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Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel: Manipuliert oder modifiziert?

FRANKFURT (hel). Gentechnisch hergestellte Arzneimittel gehören heute zum Alltag: Insulin wird in großem Umfang gentechnisch produziert, und ohne diese neue Methode könnte beispielsweise Erythropoetin gar nicht hergestellt werden. In Verbraucherumfragen wird die Anwendung der Gentechnik zu medizinischen Zwecken von einer Mehrheit befürwortet. Weniger eindeutig ist die Situation bei Lebensmitteln. Sehr viele Menschen lehnen den Einsatz der Gentechnik bei Nahrungsmitteln ab, sie wünschen sich "naturbelassene" Lebensmittel. Aber auch bei der Nahrungsmittelproduktion gehören gentechnische Methoden mittlerweile zum Alltag, ohne daß der Verbraucher davon einen unmittelbaren Nutzen hat oder diese dem Endprodukt ansieht. Dies wurde auf einem Presseworkshop deutlich, den die Firmen Novartis, Monsanto und Hoechst Schering AgrEvo gemeinsam in Frankfurt am 10. und 11. Februar 1998 veranstalteten.

Optimierung von Herstellungsverfahren Gentechnisch veränderte Enzyme werden in vielen Bereichen der Lebensmittelherstellung eingesetzt, zum Beispiel bei der Verarbeitung von Früchten, bei der Herstellung von Aromen und Vitaminen sowie bei der Stärkeverflüssigung. Hier sind im Endprodukt keine gentechnisch veränderten Organismen oder entsprechend veränderte Produkte enthalten. Zur Käseherstellung wird das Enzym Chymosin benötigt. Im herkömmlichen Prozess wird Chymosin aus kleingeschnittenen Kälbermägen isoliert, die Ausbeute ist hierbei relativ niedrig. Gentechnisch hergestelltes Chymosin soll dieses Verfahren ersetzen. Es ist seit März 1997 in Deutschland für die Käseherstellung zugelassen. Im Käse selbst ist kein verändertes Material mehr enthalten, das Chymosin wird während des Reifeprozesses abgebaut.

Fremde Gene auf dem Feld Die Gentechnik wird aber auch zunehmend bei der Pflanzenzüchtung eingesetzt. Ziele sind hier neben der Grundlagenforschung eine Qualitätsverbesserung der Pflanzen sowie die Züchtung von herbizid-, virus- und insektenresistenten Pflanzen. Die wichtigsten marktreifen Entwicklungen sind Nutzpflanzen wie Soja und Mais, bei denen ackerbauliche Eigenschaften (z.B. Schutz vor Krankheiten oder Schädlingen) verbessert wurden. Nach Schätzungen wachsen weltweit bereits auf 20 Millionen Hektar Anbaufläche gentechnisch veränderte Sorten. Sojabohnen sind eine gute und billige Rohstoffquelle für Öl, Lecithin und Eiweiß, und wahrscheinlich gibt es heute keine Sojaprodukte mehr, die nicht zu einem gewissen Anteil aus transgenen Pflanzen stammen. Im Sojaprotein und Lecithin sind, je nach Aufarbeitung, noch die neu eingeführte DNA und das entsprechende neue Protein nachweisbar. Neben den bereits zugelassenen Mais-, Raps- und Sojasorten werden in den nächsten Jahren auch andere Pflanzen wie Reis, Zuckerrüben und verschiedene Obst- und Gemüsesorten in Europa Marktreife erlangen. Ein Zuchtziel ist die Verbesserung der Qualität: Zukünftige Entwicklungen könnten es ermöglichen, gezielt Gene abzuschalten, die für Allergien verantwortlich sind, beispielsweise in Reis und Erdnüssen. Pflanzliche Öle sollen vermehrt für die menschliche Ernährung wichtige ungesättigte Fettsäuren enthalten, der Gehalt an lebensnotwendigen Aminosäuren und Vitaminen soll in vielen Nutzpflanzen erhöht und die Kombination der einzelnen Stoffe soll verbessert werden.

