Arzneimittel und Therapie

Hämophilie-Produkte in der Apotheke

Was man bei Abgabe der Gerinnungspräparate beachten muss

cel | Apotheken dürfen seit genau einem Jahr Rezepte über Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie beliefern. Nicht nur für Patienten hat sich folglich der Vertriebsweg geändert, auch die meisten Apotheken betraten mit den Hämophilie-Arzneimitteln Neuland. Wir haben die wichtigsten Punkte der Rezeptbelieferung von Hämophilie-Produkten für Sie zusammengefasst.
Foto: jfunk/AdobeStock

Seit einem Jahr dürfen Apotheken Hämophilie-Produkte vertreiben.

Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vom August 2019 hat die Versorgung von Hämophilie-Patienten verändert: Sie erhalten – nach einer einjährigen Übergangsfrist – seit dem 1. September 2020 ihre Arzneimittel über die Apotheke. Zuvor waren sie auf spezielle Hämophiliezentren angewiesen, und Apotheken im Gegenzug von der Versorgung von Hämophilie-Patienten ausgenommen. Stattdessen lieferten die Hersteller von Hämophilie-Präparaten diese direkt an spezialisierte Zentren, und die Patienten erhielten ihre Arzneimittel sodann direkt vom Arzt. Mit Hemlibra® (Emicizumab) kam jedoch ein Antikörper auf den Markt, der diesem Direktvertrieb nicht unterstellt war. Um weiterhin einen einheitlichen Vertriebsweg zu garantieren, entschied man sich mit dem GSAV, dass Apotheken die Arzneimittelversorgung mit Hämophiliepräparaten fortan stemmen sollten. Allerdings halten Hämophiliezentren auch weiterhin ein Notfalldepot, um im Akutfall Patienten helfen zu können.

Hämophilie A vs. Hämophilie B

80% der Hämophilie-Patienten leiden an einem Faktor-VIII-Mangel (Hämophilie A) und erhalten daher im Rahmen einer Langzeitprophylaxe regelmäßig (individuell täglich bis wöchentlich) intravenös Faktor-VIII-Gerinnungskonzentrate. Seit Februar 2018 vereinfacht Emicizumab (Hemlibra®, Roche, s. Kasten) die Langzeitprophylaxe bei Hämophilie-A-Patienten – durch seltenere Applikationen (wöchentlich, in der Erhaltungstherapie zweiwöchentlich oder vierwöchentlich), subkutane Gaben und einer Wirksamkeit auch trotz bereits gebildeter Hemmkörper gegen Faktor VIII. Leidet der Patient an einem Faktor IX-Mangel (Hämophilie B) sind Faktor-IX-Gerinnungskonzentrate mit längerer Halbwertszeit von zwei bis drei Wochen verfügbar. Die Gabe erfolgt ­intravenös.

Vereinfachte Therapie dank Hemlibra®

Emicizumab ist zugelassen zur Routineprophylaxe von Blutungsereignissen bei Patienten mit

  • Hämophilie A (hereditärer Faktor-VIII-Mangel) mit Faktor-VIII-Hemmkörpern
  • schwerer Hämophilie A (hereditärer Faktor-VIII-Mangel, FVIII < 1 Prozent) ohne Faktor-VIII-Hemmkörper.

Der Antikörper darf in jedem Alter angewendet werden. Emicizumab ist ein rekombinanter, humanisierter Antikörper mit biphasischer Antikörperstruktur. Er übernimmt die Funktion des fehlenden Faktors VIIIa: Emicizumab verbindet Faktor IXa und Faktor X. In der Folge aktiviert der nun selbst aktivierte Faktor X (Xa) Prothrombin zu Thrombin, das wiederum die Fibrin­bildung (aus Fibrinogen) bewirkt. Ein großer Vorteil von Emicizumab ist, dass der Antikörper keine strukturelle Ähnlichkeit zu Faktor VIII besitzt und somit laut Roche keine „direkten Hemmkörper gegen Faktor VIII auslöst“ oder verstärkt. Auch funktioniert Emicizumab selbst dann noch, sollte der Hämophilie A-Patient bereits Hemmkörper gegen Faktor VIII entwickelt haben. Punkten kann Emicizumab auch durch eine lange Halbwertszeit – was größerer Applikationsintervalle erlaubt (wöchentlich, in der Erhaltungstherapie zwei- oder vierwöchentlich) – und durch eine subkutane Gabe (statt intravenöser bei Faktorpräparaten).

Besondere Rezeptbelieferung

Häufig sind Hämophilie-Arzneimittel allerdings lediglich in kleinen Packungsgrößen auf dem Markt – die Patienten müssten folglich teils horrende Zuzahlungen für benötigte Dosen leisten, würde für diese Präparate dasselbe gelten wie für „normale“ Arzneimittel. Diesem Umstand wurde jedoch in § 3 der Packungsgrößenverordnung Rechnung getragen: Hämophilie-­Arzneimittel dürfen demzufolge fiktiv „zusammengestellt“ werden, und die Abgabe mehrerer Packungen gilt als Einzelpackung – somit fällt auch nur einmal die Zuzahlung an. Dafür wurden eigens Normgrößenbereiche definiert. CAVE: Für Faktorpräparate gelten andere Normbereiche! (s. Kasten „Wie werden Hemlibra® und andere Hämophiliepräparate gestückelt?“)

Wie werden Hemlibra® und andere Hämophiliepräparate gestückelt?

CAVE: Für Hemlibra® gelten andere Normbereiche als für Präparate mit Blutgerinnungsfaktoren.

