Ergebnis einer aktuellen Beobachtungsstudie

Die Pille und Depression – junge Frauen wohl besonders betroffen

Rosenheim - 07.07.2023, 09:15 Uhr

Wurde die Depression als Nebenwirkung der „Pille“ in manchen klinischen Studien unterschätzt? (Foto: nenetus / AdobeStock)

Wurde die Depression als Nebenwirkung der „Pille“ in manchen klinischen Studien unterschätzt? (Foto: nenetus / AdobeStock)


Frauen leiden innerhalb der ersten zwei Jahre nach Einnahmebeginn von oralen Kontrazeptiva häufiger an Depressionen als jene, die nie solche Hormonpräparate benutzt haben. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Beobachtungsstudie. Der Griff zu dieser Verhütungs­methode erhöht wohl auch das Lebenszeit­risiko für Depressionen – vor allem bei unter 20-Jährigen.

Ob orale Kontrazeptiva das Risiko für eine Depression erhöhen oder nicht, darüber herrscht Uneinigkeit in der Wissenschaft. Eine groß angelegte populationsbasierte Kohortenstudie scheint nun Licht ins Dunkel zu bringen: Sie nutzte Gesundheitsdaten von 264.557 Frauen der UK Biobank zwischen 2006 und 2010 und untersuchte zusätzlich 7354 Schwesternpaare [1]. Letztere untermauern die gefundenen Ergebnisse und legen einen kausalen Zusammenhang nahe. 80,6% der untersuchten Frauen haben je zu einer oralen Kontrazeption gegriffen. Mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,71 war die Einnahme in den ersten zwei Jahren häufiger mit dem Auftreten einer Depression assoziiert als bei Frauen, die diese nie angewandt haben. Sie litten also 1,71-mal häufiger an einer Depression. Die Ergebnisse decken sich mit den Ergebnissen einer dänischen Studie aus dem Jahr 2016, in der das höchste Risiko sechs Monate nach Einnahmebeginn identifiziert wurde und bei weiterer Einnahme abnahm [2]. 

Vor dem Hintergrund, dass einige Frauen besonders empfindlich auf Schwankungen der Hormon­konzentration und ihrer Metabolite reagieren, erscheint das plausibel. Die Fluktuationen könnten die GABAerge Regulation beeinflussen und so zu Symptomen führen.

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Überschritt die Einnahmedauer zwei Jahre, war die Risikoerhöhung zwar nicht mehr so stark ausgeprägt. Die Forscher der vorliegenden Studie stellten jedoch fest, dass Frauen, die orale Kontrazeptiva nutzten, insgesamt ein 5% höheres Lebenszeitrisiko für Depression aufweisen als Frauen, die diese nie eingenommen haben (HR = 1,05; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,01 bis 1,09). Auffällig ist, dass junge Frauen besonders gefährdet sind: Beginnen sie vor dem 20. Geburtstag mit der ­Einnahme einer oralen hormonellen Verhütung, steigt das Lebenszeitrisiko für eine Depression sogar um das 1,18-Fache (95%-KI = 1,12 bis 1,25) im Vergleich zu keiner Einnahme. 

Junge Frauen sind somit auch nach dem Absetzen stärker gefährdet, später im Leben an einer Depression zu erkranken. Möglicherweise könnte die Einnahme während sensibler Entwicklungs­phasen bei ihnen langanhaltende Veränderungen der Hirnstruktur hervorrufen. Bei Frauen über 20 Jahren konnten die Forscher zwei Jahre nach dem Absetzen hingegen keine Assoziation zu Depressionen feststellen.

Führt der Healthy-User-Bias zu widersprüchlichen Ergebnissen?

Bisherige Studien lieferten widersprüchliche Ergebnisse bezüglich Depressionen und oralen Kontrazep­tiva. Einige konstatierten sogar einen schützenden Effekt. Wie ist das möglich? Die Autoren der vorliegenden Studie vermuten, dass der sogenannte Healthy-User-Bias dahinterstecken könnte: Bemerken Anwenderinnen einen negativen Einfluss auf ihre Gefühlslage, brechen sie die Einnahme ab und werden in weiteren Studien nicht mehr berücksichtigt, da Depressionen mitunter sogar eine Kontra­indikation darstellen. Dies könnte zu einer Unterschätzung der Nebenwirkung in klinischen Studien führen. Gleiches gilt für Studien, die eine vorherige Einnahme oraler Kontrazeptiva nicht berücksichtigen.

Beobachtungsstudien haben ihren festen Platz in der Epidemiologie und sind für neue medizinische Erkenntnisse unentbehrlich. Allerdings sind vielfältige Verzerrungen möglich. In der vorliegenden Studie ermittelten die Wissenschaftler die Inzidenz von Depressionen durch Interviews sowie Gesundheitsdaten von Kliniken oder der Grundversorgung und nutzten für die Berechnung komplexe multivariable Methoden. Eine zusätzliche Zeit-abhängige Analyse erlaubte es, Unterschiede im Verlauf der Einnahme zu untersuchen. Allerdings differenzierten die Forscher nicht zwischen verschiedenen oralen Kontrazeptiva, sodass die Ergebnisse möglicherweise nicht auf alle heute verwendeten Präparate übertragbar sind. Nichtsdestotrotz sollten Arzt wie auch Patientin über das Risiko informiert sein und dies bei der Verordnung berücksichtigen.

Literatur

[1] Johansson T et al. Population-based cohort study of oral contraceptive use and risk of depression. Epidemiol and Psychiatr Sci 2023;32:e39, doi:10.1017/S2045796023000525

[2] Skovlund CW et al. Association of hormonal contraception with depression. JAMA Psychiatry 2016;73(11):1154-1162, doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.2387


Anna Carolin Antropov, Apothekerin
redaktion@daz.online


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