Forschung im Mausmodell

Arzneimittel gegen Hepatitis D auch bei Paracetamol-Vergiftung wirksam?

Düsseldorf - 13.01.2023, 16:45 Uhr

Es wurde beobachtet, dass durch eine Paracetamol-Vergiftung eine Gallenstauung entstehen kann. Das könnte (nicht nur) ein Ansatz für die Therapie einer fortgeschrittenen Paracetamol-Vergiftung sein. (Foto: Nadzeya / AdobeStock)

Es wurde beobachtet, dass durch eine Paracetamol-Vergiftung eine Gallenstauung entstehen kann. Das könnte (nicht nur) ein Ansatz für die Therapie einer fortgeschrittenen Paracetamol-Vergiftung sein. (Foto: Nadzeya / AdobeStock)


Mit einem neu aufgelegten Forschungsprojekt untersuchen Forscher des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo), wie genau sich eine Vergiftung der Leber durch Paracetamol auswirkt und wie sich die schädigenden Auswirkungen durch Gabe von Arzneimitteln rechtzeitig vermindern lassen.

Paracetamol geht nicht nur in Deutschland oft über den HV-Tisch. Weltweit ist das Schmerzmittel (das in anderen Ländern auch unter dem Namen Acetaminophen bekannt ist) neben Acetylsalicylsäure und Ibuprofen eines der meistverkauften rezeptfreien Arzneimittel, mit steigender Absatztendenz.

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Der an sich unkomplizierte Wirkstoff N-Acetyl-4-aminophenol, den selbst Schwangere evidenzuntermauert recht problemlos einnehmen dürfen und der auch noch günstig in der Herstellung ist, hat nur einen wesentlichen großen Nachteil: von Laien nach dem Motto „viel hilft viel“ (oder in suizidaler Absicht) überdosiert, ist Paracetamol weltweit auch zweithäufigste Ursache für die Notwendigkeit einer Lebertransplantation. In den USA und Großbritannien gilt der Wirkstoff sogar als die häufigste Ursache für akutes Leberversagen. Denn Paracetamol vermag die Leber bei übermäßiger Dosierung nachhaltig und schwer zu schädigen. Erst im Jahr 2020 belegte eine Schweizer Studie, dass mit der freien Verfügbarkeit hoch dosierter Präparate (in der Schweiz gibt es auch 1000 Milligramm-Tabletten) auch die Zahl der Vergiftungen steigt.

Forschungsprojekt untersucht, wie genau Paracetamol die Leber schädigt 

Vielleicht aber sind Forscher des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) bereits auf der Spur, die Leberschädigung im Falle einer Paracetamol-Vergiftung aufhalten zu können, bevor nur noch eine Lebertransplantation die Betroffenen retten kann. In einem jetzt neu aufgelegten, von der DFG (Deutschen Forschungsgemeinschaft) geförderten, Forschungsprojekt untersuchen die Dortmunder zum einen, wie genau das Schmerzmittel die Leber schädigt und zum anderen, ob und wie die Schädigung mit anderen Arzneimitteln aufgehalten und reduziert werden kann.

Bereits in mehreren Arbeiten hatten die Wissenschaftler in der Vergangenheit unter anderem einen bislang unbekannten Pathomechanismus der Lebervergiftung durch Paracetamol beschrieben. So beobachteten die Forscher, dass nach der Verabreichung einer für die Leber giftigen Dosis Paracetamol an Mäusen, es nach zwei bis sechs Stunden zu einem vorübergehenden Stillstand des Gallenflusses mit erhöhter Konzentration an Gallensäure im Blut und Lebergewebe kommt (einer sogenannten Cholestase). Diese starke Zunahme der Gallensäurekonzentration in den Leberzellen führe dann zu deren Zelltod, sagen die Forscher.

