ARD-Beitrag

Plusminus: Apotheker beim Medikationsplan stärker einbinden

Berlin - 04.08.2017, 10:10 Uhr

(Screenshot: plusminus / ARD)

(Screenshot: plusminus / ARD)


Der Medikationsplan ist seit einigen Monaten als Papierversion verfügbar und soll das Verordnungsmanagement für Chroniker verbessern. Doch nur wenige Patienten nutzen diesen Service bisher. Wie das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus berichtet, kommt es deshalb weiter zu Millionen Fällen schwerwiegender Neben- und Wechselwirkungen. Experten fordern daher die engere Einbindung von Apothekern.

„Krank statt geheilt“ heißt der Beitrag der ARD-TV-Sendung Plusminus vom vergangenen Mittwoch. Und er beginnt emotional. Wolfgang Fuchs, ehemaliger Marathonläufer, sitzt jetzt im Rollstuhl, ist lebenslang arbeitsunfähig. Grund für sein Schicksal sind schwerwiegende Nebenwirkungen des Fluorchinolons Levofloxacin, das der heute 48-Jährige gegen eine Prostata-Entzündung erhielt. Während der Therapie lösten sich Fuchs’ Sehnen auf, seine Lungenfunktion ist seither stark eingeschränkt. 

Hätte dieser Fall mithilfe eines Medikationsplanes verhindert werden können? Vermutlich nicht, denn ein Plan kann Patienten nicht unmittelbar vor Nebenwirkungen schützen, vielmehr soll der Plan Menschen helfen, die mehrere Arzneimittel gleichzeitig einnehmen. Wahrscheinlich wäre er im Falle von Wolfgang Fuchs auch nicht zum Einsatz gekommen, da es sich um eine Kurzzeittherapie handelte. Und laut der gesetzlichen Regelung muss der Patient über einen längeren Zeitraum mehrere Arzneimittel einnehmen, um ein Anrecht auf den papiernen Medikationsplan zu haben. Dennoch zeigt das Beispiel, wie wichtig eine systematische Kontrolle ärztlicher Verschreibungen ist, um neben schwerwiegenden Wechselwirkungen auch unnötige Verordnungen zu vermeiden.

1,6 Millionen arzneimittelbedingte Notaufnahme-Fälle

Doch der ARD-Beitrag widmet sich auch ausführlich dem Thema Polymedikation. Schätzungen zufolge sterben in Deutschland bis zu 30.000 Patienten an den Folgen arzneimittelbedingter Neben- und Wechselwirkungen. Rund 1,6 Millionen Patienten werden jährlich wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen in die Notaufnahmen eingewiesen. Alleine am Uniklinikum Fürth sind es bis zu 20 Patienten am Tag. Chefarzt Prof. Harald Dormann untersucht diese Fälle im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Er rechnet vor: Die arzneimittelbedingten Klinikbehandlungen verursachen Kosten von etwa 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Auch Dormann berichtet über ein fatales Beispiel von unabgestimmter Polymedikation: Eine Patientin wurde in die Klinik eingeliefert, weil sie starke Bauchschmerzen hatte. Sie gab an, mehrere OTC-Schmerzmittel gleichzeitig eingenommen zu haben. Die Ärzte sehen freie Luft im Bauchraum und vermuten einen Magendurchbruch.

Auch deswegen kritisiert Dormann im Plusminus-Beitrag die schlechte Beteiligung der Apotheken am Medikationsplan. Nach seiner Meinung müssten die Pharmazeuten stärker eingebunden werden: „Die Apotheken müssen eine aktive Rolle in der Erstellung und Fortschreibung des Medikationsplanes spielen.“ Der Mediziner würde sich eine digitale Form wünschen, auf die alle Heilberufler immer aktuell zugreifen können.

Apotheker sollten OTC-Wissen beitragen

Denn rund ein Drittel der betroffenen Medikamente sind frei verkäuflich und werden vom behandelnden Arzt im Medikationsplan meist nicht vermerkt. Und der Praxistest zeigt: Der Medikationsplan wird bislang viel zu schlecht angenommen. Wie Dormann berichtet, besitzen ihn lediglich zehn Prozent der Patienten, die Anspruch darauf hätten, und nur jeder Dritte von ihnen hat ihn auch dabei. Denn die Patienten müssen sich aktiv um den Erhalt eines Medikationsplanes bemühen. Und das scheuen viele Betroffene.

Wie wichtig der Medikationsplan für die Therapiesicherheit sein kann, bemerkt auch Prof. Andreas Sönnichsen von der Universität Witten/Herdecke im Plusminus-Beitrag. Seine Untersuchungen zur Polymedikation bei älteren Menschen zeigen, dass fast jedes dritte Medikament für den Patienten nicht geeignet ist. Zudem würden häufig unpassende Medikamente verschrieben und Nebenwirkungen nicht erkannt. Und noch schlimmer: Nebenwirkungen würden als neue Erkrankung interpretiert und dann mit einem weiteren Medikament behandelt, was zu Verschreibungskaskaden führe. 

Auch hier könnte eine aktive Rolle der Apotheker zum Erfolg des Medikationsplanes beitragen, um Wechselwirkungen zu erkennen und Verordnungen mit pharmazeutischem Sachverstand zu hinterfragen. Sönnichsen ergänzt eine weitere Forderung, die auch die Apotheker immer wieder angemerkt haben: Der Medikationsplan als einfache Liste bringe wenig. Wichtig sei, dass die Medikation auch fortlaufend überprüft werde.

Zum Hintergrund: Der Medikationsplan wurde im Oktober 2016 eingeführt. Ziel ist es, Patienten bei der richtigen Einnahme ihrer Arzneimittel zu unterstützen. GKV-Versicherte, die mindestens drei systemisch wirkende Arzneimittel über einen längeren Zeitraum gleichzeitig einnehmen, haben Anspruch auf die Erstellung des bundeseinheitlichen Planes, den es zunächst nur in Papierform gibt. 2018 soll der Medikationsplan auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden können. Die Apotheker dürfen nur auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten ihr Wissen in den Plan eintragen. Eine Vergütung ist bislang nur für die ausstellenden Mediziner vorgesehen, für Apotheken konnte sie bisher nicht durchgesetzt werden.



Maximilian Wilke, Apotheker, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Und immer wieder ' der Medikationsplan!

von Heiko Barz am 04.08.2017 um 13:39 Uhr

Wenn es dramatisch wird, erinnert man sich gern der Leistungsfähigkeit des Deutschen Apothekers.
Und wie unübersichtlich ist es, sich auf dieser Ebene holländischen Versendern anzuvertrauen, die dem Medikanentionsplan argwöhnen und ihn eher wegdigitalisieren würden, um die kapitalorientierte Versorgung, und nur um die geht es denen, in den gewinnbringenden Fokus zu stellen..

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