Kommentar zur Spiegel-Kolumne

„Wer alte Medikamente wegwirft, hat keine Ahnung!“

Stuttgart - 20.11.2013, 15:04 Uhr


Mit diesem Satz überschreibt Spiegel-Kolumnist Frederik Jötten seinen Text, der heute auf Spiegel online zu lesen ist. Seiner Meinung nach „interpretiert, wer alle Medikamente wegwirft, die älter als ihr Verfallsdatum sind, ‚Verwendbarkeitsdatum‘ zu pessimistisch“.

„Die Hausapotheke ist gut gefüllt, doch bei den meisten Medikamenten ist das Verwendbarkeitsdatum schon längst überschritten. Benutzen kann man viele Arzneien trotzdem noch“, meint der Kolumnist. Um dies zu unterstreichen, führt er Beispiele an, wann er abgelaufene Medikamente verwendet und dabei keinerlei Schaden genommen habe. „Natürlich möchte ich hier nicht generell dazu aufrufen, abgelaufene Medikamente zu benutzen. Jeder muss selbst die Verantwortung übernehmen, falls er das tut. Aber es schadet ja nicht, den Verstand einzuschalten“, so Jötten weiter.

Das Problem: Mit Verstand allein ist es hier nicht getan. Fundiertes Fachwissen ist notwendig, um tatsächlich beurteilen zu können, ob ein Arzneimittel nach Überschreitung des Verfallsdatums bzw. Verwendbarkeitsdatums „nur“ nicht mehr wirkt oder, ob tatsächlich gefährliche Abbauprodukte entstehen, was wie Jötten immerhin erwähnt, bei „gefährlichen Ausnahmen“ schon vorkommen kann.

Diese Auffassung teilt auch Prof. Jörg Breitkreutz, Direktor des Instituts für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Uni Düsseldorf, der im angehängten Interview zwar zugibt, durchaus auch schon gelegentlich abgelaufene Medikamente zu nehmen, aber eben mit dem entscheidenden Unterschied, dass er einiges darüber wisse und sich genau überlege welche. Breitkreutz widerspricht auch dem – in seinen Augen – weit verbreiteten Vorurteil, dass die Verfallsdaten für Medikamente so kurz sind, damit die Pharmaindustrie besser verdient. Fälle, in denen Unternehmen zu kurze Haltbarkeiten auf ihr Produkt geschrieben hätten, um mehr Profit zu machen, seien ihm nicht bekannt. Im Gegenteil: Firmen versuchen, längere Haltbarkeitsdaten zu bekommen, oder geben nicht an, wie toxisch das Nebenprodukt sein könnte.

Fakt ist, die Vorschläge von Jötten umzusetzen, ist aus pharmazeutischer Sicht grob fahrlässig. Denn das Verfallsdatum bei Arzneimitteln ist nicht gleichzusetzen mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum eines Lebensmittels, das wie der Name schon sagt, die Mindesthaltbarkeit beziffert und angibt, ab wann der Verkäufer keine Gewährleistung mehr für die Qualität des Produkts übernimmt, das Produkt aber weiterhin verkehrsfähig ist. Es ist vielmehr gleichzusetzen mit dem Verbrauchsdatum, das bei sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit darstellen könnten, üblich ist und nach dessen Ablauf das Inverkehrbringen verboten ist.

Die meisten Menschen mögen zwar über Verstand verfügen, aber sicher nicht über die notwendige Expertise, einen möglichen Schaden durch ein abgelaufenes Arzneimittel zu beurteilen. Letzteres würden sich vermutlich die meisten Apotheker nicht zutrauen.

Den Spiegel-online-Beitrag in voller Länge finden Sie hier.


Julia Borsch