Berichte

Sekundäre Naturstoffe: Morphin, Pherome und schwarze Rose

In Halle an der Saale fand vom 24. bis 27. September 2000 die Tagung "Biosynthesis and Accumulation of Secondary Products" statt, die sich mit den sekundären Naturstoffen, ihrer Biosynthese und Speicherung sowie ihren biologischen Wirkungen befasste. Dabei kamen pflanzenphysiologische, genetische, enzymatische, analytische und wirtschaftliche Aspekte zur Sprache. Viele sekundäre Naturstoffe sind als Arzneistoffe von Bedeutung. Pflanzliche Arzneimittel, deren Inhaltsstoffe den sekundären Naturstoffen zuzuordnen sind, finden gerade in Deutschland, in jüngster Zeit aber auch in den USA, breite Akzeptanz. Die Tagung gab den Fachleuten auf diesem Gebiet ein internationales Diskussionsforum.

Der Tagung ging ein eintägiges Präsymposium über "Digitalis Cardenolides" voraus. Es war Prof. Dr. M. Luckner, der sich in den letzten Jahren besonders mit herzwirksamen Glykosiden aus Digitalis-Arten beschäftigt hat, zum 65. Geburtstag gewidmet. An die Tagung schloss sich der 3. Kurt-Mothes-Doktoranden-Workshop "Sekundärstoffwechsel" an.

Ouabain als körpereigenes Hormon

Sekundäre Naturstoffe haben eine weitere Verbreitung als gemeinhin angenommen. Seit längerer Zeit ist z.B. bekannt, dass herzwirksame Glykoside außer in Pflanzen auch in Kröten (Bufadienolide; lat. bufo = Kröte) und bestimmten Insekten gebildet werden. In den letzten Jahren wurden sie auch in Säugetieren und im Menschen gefunden. Prof. Dr. W. Schoner, Gießen, berichtete, dass Ouabain, welches bei Herzinsuffizienz in der Medizin Verwendung findet und aus Strophanthus gratus gewonnen wird, im Menschen z.B. in Nebennieren, Hypothalamus und Blut natürlicherweise vorkommt. Auch gibt es starke Hinweise auf das endogene Vorkommen kardiotoner Steroide vom Typ der Bufadienolide. Sehr wahrscheinlich werden diese Verbindungen im Menschen selbst gebildet und nicht mit der Nahrung zugeführt.

Die endogen synthetisierten herzwirksame Glykoside haben neben der bekannten kardiotonen Wirkung eine Hormonwirkung. Ouabain z.B. induziert in vitro die Proliferation von Kardiomyozyten (Herzmuskelzellen). Es ist damit möglicherweise für die Verdickung der Herzkammer- und Gefäßmuskulatur bei Bluthochdruck mit verantwortlich; bei Hypertonikern ist der endogene Ouabain-Gehalt besonders hoch. Analog zu bekannten Steroidhormonen wird Ouabain an Proteine gebunden. Ein spezifisches Bindungsglobulin für herzwirksame Glykoside mit hoher Affinität für Ouabain konnte in der Arbeitsgruppe von Schoner isoliert und charakterisiert werden. Schoner stellte heraus, dass ein tieferes Verständnis der physiologischen Rolle endogener kardiotoner "Hormone" eine Verbesserung von Diagnose und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erwarten lässt.

Endogenes Morphin

Auch Morphin, ein Alkaloid, welches im Pflanzenreich z.B. von Papaver somniferum produziert wird, kommt natürlicherweise im Menschen und in Säugetieren vor. Hiermit beschäftigte sich der Vortrag von Prof. Dr. M. H. Zenk, Halle. Zenk ging der Frage nach, ob dieses Morphin endogen gebildet werden kann oder nur mit der Nahrung aufgenommen wird. Bekannt ist, dass z.B. Heu oder Salat Morphin enthalten. Eine Studie mit Probanden aus Europa, den USA und Australien ergab, dass bei allen untersuchten Individuen Morphin im Urin vorkam. Dabei waren die Konzentrationen bei einer Ernährung, die vorwiegend auf Milchprodukten beruht, am höchsten.

Zenk zeigte, dass alle aus Papaver bekannten, für die Biosynthese von Morphin benötigten Enzyme auch im tierischen Organismus vorkommen. Es ist daher anzunehmen, dass Mensch und Säugetiere in der Lage sind, Morphin endogen zu bilden, und dass die Synthese ähnlich abläuft wie in der Pflanze.

