Atherosklerose

Entzündung in der Gefäßwand stoppen

München - 29.04.2011, 07:07 Uhr


Münchner Forscher haben einen molekularen Mechanismus entdeckt, der spezifisch die gefährliche Entzündung in den Gefäßwänden speist – und dessen Unterbrechung das Ausmaß der Atheroklerose zumindest im Tierversuch drastisch senkt.

Jetzt soll aus der Grundlagenarbeit ein Arzneimittel zur Vorbeugung und Therapie von Herz-Kreislauferkrankungen entwickelt werden, wie Prof. Dr. Christian Weber, Direktor des Instituts für Prophylaxe und Epidemiologie der Kreislaufkrankheiten der Ludwig-Maximilians-Universität, mitteilte.

Die Atherosklerose ist die gemeinsame Endstrecke der bekannten Risikofaktoren, beispielsweise Rauchen, Bluthochdruck oder erhöhte Blutfette, kann aber auch durch eine ungünstige genetische Veranlagung bedingt sein. Alle diese Faktoren schädigen die innerste Zellschicht der Gefäßwand, das Endothel, worauf im Zuge einer klassischen Entzündungsreaktion verschiedene Zelltypen des Immunsystems in die betroffenen Stellen einwandern. Makrophagen räumen unter das Endothel geratene Fette weg, können sich aber „überfressen“ und sterben. Um die Zellreste zu entsorgen, eilen neue Makrophagen herbei. So wird die Entzündung zum Dauerzustand.

Die Blutplättchen werden bereits früh an die Läsionen gelockt und senden ihrerseits Signale aus, um andere Immunzellen anzulocken. Dann wird die Endothelschicht immer durchlässiger und quillt auf. Die Makrophagen verwandeln sich in Schaumzellen und lagern schädliches Cholesterol ein. Die atherosklerotischen „Plaques“ wachsen weiter und produzieren stetig neue Signalstoffe. Bindegewebe verdickt das Endothel nochmals.

Jetzt kann hier der Blutfluss stocken und die Sauerstoffversorgung beeinträchtigen, die Endothelzellen sterben. Die Arterien werden immer starrer, der Hohlraum an den Stellen der Plaques immer enger. Bricht die dünne Schutzschicht zwischen Plaque und Gefäßinnenraum auf, löst sich die Plaque. Ein Thrombus entsteht, der eine hauchdünne Herzkranzarterie oder ein Gefäß im Gehirn verstopft, es kommt zum Infarkt.

In diesem Geflecht aus Zellen und molekularen Signalwegen hat Professor Webers Team einen Angriffspunkt gefunden, der einzigartig für die atherosklerotische Entzündung zu sein scheint. Die Immunantwort wird kontrolliert durch eiweißartige Botenstoffe, die Chemokine, die von den Blutplättchen produziert werden und andere Immunzellen herbeirufen. Offenbar verbinden sich im Zuge der Atherosklerose zwei bestimmte Chemokine zu einem charakteristischen Komplex, einem „Heteromer“, das den Krankheitsprozess wesentlich stärker fördert als die einzelnen Chemokine. Die Forscher haben die dreidimensionale Struktur des Heteromers bestimmt, um zu sehen, wo die beiden Chemokine interagieren. Zudem haben sie nachgewiesen, dass das Heteromer in frühen Plaque-Stadien hoch konzentriert zu finden ist.

Nach dem exakten 3D-Abbild der Bindungsstellen der beiden Chemokine haben die Wissenschaftler im Labor ein Molekül mit Bereichen geschaffen, die den Bindungsstellen wie Zwillingsschwestern gleichen. Der dahinter steckende Gedanke: Als Arzneimittel könnte das künstliche Molekül (CKEY genannt für den Menschen, MKEY für die Maus) die Einzel-Chemokine abfangen, deren Verbindung verhindern und so die Plaque-Bildung vermindern. Der Wirkstoff wurde bereits bei verschiedenen Tieren erfolgreich eingesetzt. Das Immunsystem samt aller Chemokine bleibt voll funktionstüchtig. Unerwünschte Wirkungen sind wegen der Spezifität des Moleküls sehr unwahrscheinlich, meinen die Forscher. In absehbarer Zeit sollen klinische Studien mit Patienten beginnen.

Für MKEY könnten sich weitere Anwendungsgebiete eröffnen. Beispielsweise kommt es nach einem Herzinfarkt zu einer akuten Entzündung. Je schneller und effektiver sie eingedämmt wird, desto kleiner der Schaden am Herzen. Tatsächlich scheint das Heteromer auch an dieser Entzündung beteiligt zu sein, genauso wie bei den entzündlichen Prozessen eines häufigen Lungenleidens, der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung.

Um die Atherosklerose einzudämmen, haben die Münchner Wissenschaftler weitere Angriffspunkte im Visier – unter anderem das wie ein Chemokin wirkende Molekül MIF (für „macrophage inhibitory factor“). Es wird während der Atherosklerose von Endothel- und glatten Muskelzellen der Gefäßwand gebildet. Auch MIF steuert über bekannte Chemokin-Rezeptoren die Einwanderung von Entzündungszellen. In Tierversuchen haben die Forscher zudem gezeigt, dass sich Plaques wieder verkleinern lassen und die entzündliche Aktivität darin abnimmt, wenn MIF durch Antikörper neutralisiert wird oder mit einer ähnlichen Strategie wie bei MKEY ausgeschaltet wird. So lassen sich vorhandene Plaques stabilisieren damit sie nicht aufbrechen und einen Herzinfarkt oder Schlaganfall verursachen.

Die Forscher wollen auch einen Mechanismus verstärken, mit dem sich durch Plaque lädierte Gefäßwände regenerieren. Das geschädigte Endothel setzt eine Mikro-RNA frei, wodurch stammzellähnliche Zellen rekrutiert werden, die den Schaden reparieren sollen. Um den natürlichen Prozess künstlich zu verstärken, soll eine dem Original nachgebaute Mikro-RNA in Mikropartikel verpackt werden, die man mit einem Katheter an den Ort des Geschehens bringen und mit Ultraschall zum Platzen bringen könnte.

Quelle: Pressemitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München, 18. April 2011.


Dr. Bettina Hellwig