Sondierungs-Leaks

Jamaika-Parteien planen Milliarden-Mehrausgaben im Gesundheitsbereich

Berlin - 16.11.2017, 07:00 Uhr

Entlastungen in Milliardenhöhe: Die Jamaika-Parteien wollen GKV-Versicherte entlasten und Pflegebedürftige stärken. (Foto: marcus_hofmann / stock.adobe.com)

Entlastungen in Milliardenhöhe: Die Jamaika-Parteien wollen GKV-Versicherte entlasten und Pflegebedürftige stärken. (Foto: marcus_hofmann / stock.adobe.com)


Die kommenden Jahre könnten für die Krankenkassen kostspielig werden. Nach einem Sondierungspapier, das DAZ.online vorliegt, haben sich die vier Jamaika-Parteien jetzt schon auf milliardenschwere Mehrausgaben im Gesundheitsbereich geeinigt, insbesondere im Bereich Pflege. Vom Apothekenmarkt ist noch nicht die Rede. Die Kassen laufen Sturm und kündigen an, die Mehrkosten an die Beitragszahler weiterzugeben.

Die an einer möglichen Jamaika-Koalition beteiligten Parteien CDU/CSU, FDP und Grüne haben sich nach Informationen auf erste konkrete Maßnahmen im Gesundheitsbereich geeinigt. Ein Papier, das DAZ.online vorliegt, enthält mehrere finanzwirksame Maßnahmen im Sozialbereich – also Neuregelungen, die die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung finanziell belasten. Das Papier ist vom 9. November – gut möglich, dass seitdem sogar noch weitere Maßnahmen hinzugekommen sind.

Der Apothekenmarkt ist auf dem Papier bislang nicht vermerkt. In einem anderen Papier waren alle Fragen zum Apothekenmarkt, wie etwa die des Rx-Versandverbotes, noch als offen deklariert worden. Geeinigt hatten sich die vier Parteien allerdings auf eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung, ohne diese jedoch näher zu erklären. Auch im neuen Kostenplan ist diese Bedarfsplanung noch nicht vorgesehen.

Was planen die möglichen Koalitionäre also? Hier ein Überblick:

  • Kassenbeiträge von ALG-II-Beziehern sollen künftig vom Bund übernommen werden. Diese Neuregelung soll schrittweise umgesetzt werden und kostet anfänglich eine Milliarde Euro pro Jahr.
  • Die Mindestbeiträge für Selbstständige sollen abgesenkt werden, entweder auf 150 Euro oder auf 225 Euro Monatsbeitrag. Je nach Höhe würde diese Maßnahme jährlich bis zu 900 Millionen Euro mehr kosten.
  • Ohne es genauer zu erklären, ist auch von einem „Sofortprogramm Krankenpflege“ die Rede, das pro Jahr 1 Milliarde Euro mehr kosten soll.
  • Aus Bundesmitteln (1 Milliarde Euro) soll außerdem eine „Investitionsoffensive Digital/Krankenhäuser“ gestartet werden, auch das erklären die Sondierer aber nicht genauer.
  • 2,5 Milliarden Euro mehr müssen die Kassen dafür einplanen, dass der volle Beitragssatz in Betriebsrenten abgeschafft werden soll.
  • Schließlich soll die Pflegeversicherung entlastet werden, indem die Krankenversicherung die Absicherung der Behandlungspflege übernimmt.

Des Weiteren müssen auch die Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung mit Mehrausgaben rechnen, etwa für ein „Sofortprogramm Altenpflege“ oder Verbesserungen bei der Mütterrente.

Kassen sind sauer

Die Krankenkassen haben kein Verständnis für diesen Maßnahmenkatalog. „Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes appelliert an die politisch Verantwortlichen, die notwendigen Reformen an gesundheitlichen und pflegerischen Versorgungszielen auszurichten und eine nachhaltige Finanzierung zu garantieren“, heißt es in einer Mitteilung des GKV-Spitzenverbandes. Der Verband erneuert seine Forderung, dass die Bundesländer stärker ihrer Investitionspflicht im Klinikbereich nachkommen sollen.

Der Kassenverband mahnt: „Die aus dem Kreis der Sondierungsrunde bekannt gewordene Aufstellung finanzwirksamer Maßnahmen summiert sich für die gesetzliche Krankenversicherung auf eine Netto-Belastung von bis zu 6,5 Mrd. Euro. Allein die offenbar angedachte vollständige Finanzierung der Behandlungspflege durch die Krankenversicherung würde zusätzliche Ausgaben von 3 Mrd. Euro erzeugen!“ Die Kassen würden die Mehrbelastungen über die Zusatzbeiträge an die Versicherten weitergeben müssen, so das vom GKV-SV beschriebene Szenario. „Bei Umsetzung der Maßnahmen in der Krankenversicherung müssten allein die Versicherten die notwendigen Beitragssteigerungen schultern. Die Zusatzbeitragssätze müssten bei diesem Maßnahmenpaket um durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte steigen. Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes appelliert an die politisch Verantwortlichen, keine Festlegungen zu treffen, die derartige Ausgabensteigerungen und damit einhergehend drastische finanzielle Zusatzbelastungen verursachen“, heißt es in der Kassenmitteilung.

Die Kassen nutzen die Möglichkeit, den Jamaika-Sondierern noch weitere Forderungen mitzuteilen. Dazu gehört, dass aus Kassensicht der Erstattungspreis für neue Originalpräparate rückwirkend ab Tag 1 nach der Zulassung gelten soll. Ihre Forderung nach einer Deregulierung des Apothekenmarktes wiederholen die Krankenkassen allerdings nicht. Vor der Bundestagswahl hatten der GKV-SV und der AOK-Bundesverband die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes gefordert.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

die armen armen Krankenkassen ...

von Alfons Neumann am 17.11.2017 um 0:40 Uhr

Mein Mitleid hält sich doch arg in Grenzen.
Dann ist eben keine automatische Steigerung der Vorstands- und Aufsichtsrats-Gelder mehr drin !

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