Gesundheitspolitik

Ärzte wollen Privatkassen am Leben halten

116. Ärztetag beschäftigte sich mit Zukunft der Krankenversicherung – Höheres Honorar gefordert

Hannover (diz/az). Wie kann die Entwicklung des Gesundheitssystems zukunftsfest ausgestaltet werden? Wie können die ärztliche Freiberuflichkeit und die ärztliche Versorgung auf Dauer sichergestellt werden? Welche Auswirkungen hat der seit Jahren zunehmende Wettbewerb im Gesundheitswesen auf die Versorgung? Und natürlich Honorarfragen. Dies waren Schwerpunktthemen, mit denen sich der 116. Deutsche Ärztetag, der vom 28. bis 31. Mai in Hannover stattfand, beschäftigte.

Bereits im Vorfeld des Ärztetags, an dem 250 Ärztinnen und Ärzte als Delegierte teilnahmen, hatte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. Ulrich Montgomery, die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens kritisiert: "Wenn es um die Versorgung von Patienten geht, macht zu viel Wettbewerb bei Kassen und Krankenhäusern keinen Sinn. Er ist sogar unethisch." Er kritisierte erneut die mengenorientierten Bonusvergütungen in Chefarztverträgen und verwies in diesem Zusammenhang auf die mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft gefassten Empfehlungen, wonach mit leitenden Ärzten keine ausschließlich auf Mengen gründenden Zahlungen vereinbart werden dürfen.

pro PKV – contra Bürgerversicherung

Thema auf dem Ärztetag war auch die Zukunft des deutschen Krankenversicherungssystems. Montgomery hob den hohen Stellenwert der privaten Krankenversicherung (PKV) hervor. Er plädierte für den Erhalt des dualen Systems von GKV und PKV. Die PKV sei schneller als andere bereit, auch innovative Therapien zu bezahlen. Damit würden sie den schwerfälligen gesetzlichen Krankenkassen Druck machen: "An dieser Stelle nützt der Wettbewerb. Die Versorgung für alle Patienten wäre ohne PKV schlechter", stellte Montgomery heraus. Er räumte ein, dass es in unserem heutigen System zu einer bevorzugten Terminvergabe oder zu kürzeren Wartezeiten für Privatversicherte kommen könne. Die Unterschiede zwischen GKV und PKV wirkten sich jedoch nicht auf die Behandlung selbst aus.

Eine einheitliche Bürgerversicherung – wie sie SPD, Grüne und Linke wollen – führe dagegen erst recht in eine Zweiklassen-Medizin, da sich Besserverdienende Zusatzversicherungen leisten oder direkt teurere Behandlungen erkaufen könnten. Die Bürgerversicherung sei der "Turbolader" für die Zweiklassenmedizin. "In einem Land mit freier Marktwirtschaft wird es immer bessere und hübschere medizinische Angebote geben. Die können sich dann aber wirklich nur noch die Reichen leisten", warnte der BÄK-Präsident.

Mehrheit für Pauschalen

Letztlich sprach sich der 116. Deutsche Ärztetag mit großer Mehrheit für ein Konzept zum Umbau der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Nach der Reformskizze der Bundesärztekammer soll jede Krankenkasse künftig für ihre Mitglieder pauschale Gesundheitsbeiträge erheben können. Die Idee der Pauschalen hatte die CDU bereits vor Jahren proklamiert und dann fallengelassen. Zudem soll nach dem Ärzte-Konzept der Staat für jeden Neugeborenen bis zum Alter von 18 Jahren etwa 100 Euro im Monat einzahlen – für spätere Krankheitsrisiken. Diese Idee könnte auch den Grünen gefallen, mutmaßte der Ärztepräsident. Wahlkampf für Schwarz-Gelb betrieben die Ärzte jedenfalls nicht, betonte Montgomery. "Wir sind nach wie vor parteipolitisch völlig neutral".

GOÄ umsetzen

Auch die Honorierung stand auf der Tagesordnung des Ärzteparlaments. Es forderte die Politik auf, die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) auf Grundlage der von der Ärzteschaft geleisteten Vorarbeiten ohne weitere zeitliche Verzögerung umzusetzen. "Als Übergangslösung muss ein Inflationsausgleich geschaffen werden", so die Forderung. Seit 1996 betrage die Inflation in Deutschland 30,4 Prozent – der Punktwert in der GOÄ sei hingegen gleich geblieben. "Der GOÄ-Punktwert muss umgehend unter Berücksichtigung des Inflationsausgleichs angehoben werden", so der Ärztetag. Er wies weiter darauf hin, dass die GOÄ ein Wesensmerkmal des freien Arzt-Berufes sei. Mit ihr würden Höchstsätze festgelegt, um Patienten vor finanzieller Überforderung zu schützen, wie auch Mindestsätze, um die notwendigen Voraussetzungen einer qualitätsgesicherten Patientenversorgung zu gewährleisten. Doch im zunehmenden Leistungswettbewerb drohe die GOÄ ihre doppelte Schutzfunktion zu verlieren.

Armut und Gesundheit

Der Ärztetag befasste sich überdies mit dem Thema Armut. "Es ist eine Schande, dass die Lebenserwartung in unserem reichen Land schichtenabhängig immer noch um zehn Jahre differiert", sagte Montgomery. Ärzte könnten sozial benachteiligten Personengruppen Unterstützung bei der Identifikation von Belastungsfaktoren und der Erschließung von Hilfsangeboten bieten. "Alleine lösen können wir das Problem aber nicht". Nötig sei frühzeitige Hilfe durch Sozialarbeiter, Erzieher und Lehrer. Dies bedinge einen Wandel – etwa in der Jugend- und Bildungspolitik und der kommunalen Jugendbetreuung.

Korruptions-Debatte darf Alltag nicht überschatten

Ein weiteres Thema: Korruption. Ein "Dreiklang von Polemik, Populismus und Skandalisierung" sei die Begleitmusik von Ideologen und ihren politischen Helfern gewesen, die dem Arzt sowieso korruptes Wesen unterstellten, so Montgomery. Die Folge: bald Zweidrittel der Deutschen seien überzeugt, in der Ärzteschaft gebe es mafiaähnliche Strukturen. Der Ärztepräsident: "Zugleich aber sind 82 Prozent der festen Überzeugung und Gewissheit, "ihr persönlich sie betreuender Arzt gehört nicht dazu, der ist ganz anders." Gerüchte, Verleumdungen und Unterstellungen dürften nicht den ärztlichen Alltag zerstören. Eine Umfrage unter Managern der Pharmaindustrie habe gezeigt, dass sich 63 Prozent schärfere strafrechtliche Sanktionen gegenüber Ärzten wünschten, damit sie diese nicht mehr bestechen müssten. "Angesichts solcher Scheinheiligkeit hält sich mein Mitleid in Grenzen", so Montgomery.

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