Feuilleton

Blumenpracht und Gottesmacht

Im Jahr 1716 begann der evangelische Pfarrer zu Köngen am Neckar, Blumen, Tiere und die Menschen seiner ländlichen Umwelt in typischen Szenen zu malen und die Bilder mit knappen Versen zu kommentieren. Insbesondere zeigt er sich dabei als Kenner heimischer und exotischer Pflanzen.

Tulpen, Nelken, Türkenkorn


Diese Blumen suchte er allerdings nicht auf Spaziergängen durch Gottes mehr oder weniger unberührte Natur, sondern er sah sie in den Gärten seiner Mitbewohner und eines Hofgutes im Ort. In diesen "Bauerngärten", wie wir heute sagen würden, wuchsen Zierpflanzen und Nutzpflanzen dicht nebeneinander oder auch durcheinander, begleitet von zahlreichen Wildplanzen ("Unkraut").
An Zierpflanzen malte Pfisterer immer wieder Tulpen; die Gartentulpen mit ihrer Farb- und Formenvielfalt stammen - anders als die einheimische Tulipa sylvestris - aus der Türkei und waren um 1620 durch die "Tulpomanie" der Holländer groß in Mode gekommen. Auch Nelken, deren Duft er mit den Gewürznelken verglich, hat Pfisterer wiederholt gemalt. Ansonsten schätzte er z.B. Hyazinthen ("...sind zwar klein, riechen aber ungemein"), Anemonen, Pfingstrosen, Iris und Lilien.
Große Ehrfurcht empfand Pfisterer vor der Passionsblume, die nach allgemeiner damaliger Auffassung den Kreuzestod Christi versinnbildlichte. Unter den Exoten in seiner Sammlung sind auch Korallenbäumchen (Solanum capsicastrum), Tuberose und Pomeranze sowie die amerikanischen Nutzpflanzen Kartoffel ("pyrus terrestris" = Erdbirne) und Mais ("Türkenkorn").

Heilpflanzen und Volksmedizin


Wie man destillierte, wußte Pfisterer auch, denn er hat einen dreibeinigen Ofen mit entsprechender funktionsfähiger Apparatur gemalt, bestehend aus Destillierblase, Destillierhelm (Alembik) und Vorlage, alles aus Glas.
Auf dem Lande vertraute die Bevölkerung - gezwungenermaßen - auf überkommene volksmedizinische Heilweisen, die Pfisterer durchaus nicht ablehnte. So schrieb er über den Regenwurm:
"Dieser Wurm ist mehr nutz manchmal in der Medizin als das Prezioseste in der besten Offizin."
Nach den Pflanzen sind die Vögel Pfisterers häufigste Motive. Er zeigte auch hier eine gute Beobachtungsgabe. Unter den Exoten - z.B. Kanarienvogel, Pfau, Fasan, Truthahn ("welscher Hahn"), Papagei - kam der Turteltaube eine medizinische Bedeutung zu: Man glaubte, daß sie bestimmte Krankheiten wie das damals so verbreitete Podagra (Fußgicht) auf sich ziehen und den Patienten folglich heilen kann.

Schulmedizin


Die kranke Person liegt - kaum zu sehen - in einem gelben Himmelbett; eine junge Frau - Schwester oder Magd - bringt ihr gerade eine Suppe; die Eltern sitzen bzw. stehen mit gequältem Gesichtsausdruck am gegenüberliegenden Ende des Tisches; ungerührt davon geht ein Arzt seinem ernsten Geschäft nach. Er beschaut gerade den in einem Glas gesammelten Urin des Patienten, um dessen Krankheit zu diagnostizieren; zur Behandlung stehen diverse Arzneimittel auf dem Tisch bereit. Ganz links im Bild ist ein "Nachtkasten" zu sehen ("laß es zugedecket stehen, es ist unfreundlich anzusehen").
Bei allem Realismus, der die Szene auszeichnet, enthält sich der Pfarrer doch nicht eines kommentierenden Spruches, mit dem er sich selbst in das Geschehen einbringt:
"Ein Mathematicus besieht das
Firmament,
Ein Medicus im Glas des Harnes
Sediment,
Und ein Theologus sieht auf den
Lebenslauf,
Daß er, wenn mans begehrt, den
Zuspruch richte drauf."

Seelenmedizin


Trotz dieses kleinen Exkurses in die "Pharmakotheologie": Der malende Pfarrer Pfisterer zeigt sich in diesem Werk nicht als Moralist, sondern als interessierter Beobachter, dem nichts Menschliches fremd war: Dies zeigen viele Szenen, in denen er typisch menschliches Verhalten - vom Liebhaber bis zum Trunkenbold - thematisiert.
Mit seinem "Bilderbuch" hat er seine kleine Welt so eingefangen, daß wir uns heute noch in sie hineinversetzen können. Und das hat sicherlich seinen Reiz.W. Caesar

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