Die Evidenz-Sprechstunde

Der Effekt ist doch offensichtlich – oder?

05.10.2016, 07:00 Uhr

Um den Nutzen eines Fallschirms unter Beweis zu stellen, bedarf es keiner evidenzbasierten Studie mit Placebo-Arm. (Foto: freefly / Fotolia)

Um den Nutzen eines Fallschirms unter Beweis zu stellen, bedarf es keiner evidenzbasierten Studie mit Placebo-Arm. (Foto: freefly / Fotolia)


Wie viel ist „groß“?

Als dramatische Effekte gelten nicht nur Heilungsraten von nahezu 100 Prozent (wie bei dem erwähnten Hepatitis-C-Mittel), sondern auch deutlich reduzierte Risiken. Ausgedrückt als relative Risikoreduktion heißt das: Bei einem relativen Risiko von mindestens etwa fünf bis zehn (beziehungsweise höchstens 0,1 bis 0,2, je nach Darstellung der Gruppen) gehen Experten davon aus, dass sich diese Effekte nicht allein durch den Einfluss von Störfaktoren in den Studien erklären lassen. Ein relatives Risiko von 0,1 bedeutet beispielsweise, dass in der Behandlungsgruppe nur ein Zehntel der unerwünschten Ereignisse (etwa Herzinfarkte) auftritt, verglichen mit der Kontrollgruppe. Ähnlich geht auch das GRADE-System vor, das hilft, die Erkenntnissicherheit der Evidenz aus klinischen Studien einzuschätzen: Danach gilt die Erkenntnissicherheit aus nicht-randomisierten Studien erst einmal als „niedrig“. Wenn jedoch das Risiko für systematische Verzerrungen niedrig ist, alle Studien ähnliche Ergebnisse aufweisen und präzise Schätzungen des Effekts liefern, können dramatische Effekte zum Hinaufstufen der Erkenntnissicherheit führen.

Sind kleine Effekte echt?

Die Effekte der allermeisten Therapien sind jedoch deutlich kleiner. Zum Vergleich: Statine senken bei Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit in der Sekundärprävention das Risiko für kardiale Ereignisse um etwa 25 bis 30 Prozent. Das entspricht einem relativen Risiko von 0,7 bis 0,75. Kleine Therapieeffekte werden gerade bei chronischen Erkrankungen außerdem häufig durch variable Krankheitsverläufe überlagert. Hinzu kommt, dass systematische Verzerrungen (Bias), etwa durch unzureichende Verblindung oder unterschiedliche Begleitbehandlungen, Therapieeffekte häufig überschätzen. Um das Ausmaß des therapeutischen Nutzens richtig bestimmen zu können, sind deshalb Untersuchungen nötig, die systematische Verzerrungen möglichst gut ausschließen. Deshalb läuft es letzten Endes bei Therapiestudien doch wieder auf randomisierte kontrollierte Studien hinaus. Allerdings müssen auch randomisierte kontrollierte Studien bestimmte Qualitätskriterien einhalten, damit sich der Bias nicht doch durch die Hintertür wieder einschleichen kann. Doch dazu mehr in der nächsten Evidenz-Sprechstunde.



Iris Hinneburg, freie Medizinjournalistin und Pharmazeutin
redaktion@daz.online


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