Ein Jahr Hämophilieversorgung in Apotheken

Hämophilieversorgung – wie klappt es in der Apotheke?

Stuttgart - 01.09.2021, 07:00 Uhr

DAZ.online hat mit Apotheker Nico Kraft gesprochen, wie die Versorgung von Hämophiliepatienten in der Apotheke klappt. (s / Foto: ChristArt / AdobeStock)

DAZ.online hat mit Apotheker Nico Kraft gesprochen, wie die Versorgung von Hämophiliepatienten in der Apotheke klappt. (s / Foto: ChristArt / AdobeStock)


Seit September 2020 läuft die Arzneimittelversorgung von Hämophiliepatienten über Apotheken. Welchen Herausforderungen müssen sich Apotheken seither stellen, wo stolpern die Apotheken am häufigsten? Deckt eine Versicherung Verluste bei den hochpreisigen Arzneimitteln ab? Was tun bei einem Notfall? Die DAZ hat mit Apotheker Nico Kraft, Eigentümer der Süd-Apotheke in Frankfurt am Main, gesprochen. Wie sieht seine Zwischenbilanz aus?

DAZ: Wie gut klappt die Hämophilieversorgung über die Apotheke seit September 2020?

Nico Kraft: Bei mir persönlich klappt die Versorgung der Patienten mit Hämophilie tatsächlich richtig gut: Die Ärzte sind sehr aufgeschlossen und die Patienten äußerst dankbar. Ich weiß aber von Kollegen und Kolleginnen aus anderen Regionen, bei denen Hämophilierezepte nicht unbedingt in der Apotheke ankommen. Manche Zentren tun sich offenbar schwer, ‚loszulassen‘ und haben eigene Sonderlösungen gefunden – wie Selektivverträge mit Krankenkassen –, sodass dort auch weiterhin ein Großteil der Patienten über Hämophiliezentren versorgt wird. Seit die Preise für Hämophiliepräparate allerdings extrem gefallen sind – teilweise um 40 Prozent bis Anfang Mai –, scheinen jedoch auch im direkten Umkreis dieser zentrumsgebundenen Lösungen öfter einmal Rezepte die Apotheken zu erreichen.

Nico Kraft ist Apotheker, er studierte von 2001 bis 2006 in Freiburg Pharmazie. Seit 2019 leitet er die Süd-Apotheke in Frankfurt am Main und hat sich vor allem auf die Versorgung von Patienten mit HIV, Hepatitis, Hämophilie und von Palliativpatienten spezialisiert. Zudem zählen Homecare und Sterilherstellung zu den Schwerpunkten der Süd-Apotheke. Vor seiner Selbstständigkeit war Nico Kraft Produkt und Sales Manager HIV und Men´s Health bei Hormosan Pharma und Leiter HIV Team Birkenapotheke Köln. Er ist engagiert sich außerdem als Vorstandsmitglied und Schriftführer im Verband der Hämophilie Apotheken (VHA). 

Welche Herausforderungen sind mit der Versorgung für die Apotheker gekommen?

Bei nicht spezialisierten Apotheken dürften die größten Probleme die Beschaffung der Arzneimittel, deren Vorfinanzierung und die Besonderheiten bei der Zusammenstellung – also der Stückelung – der Präparate sein. Ein großer Pferdefuß ist, dass – um beim letzten Punkt der Stückelung zu bleiben –, Hemlibra® anders zur Normgröße gebündelt wird als die übrigen Hämophiliepräparate.

Wie werden Hemlibra und andere Hämophiliepräparate gestückelt?

Für Hemlibra® gelten andere Normbereiche als für Präparate mit Blutgerinnungsfaktoren.

Blutgerinnungsfaktoren:
N1: 1 Stück – N2: 5 bis 6 Stück – N3: 29 bis 30 Stück

Hemlibra (Emicizumab):

N1: 2 Stück – N2: 4 Stück – N3: 11 bis 12 Stück

Und wenn ein Notfall auftritt – was sind klassische und schwierige Situationen in der Hämophilieversorgung?

Was wir am häufigsten beobachten, ist, dass Patienten ihre Arzneimittel ausgehen und ihre Therapie gefährdet ist – unter Umständen auch, weil bei unerfahreneren Apotheken die benötigten Präparate nicht rechtzeitig geliefert wurden. Hier ist wichtig zu wissen: Auch ein vollsortierter Großhändler hat, wenn überhaupt, nur sehr wenige Hämophiliepräparate vorrätig. Wir beziehen die Ware folglich über spezialisierte Großhändler oder direkt vom Hersteller, was bis zu zwei Tage dauern kann. Diese Notfälle passieren gar nicht mal so selten: Im Mittel erreichen den Verband der Hämophile-Apotheken ein bis zwei Anrufe pro Woche. Dadurch dass wir jedoch ein weites Netz mit Notfalldepots aufgespannt haben und die Notfall-Hotline des Verbands 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche erreichbar ist, können wir auch diesen Akutversorgungen gut begegnen.