Monoterpene in Fichten und Käfern

Prof. Dr. J. Gershenzon, Jena, berichtete, dass flüchtige Terpene im Harz von Koniferen auch von Insekten synthetisiert werden, die auf diesen Koniferen leben. Die Fichte (Picea abies) z. B. bildet unter dem Einfluss von Pathogenen Harzgänge aus, die flüchtige Monoterpene enthalten. Deren Akkumulation ist begleitet von der vermehrten Bildung zweier Enzymfamilien: der Terpensynthasen und der Prenyltransferasen. Bestimmte Rindenkäfer, die in Symbiose mit Picea leben, produzieren flüchtige Monoterpene als Pheromone. Die daran beteiligten Terpensynthasen ähneln stark denen, die in der Wirtspflanze vorkommen. Ein Vergleich der Enzyme soll klären, ob diese Parallelität im Zuge der Evolution durch horizontalen Gentransfer (für den es auch an anderer Stelle Hinweise gibt!) oder durch Coevolution zustande gekommen ist.

Gene von Vertretern beider Enzymfamilien konnten heterolog exprimiert werden. Dies ermöglicht ihre gezielte Mutation sowie eine Röntgenstrukturanalyse der gebildeten Proteine mit nachfolgender Erstellung dreidimensionaler Modelle, die Aufschlüsse über den Reaktionsmechanismus der Enzyme sowie ihre Entwicklung im Verlaufe der Evolution zulassen.

Evolution: vom Primär- zum Sekundärstoffwechsel

Es wird heute allgemein angenommen, dass Gene, die für Enzyme des Sekundärstoffwechsels kodieren, durch Genduplikation und anschließende Diversifizierung aus Genen des Grundstoffwechsels entstanden sind. Gene und Proteine des Sekundärstoffwechsels ähneln deshalb in vielen Fällen mehr oder minder denen des Primärstoffwechsels. Ein Beispiel ist die enge Beziehung zwischen Desoxyhypusin-Synthase, einem Enzym des Grundstoffwechsels, und Homospermidin-Synthase, einem Sekundärstoffenzym; dies wurde in der Arbeitsgruppe von Th. Hartmann, Braunschweig, nachgewiesen.

Desoxyhypusin-Synthase, die sowohl in Eukaryonten als auch in Archäbakterien vorkommt, katalysiert den ersten Schritt bei der Aktivierung eines Faktors, der bei der Proteinsynthese an der Initiation der Translation beteiligt ist. Homospermidin-Synthase dagegen ist ein Schlüsselenzym der Biosynthese von Pyrrolizidinalkaloiden, die z.B. in Senecio-Arten als Schutz gegen Herbivoren gebildet werden.

Chalkon- und Stilbensynthasen

Mit der Rolle Evolution bei der Entwicklung von Enzymen des Sekundärstoffwechsels beschäftigte sich auch der Vortrag von Prof. Dr. J. Schröder, Freiburg, am Beispiel der Chalkon- und der Stilbensynthasen. Beide Enzymgruppen katalysieren Kondensationsreaktionen von Malonyl-CoA-Molekülen. Sie gehören zu einer Enzymfamilie, deren Mitglieder untereinander eine mindestens 65%ige Homologie aufweisen. Die von den einzelnen Enzymen gebildeten Produkte können wegen der Unterschiede in der chemischen Struktur der Startermoleküle, der Zahl der Kondensationsreaktionen und wegen des Typs der Ringfaltung jedoch sehr verschieden sein.

Obwohl der evolutionäre Ursprung der Proteinfamilie noch unklar ist, zeigte Schröder, dass wahrscheinlich einige der bekannten Enzyme der Familie aus dem Chalkonsynthase-Gen durch Genduplikation und/oder Mutationen hervorgegangen sind. Das Auftreten verwandter Sequenzen bei Bakterien deutet darauf hin, dass der Urtyp des Proteins wesentlich älteren Ursprungs ist, als bisher angenommen wurde.

Substanzbanken für die Entwicklung neuer Arzneimittel

Prof. Dr. S. Grabley, Jena, führte aus, dass sekundäre Naturstoffe für die Entwicklung neuer Arzneimittel noch immer von großer Bedeutung sind. (Etwa 30 Prozent der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel enthalten Naturstoffe oder von ihnen abgeleitete Substanzen). Eine besondere Rolle bei der Entwicklung neuer Arzneimittel spielen die in den letzten Jahren insbesondere von der Pharmaindustrie aufgebauten Substanzbanken. In beeindruckenden Zahlen verdeutlichte Frau Grabley den großen apparativen und logistischen Aufwand, der für die Erstellung und das schnelle, ökonomische und genaue Screening derartiger Substanzbanken erforderlich ist.

