Risiken und Nebenwirkungen

Wenn Arzneimittel Depressionen auslösen 

Stuttgart - 26.06.2018, 15:45 Uhr

Es steht in der Fachinfo: Zu den häufigen unerwünschten Wirkungen der „Pille“ gehören depressive Verstimmungen und Stimmungsschwankungen. Welche Arzneimittel sind außerdem betroffen? (Foto: leszekglasner / stock.adobe.com)

Es steht in der Fachinfo: Zu den häufigen unerwünschten Wirkungen der „Pille“ gehören depressive Verstimmungen und Stimmungsschwankungen. Welche Arzneimittel sind außerdem betroffen? (Foto: leszekglasner / stock.adobe.com)


Ein Drittel der US-amerikanischen Erwachsenen könnte Arzneimittel einnehmen, die Depressionen auslösen können – ohne es zu wissen. Das titelte am 12. Juni 2018 die „University of Illionis at Chicago“. Sie nahm damit Bezug auf ihre Publikation im Fachjournal „JAMA“. Dort wurde die Frage gestellt, ob verschreibungspflichtige Arzneimittel, die potenziell Depressionen auslösen können, auch tatsächlich häufig zu Depressionen führen. DAZ.online hat sich dazu die deutschen Fachinfos angeschaut.

Der Spiegel titelte am 16. Juni 2018 „Wenn Pillen auf die Seele schlagen“ und kommt im Text zu einem prägnanten Fazit: „Eine junge Frau kämpft verzweifelt gegen ihre Schwermut, schluckt Antidepressiva, erforscht ihr Innerstes – und nimmt weiterhin die Pille. Das ist so, als würde man einen Patienten, der über ein Stechen im Fuß klagt, einfach operieren, ohne zuvor zu überprüfen, ob er vielleicht nur einen Stein im Schuh hat.“ Diese Metapher bringt den Sachverhalt um Arzneimittel, die Depressionen auslösen können, anschaulich auf den Punkt, lässt aber offen, ob der Stein im Schuh – also die Pille – letztlich das ursächliche Problem ist. Diese Frage bleibt auch für die Forscher von der University of Illinois at Chicago, Autoren der kürzlich im Journal JAMA erschienenen Studie zum Thema „Depression als potenzielle Arzneimittelnebenwirkung“, offen.

Mehr zum Thema

Studie zur Wirkung von HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren

Können Statine die Entwicklung von Depressionen verhindern?

Eine Botschaft, die die Universität in einer Pressemitteilung zur Studie aber verbreiten möchte, ist: Mehr als ein Drittel der US-Amerikaner (37,2 Prozent) könnten verschreibungspflichtige Arzneimittel einnehmen, die das Risiko einer Depression potenziell erhöhen. Dabei geht es um häufig eingesetzte Wirkstoffe, die auf den ersten Blick nicht mit Depressionen in Verbindung gebracht werden. Dadurch seien sich weder die Patienten, noch die Heilberufler der Risiken immer bewusst. 

Bevor die Wissenschaftler zu diesem Fazit kamen, hatten sie zwischen 2005 und 2014 retrospektiv das Nutzungsmuster von Arzneimitteln bei mehr als 26.000 US-amerikanischen Erwachsenen untersucht. Die Daten waren im Rahmen der „National Health and Nutrition Examination Survey“ (NHANES) gesammelt worden. Insgesamt berichteten 7,6 Prozent der Probanden von Depressionen.

Mehr als 200 häufig verordnete Arzneimittel betroffen

Mehr als 200 häufig verordnete Arzneimittel sind der Pressemitteilung zufolge mit Depression und Suizid als mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen in der Software Micromedex gelistet. Dazu gehörten beispielsweise hormonelle Verhütungsmittel, Blutdruck- und Herzmedikamente (z.B. Metoprolol, Atenolol), Protonenpumpeninhibitoren (z.B. Omeprazol), Antazida und Schmerzmittel (z.B. Hydrocodon).

In der JAMA-Studie selbst werden in der Einleitung einige Studien genannt, die bereits zuvor den Zusammenhang zwischen Arzneimittelklasse und Depression untersucht haben. Dabei sei die Interferon-alfa-Behandlung einer Hepatitis C einheitlich mit milden bis moderaten Formen der Depression in Zusammenhang gebracht worden – sie soll sich bei 45 bis 60 Prozent der Patienten entwickeln. Moderate bis schwere Depressionen entwickelten sich hingegen bei 15 bis 40 Prozent der Patienten unter Interferon-alfa-Behandlung. Eine entsprechende Warnung findet man auch in der deutschen Fachinformation. Dagegen sei die Evidenz bezüglich eines Zusammenhangs von ß-Blockern und Depression beziehungsweise Suizid weniger konsistent.

Insgesamt wurden fünf 2-Jahres-Zyklen (von 2005/2006 bis 2013/2014) der „National Health and Nutrition Examination Survey“ (NHANES) analysiert. Die Probanden waren im Mittel rund 46 Jahre alt, rund 51 Prozent waren Frauen.

Polypharmazie soll Depressionsrisiko erhöhen

Der Pressemitteilung zufolge sei die Studie die erste, die zeige, dass betreffende Arzneimittel oft gleichzeitig – also im Rahmen der Polypharmazie – zum Einsatz kommen und dass der kombinierte Einsatz die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Depression erhöhe.

Die Ergebnisse blieben den Forschern zufolge weiter bestehen, wenn sie Patienten aus der Auswertung ausschlossen, die mit Psychopharmaka behandelt wurden. Studienautor Dima Qato betrachtet das als wichtigste Schlussfolgerung der Studie: „Die Take-away-Message ist, dass Polypharmazie depressive Symptome hervorrufen kann und dass Patienten und Gesundheitsberufe sich des Depressionsrisikos bewusst sein müssen, das alle möglichen verschreibungspflichtigen Arzneimittel mit sich bringen – manche davon sind sogar ohne Rezept erhältlich.“

Ungefähr 15 Prozent der Erwachsenen, die in der Studie drei oder mehr entsprechende Arzneimittel gleichzeitig anwendeten, litten während der Einnahme an Depressionen. Dagegen litten nur rund 5 Prozent an Depressionen, wenn keines der entsprechenden Arzneimittel zum Einsatz kam, und 7 Prozent, wenn ein entsprechendes Arzneimittel angewendet wurde. Wurden zwei der entsprechenden Arzneimittel zusammen eingenommen, litten 9 Prozent unter Depressionen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.