Neuer Ansatz für Dimethylfumarat

MS-Arzneimittel kann verletzte Nerven heilen

Düsseldorf / Essen - 03.04.2017, 07:05 Uhr

 Bei Multipler Sklerose kommt es durch immunvermittelte Entzündungen zum Verlust der Myelinisierung im ZNS. In Tierversuchen zeigte sich: Dimethylfumarat kann motorische Nerven reparieren. (Foto: AG visuell / Fotolia)

 Bei Multipler Sklerose kommt es durch immunvermittelte Entzündungen zum Verlust der Myelinisierung im ZNS. In Tierversuchen zeigte sich: Dimethylfumarat kann motorische Nerven reparieren. (Foto: AG visuell / Fotolia)


Dimethylfumarat kann motorische Nerven reparieren. Das zeigte das zur Multiplen Sklerose eingesetzte Arzneimittel nun erfolgreich im Tiermodell. Regeneriert der Wirkstoff auch sensible Neuronen? Und kann Dimethylfumarat auch bei Neuropathien helfen?

Dimethylfumarat (DMF) wird bereits seit einiger Zeit erfolgreich in der Therapie der Multiplen Sklerose eingesetzt. Es reduziert die Häufigkeit der Schübe und das Auftreten von Läsionen im Gehirn. Ferner verlangsamt es das Fortschreiten der Krankheit und wird oral als Tablette eingenommen. Es hat immunmodulierende, entzündungshemmende und neuroprotektive Eigenschaften.

Forscher der Uni Duisburg-Essen haben jetzt gemeinsam mit Wissenschaftlern der Unikliniken Essen und Düsseldorf weitere Einsatzmöglichkeiten erforscht. Denn DMF hat laut ihrer Ergebnisse das Potenzial, verletzte Nerven reparieren zu können. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten der Biologe Fabian Szepanowski und das Team aus Medizinern und Biologen unter Leitung von Mark Stettner, Oberarzt der Klinik für Neurologie an der Uniklinik Essen, jetzt im Fachmagazin Acta Neuropathologica.

DMF hat Potenzial verletzte Nerven zu reparieren

Die Forscher fanden heraus, dass sich Mäuse mit einer Verletzung des peripheren Nervensystems schneller wieder bewegen konnten, wenn ihnen DMF verabreicht wurde. „Wie haben DMF an Mäusen im sogenannten ‚Sciatic Nerve Crush‘-Modell untersucht, also einer traumatischen Verletzung des Nervus ischiadicus. Dabei wird der Nerv operativ freigelegt und mit einer Klemme bei definiertem Kraftaufwand und definierter Dauer geschädigt, jedoch ohne ihn dabei zu durchtrennen“, erklärt Szepanowski. Bei dieser Methode werden die Axone, also die reizleitenden Nervenzellfortsätze unterbrochen, das umgebenden Bindegewebe bleibt aber unverletzt, so dass das Wiederauswachsen der Axone möglich bleibe, sagt der Forscher.

„In Folge der Nervenverletzung kommt es zu degenerativen Prozessen, die als sogenannte Waller’sche Degeneration zusammengefasst werden. Es kommt zu einem Abbau der geschädigten Axone sowie des Myelins, also der „Isolierschicht“ um die Nervenfasern. Im Nerven befindliche sowie einwandernde Immunzellen lösen eine Entzündungsreaktion aus“, erklärt Stettner. Diese entzündlichen und oxidativen Vorgänge könnten dann zu einer nachhaltigen Schädigung der Nerven- und Schwannzellen führen, sagt der Forscher. Folgen einer solchen Nervenverletzung reichen von Kribbeln und Taubheitsgefühl bis hin zu Lähmungen.

