Bürgerversicherung

Ärzte drohen mit Widerstand und Praxisschließungen

Berlin - 08.01.2018, 13:00 Uhr

Gibt es aus Protest gegen eine eventuelle Bürgerversicherung bald Praxisschließungen? (Foto: Picture Alliance)

Gibt es aus Protest gegen eine eventuelle Bürgerversicherung bald Praxisschließungen? (Foto: Picture Alliance)


Die Zweigliedrigkeit des Krankenversicherungssystems könnte zum gesundheitspolitischen Top-Thema dieser Legislaturperiode werden. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob sich die SPD mit ihrem Wunsch nach einer Bürgerversicherung in einer möglichen Großen Koalition durchsetzt. Die Ärzteschaft macht schon jetzt klar: Sollte die GKV/PKV-Trennung samt unterschiedlicher Gebührenordnungen aufgeweicht werden, gibt es heftige Proteste. Das geht aus Positionspapieren zweier Verbände vor, die DAZ.online vorliegen.

Schon vor den inzwischen begonnenen Sondierungsgesprächen hatte die SPD das Krankenversicherungssystem zu einem ihrer wichtigsten Forderungen erklärt. Die Sozialdemokraten beschweren sich über eine „Zweiklassenmedizin“ und würden gerne eine einheitliche Krankenversicherung schaffen, eine Bürgerversicherung. Auch die unterschiedlichen Gebührenordnungen der niedergelassenen Ärzte für GKV- und PKV-Versicherte sollen nach dem Wunsch der SPD nicht mehr so bestehen bleiben. Einige Unionspolitiker hatten in den vergangenen Wochen sogar ein Entgegenkommen signalisiert und etwa auf das Hamburger Modell verwiesen, bei dem Beamten der Umstieg in die GKV staatlich erleichtert wird.

Mehrere Ärzteverbände laufen jetzt Sturm gegen die Forderungen der SPD. Ganz vorne mit dabei sind der NAV-Virchowbund, der eigenen Angaben zufolge etwa 12.000 Mitglieder hat, sowie der Spitzenverband der Fachärzte – ein Zusammenschluss mehrerer fachärztlicher Verbände. Der NAV-Virchowbund hat für seine Mitglieder ein Informationspapier zu dem Thema erstellt, was Ärzte nutzen können, um sich in Gesprächen mit Patienten auf das Thema vorzubereiten. Beide Verbände haben das Schreiben jetzt an alle ihre Mitglieder versendet.

Im Anschreiben an die Mediziner heißt es: „Das Informationspapier ‚Warum eine Bürgerversicherung zu einer echten Zweiklassenmedizin führt – Mythen und Legenden, politische Lügen und Wahrheiten‘ setzt  sich mit den Argumenten der Befürworter auseinander und entzaubert die politischen Wunschvorstellungen, Fehlannahmen und Unwahrheiten.“ Die Ärzteverbände kritisieren darin nicht nur die Maximalforderung der SPD, sondern auch schon erste Schritte in diese Richtung. Mit Begriffen  wie „Beitrags- Parität“ und „Wahlfreiheit für Beamte“ werde vernebelt, „dass knallharte Tatsachen in Richtung einer unumkehrbaren Einheitskasse geschaffen werden sollen“.

Ärzte sollen „parat und gegebenenfalls widerstandsbereit“ sein

Diese Argumente führen die Ärzteverbände gegen die Bürgerversicherung ins Feld:

  • Aus Sicht der Mediziner gibt es keine „Zweiklassenmedizin“. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: „Die Behauptung einer Zweiklassenmedizin ist eine Diffamierung des jetzigen Systems und eine Beleidigung aller im System tätigen Ärzte. Jeder Arzt sorgt dafür, dass Patienten, die dringend Facharzttermine benötigen, diese auch erhalten.“
  • Die Verbände verweisen auf die historischen Hintergründe der GKV-/PKV-Trennung und schreiben: „Die Einführung der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde eingeführt, weil es gesellschaftlicher Konsens war, dass gut verdienende Bürger für sich selber zu sorgen hätten und keinen Anspruch auf die Solidarität von Beziehern mittlerer und geringer Einkommen verdienten. Dieser Personenkreis wurde damit zum Selbstzahler. (…) Es ist also nicht so, dass sich heute Privatversicherte der Solidarität entzögen, sondern es wurde ihnen die Solidarität verweigert. Dies jetzt argumentativ umzudrehen ist unseriös. Mit einer Bürgerversicherung zahlt die Sekretärin künftig mit ihren Beiträgen die Herzoperation ihres Vorstandsvorsitzenden.
  • Behauptungen, nach denen der Beitragssatz in einer Bürgerversicherung für alle Versicherten insgesamt sinken würde, weisen die Mediziner zurück. „Bei rund 80 Prozent der Privatversicherten liegt das Einkommen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze und sie leisten dadurch keine nennenswerten Beiträge in die Bürgerversicherung. Folglich: Bürgerversicherung bedeutet Beitragssteigerungen!“
  • Aus Sicht der Ärzteverbände würde mit einer Bürgerversicherung jeglicher Wettbewerb im Krankenversicherungsmarkt erstickt. „Das einzig bislang bestehende Wettbewerbsinstrument für eine innovative Versorgung, nämlich die teilweise Möglichkeit des Wechsels in den Status eines Selbstzahlers, der sich privat versichert hat, ist komplett abgeschafft. Ein Wettbewerb um Leistungen findet dann nicht mehr statt. Es bildet sich ein Oligopol ausschließlich von Gesetzlichen Krankenkassen. (…) Auch wenn es noch verschiedene Versicherungsunternehmen gibt, so ist bei dem fehlenden Wettbewerb eine Einheitskasse, eine Einheitsversicherung, faktisch gegeben.“
  • Die ärztliche Gebührenordnung (GOÄ) verteidigen die Verbände mit den folgenden Worten: „Im Übrigen ist die ärztliche Gebührenordnung ein Eckpfeiler der Freiberuflichkeit im Sinne des freien Berufes, wie es für Rechtsanwälte oder Architekten selbstverständlich ist. Die Ärzteschaft hat einen Anspruch auf eine eigenständige ärztliche Gebührenordnung, die ihre Leistungsfähigkeit und ihre gesellschaftliche Verantwortung widerspiegelt.“

Die Verbände wünschen sich, dass die Mediziner vor Ort diese Informationen ihren Patienten „in leicht verständlicher Weise vermitteln“. Doch mit reiner Information gibt sich zumindest der SpiFa nicht zufrieden. In dem Anschreiben an die Ärzte heißt es: „Neben Information und Aufklärung soll mit dem Informationspapier aber auch deutlich werden, dass derzeit in der Gesundheitspolitik gravierende Veränderungen für die ärztliche Berufsausübung vorbereitet werden.“ Die Ärzte müssten daher „parat und gegebenenfalls widerstandsbereit“ sein. Der Verband sieht eine „harte Auseinandersetzung“ auf sich zukommen. Und weiter: „Dies  kann auch die zeitweise Schließung von Praxen bedeuten. Dies werden wir koordiniert in der Allianz der Berufsverbände, der sowohl der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands als auch der NAV Virchow Bund angehören, vorbereiten.“



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Nur nichts „übereilen“ ... Apotheker denken ja „langfristig“ ...

von Christian Timme am 08.01.2018 um 23:42 Uhr

Seltsam, schon wieder fährt ein Zug ab, natürlich ohne die Apotheker. Als „Teilchen“ dieses Gesundheitssystemes entwickeln SIE erstaunliche „Aktivitäten“, da fallen einem ja fast die Ohren ab ...

