Europa, Deine Apotheken – Großbritannien

Zwischen Staatsversorgung und einem Markt ohne Regeln

London - 28.12.2016, 19:55 Uhr

Im staatlichen Gesundheitswesen Großbritanniens sollen bis 2021 insgesamt 28 Milliarden Euro eingespart werden. (Foto: DAZ.online)

Im staatlichen Gesundheitswesen Großbritanniens sollen bis 2021 insgesamt 28 Milliarden Euro eingespart werden. (Foto: DAZ.online)


Weltkonzerne übernehmen Apothekenmarkt

2012 folgte dann die Globalisierung des Apothekenkonzerns Alliance Boots: Der US-amerikanische Pharmagroßhandelskonzern Walgreens übernahm einen 45-prozentigen Anteil von Alliance Boots, seit 2014 heißt das Unternehmen nun Walgreens Boots Alliance. Die Marke der Boots-Apotheken ist in Europa aber erhalten geblieben. Alleine in Großbritannien gibt es mehr als 2.500 Boots-Apotheken. Auch der Mannheimer Pharmahändler Phoenix ist im Königreich aktiv: Phoenix betreibt die Apothekenkette Rowlands (etwa 500 Standorte) und einen eigenen Großhandel.

In Großbritannien ist also weder dem Fremd- und Mehrbesitzverbot noch einer Vertikalisierung von Apothekenketten und Großhändlern ein Riegel vorgeschoben. In einem anderen Bereich gibt es im Vereinigten Königreich allerdings Regeln, die hierzulande wiederum nicht existieren: Bis vor etwa zehn Jahren mussten sich alle neuen Apotheken, ob sie nun von unabhängigen Apothekern oder von Kettenunternehmen eröffnet werden sollten, einer Bedarfsprüfung unterziehen. Um auf die Liste der Apotheken zu kommen, die ihre Leistungen beim NHS abrechnen können, musste man eine lokale Versorgungslücke schließen oder nachweisen, dass die angebotenen Services in der jeweiligen Region ein Plus an Versorgungsqualität mit sich bringen.

Im Jahr 2005 deregulierte die britische Regierung dieses System jedoch in einer Art und Weise, die einen großen Einfluss auf den Apothekenmarkt haben sollte. Fortan galten nämlich vier Ausnahmen von der Bedarfsplanung. Unter anderem konnten sich Anbieter überall niederlassen, wenn sie ihre Apotheke länger als 100 Stunden pro Woche geöffnet hielten. Auch Apothekenanbieter in großen Einkaufsgebieten auf dem Land oder in medizinischen Versorgungszentren bekamen grünes Licht. Außerdem erlaubte die Regierung es  Ärzten erstmals, Medikamente in gewissem Umfang selbst zu dispensieren.

Von diesen Ausnahmen profitierten insbesondere Supermarktbetreiber im Land. Es folgte ein wahrer Boom an Apotheken-Eröffnungen in Einkaufszentren. Während es in den Jahren 2000 bis 2004 jährlich um die 50 Neueröffnungen gab, konnten allein im Jahr 2006 fast 300 neue Apotheken ihre Pforten öffnen. Insbesondere die Supermarktkette Sainsbury’s stieg ins Apothekengeschäft ein. Die rund 280 In-store-Apotheken von Sainsbury’s wurden kürzlich übrigens von Celesio übernommen. Insgesamt ist die Apothekenzahl im Vereinigten Königreich seit 2005 um fast 20 Prozent angestiegen. In Großbritannien gibt es derzeit etwa 14.000 Apotheken. Etwas mehr als 60 Prozent der Standorte gehören zu Ketten mit mehr als fünf Apotheken oder zu einer Supermarktkette.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Wirklichkeit

von Reinhard Rodiger am 28.12.2016 um 15:56 Uhr

Das klingt so als ob das Ideal wäre und unsere Oberen in ihrer Fixierung bestärken .
Die Erträge werden um 20-40 % sinken. Etwa ein Viertel wird das nicht überleben. Distribution wird zentralisiert und automatisiert und damit entwertet . Das bedeutet Kapitaleinsatz, der nur von den Großen erwirtschaftet wird. DIenstleistungen sind zT gedeckelt - jedenfalls die , die hier als wahre Zukunft angepriesen werden(MUR).
Es soll ja gespart werden und nicht die Kosten anderswo wieder reingeholt werden.Wichtiger als hier ist die Einbindung in die Erstversorgerfunktion zur Entlastung der gnadenlos überlasteten Ärzte.Da ist schon ein interessanter Bereich, der haupsächlich von Preisunterschied und der leichteren Zugänglichkeit befeuert wird.Ohne die langen Wartezeiten gäbe es das nicht.Sind Personalengpässe eine Berufslegitimation?

Es wird der eine angestammte Bereich stranguliert und dessen Ausgleich wird den Großen überlassen, die ihre Macht dann ausspielen können.Da gibt es keinen Wettbewerb mehr, oder Interesse an Patientennöten.Alles in ein oder zwei Händen.

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