Tag der Männergesundheit

Benigne Prostata-Hyperplasie: Hilft da auch was Pflanzliches?

Frankfurt am Main - 03.11.2017, 07:00 Uhr

Beim Kürbis werden die getrockneten Samen arzneilich verwendet. (Foto: Schlierner / stock.adobe.com)

Beim Kürbis werden die getrockneten Samen arzneilich verwendet. (Foto: Schlierner / stock.adobe.com)


Das benigne Prostata-Syndrom ist eine klassische Domäne der Phytotherapie. Man(n) kennt die Präparate aus Printmedien oder aus dem Fernsehen: Pflanzliche Arzneimittel gegen Prostata-Beschwerden werden sehr intensiv beworben.  Verschiedene Extrakte kommen zum Einsatz. Die Evidenz ist in vielen Fällen überschaubar. Lassen sich trotzdem Empfehlungen ableiten? Zum heutigen Tag der Männergesundheit, eine Übersicht. 

Wegen ihrer niederschwelligen Verfügbarkeit spielen pflanzliche Arzneimittel als Alternativen zu den chemisch-synthetischen in der Therapie des benignen Prostata-Syndroms (BPS) vor allem im frühen Stadium eine wichtige Rolle. Traditionell wurden in der Volksmedizin mehr als zwei Dutzend verschiedene Pflanzenarten gegen Prostatabeschwerden verwendet, auf die hier nicht näher eingegangen wird, da sie eigentlich keinerlei Bedeutung mehr haben sollten. Heutzutage stehen für die Stadien I und II des BPS (nach Alken) evidenzbasierte Phytopharmaka zur Verfügung, deren unerwünschte Wirkungen sich auf Placebo-Niveau befinden. Obwohl die Kosten selbst übernommen werden müssen, werden die Präparate aufgrund des günstigen Nutzen-Risiko-Profils sehr gut von den Patienten angenommen. Alle für die Therapie des benignen Prostata-Syndroms relevanten Arzneipflanzen sind in der Tabelle  zusammengefasst.

Pflanze (dt.) Pflanze (lat.) Pflanzenteil
Sägepalme
Serenoa repens (syn. Sabal serrulata)
Früchte (Ph. Eur.)
Brennnessel Urtica dioica, U. urens Wurzel (Ph. Eur.)
Kürbis Cucurbita pepo Samen (DAB)
Südafrikanische Kafferntulpe Hypoxis rooperi Wurzel
Kiefern, Fichten Pinus, Picea Holz
Roggen Secale cereale Pollen

Erfreulich und für Phytopharmaka keineswegs selbstverständlich ist, dass sie in der S2e-Leitlinie zur Therapie des benignen Prostata-Syndroms (AWMF-Reg.-Nr. 043-035) aus dem Jahr 2014 aufgeführt und ausführlich diskutiert werden. Die Leitlinie ist bei der Bewertung der Phytopharmaka vorsichtig und betont, dass keine pauschale Empfehlung für ihre Anwendung gegeben werden kann. Diese Einschätzung ist sehr gut nachvollziehbar, denn sie beruht auf den bekannten Problemen: eine Vielzahl verschiedener Extrakte aus einer Droge und die extrem variable Qualität der klinischen Studien. Existieren überhaupt Studien, weisen sie oftmals Mängel hinsichtlich der gewählten Behandlungsdauer, der Patientenzahl oder eines geeigneten Endpunkts auf, und aus den teils widersprüchlichen Ergebnissen lässt sich nur schwer ein klares Bild ableiten. Für die qualitative Beurteilung klinischer Studien orientiert sich die Leitlinie an den 2006 veröffentlichten Empfehlungen der International Consultation on Prostate Diseases.