Der Aufbau von Substanzbanken mit reinen Naturstoffen ist besonders kostspielig, da die Zusammensetzung physiologisch aktiver Extrakte aus Pflanzen und anderen Lebewesen häufig unbekannt ist und deren Auftrennung in chemisch definierte Substanzen einen immensen Aufwand bedeutet. Daher werden auch Substanzbanken aus standardisierten Extrakten erstellt; es werden dann nur solche Extrakte hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung näher untersucht, die beim Screening positiv aufgefallen sind.

Frau Grabley betonte, dass die Zukunft den Reinstoffbanken gehöre. Die Kenntnis der chemischen Struktur ist die Voraussetzung für die Erforschung der Biosynthese, für die Erarbeitung eines Syntheseweges, der sich häufig an die Biosynthese anlehnt, und damit für die Bereitstellung der relativ großen Stoffmengen, die für die vielfältigen, vor der Zulassung eines neuen Arzneimittel erforderlichen Untersuchungen benötigt werden.

Für die Auffindung neuer Wirkstoffe ist die Auswahl geeigneter Targets für die Testung der Wirkung von ausschlaggebender Bedeutung. Die bevorstehende Entschlüsselung des menschlichen Genoms lässt einen sprunghaften Anstieg potenzieller Arzneimitteltargets erwarten. (Bisher ist nur für wenige Erkrankungen der genetische Ursprung bekannt.)

Gentechnisch veränderte Zierpflanzen

Die Gentechnik spielt bei der Züchtung von Kulturpflanzen eine ständig steigende Rolle. Sie wird im Bereich der Pflanzen, aus denen Nahrungsmittel hergestellt werden, vom deutschen Verbraucher zwar noch immer mit Skepsis betrachtet, besitzt aber heute schon bei Zierpflanzen große wirtschaftliche Bedeutung. Prof. Dr. J. Mol, Amsterdam, erläuterte dies am Beispiel der Anthocyane und den Möglichkeiten zur Veränderung von Blütenfarben. Haupteinflussfaktoren für die Ausprägung der Blütenfarbe sind der Strukturtyp des Anthocyans, die Komplexbildung der Anthocyane mit Metallionen sowie der pH-Wert der Vakuole, in der die Anthocyane gespeichert werden. Eine gezielte Beeinflussung der Farbstoffbiosynthese ist durch die Einführung fremder Gene in die gewünschte Pflanze möglich. Mol zeigte, dass z.B. die Petunie nach dem Einbau eines Gens für Dihydroflavonol-4-reduktase aus Mais rosa Blüten bildet, während durch den Transfer eines P450-codierendes Gens aus Petunia in Nelken lilafarbene Blüten entstehen. Die Palette der Blütenfarben lässt sich bei den einzelnen Arten hierdurch stark ausweiten.

Die Konstruktion einer schwarzen Rose, ein spektakuläres Ziel der Pflanzenzüchter, erscheint nicht unmöglich, ist jedoch in naher Zukunft wahrscheinlich nicht zu erreichen. Dies liegt u.a. an der notwendigen Veränderung des pH-Werts der Vakuolen. Der pH-Wert wird von vielen Faktoren bestimmt und kann durch Veränderung nur eines einzigen Gens nicht stark genug beeinflusst werden.

Anregungen durch die Ethnobotanik

Ein feierlicher Höhepunkt der Tagung war die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg an Prof. Dr. Varro E. Tyler, West Lafayette, USA, für seine Verdienste um die Verbreitung wissenschaftlich fundierter Kenntnisse über pflanzliche Arzneimittel, insbesondere in den USA, und für seine engen Beziehungen zu der Sekundärstoffforschung in Deutschland. Diese Ehrenpromotion fand in den Räumen der "Leucorea", einer Stiftung der Universität, in Wittenberg statt (griech.-lat. Leucorea = weißer Berg = Wittenberg).

Den Festvortrag mit dem Titel "Ethnobotany - a New Source of Drugs" hielt Prof. Dr. Michael Heinrich von der Universität London. Der Vortrag gab dem Auditorium Anregungen für weiterführende Arbeiten mit ausländischen Arzneipflanzen, die z.T. vom Aussterben bedroht sind oder deren Kultivierung problematisch ist. Heinrich arbeitete besonders die Schwierigkeiten heraus, die bei der Überführung der volksmedizinischen Erfahrungen in die Schulmedizin auftreten. Er machte deutlich, dass das Forschungsinteresse der Industrieländer an ethnopharmazeutischen Gebräuchen eine wichtige ideelle Unterstützung der Heiler und damit des Gesundheitswesens der Entwicklungsländer darstellt.

Fortsetzung folgt

Insgesamt gesehen war die Tagung für alle beteiligten Wissenschaftler ein großer Erfolg. Die Organisatoren haben sich vorgenommen, in einigen Jahren erneut eine Tagung zum gleichen Thema in Halle durchzuführen.

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