Grampositive Bakterien

Pyruvatkinase als neues Ziel für Antibiotika?

Düsseldorf - 02.12.2019, 10:15 Uhr

Prof. Dr. Andreas Hilgeroth (1. v. r.) und sein Team von der Uni Halle arbeiten an einem neuen Angriffsziel im Stoffwechsel grampositiver Bakterien. (m / Foto: Uni Halle / Markus Scholz)

Prof. Dr. Andreas Hilgeroth (1. v. r.) und sein Team von der Uni Halle arbeiten an einem neuen Angriffsziel im Stoffwechsel grampositiver Bakterien. (m / Foto: Uni Halle / Markus Scholz)


Ein neues mögliches Angriffsziel im Stoffwechsel grampositiver Bakterien haben Forscher der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg jetzt ausgemacht. Mit neuen Wirkstoffen, bei denen sie sich aus der Natur inspirieren ließen, konnten sie bereits positive Ergebnisse erzielen.

„Von einem Naturstoff, dem Dihydrohamacanthin, konnte gezeigt werden, dass er als MRSA-Pyruvatkinase (PK)-Inhibitor an einer allosterischen Bindungsstelle der Kinase bindet. Diese allosterische Bindungsstelle ist bei der humanen PK nicht vorhanden, was die bakterielle Spezifität begründet“, erklärt Professor Dr. Andreas Hilgeroth, Leiter der Arbeitsgruppe Wirkstoffentwicklung und -analytik am Institut für Pharmazie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Das Dihydrohamacanthin ist ein marines Alkaloid, das in Meeresschwämmen gefunden wurde aus der Klasse der Bisindole. Hilgeroth und seine Forschungsgruppe gingen in ihren Arbeiten, deren Ergebnisse sie jetzt in der Fachzeitschrift „Antibiotics “ veröffentlichten, noch einen Schritt weiter. Eine neue Wirkstoffklasse, die auf dem Naturstoff basiert, haben sie in verschiedenen Derivaten synthetisiert und auf ihre Wirksamkeit als Antibiotika hin untersucht. In dem Artikel berichten sie über diese neuen „kleinen Moleküle“ aus der Klasse der Thienocarbazole.

„Eine bislang nicht durchgeführte Umsetzung eines aromatischen Dialdehyds mit Indolen brachte uns zu diesen Wirkstoffen“, erklärt der Forscher. Dabei habe man eine simple Umsetzung in einem einzigen Reaktionsgefäß erreicht. Die erhaltenen kleinen Moleküle böten dabei das Potenzial, auch leicht oral verabreicht werden zu können, so die Forscher in ihrem Artikel. Die Forschungen unternahm man dabei gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universiät Greifswald und der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Gefördert wurden die Arbeiten dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Schlüsselenzym im Energiestoffwechsel

Bedeutender aber ist wohl, dass der Wirkmechanismus ein Ziel angreift, das von bisherigen Antibiotika nicht berührt wird. Die Pyruvatkinase ist ein Schlüsselenzym im Stoffwechsel aller Lebewesen und kommt in unterschiedlichen Formen vor. Menschen besitzen vier Isoformen in verschiedenen Zelltypen. Das Enzym überträgt unter Bildung von Pyruvat eine Phosphatgruppe von Phosphoenolpyruvat auf Adenosindiphosphat (ADP). Dabei wird Adenosintriphosphat (ATP) gebildet – der Hauptenergieträger bei Stoffwechselvorgängen. Pyruvat ist damit der Endschritt aus der Glykolyse und geht im Folgenden in den darüber hinaus energieproduzierenden Zitronensäurezyklus ein.

Dass die neuen Wirkstoffe unerwünschte Wirkungen auf humane PK haben könnten, schließen die Forscher aus. Die Bindung der synthetisierten Thienocarbazole sei spezifisch für die Pyruvatkinase grampositiver Bakterien. „Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit zu dem Bisindol-Derivat Dihydrohamacanthin vermuten wir einen analogen Wirkmechanismus“, erklärt Hilgeroth.

Erfolgreich habe man die Wirkstoffe unter anderem gegen den Eitererreger Staphylococcus aureus, dessen zunehmend verbreitete und gefährliche Variante MRSA, den methycillinresistenten S. aureus, sowie gegen verschiedene Enterokokken getestet, die für verschiedene Infektionen beim Menschen verantwortlich sind.

Im Labor wirksam gegen MRSA

Besonders die Wirksamkeit gegen MRSA ist den Forschern dabei wichtig. Denn da bisherige Antibiotika andere Wirkorte haben, könne man so bereits bestehende Resistenzen gegen die neu synthetisierten Wirkstoffe ausschließen.

Noch steht man allerdings am Anfang der Forschungen: Neben der erfolgreichen Synthese gab es erste Zellversuche und Tests an Larven der Großen Wachsmotte. Auf dieser Basis wurde bereits ein Patent für die neuen Wirkstoffe angemeldet. „Diese ersten Ergebnisse stimmen uns zuversichtlich, dass wir auf der richtigen Spur sind“, erklärt der Professor.

Bis eine therapeutische Anwendung der neuen Thienocarbazole und die kommerzielle Verwendung möglich sei, könnten noch bis zu zehn Jahre vergehen. „In nächsten Studien werden für die in vivo-Studie notwendige Daten zur Serumbindung, Permeabilität, metabolischen Stabilität, Hepatotoxizität, Enzyminduktion und auch Genotoxizität bestimmt“, sagt der Forscher.

„Im besten Fall wirken die Substanzen nur auf das bakterielle Enzym und damit die Bakterien ein, sodass es zu möglichst wenigen Nebenwirkungen kommt“, sagt er. Man hoffe, so neue simple Antibiotika erhalten zu können. „Um Infektionskrankheiten langfristig und verlässlich behandeln zu können, brauchen wir neue Wirkstoffe, gegen die Bakterien noch keine Resistenzen entwickelt haben“, sagt er. Wenn alle Tests einschließlich der klinischen Studien erfolgreich sind, könnten die Thienocarbazole diese Wirkstoffklasse sein.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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