Einteilung der Schweregrade des benignen Prostata-Syndroms nach Alken

I - kompensierte Erkrankung, Reizblasenstadium: äußert sich verzögerter Miktionsbeginn, häufiges und nächtliches Wasserlassen, keine Restharnbildung

II - beginnende Dekompensation, Restharnstadium: Zunahme der Miktionsbeschwerden, Restharnbildung

III - dekompensierte Erkrankung, Dekompensationsstadium: Harnverhalt oder Überlaufinkontinenz, Rückstauschäden an den Nieren

Sägepalmenfrüchte und Brennnesselwurzel: die Studienlage

Sägepalmenfrüchte: Die Früchte der im Südosten der USA beheimateten Sägepalme enthalten vor allem freie und veresterte Fettsäuren, Phytosterole wie β-Sitosterol und dessen Glucosid, längerkettige Fettalkohole und Polysaccharide. Das Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) hat im November 2015 einem Dickextrakt mit dem Droge-Extrakt-Verhältnis (DEV) von 7 bis 11:1, der unter Verwendung des Auszugsmittels Hexan hergestellt wird, in den Dosierungen 320 mg/Tag und zweimal 160 mg/Tag den „Well-established Use“  zuerkannt und damit die Wirksamkeit dieses Extrakts aufgrund der guten Studienlage als belegt bestätigt. Bei dem Extrakt handelt es sich um den Wirkstoff des französischen Präparats Permixon®, mit dem die meisten Studien durchgeführt wurden. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Studienlage findet sich im Final Assessment Report, der, wie alle Publikationen des HMPC, frei auf der Homepage der EMA zugänglich ist. Die Studie von Debruyne [2002] wird im Report als besonders bedeutend für die Zuerkennung des „Well-established Use“ angegeben: 542 BPS-Patienten wurden ein Jahr lang entweder mit Permixon® oder mit Tamsulosin behandelt. Die Verbesserung des IPSS und der Uroflowmetrie-Parameter war in beiden Gruppen äquivalent. Leider steht das Präparat in Deutschland nicht zur Verfügung, es wird in Frankreich, der Schweiz, Italien, Portugal und Polen vertrieben. Die Extrakte der bei uns erhältlichen Phytopharmaka bewegen sich im DEV-Bereich von 7,5 bis 14,3:1 und werden mit Ethanol 90 Prozent oder 96 Prozent hergestellt, so dass sie nicht mit dem Hexan-Extrakt vergleichbar sind. Der HMPC-Report merkt an, dass den ethanolischen Extrakten aufgrund der schwächeren Studienlage lediglich der Status „Traditional Use“ zuerkannt werden konnte.

Brennnesselwurzel: Die Wurzel der auf der Nordhalbkugel sehr weit verbreiteten Brennnessel enthält als charakteristische Inhaltsstoffe β-Sitosterol und andere Phytosterole und deren Glykoside, Lektine, das Cumarin Scopoletin, Fettsäuren und Polysaccharide. Das HMPC hat Ende 2012 der Brennnesselwurzel und ihren Extrakten lediglich den Status „Traditional Use“ zugebilligt, da es insgesamt zu wenige Studien gibt, die zudem sehr heterogen und qualitativ unzureichend sind. Nur zwei qualitativ gute und kontrollierte klinische Studien mit einer größeren Patientenzahl und einer Studiendauer von mindestens sechs Monaten sind vorhanden. Leider sind die erhaltenen Ergebnisse widersprüchlich: In der Studie von Schneider [2004], die als Verum das Präparat Bazoton® uno (DEV 7,1 bis 14,3:1; Auszugsmittel: Methanol 20 Prozent; einmal 459 mg/Tag) verwendete, wurde ein signifikanter, aber nur sehr kleiner Effekt auf den IPSS beobachtet, in der Uroflowmetrie und bezüglich der Restharnmenge ergab sich kein Unterschied. Die zweite Studie [Safarinejad, 2005], in der der verwendete Brennnesselwurzel-Extrakt leider nicht spezifiziert ist, konnte eine sehr ausgeprägte, positive Wirkung auf den IPSS und signifikant günstige Effekte in der Uroflowmetrie, auf die Restharnmenge sowie auf das Prostata-­Volumen zeigen.

