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Bundeswehr Koblenz: Latexallergie - Gibt es einen Ausweg?

Die rapide Zunahme von Überempfindlichkeitsreaktionen gegen Naturlatex ist eine der besorgniserregendsten allergologischen Entwicklungen der Gegenwart. Über Ursachen und Auswirkungen referierte Priv.-Doz. Dr. med. Angelika Heese am 30. April 1998 auf einer Fortbildungsveranstaltung im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Koblenz, zu der das Referat BA IV 2 in Zusammenarbeit mit der Beiersdorf AG eingeladen hatte.

Ursachen allergischer Reaktionen Naturlatex wird aus dem Milchsaft der in Malaysia und Indonesien angebauten, ca. 20 m hohen Kautschukbäume (Hevea brasiliensis, Euphorbiaceae) gewonnen. Zur Konservierung und Verhinderung der Koagulation wird die Latexmilch meist direkt nach der Gewinnung mit Ammoniak versetzt. Sie enthält mehr als 250 verschiedene Proteine, von denen ein Teil allergische Reaktionen auslösen kann. Dazu zählen der "Rubber Elongation Factor", ein Protein aus 137 Aminosäuren, sowie Hevein und Prohevein. Das Risiko einer Sensibilisierung gegen Latex steigt mit zunehmender Protein- bzw. Allergenkonzentration und ist abhängig von der Dauer und der Häufigkeit des Allergenkontakts. Die verstärkte Nachfrage und der Kostendruck führten in der Vergangenheit zu kostengünstigeren Produktionsverfahren, so daß minderwertigere Produkte mit höheren Proteinkonzentrationen auf den Markt kamen. Intoleranzreaktionen gegen Naturlatex können einerseits durch Allergien gegen bestimmte Inhaltsstoffe der Handschuhe und andererseits durch irritative Mechanismen hervorgerufen werden. Nicht-allergische Reaktionen sind
• nicht-immunologische Kontakturtikaria,
• physikalische Kontakturtikaria(Druck- und Schwitzurtikaria),
• kumulativ-subtoxisches Handekzem (z.B. durch Okklusionseffekte).

Soforttyp und Spättyp Bei den allergischen Reaktionen werden nach Coombs und Gell (1963) vier Reaktionsformen unterschieden, von denen hier nur zwei von Bedeutung sind, nämlich die Typ-I-Allergie oder Soforttyp-Allergie und die Typ-IV-Allergie oder Spättyp-Allergie. Typ-I-Allergien werden durch die Reaktion von IgE-Antikörpern mit wasserlöslichen Proteinen vermittelt, wobei die Symptome meistens innerhalb von 5 bis 30 Minuten auftreten. Sie zeigen sich in Form von Urtikaria, Quincke-Ödem, Rhinokonjunktivitis, allergischem Asthma bronchiale bis hin zum systemischen anaphylaktischen Schock. Todesfälle sind bekannt geworden. Typ-IV-Allergien sind das Ergebnis komplexer Interaktionen zwischen Allergen-präsentierenden Langerhans-Zellen, T-Lymphozyten und Histokompatibilitätsantigenen. Häufigste Auslöser gegen Naturlatex-Handschuhe sind die im Herstellungsprozeß eingesetzten und in Resten noch in den Handschuhen nachweisbaren Akzeleratoren. Die Spättyp-Reaktion ist gekennzeichnet durch ein Ekzem, das innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach dem Kontakt auftritt und einen anschwellenden Verlauf zeigt. Auch nach der Allergenentfernung kann die Beschwerdesymptomatik noch über einen Zeitraum von mehreren Tagen andauern. Die juckenden Erytheme, Papeln, Vesiculae und Schuppung treten lokal im Bereich der Handschuhe, aber auch als Streuphänomen über das eigentliche Kontaktareal des Allergens hinaus auf. Häufigkeit und Schweregrad insbesondere von Soforttyp-Allergien haben deutlich zugenommen. Ein Grund dafür ist das vermehrte und längere Tragen von Schutzhandschuhen als Folge der HIV-Infektionsgefahr. Man schätzt, daß bereits 10% aller Beschäftigten im Gesundheitswesen betroffen sind. Weitere Risikogruppen sind Patienten mit Spina bifida (36-65%), Atopiker, Patienten, die sich häufigen Operationen unterziehen müssen (Verwendung von Kathetern), und Patienten mit vorgeschädigter Haut (Handekzeme).

