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„Arzneimittel-Flohmarkt“ geht gar nicht

Heftige Kritik an Ärztepräsident-Vorschlag gegen Arzneimittelengpass

ks/ral | Es war wahrscheinlich gut gemeint: Angesichts des derzeitigen Mangels an Arzneimitteln, vor allem für Kinder, hat der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt vorgeschlagen, mit „Flohmärkten für Medikamente in der Nachbarschaft“ Abhilfe zu schaffen. Er löste damit eine Welle der Empörung aus – nicht nur bei Apothekern.

Im „Tagesspiegel“ rief Reinhardt an­gesichts fehlender Arzneimittel zu Solidarität auf. Wer gesund sei, müsse vorrätige Arznei an Kranke abgeben. Er sprach von „so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft“ – und dass dafür auch Arzneimittel infrage kämen, deren Haltbarkeitsdatum bereits einige Monate abgelaufen sei.

Foto: imago images/Screenshot DAZ

Anlass für Spott Den „Arzneimittel-Flohmarkt“ interpretiert Sebastian Rabsahl, Comedian, Poetry-Slammer und Buchautor, auf Instagram auf seine eigene Weise ...

Die Äußerungen sorgten für großen Unmut in der Apothekerschaft. „So treibt man Menschen in gefährliche Arzneimitteleinnahmen, löst aber keine Lieferengpässe“, heißt es in einer Pressemitteilung, die die ABDA anlässlich Reinhardts Vorschlag verschickte. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening wies in diesem Zusammenhang auch Mutmaßungen einzelner Politiker zurück, Apotheken würden hamstern. „Wir helfen, die Engpässe zu lösen, wir produzieren sie nicht. Von der Politik ist für diesen Einsatz längst ein spürbarer Dank überfällig!“ Der Präsident der Bundesapothekerkammer, Thomas Benkert, erklärte, er sei schockiert, dass der Präsident der Bundesärztekammer Derartiges öffentlich vorschlage. „Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt – schon gar keine abgelaufenen Arzneimittel“, betonte er. Die aktuelle Situation, so Benkert, eigne sich nicht für Populismus. Reinhardts Vorschlag gehe völlig an der Realität vorbei. „Die Apotheken stehen aktuell unter enormem Druck, das Fehlen von lebenswichtigen Arznei­mitteln zu managen. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch Repräsentanten der Ärzteschaft verantwortungsvoll an Lösungsansätzen beteiligen würden.“

Ähnlich lautende Kritik kam von Landesapothekerkammern und -verbänden. Unter anderem hält der Präsident der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, Martin Braun, Reinhardts Vorschläge für vollkommen verfehlt. „Arzneimittel werden aus gutem Grund von Ärzten verschrieben und von Apotheken an die Patienten abgegeben. Arzneimittelsicherheit und Patientenwohl gehen vor – unkontrollierbare Distributionswege, die Arzneimittelfälscher auf den Plan rufen, stehen dem diametral entgegen“, schrieb er in einer Pressemitteilung. Tatjana Zambo, Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, will Reinhardts Aussagen ebenfalls so nicht stehen lassen: „Ein solcher Vorschlag ist fahrlässig, verantwortungslos und heilberuflich nicht zu vertreten“, betonte sie in einer Pressemitteilung des Verbands.

Und für Thomas Rochell, Vorstands­vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, ist der Vorschlag des obersten Vertreters der Ärzteschaft „der Offenbarungseid des deutschen Gesundheitssystems“.

Er mahnt ebenfalls: „Je nach Vorerkrankung kann die Einnahme eines Mittels gesundheitliche Risiken haben. Auch können problematische Wechselwirkungen mit anderen Substanzen auftreten. Ohne eine vernünftige Be­ratung dürfen Arzneimittel daher nicht eingenommen werden.“

KBV distanziert sich von Vorschlag

Und auch die Ärzteschaft steht keinesfalls geschlossen hinter Reinhardts Vorschlag. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, warnte in einer Pressemitteilung, „einfach gebrauchte oder gar abgelaufene Arzneimittel im Nachbarschafts- oder Freundeskreis zu tauschen oder abzugeben“. Das Risiko sei einfach zu groß, dass durch solch eigentlich gut gemeinte Solidaritätsaktionen mehr Schaden als Nutzen bis hin zu Gefahren „für Leib und Leben“ angerichtet würden. |

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