Zulassungsempfehlung

Positives Votum für Gentherapie gegen seltenen Immundefekt

Stuttgart - 04.04.2016, 16:20 Uhr

Mithilfe von Strimvelis soll sich eine Mutation, die einen schweren  Immundefekt hervorruft, „reparieren" lassen. (Foto: Dan Race / Fotolia)

Mithilfe von Strimvelis soll sich eine Mutation, die einen schweren Immundefekt hervorruft, „reparieren" lassen. (Foto: Dan Race / Fotolia)


Mit der Zulassungs-Empfehlung für Strimvelis hat sich der Humanarzneimittelausschuss der EMA (CHMP) für einen gentherapeutischen Ansatz ausgesprochen. Er soll Kindern mit dem angeborenen seltenen Immunfdefekt ADA-SCID helfen, die keinen passenden Stammzellspender haben.

Bei der autosomal rezessiv vererbten Stoffwechsel-Störung ADA-SCID (Adenosin Desaminase – Severe Combined Immunodeficiency) liegt eine Mutation im Adenosin-Desaminase-Gen auf Chromosom 20 zugrunde. Diese Mutation ruft einen schweren Immundefekt hervor, so dass das Immunsystem der Kinder fast vollständig ausfällt. Neben den immunologischen Problemen verursacht die Erkrankung eine Reihe anderer Beschwerden wie Wachstums- und Entwicklungsstörungen, Hörverlust sowie Leber- und Nierenprobleme. Die Symptome treten meist innerhalb der ersten sechs Lebensmonate auf. Wenn die Funktion des Immunsystems nicht hergestellt werden kann, sterben die Kinder innerhalb von zwei Jahren.

Stammzelltransplantation als kurative Option

Ein zugelassenes Arzneimittel gibt es derzeit noch nicht. Bislang war die einzige kurative Therapiemöglichkeit eine allogene Stammzelltransplantation. Der Erfolg hängt aber sehr von der Kompatibilität des Spenders ab. Einige Kinder erhalten eine Enzymersatztherapie. Diese ist aber in der EU nicht zugelassen, erfordert lebenslange wöchentliche Injektionen und die Wirkung scheint über die Jahre nachzulassen. Ansonsten blieb nur die Minimierung des Infektionsrisikos.

Hoffnung für Patienten ohne passenden Spender

Für Kinder, die keinen passenden Spender finden, könnte es bald eine kurative Therapieoption geben. Der CHMP hat sich für die Zulassung von Strimvelis ausgesprochen. Damit folgt das Gremium der Empfehlung des Committee on Advanced Therapies, ein wissenschaftlicher Ausschuss, der sich auf fortschrittliche Therapieansätze wie Gen-oder Zelltherapie spezialisiert hat.

Strimvelis besteht aus patienteneigenen unreifen Knochenmarkszellen, sogenannte CD34+-Zellen. In diese Zellen wurde ex-vivo mithilfe eines retroviralen Vektors ein intaktes Adenosin-Desaminase-Gen eingefügt. Nachdem der Patient seine Zellen wieder zurückerhält, sind sie in der Lage, sich in alle Arten von Blut- und Immunzellen auszudifferenzieren. Man erwartet, heißt es in einer Pressemeldung der EMA, dass diese Fähigkeit lebenslang anhält.

Orphan-Drug-Status

Strimvelis, dem 2005 Orphan-Drug-Status zuerkannt wurde, wurde in einer klinischen Studie an zwölf Patienten erprobt. Nach einem durchschnittlichen Follow-up  von sieben Jahren sind alle noch am Leben. Hauptnebenwirkungen waren Fieber, erhöhte Leberwerte sowie Autoimmunreaktionen wie Anämie oder Neutropenie. Um die weitere Beobachtung der Anwender sicherzustellen, ist der Hersteller auch in Zukunft verpflichtet, alle mit Strimvelis behandelten Patienten in Register aufzunehmen und über die Langzeiteffekte zu berichten.

Die Gentherapie wurde ursprünglich vom San Raffaele Telethon Institute for Gene Therapy (SR-TIGET) entwickelt. 2010 ging GlaxoSmithKline mit den beiden am Institut beteiligten Partnern,dem Krankenahus San Raffaele in Mailand und der Telethon-Stiftung, eine strategische Zusammenarbeit ein. GlaxoSmithKline hatte das Projekt weiter vorangetrieben und auch den Zulassungsantrag gestellt.

Die Empfehlung des CHMP, Strimvelis zuzulassen, wird nun an die Kommission weitergeleitet. Strimvelis wäre nicht die erste zugelassene Gentherapie in der EU. Mit Glybera ist bereits ein Gentherapeutikum in Europa auf dem Markt. Es wird zur Behandlung der seltenen familiären Lipoproteinlipasedefizienz (LPLD) bei Erwachsenen eingesetzt. Die Zulassung wurde 2012 erteilt.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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