Arzneimittel und Therapie

Novartis-Forschungspreis: Adhäsionsmoleküle blockieren

Für die Entdeckung einer neuen Substanz, die Autoimmunerkrankungen wie die Psoriasis, aber auch die atopische Dermatitis bekämpfen könnte, erhielten Priv.-Doz. Dr. Michael Schön, Magdeburg, und Prof. Dr. Wolf-Henning Boehncke, Frankfurt/Main, nach einer Mitteilung von Novartis den "Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung".

Die Psoriasis, die Polyarthritis oder die Multiple Sklerose sind nur drei Beispiele für chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankungen, die allein in Deutschland viele Millionen Menschen meist Jahrzehnte lang betreffen. Zwar findet die moderne Medizin immer bessere Möglichkeiten der Behandlung. Doch angesichts der Nebenwirkungen bisheriger Therapieansätze und noch immer fehlender Heilung sind neue Strategien gegen diese Volkskrankheiten dringend gefragt.

Entdeckung von Efomycin M

Privatdozent Dr. Michael P. Schön von der Universität Magdeburg und Prof. Dr. Wolf-Henning Boehncke von der Universität Frankfurt haben aus einem Stamm Streptomyceten (filamentöse Bakterien) ein Molekül isoliert und in vitro so verändert, dass es im Tiermodell, so Schön, "hervorragende Resultate" erzielte. Für die Entdeckung des "Efomycin M" bekommen die beiden Dermatologen jetzt den "Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung".

T-Zell-vermittelte Autoimmunerkrankung

Wie die Polyarthritis ist auch die Psoriasis eine T-Zell-vermittelte Autoimmunerkrankung. Auf dem Boden einer genetischen Prädisposition aktivieren verschiedene Umweltfaktoren, wie etwa Streptokokken-Infektionen, mechanische Reize, Medikamenteneinnahme, hormonelle Umstellungen oder schwere psychische Belastungen, antigenspezifische T-Lymphozyten, die das Krankheitsbild mit den typischen, scharf begrenzten Plaques und der Entzündung vermitteln – meist ein Leben lang. In diese komplexe molekulare Regulation des Krankheitsprozesses einzugreifen und das überschießende Immunsystem selektiv zu supprimieren, ist das Ziel vieler moderner Forschungsvorhaben – so auch von Schön und Boehncke.

Adhäsion ist erster Schritt

Der erste Schritt des Entzündungsgeschehens ist die Adhäsion im Blut zirkulierender Lymphozyten an das Endothel der Gefäßwände. Diese Adhäsion an der Gefäßwand erfolgt über rezeptorspezifische Selectine, worauf die Immunzellen ins benachbarte Gewebe einwandern, um eine mögliche Infektion zu bekämpfen. Im Normalfall ziehen sich die Verteidiger nach gewonnener Schlacht zurück – und die Entzündung verschwindet. Zwei der drei bekannten Selectine sitzen auf dem Endothel, eines auf den Lymphozyten. Alle drei Typen sind bei jeder Entzündung aktiv – müssten also für eine effiziente Behandlung einer autoimmun erzeugten Entzündung komplett ausgeschaltet werden.

Suche nach Selectin-Inhibitor

Um einen Selectin-Inhibitor mit entsprechendem Potenzial zu finden, suchten die Forscher eine Naturstoff-Bibliothek mit 20 000 Substanzen ab und wurden fündig: Ein Stamm von Streptomyceten produzierte ein Gemisch verschiedener Einzelkomponenten mit den gewünschten Eigenschaften. Doch zeigte sich schnell, dass diese Efomycine auch toxisch auf Zellen wirkten. Indem sie Zuckerketten von den Molekülen entfernten, erzeugten die Dermatologen einen Stoff, der erste Tierversuche ermöglichte: das Efomycin M.

Vor allem in entzündetem Gewebe wirksam

Wie erhofft, verhinderte das hoch gereinigte Molekül die Adhäsion der Immunzellen an den Gefäßwänden. Eine durch T-Zellen vermittelte psoriasisartige Hautentzündung bei Mäusen konnte Michael Schön erfolgreich mit Efomycin M behandeln. Der signifikante therapeutische Effekt war hier dem des Standard-Immunsuppressivums Ciclosporin vergleichbar, und die Entzündung verschwand innerhalb weniger Wochen.

Ähnlich vielversprechend verliefen auch die Studien an Hautstücken von Psoriasis-Patienten, die Wolf-Henning Boehncke auf den Körper von Mäusen ohne eigenes Immunsystem transplantierte. Der Unterschied zur Ciclosporin-Behandlung: Da die Selectin-vermittelten Adhäsionen bevorzugt in entzündeten Geweben ablaufen, "lässt sich eine generelle Immunsuppression wahrscheinlich vermeiden", sagt Schön. Eine komplett gebremste Körperabwehr macht Patienten anfälliger gegenüber Infektionen und Krebs.

Klinische Studien schon Ende 2003

Um das innovative Therapieprinzip möglichst rasch klinisch einsetzen zu können, wollen die Dermatologen die Entwicklung des potenten Wirkstoffes gemeinsam mit pharmazeutischen Unternehmen vorantreiben. Im Auge haben die beiden Mediziner nicht nur Autoimmunerkrankungen, sondern beispielsweise auch die atopische Dermatitis oder die Arteriosklerose. Und womöglich Ende dieses Jahres oder Anfang 2004 sollen klinische Studien wahrscheinlich mit Psoriasis-Patienten starten. Ein großer Vorteil für die Therapie: Efomycin M kann oral appliziert werden. hel

Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung

Der Novartis-Preis für therapierelevante pharmakologische Forschung wurde 1992 gemeinsam von der Novartis Pharma GmbH und der DGPT (Deutschen Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie) zur Auszeichnung von Arbeiten geschaffen, die eine Brücke schlagen zwischen pharmakologischer Grundlagenforschung und klinischer Forschung. Er wird alle zwei Jahre vergeben und ist mit 10 300 Euro dotiert. Die aus namhaften deutschen Pharmakologen bestehende unabhängige Jury erkannte den diesjährigen Preis der Arbeit von Priv.-Doz. Dr. Michael Schön und Prof. Dr. Wolf-Henning Boehncke zu. Die Übergabe erfolgte auf der Frühjahrstagung der DGPT am 18. März 2003 in Mainz.

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