Gepuderte Handschuhe meiden! Medizinisch genutzte Latex-Einmalhandschuhe werden häufig mit Maisstärke gepudert, um ein Zusammenkleben zu verhindern und den Tragekomfort zu erhöhen. Ein Teil der Proteine wird jedoch bereits bei der Herstellung und beim späteren Gebrauch an das Puder gebunden und gelangt beim An- und Ausziehen der Handschuhe in die Raumluft. Dort verbleiben die außerordentlich leichten Stäube sehr lange in der Luft und werden in die tiefen Atemwege inhaliert. Bereits das Öffnen von Handschuhverpackungen im Operationssaal, auf den Krankenstationen oder in Handschuhfabriken kann rhinitische oder asthmatische Beschwerden verursachen. Gepuderte Handschuhe sind auch in Übereinstimmung mit den technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) heute nicht mehr tragbar. Die Bundeswehr hat frühzeitig reagiert und beschafft nur noch puderfreie Handschuhe. Diese werden einem besonderen Auswaschprozeß unterworfen, der per se zu einem niedrigen Proteingehalt führt. Gepuderte Handschuhe haben einen alkalischen pH-Wert, während ungepuderte einen leicht sauren pH-Wert (physiologischer Säuremantel der Haut) aufweisen. Leider sind ungepuderte Handschuhe aber auch deutlich teurer. Im Markt befinden sich auch latexfreie Handschuhe, die aber nicht in allen Fällen das latexhaltige Naturprodukt ersetzen können. Aus Studien von Frau Dr. Heese lassen sich drei wesentliche Kriterien für einen allergenarmen Latex-Handschuh ableiten:
• Allergenarme Latexhandschuhe sollen ungepudert sein.
• Die Konzentration extrahierbaren Latexproteins soll 30 mg/g Handschuh nicht übersteigen (modifizierte Lowry-Methode).
• Allergenarme Naturlatex-Handschuhe sollen thiuramfrei sein.

Kreuzreaktionen Patienten mit einer Latexallergie besitzen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten anaphylaktischer Reaktionen auf bestimmte Nahrungsmittel, vor allem Früchte wie Avocado, Banane, Kiwi, Eßkastanie, Pfirsich und andere (Kreuzreaktion). Ein besonders pikantes Beispiel für Kreuzreaktionen ist die "Lieblingspflanze" der Krankenhäuser, Ficus benjamini. Latexpräparate finden sich nicht nur weit verbreitet im medizinischen Bereich (z.B. Beatmungsmasken, Blutdruckmeßmanschetten, elastische Binden, Infusionsbestecke, Heftpflaster, Latexhandschuhe), sondern sie sind allgegenwärtig in Haushalt und Freizeit, wie - um nur einige wenige zu nennen - Autoreifen, BH, Schnuller, Elektrokabel, Gummierung von Briefmarken, Klebebänder, Kondome, Matratzen, Radiergummis, Tür- und Fensterdichtungen, Wärmflaschen.

Allergenkarenz Die einzige kausale Therapie einer Latexallergie ist die Allergenkarenz. Patienten mit Kontakturtikaria-Syndrom müssen den direkten Kontakt mit latexhaltigen Produkten meiden. Bei Patienten mit inhalativer Latexallergie ist das jedoch nicht ausreichend, da das in der Raumluft verbreitete Allergen Auslöser ist. Hier hilft nur ein innerbetrieblicher Arbeitswechsel oder eine Umschulung. Außerdem müssen auch alle latexhaltigen Artikel aus dem Haushalt entfernt werden. Voraussetzung ist natürlich eine entsprechende Deklaration. Vorschriften der FDA zur besonderen Kennzeichnung naturlatexhaltiger Produkte sind wegweisend.

Norm für Einmalhandschuhe Apotheker Volker Holle, Leiter des Wissenschaftlichen Referats "Professionelle Wundversorgung" der Beiersdorf AG, sprach über die "Qualitätsaspekte medizinischer Einmalhandschuhe". Produktanforderungen aus medizinischer Sicht sind die Infektionsverhinderung, die Verträglichkeit für Anwender und Patient und die Ergonomie. Einen europäischen Qualitätsstandard für medizinische Einmalhandschuhe stellt die vom Europäischen Normenausschuß CEN/TC 205 erarbeitete DIN EN 455 dar, ergänzt durch den Normen-Entwurf zur Biologischen Sicherheit von Einmalhandschuhen (Teil III). Sie beschreibt den aktuellen Stand der Technik und des Wissens, legt Produktanforderungen fest, die für Sicherheit und Funktion wesentlich sind, und berücksichtigt auch ökonomische Aspekte. Sie enthält jedoch keine Festlegung eines Proteinhöchstwertes oder eines Allergenwertes und kann daher für den Beschaffer von Einmalhandschuhen nicht die alleinige Grundlage sein. Dr. Hans-Dieter Evers

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