preisdruck, der durch solche Vereinbarungen entsteht, wird an die öffentlichen Apotheken weitergegeben.

Und der Patient? Während in den bisherigen Strukturverträgen der Praxisnetze Einsparungen im Arzneimittelbereich eher mühsam zu erreichen waren, entsteht durch die Einbeziehung des Patienten eine enorme Sogwirkung. Ihm werden die Vorteile einer Integrationsversorgung durch Bonusmodelle und Entlastungen bei Zuzahlungen sofort bewusst. Mit seiner Teilnahmeerklärung nimmt er zudem eine aktive Rolle wahr. Wir alle wissen mittlerweile, dass Änderungen in unserem Gesundheitssystem nur über finanzielle Anreize funktionieren. Die Anschubfinanzierung für die Integrationsversorgung und die zehn Euro Kassengebühr sind die jüngsten Beispiele.

Was kann die öffentliche Apotheke dem entgegensetzen? Ihre Hauptaufgabe sieht sie darin, den Patienten und Kunden beim verantwortungsvollen Umgang mit Arzneimitteln zu beraten, insbesondere bei der Selbstmedikation. Wahrgenommen wird sie jedoch vornehmlich als Einrichtung, die Arzneimittel abgibt und, sofern nicht vorrätig, bestellt. Als besonderen Service liefert sie an die Haustür des Kunden. Dies ist schlichtweg eine logistische Aufgabe, die durch überörtliche Anbieter und Internetapotheken ebenso so flächendeckend und dabei kostengünstiger übernommen werden kann.

Und den Anspruch, letzte Kontrollinstanz aller Arzneimittel vor der Abgabe zu sein, hat sie mit der Dominanz der Fertigarzneimittel längst verloren. Ob die Schwächung des Standbeins mit dem Spielbein "erweiterte Gesundheitsberatung" ausgeglichen werden kann, bleibt abzuwarten. Für die überlebensnotwendige Kooperation mit Vertragsärzten ist es nicht hilfreich, Blutdruckmessungen und Cholesterintests anzubieten.

Zu "Integrierte Versorgung, Teil 1: Rechtliche Rahmenbedingungen" siehe DAZ Nr. 47 vom 18. 11. 2004, Seite 59

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.