Kombination aus Sägepalmenfrüchten und Brennnesselwurzel: Die Kombination aus Sägepalmenfrüchte- und Brennnesselwurzel-Extrakten in Prostagutt® forte (160 mg Dickextrakt aus Sägepalmenfrüchten, DEV 10 bis 14,3:1, Auszugsmittel Ethanol 90 Prozent und 120 mg Trockenextrakt aus Brennnesselwurzeln, DEV 7,6 bis 12,5:1, Auszugsmittel Ethanol 60 Prozent) ist in vier kontrollierten klinischen Studien mit mindestens sechsmonatiger Behandlungsdauer in der Dosierung zweimal 160 mg/120 mg/Tag gut ­untersucht. In zwei Studien [Metzker, 1996, und ­Lopatkin, 2005] wurde gegen Placebo verglichen, in den anderen beiden Studien gegen Finasterid [Sökeland, 1997] bzw. Tamsulosin [Engelmann, 2006]. In allen Untersuchungen verbesserte sich der IPSS, in den meisten auch die sekundären Parameter (Uroflowmetrie, Restharnmenge). Das Phytopharmakon war in seiner Wirksamkeit den chemisch-synthetischen Arzneistoffen nicht unterlegen. 

Und was können Phytosterol, Kürbissamen und Gräserpollen?

Phytosterol (β-Sitosterol): Das Europäische Arzneibuch definiert „Phytosterol“ als ein Gemisch aus Sterolen, das zu mindestens 70% aus β-Sitosterol besteht. Phytosterol liegt somit im Grenzbereich zwischen Extrakt und isoliertem Reinstoff. Zur Gewinnung werden die Wurzel von Hypoxis rooperi oder das Holz von Pinus- und Picea-Arten (Kiefern bzw. Fichten) genutzt. Leider existieren nur zwei kontrollierte klinische Studien, in denen der Behandlungszeitraum mindestens sechs Monate beträgt. Die Studie von Berges [1995] nutzte als Verum das Präparat Harzol®. Phytosterol war Placebo hinsichtlich des IPSS, der Uroflowmetrie-Parameter und der Restharnmenge klar überlegen. Das Prostata-Volumen wurde nicht beeinflusst. In der zweiten Studie [Klippel, 1997] wurde Azuprostat® eingesetzt. Auch hier schnitt Phytosterol gegenüber Placebo eindeutig besser ab.

Kürbissamen: In den Samen des ursprünglich in Amerika heimischen Kürbisses finden sich – neben Proteinen, Kohlenhydraten und Mineralstoffen (hoher Selenanteil) – vor allem fettes Öl („Kürbiskernöl“), das überwiegend aus Glyceriden der Linolsäure und Ölsäure sowie aus Sterolen und deren Glucosiden besteht. Extrakte aus Kürbissamen wurden Ende 2012 vom HMPC bewertet und mit dem Label „Traditional Use“ versehen. Die Leitlinie und der HMPC-Report heben beide hervor, dass es nur eine qualitativ gute, kontrollierte klinische Studie gibt [Bach, 2000]. In dieser wurde zwar ein signifikanter Unterschied im IPSS sowie in der Miktionsfrequenz zwischen Placebo und Verum (Prosta Fink® forte, heutiger Name: Granu Fink® Prosta forte 500 mg) nachgewiesen. In den sekundären Parametern (Uroflowmetrie, Restharnmenge, Prostata-Volumen, Lebensqualitätsscore) war aber kein Unterschied feststellbar. Der in dem Präparat enthaltene Kürbissamen-Dickextrakt weist ein DEV von 15 bis 25:1 auf, als Auszugsmittel wird Ethanol 92 Prozent verwendet.

Gräserpollen: Das Phytopharmakon Pollstimol® (früher: Cernilton®) stellt eine Mischung aus zwei Bestandteilen dar: Die hydrophile Komponente ist ein Trockenextrakt aus Gräserpollen (DEV 2 bis 3,5:1; Auszugsmittel: Aceton 4,8% und Natriumdodecylsulfat 0,038%; Roggen-Pollen, Timothy-Gras-Pollen und Maispollen im Verhältnis 30:1,5:1). Der lipophile Bestandteil ist ein Dickextrakt (Auszugsmittel: Aceton) aus dem Rückstand, der bei der Extraktion der hydrophilen Komponente anfällt. Roggenpollen enthalten vor allem Aminosäuren, Sterole und Kohlenhydrate. Leider liegt nur eine einzige kontrollierte klinische Studie mit einem mindestens sechsmonatigen Behandlungszeitraum vor [Buck, 1990]. Aufgrund ihres Alters entspricht die Studie nicht den heute gültigen Anforderungen. Die Beurteilung der Wirksamkeit erfolgte anhand einer globalen Frage, der IPSS stand zu der Zeit noch nicht zur Verfügung. Verum schnitt im Vergleich zu Placebo bezüglich dieser Frage, aber auch bei der Messung der Restharnmenge, deutlich besser ab.

