Arzneimittel und Therapie

Apoptose zur Krankheitsbekämpfung: Dem programmierten Zelltod auf der Spur

Zellen sterben oftmals durch Apoptose, den programmierten Zelltod. Die griechische Bezeichnung ist tiefsinnig, bedeutet sie doch "Blätter, die vom Baum fallen". Nach einem genau festgelegten Plan wird das Grün an einer Sollbruchstelle vom Ast abgeworden. Bei der Apoptose sind es Zellen, die nach einem festgelegten Schema regelrecht zum Selbstmord gezwungen werden.

Hinter dieser Vorgehensweise des Körpers steckt ein Sinn: Damit steht ihm ein Mittel zur Verfügung, übermäßiges Zellwachstum zu unterbinden. Durch Apoptose werden beispielsweise die T-Lymphozyten nach erfolgreich bekämpfter Krankheit zurück- oder Gliedmaßen beim embryonalen Wachstum ausgebildet. Fehlte einem vielzelligen Organismus die Möglichkeit, planmäßig den Untergang einzelner Zellen herbeizuführen, so liefe er Gefahr, nicht die rechte Form zu finden oder von Abwehr- oder Krebszellen überwuchert zu werden. Für die Forscher ist Apoptose jedoch aus einem ganz anderen Grund von immenser Bedeutung. Würde es gelingen, den Mechanismus zu entschlüsseln, mit dem der Körper Zellen dazu zwingt, sich umzubringen, so ließen sich nach diesem Vorbild auch Krankheiten bekämpfen. Ursprünglich wurde der programmierte Zelltod im Jahr 1842 von Carl Vogt entdeckt. Erst nach mehr als einhundertjährigem Dornröschenschlaf griffen die Forscher Kerr, Wyllie und Currie 1972 auf die Erkenntnisse Vogts zurück und prägten den Begriff Apoptose. Auch nach 25 Jahren intensiver Studien ist der Mechanismus, der die Apoptose in Gang setzt, noch in einigen Punkten ungeklärt.

Aktiver Prozeß Dank moderner Untersuchungsmethoden wissen die Forscher jedoch recht genau über den charakteristischen Verlauf des programmierten Zelltods Bescheid. Ist das Signal zum Selbstmord ergangen, so beginnen die Zellen zunächst wilde Bewegungen auszuführen. Anschließend schnüren sich kleine Bläschen ab und der Zellkern verklumpt und wird von sogenannten Freßzellen verschlungen werden. Die Zelle hat sich also praktisch ohne Entzündungen selbst aufgelöst. Der programmierte Zelltod ist ein aktiver, genetisch kontrollierter Prozeß. So bedient sich beispielsweise das Epstein-Barr-Virus, das an der Entstehung von Lymphknotenkrebs beteiligt ist, eines Tricks, seine Wirtszellen möglichst lange am Leben zu erhalten. Es verstärkt das zelluläre Überlebensgen bcl-2, das die Zelle vor Apoptose schützt, indem es mit anderen Proteinen in Wechselwirkung tritt.

Wichtiges Kontaktmolekül: das CD95-Protein Ein bedeutender Schritt, die Signalkaskade zu entschlüsseln, über die der Zelltod ausgelöst wird, war die Entdeckung des wohl wichtigsten Kontaktmoleküls, des CD95-Proteins. Es ragt durch die Zellmembran hindurch und wird in Alarm versetzt, sobald an seinem extrazellulären Teil - dem Rezeptor - ein Todesbote andockt, der sogenannte CD95-Ligand. Im intrazellularen Teil des CD95 befindet sich die "Todesdomäne". Wie bei vielen membrangebundenen Botenmolekülen rücken drei CD95-Strukturen nach der Aktivierung zusammen. Die drei sich nahegekommenen Todesdomänen führen Moleküle im Zellinneren an einem Komplex namens DISC (Death Inducing Signalling Complex) zusammen, welcher der Zelle den Todesstoß versetzt. Durch das umständlich anmutende Ausbilden der Dreiergruppe soll verhindert werden, daß eine Zelle irrtümlich getötet wird. Die durch CD95 zum Selbstmord aufgeforderten Zellen stellen dieses Signal im Anschluß selbst her. Als lösliches Protein ausgeschüttet oder auf der Membran der todgeweihten Zelle verankert, ist diese damit in der Lage, weitere Zellen in den Untergang zu ziehen, also Brudermord zu begehen.

Krankheiten durch "Fehlprogrammierung" Mittlerweile scheint es gesichert, daß viele Krankheiten auf einer "Fehlprogrammierung" des Zelltods beruhen. Viele dieser Programme beruhen jedoch wiederum auf der Funktionsweise der Rezeptoren und ihren Liganden, wie beim CD95-System. Beispielsweise zeigen grippeinfizierte HeLa-Zellen in der Zellkultur alle Anzeichen von Apoptose. Da die infizierten Zellen sowohl CD95 als auch den zugehörigen Liganden ausstoßen, liegt der Gedanke nahe, daß Apoptose stark an der Beseitigung des Infekts beteiligt ist. Diese Annahme wird durch die Erkenntnis unterstützt, daß auch T-Lymphozyten, durch Antigene als Soldaten der Immunabwehr aktiviert, CD95 und den zugehörigen Liganden produzieren. Das CD95-System ist also höchstwahrscheinlich maßgeblich an der Funktion des peripheren Immunsystems beteiligt. Zuviel Apoptose könnte das Immunsystem schwächen, da möglicherweise notwendige Lymphozyten oder wichtige Gedächtniszellen getötet würden. Zu wenig Apoptose könnte beispielsweise die Massenzunahme von Tumoren begünstigen. Durch das Wechselspiel von Apoptose - dem programmierten Zelltod - und Mitose - der planmäßigen Zellteilung - sollte das physiologisch wichtige Gleichgewicht im Immunsystem ausbalanciert bleiben. Das System CD95 reguliert möglicherweise Krankheiten oder begünstigt deren Ausbrechen, wenn das Selbstmord-Programm gestört ist. So gibt es Hinweise, daß bei alkoholbedingten Leberkrankheiten giftige Alkoholabbauprodukte die Apoptose mit CD95 anschalten - der Zellverfall setzt ein. Auch im Falle der HIV-Infektion ist die durch CD95 vermittelte Apoptose krankhaft gesteigert. Aber auch die Wirkung einiger Chemotherapeutika beruht auf CD95. Beispielsweise lösen Krebsmittel wie Doxorubicin oder Methotrexat in Leukämiezellen die Bildung des CD95-Liganden aus. Für therapeutische Zwecke ist es nun notwendig, Apoptose gezielt regulieren zu können, damit nur die kranken Zellen getötet werden.

Quelle Presseinformation von der Analytica 98, München, 21. bis 24. April 1998.

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