Herbizidresistenz: Ein Schritt in die falsche Richtung? Der größte Anteil gentechnischer Veränderungen im Nutzpflanzenbereich sind heute allerdings Herbizidresistenzen, die einen gezielteren Einsatz von Herbiziden ermöglichen sollen. Das Herbizid Glyphosat (Roundup®) blockiert das sogenannte EPSP-Enzym, das am Aufbau von lebenswichtigen aromatischen Aminosäuren in der Pflanze beteiligt ist. Pflanzen mit einer genetisch verankerten Glyphosphatresistenz können ein zusätzliches bakterielles Enzym produzieren, das durch das Herbizid nicht gehemmt wird. Die Nutzpflanze überlebt den Herbizideinsatz, und die unerwünschten Pflanzen gehen zugrunde. Durch diese spezifische Wirkung soll die Herbizidmenge verringert werden. In den USA, Argentinien und Paraguay hat der Anbau von Roundup-Ready-Sojabohnen® in den letzten beiden Jahren beträchtlich zugenommen. Ein anderes wichtiges Herbizid ist die Aminosäure Phosphinothricin, ein Stoffwechselprodukt eines Mikroorganismus aus der Familie der Strahlenpilze, Streptomyces viridochromogenes. Dieser Wirkstoff wird auch als Glufosinat bezeichnet. Er hemmt in der Pflanzenzelle ein Schlüsselenzym der Stickstoffverwertung und ist unter Handelsnamen wie Basta® und Liberty® als nichtselektives Blattherbizid seit 1984 weltweit im Einsatz. In belebtem Boden wird es so schnell inaktiviert, daß es nicht über die Wurzeln aufgenommen werden kann. Da Glufosinat über alle grünen Pflanzenteile wirkt, konnte es bisher nur dort zur "Unkraut"bekämpfung eingesetzt werden, wo eine Benetzung der grünen Pflanzenteile von Kulturpflanzen ausgeschlossen war, beispielsweise im Obst-, Wein- und Gemüsebau in Plantagenkulturen sowie im Forst. Damit Glufosinat auch in Ackerbaukulturen eingesetzt werden kann, müssen die Nutzpflanzen gegen dieses Herbizid resistent sein. Dieses Ziel erreicht man über die Einführung des Gens für das PAT-Enzym (Phosphinothricin-Acetyltransferase) in die Nutzpflanze. Dieses Enzym acetyliert Glufosinat im Blatt, so daß der Stoffwechsel ungestört ablaufen kann. Von Umweltschützern wird die Entwicklung von herbizidresistenten Pflanzen kritisch gesehen: Mit dieser Methode gehe man auf Dauer in die falsche Richtung, so die Ökologen. Schließlich könne es nicht das Ziel einer modernen nachhaltigen Landwirtschaft sein, das Ausbringen von Herbiziden zu fördern.

Neue Pflanzen mit besserer Resistenz gegen Schädlinge Weniger umstritten sind schädlingsresistente neue Sorten. Anfang 1997 wurde von der EU-Kommission der insektenresistente "Bt-Mais" der Firma Novartis zugelassen. Das Kürzel "Bt" bedeutet "Bacillus thuringiensis". Aus diesem Bakterium stammt das Gen, das der Maispflanze eine neue Eigenschaft verleiht: Sie kann das Bacillus-thuringiensis-Toxin bilden, das sie vor ihrem Hauptschädling, dem Maiszünsler (Raupen eines Schmetterlings), schützt. Außerdem enthält der Bt-Mais zwei weitere Gene, die unter anderem der Selektion der transgenen Pflanzen bzw. der Bakterien für die Vermehrung der Genkonstrukte dienen: das PAT-Gen für die Herbizidresistenz und das Ampicillin-Antibiotika-Resistenzgen.

Lösen die neuen Pflanzen Allergien aus? Verschiedene Organisationen haben in den letzten Jahren Richtlinien erarbeitet, nach denen jede einzelne neu entwickelte transgene Pflanze überprüft werden soll. Bevor ein gentechnisch veränderte Pflanze in den Verkehr gebracht wird, wird zum Beispiel ihr Proteinmuster mit dem bekannter Nahrungsmittelallergene verglichen. Außerdem kann der Abbau von Eiweißen im Magensaft in einem Modell mit einem künstlichen Magen simuliert werden. Um im Darm überhaupt als Allergen wirken zu können, muß das Protein die Magenpassage unverändert überstehen. Wird ein Protein bei dieser Prozedur zerstört, kann es nicht als Nahrungsmittelallergen wirken. Manche Allergene in Nahrungsmitteln können aber auch mit Inhalationsallergenen kreuzreagieren. Wer beispielsweise auf Birkenpollen sensibilisiert ist, ist häufig auch gegen Äpfel allergisch. Diese Kreuzallergie mit einem Inhalationsallergen manifestiert sich allerdings nicht im Magen-Darm-Trakt, sondern im Bereich der Mundschleimhäute. Insgesamt wird die Allergiegefahr bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln heute nicht höher eingeschätzt als bei Produkten aus traditioneller Züchtung oder Kreuzung. So beinhaltet auch der Genuß bisher unbekannter Pflanzen, beispielsweise vieler exotischer Früchte und Gemüse, ein Allergierisiko.