Mit „Intravitalimaging“ in die lebende Leber hineinfilmen

„Beobachten“ ist dabei im wortwörtlichen Sinne richtig: „Wir haben Techniken entwickelt, mit denen man in intakte Lebern bei sehr guter Auflösung quasi hineinfilmen kann“, erklären der Mediziner Professor Dr. Jan Hengstler, Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie am IfADo und Dr. Ahmed Ghallab, Gruppenleiter des Bereichs IntravitalTox am Institut. IntravitalTox steht dabei für „die Beobachtung toxischer Mechanismen auf zellulärer und subzellulärer Ebene durch Intravitalimaging“. Intravitalimaging bezeichnet dabei Methoden, Mikroskopie am lebenden Organismus durchzuführen.

„Es ist auch möglich, zu beobachten, welchen Weg bestimmte Substanzen einschlagen. So haben wir beobachtet, dass Gallensäuren nach Paracetamol-Vergiftung nicht wie üblich von den Leberzellen in ein System aus kleinen Kanälchen gepumpt werden, von wo aus sie dann in den Darm gelangen – wo sie für die Verdauung von Nahrungsbestandteilen benötigt werden. Stattdessen werden die Kanälchen durch die Überdosis des Paracetamols undicht und die Gallensäuren gelangen durch die Lecks in die Blutkapillaren der Leber.

Interessant ist, dass die Gallensäuren nicht einfach mit dem Blut weiterfließen, sondern überwiegend von den angrenzenden Leberzellen wieder aufgenommen werden. Von dort werden sie wieder in die Gallenkanälchen gepumpt und lecken wieder ins Blut: So entsteht ein ‚Kreisen‘ (‚futile cycling‘) von Gallensäuren, das zu erhöhten Gallensäurenkonzentrationen in Leberzellen und schließlich zu deren Zelltod führt. Die neuen Techniken der funktionellen Bildgebung haben diese Beobachtung erst möglich gemacht“, sagen die Forscher.

Wie ein Arzneimittel gegen Hepatitis D helfen könnte

Bei ihren bisherigen Arbeiten konnten die Wissenschaftler auch beobachten, dass der Wirkstoff Myrcludex B in der Lage war, sowohl die Anreicherung der Gallensäuren, als auch die Schädigungen der Leber zu reduzieren. Dabei wirkt Myrcludex B nicht wie das gängige Antidot N-Acetylcystein gegen den Wirkstoff Paracetamol und seine Metabolite. Myrcludex B hemmt vielmehr die Aufnahme der Gallensäuren in die Leberzellen. „Myrcludex B ist ein Peptid, das aus 47 Aminosäuren besteht. Es blockiert eine molekulare Pumpe, durch welche Gallensäuren in die Leberzellen aufgenommen werden“, erklärt Hengstler.

Wie wirkt N-Acetylcystein als Antidot?

Laut ABDA-Datenbank entsteht bei der Metabolisierung von Paracetamol in geringem Maße der hepatotoxische Metabolit NAPQI (n-acetyl-p-benzo-quinone-imine): „Acetylcystein wird von den Hepatozyten umgehend zur Glutathionsynthese genutzt. Damit kann der bei Paracetamol-Intoxikation entstehende hepatotoxische Paracetamolmetabolit entgiftet werden und ein Angriff auf das Leberparenchym durch diesen Metaboliten bleibt aus.“ 

Acetylcystein soll zudem auch noch wirksam sein, wenn mit der Behandlung erst zwölf Stunden nach der Paracetamolvergiftung begonnen wird – Patient:innen profitieren jedoch innerhalb der ersten acht bis zehn Stunden besonders von der Behandlung. Nach zwölf Stunden soll der Hauptanteil des Paracetamols als reaktiver Metabolit vorliegen und Acetylcystein dann vermutlich über die Reduktion der oxidierten Thiolgruppen der Schlüsselenzyme wirken

Nach 24 Stunden könnte Acetylcystein noch durch Verbesserung der systemischen Hämodynamik und des Sauerstofftransports hilfreich sein, heißt es.

Außerdem steht in der ABDA-Datenbank: „Neben diesem Hauptmechanismus der Antidotwirkung von Acetylcystein werden noch weitere Mechanismen für die Antidoteigenschaften verantwortlich gemacht. Hierzu zählt insbesondere die direkte Wirkung des Acetylcystein auf den reaktiven Paracetamolmetaboliten. Dieser wird durch Acetylcystein teils reduziert, teils gebunden und so entgiftet. Auf diese Weise kommt es zu einem 'Spareffekt' gegenüber Glutathion. 