Hemlibra® erleichtert seit Februar 2018 die Therapie von Patienten mit Hämophile A (VIII-Mangel): Im Gegensatz zu Faktorpräparaten, die täglich bis wöchentlich intravenös appliziert werden müssen, kann Hemlibra® subcutan verabreicht werden. Zudem genügt eine wöchentliche, in der Erhaltungstherapie sogar nur zwei- oder vierwöchentliche, Gabe. Merken Sie, dass die Patientenzahlen steigen, die von Faktorpräparaten auf Hemlibra® wechseln oder auch direkt auf Hemlibra® eingestellt werden?

Diesen ‚Shift‘ spüren wir durchaus: Hemlibra® nimmt in der Verordnungshäufigkeit tatsächlich zu, zumindest in meiner Apotheke. Und die Patienten berichten durchaus Positives über ihre nun erleichterte Therapie, insbesondere auch Eltern von Kindern mit Hämophilie, für die es doch auch sehr belastend ist, wenn sie ihr Kind regelmäßig injizieren müssen. Und sie sind in der Tat froh, dass dies mit Hemlibra® nicht mehr täglich erforderlich ist.

Wie verhalten sich die Krankenkassen bei Retaxationen?

Wie sieht es mit Retaxationen aus – die können ja durchaus bitter sein. Gebaren sich die Krankenkassen bei dieser spezialisierten Versorgung kooperativ?

Ich habe tatsächlich noch keine Retaxation bei Hämophilierezepten erlebt. Wir arbeiten in der Süd-Apotheke bei der Kontrolle der Verordnungen nach dem 4-Augen-Prinzip und lassen uns dabei auch noch elektronisch unterstützen. Auch habe ich bislang von keinem Kollegen gehört, der retaxiert worden ist. Allerdings ist es für Aussagen dazu auch noch zu früh: Die Versorgung läuft erst seit September des letzten Jahres über die öffentlichen Apotheken, und Retaxationen können seitens der Krankenkassen bekanntermaßen auch ein Jahr später noch ausgesprochen werden. Ich hoffe aber das gerade bei solch hochpreisigen Rezepten die Kostenträger mit einem gewissen Augenmaß vorgehen, da mit einer Nullretaxtation jede Apotheke in eine wirtschaftliche Schieflage gerät.

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Nun sind Arzneimittel zur Hämophilieversorgung eher teure Arzneimittel und den Hochpreisern zuzuordnen. Das günstigste Fläschchen Hemlibra® liegt bei knapp 2.000. Euro im Einkaufspreis – und spezialisierte Apotheken haben sicher nicht nur ein Fläschchen Hemlibra® an Lager. Was macht man denn, wenn solche Arzneimittel verfallen?

In diese Bredouille bin ich glücklicherweise noch nicht gekommen. Wir arbeiten jedoch eng mit den Herstellern zusammen und versuchen uns hier gegenseitig zu unterstützen: Die Ware ist extrem aufwendig und teuer in der Produktion, und auch dem Hersteller liegt viel daran, dass seine Hämophiliepräparate vor Verfall den Patienten erreichen.

Gibt es keine Versicherung, die diese finanziellen Risiken – bei Verfall beispielsweise – abdeckt?

Versicherungen gibt es durchaus, allerdings sind die Policen derart hoch, dass die Kosten der Versicherung den Ertrag von 3 Prozent nach Arzneimittelpreisverordnung der Hämophiliepräparate bei Weitem übersteigen und somit diese Option nicht wirklich attraktiv ist.

Nun ist die Abrechnung mit der GKV klar, doch wie läuft es bei Privatpatienten? Müssen diese das Geld für die teuren Arzneimittel erst einmal vorstrecken?

Die Bezahlung bei Privatrezepten läuft ganz unterschiedlich. Teils lösen wir dies über eine Direktabrechnung mit den Krankenkassen, doch unterstützt nicht jede Private Krankenversicherung dieses System. Dann können die Patienten auch eine Rechnung von der Apotheke erhalten mit einem Zahlungsziel von vier bis sechs Wochen, sodass sie in dieser Zeit die Erstattung seitens der Kasse regeln und verbuchen können. Hierbei ist sicher einiges an Vertrauen und Kontrolle nötig, damit das Risiko des Ausfalls minimiert werden kann.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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