Problem Markergene: Resistenzen gegen Antibiotika und Herbizide Häufig ist das gewünschte Merkmal, das in die Pflanze eingebracht werden soll, erst in späteren Wachstumsphasen überprüfbar. Außerdem sind die Raten erfolgreicher, stabiler Gentransfer-Ereignisse sehr niedrig: Bei Pflanzen rechnet man derzeit mit einer transformierten Zelle je 1000 Zellen. Deshalb verwendet man bei der Transformation gemeinsam mit dem Zielgen sogenannte Markergene, deren Expression sich relativ leicht nachweisen läßt und auf diese Weise die frühzeitige Überprüfung einer erfolgreichen Transformation ermöglicht. In der modernen Pflanzenzucht werden Antibiotika- und Herbizidresistenzen als Selektionsmarker eingesetzt. Die Antibiotikaresistenz wird für den ersten Schritt, die Auswahl des Bakteriums, das das neue Gen auf die Pflanze übertragen soll, benötigt. Im zweiten Schritt wird dann die Pflanze mit dem neuen Gen über ihre Antibiotika- oder Herbizidresistenz auf einem Selektionsmedium identifiziert. Als Antibiotika-Resistenzgene werden vor allem Resistenzen gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin, seltener gegen Gentamicin, Ampicillin und Tetracyclin verwendet. Transgener Reis wird häufig mit einer Resistenz gegen Hygromycin, ein Aminoglykosid-Antibiotikum, ausgestattet. Was passiert nun mit diesen Antibiotika-Resistenzgenen, wenn sie in den menschlichen Organismus gelangen? Können sie möglicherweise zu der Ausbildung von resistenten Bakterienstämmen führen, so daß Antibiotika bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wirkungslos werden? Nach allem, was heute bekannt ist, scheint dieses Risiko sehr gering zu sein. Antibiotika-Resistenzgene stammen aus Mikroorganismen, die natürlicherweise in der Umwelt vorkommen und die wir täglich mit der Nahrung aufnehmen, beispielsweise durch den Genuß von rohem Salat oder Gemüse. Diese Gene und ihre Produkte sind also kein neuer Bestandteil unserer Nahrung, und Allergien gegen diese Proteine sind nicht bekannt. Die Resistenzgene, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen aufgenommen werden, werden größtenteils im Magen abgebaut. Außerdem können die Resistenzgene kaum auf Mikroorganismen "überspringen", da sie ins Erbgut der Pflanze integriert sind und nicht als Plasmide vorliegen. Sie können selbst beim Einbau in das bakterielle Erbgut nicht aktiv werden, da sie ATP als Kofaktor benötigen, das im Verdauungstrakt sehr instabil ist. In den gentechnisch veränderten Pflanzen, die heute kommerziell angebaut werden, sind als Markergene verwendete Antibiotika-Resistenzgene vorhanden, sie werden aber nicht exprimiert. Aus Sicherheitsgründen werden die Antibiotikaresistenzgene bei neueren Entwicklungen wieder entfernt, wenn sie ihre Aufgabe als "Erkennungszeichen" erfüllt haben.

Die Novel-Food-Verordnung Am 15. Mai 1997 trat die Verordnung des Europäischen Parlaments und des europäischen Rates über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten ("Novel-Food-Verordnung") in Kraft. Nach ihren Vorschriften werden transgene Pflanzen in der Europäischen Union zugelassen. Diese Verordnung soll unter anderem sicherstellen, daß mit dem Verzehr neuartiger Lebensmittel keine gesundheitlichen Gefahren für den Verbraucher einhergehen. Aus diesem Grund verlangt sie auch die - bisher freiwillige - Suche nach möglicherweise allergieauslösenden Eigenschaften einer transgenen Pflanze. Die Novel-Food-Verordnung bestimmt außerdem, daß der Hersteller neuartige Lebensmittel kennzeichnen muß, wenn ihr Nährwert verändert ist oder sich die eingebauten Fremdgene- bzw- Eiweiße nachweisen lassen. Neben den transgenen Pflanzen selbst (Kategorie 1) sind deshalb auch hieraus hergestellte Produkte wie Tomatenmark, Sojamehl oder Apfelsaft (Kategorie 2) zu kennzeichnen, wenn sich diese Folgeprodukte von herkömmlichen Lebensmitteln unterscheiden lassen. Nicht gekennzeichnet werden müssen Produkte, bei denen die veränderten Moleküle durch die Zubereitung abgebaut wurden, beispielsweise raffiniertes Sojaöl. Gentechnisch gewonnene Zusatzstoffe wie Aromen und Emulgatoren wie Sojalecithin fallen nicht unter die Novel-Food-Verordnung und müssen deshalb nicht gekennzeichnet werden.

Quelle Nach Vorträgen von Dr. Gabriele Sachse, BioAlliance Deutschland GmbH, Frankfurt; Dr. Klaus Lampe, Frankfurt; Gerd Spelsberg, Bundesverband Verbraucher Initiative e.V., Aachen, Prof. Dr. Beda Stadler, Institut für Immunologie und Allergologie, Bern; Prof. Dr. Wolfgang Schumann, Institut für Genetik, Universität Bayreuth; Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Karlsruhe; Presseworkshop "Gesundheitliche Aspekte gentechnisch veränderter Nahrungsmittel - Chancen und Risiken", Frankfurt/M., 10. bis 11. Februar 1998, veranstaltet von Novartis Deutschland GmbH, Wehr; Monsanto Deutschland GmbH, Düsseldorf; Hoechst Schering AgrEvo GmbH, Frankfurt.

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