Zusätzlich erhöht Acetylcystein die Verfügbarkeit des aktiven Sulfats, das als limitierende Substanz für einen weiteren wichtigen Entgiftungsweg, die Sulfatkonjugation, angesehen wird. 

Darüber hinaus wirkt das deacetylierte Acetylcystein als Enzyminhibitor von Cytochrom P-450, einem Enzym, das zur Bildung des toxischen Metaboliten notwendig ist.“ (dm)

[Quelle: Fertigarzneimitteltext der ABDA von Fluimucil Antidot 20% Konz.z.Herst.e.Infusionslsg.]

Myrcludex B ist auch unter dem Namen Bulevirtid bekannt und als „Hepcludex“ zur Behandlung von Hepatitis D-Infektionen als Arzneimittel zugelassen. Der Wirkstoff hemmt spezifisch das Natriumtaurocholat-co-transportierende Polypeptid (NTCP), welches auch Rezeptor für den Eintritt von Hepatitis-B- und D-Viren ist, aber eben auch Gallensäuren transportiert. Die damit erhöhte Konzentration von Gallensalzen im Blut gehört zu den an sich unerwünschten Wirkungen – die im Falle einer Paracetamol-Vergiftung aber eine möglicherweise durchaus erwünschte Wirkung darstellen könnte.

Andere Wirkstoffe, die dieser Vergiftung auf dieser Wirkebene entgegenwirken könnten, sind noch nicht bekannt. „Zurzeit gibt es noch keine Alternativen. Die Handhabung von therapeutischen Peptiden ist aber relativ aufwändig. Daher werden aktuell kleinmolekulare Medikamente entwickelt, welche ähnlich wirken sollen. Diese befinden sich jedoch noch in Erprobung“, erklären Hengstler und Ghallab.

Paracetamol-Vergiftung wäre nicht der einzige Anwendungsbereich

In dem Forschungsprojekt wollen die Wissenschaftler zum einen erforschen, welche Mechanismen der vorübergehenden Gallenstauung noch genau zur Leberschädigung beitragen und an welcher Stelle des Gallenflusses Paracetamol diese Stauung verursacht. Auf der anderen Seite untersuchen sie die therapeutisch sinnvolle Wirkung von Bulevirtid, wie weit es die Folgen einer Paracetamol-Vergiftung reduzieren kann und zu welchem Zeitpunkt nach Vergiftung eine Verabreichung sinnvoll ist. Abschließend wollen die Forscher prüfen, ob sich die in Mäusen beobachteten Mechanismen auch auf den Menschen übertragen lassen.

Die Paracetamol-Vergiftung ist dabei zwar ein nicht zu unterschätzender möglicher zukünftiger Anwendungsbereich – die Ergebnisse würden sich aber sicherlich auch auf andere sogenannte cholestatische Erkrankungen übertragen lassen. „Daran forschen wir zurzeit“, sagen Hengstler und Ghallab. „Auch wenn die Paracetamol-Vergiftung relativ häufig und sicher von klinischer Relevanz für viele Betroffene ist, dient sie uns eher als Modell für bestimmte Leberfunktionsstörungen. Mit ähnlichen Prinzipien – der Hemmung von molekularen Pumpen für Gallensäuren – kann man auch bei bestimmten cholestatischen Lebererkrankungen helfen. Doch das erforschen wir zurzeit erst in der Zellkultur und in Mäusen.“

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Die Förderung des Forschungsvorhabens ist zunächst auf drei Jahre angelegt. Bis zu möglichen Therapien dürfte aber noch einige Zeit vergehen. „Wir müssen erst in weiteren Patienten untersuchen, in welchem Zeitraum und mit welcher Intensität das ‚Leck‘ der Gallenkanälchen auftritt. Zusammen mit unseren Partnern entwickeln wir hierzu eine klinische Studie. Bis die Ergebnisse vorliegen, dürften noch drei bis vier Jahre vergehen“, sagen die Wissenschaftler.


Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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