Wirkungsmechanismen und relevante Inhaltsstoffe

Die Frage nach den relevanten, bioaktiven Komponenten der Extrakte ist nach wie vor ungeklärt; vor allem Phytosterole und freie Fettsäuren stehen in der Diskussion. Eine Vielzahl an Untersuchungen wurde durchgeführt, vor allem zu proliferationshemmenden, antiandrogenen und antiphlogistischen Effekten der Extrakte und Inhaltsstoffe. Molekularpharmakologisch sind insbesondere hemmende Wirkungen auf verschiedene Enzym-Systeme (z. B. 5α-Reduktase, Cyclooxygen­ase, Lipoxygenase) nachgewiesen. Meist müssen jedoch in den In-vitro-Testsystemen hohe Konzentrationen der Extrakte/Inhaltsstoffe verwendet werden, um diese Wirkungen hervorzurufen. Diese Konzentrationen werden wahrscheinlich im Menschen mit den angegebenen Einnahmemengen nicht erreicht. Da letztendlich weder die wirksamen Stoffe klar identifiziert sind, noch die im Menschen auftretenden Metabolite oder die am Wirkort erzielbaren Konzentrationen bekannt sind, bleibt die Relevanz dieser Daten völlig unklar.

Fazit

Fast schon reflexartig werden in vielen wissenschaftlichen Artikeln zum Thema „Phytotherapie des BPS“ mehr, größere, längere und qualitativ hochwertigere Studien gefordert. Natürlich ist diese Forderung richtig, trotzdem bleibt das Gefühl, dass man sich vor einer Bewertung drückt. In der S2e-Leitlinie heißt es immerhin: „Phytotherapeutika, die in klinischen Studien eine Überlegenheit gegenüber Placebo gezeigt haben, können bei Patienten mit geringen bis moderaten Beschwerden und Leidensdruck in Betracht kommen, wenn chemisch definierte Präparate abgelehnt werden.“ Damit ist zumindest das Einsatzgebiet, milde Formen des benignen Prostata-Syndroms, klar umrissen. Die Grenzen der Phytotherapie sollten mit dem Urologen abgestimmt und eine indizierte chirurgische Maßnahme darf nicht verzögert werden. Natürlich müssen auch während der Therapie mit Phytopharmaka regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen stattfinden. Wichtig wäre nun noch eine Antwort auf die Frage, welche Extrakte empfohlen werden können. Die Leitlinie wird hier leider nicht konkret. Aus den oben dargestellten Fakten lässt sich jedoch eine (subjektive) Einschätzung ableiten, die im oben stehenden Kasten „Eine Frage der Evidenz“ dargestellt ist.

Extrakt Evidenzbasis
Sägepalmenfrüchte-Hexan-Extrakt (Permixon® – in Deutschland nicht erhältlich) gut
Sägepalmenfrüchte-Ethanol-Extrakte (z. B. Prosta Urgenin® uno, Prostagutt® uno) gering
Brennnesselwurzel-Extrakte (z. B. Bazoton® uno) gering
Sägepalmenfrüchte- plus Brennnesselwurzel-Extrakt (Prostagutt® forte) gut
Phytosterol (z. B. Harzol®, Azuprostat®) mäßig
Kürbissamen-Extrakte(Granu Fink® Prosta forte) mäßig
Gräserpollen-Extrakte (Pollstimol®) gering




Dr. Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie der Uni Frankfurt, DAZ-Autorin
redaktion@daz.online


Prof. Dr. Robert Fürst, Institut für Pharmazeutische Biologie der Uni Frankfurt, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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