Blutgerinnungsfaktoren:

  • N1: 1 Stück
    N2: 5 bis 6 Stück
    N3: 29 bis 30 Stück

Hemlibra® (Emicizumab):

  • N1: 2 Stück
    N2: 4 Stück
    N3: 11 bis 12 Stück

Verordnet der Arzt folglich Hemlibra® einmal mit zwölf Stück und zweimal mit vier Stück, werden zwölf Fläschchen zu N3 zusammengefasst und je vier zu N2: Der Patient zahlt 3 × 10 Euro – statt 200 Euro (10 Euro pro Fläschchen bei 20 Stück). Dabei dürfen nur gleiche Wirkstärken zusammengestellt werden. Die Apotheke bedruckt die Verordnung mit den tatsächlich abgegebenen Packungen, allerdings muss beim Zusammenstellen die Zuzahlung des Patienten angepasst werden. Liegt ein Rabattvertrag ohne Zuzahlung vor oder der Patient ist zuzahlungsbefreit, entfällt das Zusammenstellen der Hämophiliepräparate ohnehin.

Genügt eine reine N-Verordnung?

Darf eine Apotheke denn eine Verordnung über Hemlibra® beliefern, wenn der Arzt ausschließlich eine Normgröße (ohne exakte Fläschchenzahl) verordnet hat? Das DeutscheApothekenPortal (DAP) hat diese Frage in seinem „FAQ: Hämophilie“ bereits beantwortet: Dem DAP zufolge ist wichtig, dass Arzneimittel und Menge eindeutig verordnet sind, denn: „Eine reine Normgrößenverordnung kann bei einer nicht existierenden ‚realen‘ Packung gemäß § 8 Abs. 3 Satz 4 Rahmenvertrag als ‚nicht eindeutig bestimmtes Arzneimittel‘ ausgelegt ­werden“, bedenkt das DAP. In diesen Fällen fordert der Rahmenvertrag Rücksprache mit dem Arzt, das Ergebnis müssen Apotheker mit Datum Unterschrift auf dem Rezept dokumentieren. Kann die Apotheke eigentlich auch Rezepte beliefern, die über die fiktive N3-Menge hinausgehen? Oder gibt es eine Höchstmenge? Das DAP schreibt dazu: „Der Arzt kann ein Hämophilie-Arzneimittel, wie jedes andere Arzneimittel, in der therapeutisch erforderlichen Menge verordnen. Eine Höchstmenge existiert für Hämophilie-Arzneimittel nicht.“ Es stützt seine Antwort auf § 8 Absatz 1 des Rahmenvertrags, demzufolge jede Verordnungszeile einzeln zu betrachten ist und die Verordnungen mit der jeweils verordneten Anzahl von Packungen zu beliefern sind.

Nun sind Hämophiliepräparate in der Abgabe der Apotheke aufwendiger als beispielsweise Blutdrucksenker. Zudem geht die Apotheke ein finanzielles Risiko bei den hochpreisigen Arzneimitteln ein – muss eigentlich jede Apotheke diese Versorgung anbieten, oder können sich Apotheken auch weigern, Hämophilie-Rezepte zu beliefern? Die Antwort ist eindeutig, das Stichwort lautet: Kontrahierungszwang. Gesetzlich regelt diesen die Apothekenbetriebsordnung in § 17 Absatz 4: „Verschreibungen von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde, Zahnheilkunde oder Tierheilkunde ­berechtigt sind, sind in einer der Verschreibung angemessenen Zeit aus­zuführen“.

Und die Dokumentation?

Laut Apothekenbetriebsordnung § 17 Absatz 6a müssen beim Erwerb und der Abgabe von „Arzneimitteln zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie“

  • die Bezeichnung des Arzneimittels,
  • die Chargenbezeichnung des ­Arzneimittels,
  • das Datum des Erwerbs und der ­Abgabe,
  • Name und Anschrift des ver­schreibenden Arztes,
  • Name oder Firma und Anschrift des Lieferanten,
  • Name, Vorname, Geburtsdatum und Anschrift des Patienten oder bei der für die Arztpraxis bestimmten Abgabe Name und Anschrift des Verordners

dokumentiert werden.

Wichtig: Die Dokumentation umfasst alle „Arzneimittel zur spezifischen Therapie von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie“ – auch wenn sie, wie Emicizumab, nicht dem Transfusionsgesetz unterliegen. Die Daten bewahrt die Apotheke 30 Jahre auf, danach sind sie zu vernichten/löschen.

Darüber hinaus muss die Apotheke dem Arzt folgende Daten melden:

  • die Bezeichnung des Arzneimittels
  • die Chargenbezeichnung und Menge des Arzneimittels
  • das Datum der Abgabe
  • Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort des Patienten

Was tun bei Notfällen?

In Notfällen können sich Apotheken an den Verband der Hämophilie-­Apotheken wenden. Eigenen Angaben zufolge ist dessen Hämophilie-Notfallzentrale – kostenlos unter 0800 410 71 00 – mit zwei Notfalldepots in Hamburg und Berlin an 365 Tagen im Jahr zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar. Eine GDP-konforme bundesweite Lieferung durch das Notfalldepot oder einer VHA-Apotheke vor Ort sei sichergestellt. |

Literatur

Verordnung über die Bestimmung und Kennzeichnung von Packungsgrößen für Arzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung (Packungsgrößenverordnung - PackungsV), § 3

Arbeitshilfe FAQ: Hämophilie, Informationen des DeutschenApothekenPortals

Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO), § 17 Erwerb und Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten

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