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Bürgerversicherung

von Uwe Hüsgen am 08.01.2018 um 20:49 Uhr

Ein Zitat von Prof. Dr. Uwe Reinhard (✝), Princeton University, New Yersey, USA, zum Thema:

„Diejenigen, die mehr Marktorientierung und weniger Solidarität fordern, nennen die damit verbundenen Ziele meist nicht offen. Unter Entsolidarisierung ist es möglich, Gesundheitsleistungen nach Einkommensklassen zuzuteilen. Für die obere Einkommensgruppe hat das den Vorteil, nicht so oft zur Kasse gebeten zu werden, um für Familien mit wenig Einkommen generös mit zu bezahlen. Bei mehr Marktorientierung können sich die Besserverdienenden eine luxuriösere Gesundheitsbehandlung leisten, ohne gezwungen zu sein, dieselbe Leistung auch für die unteren Einkommensschichten mitzufinanzieren.“

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Richtig

von Peter Lahr am 08.01.2018 um 13:30 Uhr

J, so wird es gemacht. Es steht bisher nur der Wunsch einer Junior Partner Partei einer eventuellen GroKo im Raum und schon wird mit Maßnahmen gedroht weil es trotz Lauterbachs Lippenbekenntnis dass man den Ertragsverlust aus Privatpatienten NATÜRLICH kompensieren wird lieber vorher zeigt wo die Hummel brummt. Und wir? Wir haben es zugelassen dass wir begutachtet werden und kurz vor Weihnachten wurden wir mit einem fertigen Gutachten beglückt dessen Inhalt schon im Großen und Ganzen Wochen vorher durch einen "Spion" im Ministerium an Bild und Co. kolportiert wurde. Über kolportierte Inhalte wollte man sich nicht äußern, kann man verstehen oder auch nicht, aber dann, trotz Veröffentlichung des Gutachtens herrscht immer noch das Schweigen im Walde????? Jetzt ist es nicht mehr der zunächst kolportierte aber dann doch bewahrheitete Inhalt, jetzt hat man keinen Ansprechpartner weil es ja noch keine Regierung gibt um sich immer noch nicht äußern zu müssen. Komisch, haben die Ärzte andere Ansprechpartner? Komisch, bei den Ärzten steht lediglich der Wegfall der Privatpatienten im "Sondierungsraum" nicht irgendwelche Kürzungen der GKV Honorare, die werden auch weiterhin jedes Jahr kräftig angepasst werden. Warum also jetzt schon im Vorfeld die Muskeln spielen lassen? Weil es die richtige Vorgehensweise ist, darum. In diesem Sinne

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AW: Falsch un kurzsichtig

von Wolfgang Müller am 08.01.2018 um 17:52 Uhr

Ich eher nicht Ihrer Meinung, dass gerade DAS ein besonders gutes Beispiel für uns Apotheker ist. Tatsache ist: Die Ärzte werden sich damit zumindest nicht SCHADEN, so seltsam und überzogen auch immer die Abwehr-Reflexe gegen "Bürgerversicherung" ausfallen werden. Die Apotheker schaden sich mit falschen oder ausbleibenden Reaktionen seit einiger Zeit ja regelmäßig aber sehr wohl.

So falsch die SPD bei den Apotheken liegt - da haben Sie vollkommen Recht -, so richtig liegt sie bei der Bürgerversicherung. Die Frage ist doch gar nicht, ob dieser bisherige deutsche Sonderweg der "Privatversicherten" zu Gunsten "Bürgerversicherung plus Zusatzversicherung" abgeschafft wird, sondern nur: wann. Ziemlich sicher, dass Angela Merkel damit auch kein Problem hat, aber die ist ja nun anscheinend leider doch von einigen zappeligen Jungspunden in unserer "Grand Old Party" zum Abschuss freigegeben worden.

Von der PKV profitieren zunächst mal fast nur Ärzte (na bitte, auch Apotheker), die in Gebieten "versorgen", in denen sich u. a. genau deshalb fast JEDER Arzt niederlassen will. Während in den Kiezen der Normalbevölkerung vor Allem die Hausärzte langsam aber sicher ausgehen (u. a. weil: keine "Privatpatienten", und von den KVen sowieso traditionell benachteiligt), mit entsprechenden Horror-Folgen auch für die Apotheken..

Eine herrliche Vorstellung, wie Cayenne neben Q7 und XY dann zur Demonstration der "Fachärzte über 350.000" anfahren, um gegen eine längst überfällige Korrektur durch Entkomplizierung und Sanierung unseres Sozialsystems zu "protestieren".

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