Multiple Sklerose

Reversibler Schädigungsvorgang entdeckt

München - 04.04.2011, 07:34 Uhr


Ein Münchener Forscherteam konnte zeigen, wie es bei der Multiplen Sklerose (MS) zu den Schädigungen der Nervenzellfortsätze, der Axone, kommt.

Bei der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose (MS) bilden sich in Gehirn und Rückenmark ausgedehnte entzündliche Veränderungen, in welchen die langen Fortsätze der Nervenzellen – die Axone – zerstört werden. Bisher wurde die Zerstörung der schützenden Myelinscheide als Voraussetzung für den Untergang der Axone angesehen. Die fettreiche Isolierschicht dieser Myelinscheide umgibt die langen Nervenzellfortsätze.

Das Forscher haben einen Mikroskopie-Ansatz entwickelt, mit dessen Hilfe sie genetisch mit einem Farbstoff markierte Axone direkt im Tiermodell beobachten können. Bei Mäusen, die an einem Tiermodell der Multiplen Sklerose erkrankt waren, konnten die Forscher sehen, dass auch geschädigte Axone häufig noch von einer intakten Myelinscheide umhüllt sind. Die Zerstörung der Isolierschicht kann damit zumindest nicht die einzige Ursache für die Schädigung der Axone sein.

Vielmehr ist ein bislang unbekannter Mechanismus für die Schädigung verantwortlich: Die „focal axonal degeneration“, kurz FAD, kann Axone auch dann absterben lassen, wenn sie noch von einer schützenden Myelinscheide umgeben sind. Dieser Prozess könnte auch zu der für die bei der MS charakteristischerweise vorübergehende spontane Besserung der Beschwerden beitragen, denn die frühen Stadien der Axondegeneration sind spontan reversibel, also umkehrbar. Diese Erkenntnis führt zu einem besseren Verständnis der Erkrankung und könnte neue Wege in der Behandlung aufzeigen, denn ein reversibler Prozess lässt sich möglicherweise therapeutisch beeinflussen.

Bereits bekannt ist, dass Sauerstoff- und Stickstoffradikale eine entscheidende Rolle als Auslöser des Axonuntergangs spielen. Sie werden von Immunzellen produziert und attackieren die Mitochondrien, die Energie erzeugenden zellulären „Kraftwerke“ in den Nervenzellfortsätzen, was diese in den Untergang treiben kann. Zumindest im Tiermodell konnten die Forscher diese Radikale medikamentös neutralisieren und so die Erholung der vorgeschädigten Axone verbessern.

Weiterführende Untersuchungen an menschlichem Gewebe, die in Zusammenarbeit mit Spezialisten der Universitäten Göttingen und Genf erfolgten, lieferten vielversprechende Ergebnisse: Die charakteristischen Stadien des neu gefundenen Degenerationsprozesses lassen sich auch im Gehirn von menschlichen Patienten mit Multipler Sklerose nachweisen, sodass die Behandlungsstrategie auch hier eine Wirkung zeigen könnte.

Das bedeutet aber nicht, dass schon in Kürze mit einer Therapie gerechnet werden kann. Die in den Versuchen eingesetzten Wirkstoffe sind für einen klinischen Einsatz nicht spezifisch und vor allem nicht verträglich genug.

Literatur: Nikiæ, I., et al.: Nature Med. 2011, Online-Vorabpublikation 27. März 2011; doi: 10.1038/nm.2324.


Dr. Bettina Hellwig