Studie

Erhöhen Neuroleptika bei Parkinson die Mortalität?

Stuttgart - 29.03.2016, 16:48 Uhr

Schaden Neuroleptika bei Parkinson womöglich mehr als sie nutzen? (Bild: agsandrew / Fotolia)

Schaden Neuroleptika bei Parkinson womöglich mehr als sie nutzen? (Bild: agsandrew / Fotolia)


Neuroleptika scheinen bei Demenzpatienten die Mortalität zu erhöhen. Ob das bei Parkinsonpatienten, die oft mit Antipsychotika behandelt werden, auch der Fall ist, wollten Forscher in einer große retrospektive Kohortenstudie klären. 

60 Prozent aller Menschen, die an Parkinson erkranken, leiden im Laufe ihrer Erkrankung unter einer Psychose, 80 Prozent entwickeln eine Demenz. Neuroleptika kommen daher häufig zum Einsatz. Es gibt bereits Daten, die auf ein erhöhtes Frakturrisiko für Parkinson-Patienten unter den atypischen Neuroleptika Quetiapin, Risperidon und Olanzapin hindeuten. Inwiefern Antipsychotika sich aber auf die Mortalität von Parkinson-Patienten auswirken, ist bisher kaum erforscht.

Bei Demenzpatienten hingegen scheint der Einsatz von Neuroleptika, insbesondere der klassischen Präparate, mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert zu sein. Die FDA hat daher bereits vor mehreren Jahren diese Substanzen mit einem entsprechenden Warnhinweis versehen. Wissenschaftler um Daniel Weintraub von der University of Pennsylvania gingen der Frage nach, ob bei Parkinson-Patienten ein ähnliches Risiko besteht.

Klassische Neurolpetika sind kritischer

In einer retrospektiven Kohorten-Studie wurden die Daten von 7877 gematchten Paaren Parkinson-Patienten ausgewertet, von denen jeweils einem Antipsychotika verordnet wurden, dem anderen nicht. Dabei ergab sich, dass nach dem Herausrechnen anderer Einflussfaktoren Antipsychotika das Risiko verdoppelten, innhalb von 180 Tagen nach Verordnung zu versterben. Die Untersuchung wurde in der Fachzeitschrift JAMA Neurology veröffentlicht.

Klassische Neuroleptika waren dabei problematischer als atypische (HR 1,54). Allen voran Haloperidol, das mit 3,6 Prozent aller Verordnungen das am häufigsten verschriebene Atypikum war. Es verfünffachte die Mortalität im Vergleich zur unbehandelten Gruppe. Laut deutscher Fachinfo ist Haloperidol bei Parkinson kontraindiziert.

Bei den Atypika erhöhte Olanzapin die Sterblichkeit am meisten. Gefolgt von Risperidon und Quetiapin. Letzteres machte zwei Drittel der Antipsychotika-Verordnungen aus und ging mit einer Verdopplung des Sterblichkeitsrisikos einher.

Es ist das dabei einzige der genannten Präparate, für das bei Parkinson keine Anwendungsbeschränkung oder Kontraindikation besteht.
14,7 Prozent der Verordnungen entfielen auf auf Risperidon,10,6 Prozent auf Olanzapin und 2,5 Prozent auf andere atypische Neurolpetika. 

Vorsichtiger Einsatz bei Parkinson

Aufgrund dieser Ergebnisse raten die Studienautoren, Neuroleptika bei Parkinson-Patienten mit Vorsicht einzusetzen. Zumal die Evidenz für die Wirksamkeit dieser Wirkstoffgruppe begrenzt sei, schreiben sie in der Diskussion. Es sollten insbesondere klassische Neuroleptika vermieden werden, ebenso wie der Off-Label-Einsatz von Antipsychotika, zum Beispiel bei Schlafstörungen.

Die Wissenschaftler halten es für notwendig, dass an der Entwicklung von wirksamen Antipsychotika ohne negativen Einfluss auf die Mortalität geforscht wird. Außerdem sollen, ähnlich wie bei Demenz, nicht-medikamentöse Methoden evaluiert werden, Psychosen in den Griff zu bekommen.

Begrenzte Aussagekraft

In einem Editorial zur Studie, das in der derselben Ausgabe von JAMA Neurology veröffentlicht wurde, äußert Neurologe Mark S. Baron vom Parkinson’s and Movement Disorders Center Virginia Commonwealth University allerdings Kritik an der Untersuchung. Beispielsweise sei die Diagnose Parkinson, die ohnehin mit einer relativ großen Ungenauigkeit behaftet ist, nicht nur von Spezialisten gestellt worden.

Außerdem könnten aufgrund des retrospektiven Charakters der Studie die Gründe, warum der behandelnde Arzt sich für oder gegen einen Einsatz von Neuroleptika entscheiden habe, nicht eindeutig nachvollzogen werden.

Desweiteren wisse man nicht, ob die Psychose selbst oder deren Behandlung der Risikofaktor für sei. Daher seien die Ergebnisse nur begrenzt aussagekräftig, heißt es. Positiv bewertet wurde die Größe der Kohorte sowie die Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren.

Schwierige Situation für Ärzte

Der Autor des Editorials sieht Ärzte, die Parkinson-Patienten mit unkontrollierbaren Halluzinationen behandeln, in einer schwierigen Situation. Oft gibt es keinen Lösungsansatz, der wirksam und zugleich erwiesenermaßen sicher ist.

In jedem Fall sollten zuerst mögliche Auslöser wie bestimmte Parkinson-Therapeutika (nicht-L-Dopa)  eliminiert werden. Bringt das keine Besserung, kann die L-Dopa-Dosis vorsichtig reduziert werden. Allerdings muss dabei die Beweglichkeit des Patienten im Auge behalten werden. Auch Cholinesterase-Inhibitoren seien einen Versuch wert, heißt es in dem Text 

FDA sollte Auflagen hinterfragen

Werden Neuroleptika verordnet, sollten Atypika mit dem geringsten Risiko eingesetzt und die Dosis langsam titriert werden, meint der Editorial-Autor. Auch wenn sie als beste therapeutische Option erachtet werden, gestaltet sich der Einsatz in der Praxis seiner Erfahrung nach jedoch schwierig. Aufgrund der Warnhinweise seien Angehörige skeptisch, was in den in den Augen des Autors nachvollziehbar ist. Allerdings merkt der Autor des Editorials auch an, dass in einigen neuen Untersuchungen bei Demenzpatienten keine Anhaltspunkte für eine erhöhte Mortalität unter Neuroleptika mehr gefunden wurden. Diese könnten frühere Ergebnisse zwar nicht widerlegen, sie sollten aber zumindest dazu führen, die von der FDA auferlegten Anwendungsbeschränkungen kritisch zu hinterfragen.

Die wahren Auswirkungen von Antipsychotika auf die Mortalität älterer Demenz-Patienten könnten möglicherweise besser evaluiert werden, wenn Therapienalternativen zum Vergleich zu Verfügung ständen. In diesem Punkt stimmt der Verfasser des Editorials mit den Studienautoren überein.

Letzlich sollte die FDA die publizierten Daten neu auswerten und über die Unterstützung großer, gut designter, prospektiver Studien nachzudenken, schließt er sein Editorial.


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.