Arzneimittel und Therapie

Vorsicht bei hochdosiertem Paracetamol

Mehr unbeabsichtigte Vergiftungen durch 1000-mg-Tabletten in der Schweiz

Seit 2003 sind in der Schweiz Paracetamol-Tabletten mit einer Dosis von 1000 mg zugelassen. Sie sind im Gegensatz zu den 500-mg-Tabletten zwar rezeptpflichtig, werden jedoch häufiger verschrieben. Eine Überschreitung der Tageshöchst­dosis und eine daraus entstehende Intoxikation kommen mit den hochdosierten Tabletten immer häufiger vor. Forschende der ETH Zürich zeigten nun einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Paracetamol-Vergiftungen und den hochdosierten Tabletten.

Das analgetisch und antipyretisch wirkende Paracetamol gehört nicht zuletzt wegen seiner geringen Nebenwirkungen zu den weltweit am häufigsten verwendeten Schmerzmitteln. Der Wirkstoff gilt als sehr sicher und ist magenfreundlicher als andere schmerzstillende Wirkstoffe wie Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen. Eine Überdosierung mit Paracetamol kann jedoch stark hepatotoxisch wirken und lebensbedroh­liche Folgen haben. Die tägliche Höchstdosis bei Erwachsenen liegt bei 4000 mg bzw. 75 mg/kg Körpergewicht. 10.000 mg des Wirkstoffes können bei Erwachsenen tödliche Leberschädigungen verursachen. In der EU und den USA sind Paracetamol-Vergiftungen die häufigste Ursache für eine Leberinsuffizienz [1]. In vielen Ländern wurde die Verfügbarkeit von Paracetamol daher bereits stärker reguliert: In Deutschland sind 10-g-Packungen (mit 20 Tabletten je 500 mg oder 10 Tabletten je 1000 mg) frei verkäuflich. Größere Verpackungseinheiten sind seit 2009 verschreibungspflichtig, um einem Missbrauch vorzubeugen. Da Paracetamol auch Bestandteil vieler Kombinationspräparate ist, besteht besonders hier die Gefahr einer Überdosierung, da vielen Patienten die Zusammensetzung eines Präparats oft nicht bewusst ist. Als Maßnahme hat die FDA deshalb 2014 in den USA erlassen, dass Paracetamol nur noch in einer Konzentration von 325 mg pro Tablette Bestandteil eines Kombinationspräparats sein darf. Im Gegensatz dazu steht, dass Paracetamol in vielen Ländern der EU und auch den USA in Supermärkten frei erhältlich ist.

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Bei einer Überdosierung mit Paracetamol kann der Körper das toxische ­Zwischenprodukt N-Acetyl-p-benzoquinoline nicht mehr abbauen, sodass Zellen der Leber angegriffen werden und es zu einer Nekrose und Insuffizienz kommen kann.

40% mehr Vergiftungen

In der Schweiz ist die Abgabe der verschreibungspflichtigen 1000-mg-­Tablette seit deren Markteinführung 2003 stark gestiegen. Bereits zwei Jahre nach Einführung übertrafen die Verkäufe der 1000-mg-Tabletten die der 500-mg-Tabletten. 2012 wurden 20,7 Millionen 1000-mg-Tabletten verkauft, hingegen jedoch nur 2,7 Millionen 500-mg-Tabletten. Da gleichzeitig auch die jährlichen Vergiftungsfälle zunehmen, hat sich eine Forschungsgruppe der ETH Zürich die Daten zu den Vergiftungsfällen näher angeschaut: In einer Querschnittsstudie haben sie den Zusammenhang zwischen registrierten Paracetamol-Vergiftungen und Paracetamol-Verkäufen untersucht [2]. Die Daten dazu wurden vom nationalen Giftinformationszentrum Tox Info Suisse, welches bei Vergiftungen telefonisch beratend tätig ist, zur Verfügung gestellt. Zur Kontrolle werteten die Forscher die gemeldeten Vergiftungsfälle mit Ibuprofen aus, da es ein ähnliches Indikationsspektrum aufweist, auch als OTC und verschreibungspflichtige Packung im Handel ist und während des Untersuchungszeitraums keine Änderungen in den Empfehlungen erfahren hat. Insgesamt wurden 15.790 Vergiftungsfälle mit Paracetamol analysiert, die in der Zeit zwischen Januar 2000 und Dezember 2018 aufgetreten waren. Mehr als die Hälfte (67,3%) der Vergiftungsfälle betraf dabei Frauen; das Durchschnittsalter betrug 25,2 Jahre. Die Analyse der Daten zeigt einen Anstieg von 40% in den ersten Jahren nach der Markteinführung der hochdosierten Tabletten. Im Jahre 2005 wurden 561 Fälle vermerkt, im Jahr 2008 waren es 786 Fälle und 1188 Fälle im Jahr 2018. Dabei haben die Wissenschaftler noch zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Vergiftungen unterschieden. Bei Letzteren konnte ein signifikanter Anstieg gezeigt werden, nicht jedoch bei den Vergiftungen mit suizidaler Intention. Bei Vergiftungen mit einer Dosis über 10.000 mg gaben 244 Personen an, die hochdosierten Tabletten eingenommen zu haben, 91 Personen gaben an, die 500-mg-Tabletten eingenommen zu haben.

Strengere Regulation wird gefordert

Die Forschungsgruppe um Prof. Burden plädiert in ihrer Arbeit für eine strengere Regulierung der Verfügbarkeit von 1000-mg-Tabletten, um so weiteren Paracetamol-Vergiftungen entgegenzuwirken. Im August 2020 veröffentlichte das britische National Institute for Health and Care Excellence (vergleichbar mit dem deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) einen aktuellen Entwurf zu Handlungsanweisungen für die Therapie von chronischen Schmerzen – Paracetamol wird hierin aufgrund der niedrigen Evidenz bei chronischen Schmerzen und einem ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht mehr aufgeführt [3]. |

Literatur

[1] Yoon E, Babar A, Choudhary M, Kutner M, Pyrsopoulos N. Acetaminophen-Induced Hepatotoxicity: a Comprehensive Update. J Clin Transl Hepatol 2016;4(2):131-142

[2] Martinez-De la Torre A, Weiler S et al. National Poison Center Calls Before vs After Availability of High-Dose Acetaminophen (Paracetamol) Tablets in Switzerland. ­JAMA Netw Open 2020;3(10)

[3] Chronic pain in over 16s: assessment and 4management, Richtlinie des NICE, August 2020, www.nice.org.uk/guidance/gid-ng10069/documents/draft-guideline

Laura Kneller, MSc

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