DMF verbessert Startbedingungen der Nervenregeneration

An der Stelle kommen dann die neuroprotektiven und entzündungshemmenden Eigenschaften des Wirkstoffs DMF zum Tragen. „DMF fungiert als Aktivator des sogenannten nrf2-Transkriptionsfaktors, welcher die Expression einer Vielzahl von zellschützenden und anti-entzündlichen Faktoren steuern kann“, sagt Szepanowski. Dabei vermuten die Forscher, dass der Wirkstoff über diesen Signalweg, der unter anderem anti-oxidative Proteine induziert, die Schäden am verletzten Nerven reduziert. „Es verbessert damit wohl die Startbedingungen der Nervenregeneration“, erklärt Stettner.

Im Mäusemodell wurden die Versuchstiere bis zum neunten Tag nach Beibringung der Verletzung mit DMF behandelt, also im Zeitraum der Waller’schen Degeneration. Eine deutliche Verbesserung der Mobilität der Mäuse habe man dann erst nach 21 Tagen bei den behandelten Mäusen im Vergleich zu Mäusen ohne DMF-Gabe sehen können. Damit habe DMF einen nachhaltigen heilenden Effekt auf die verletzten Nerven, der auch ohne weitere Gabe von DMF erhalten bleibt, schließen die Forscher.

Bislang nur Wirkung bei Verletzung motorischer Nerven untersucht

Mit dem verwendeten Modell des „Sciatic Nerve Crush“ habe man nur die Auswirkungen der Wirkstoffgabe auf eine Verletzung motorischer Nerven untersuchen können. „Aufgrund der Ähnlichkeit von motorischen und sensiblen Nerven wäre eine Wirksamkeit bei sensiblen Nerven aber zumindest zu diskutieren“, sagt der Biologe. DMF könnte somit auf seine Wirkung bei neuropathischen Schmerzen nach einer Nerven-Verletzung getestet werden.

Auch bei der vollständigen Durchtrennung von Nerven könnte DMF wirksam sein. „Die vollständige Durchtrennung eines Nervs unterscheidet sich aber von der untersuchten Quetschverletzung. Nach einer Durchtrennung ist in der Regel zunächst eine chirurgische Rekonstruktion des Nervs erforderlich“, sagt Stettner. Sollte es anschließend zu einem Wiederauswachsen der Axone kommen, sei es zumindest vorstellbar, dass DMF den Regenerationsprozess unterstützen könnte oder degenerative Prozesse verhindere. „Allerdings ist das bislang rein spekulativ und erfordert weitere Studien, bevor eine klare Aussage getroffen werden kann“, sagt der Mediziner.

„Unsere weitere Forschung wird sich neben DMF auch mit den zellulären und molekularen Mechanismen befassen, die dem regenerativen Effet zugrunde liegen“, erklärt Szepanowski. Zudem seien in den vergangenen Jahren einige natürlich vorkommenden Substanzen identifiziert worden, die vermutlich genau diese Mechanismen adressieren könnten. „Es könnte also lohnenswert sein, sich einige dieser Substanzen im Kontext der Nervenregeneration einmal genauer anzuschauen.“

DMF könnte auch bei Neuropathien helfen

„Neben unseren Studien zum Effekt von Dimethylfumarat auf die Regeneration nach einem mechanischen Nervenschaden, weisen erste Untersuchungen anderer Forschungsgruppen noch auf positive Effekte bei immunvermittelten Erkrankungen des peripheren Nervensystems hin, so zum Beispiel im Tiermodell für das Guillain-Barre-Syndrom, einer akut auftretenden entzündlichen Neuropathie“, ergänzt Stettner.

„Akute sowie chronische entzündliche Neuropathien gehen mit einer Schädigung der Myelinschicht und den daraus resultierenden Defiziten einher. Die Therapiemöglichkeiten sind dabei jedoch relativ eingeschränkt, das Interesse an neuen Medikamenten groß. Die bisher bekannten zellschützenden sowie anti-entzündlichen Eigenschaften sowie das bekannte Nebenwirkungsprofil und die Möglichkeit der oralen Einnahme machen DMF sicherlich zu einem interessanten Kandidaten“, sagt Stettner. Aktuell liefen jedoch noch keine klinischen Studien. Worauf der Fokus zukünftiger klinischer Studien liegen werde, bliebe also noch abzuwarten, sagt der Forscher.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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