Kritik an GKV-Reform reißt nicht ab

SPD: „Gigantische Nettolüge“

Berlin - 09.07.2010, 10:40 Uhr


Die Kritik an der Gesundheitsreform von Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler reißt nicht ab. Angesichts der Zusatzbelastungen für die rund 50 Millionen zahlenden GKV-Mitglieder warf SPD-Chef Sigmar Gabriel der schwarz-gelben Regierungskoalition eine „gigantische Nettolüge“ vor.

Gabriel warf Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) einen „dreisten Wortbruch“ vor. Der versprochene Sozialausgleich für die steigende Zusatzprämie der Versicherten sei „ein Witz“. Er komme nicht einmal Geringverdienern mit einem Einkommen von 400 bis 800 Euro zugute. Außerdem sei völlig unklar, wie der Ausgleich finanziert und abgewickelt werden solle: „Die angebliche Koalition der Mitte greift eben dieser Mittelschicht in Deutschland einmal mehr tief in die Tasche und entlässt die wirtschaftlichen Lobbyisten des Gesundheitswesens aus der Verantwortung“, wetterte Gabriel.

Gesundheitsminister Rösler erwartet hingegen nach dem vereinbarten Kompromiss ein Ende der Dissonanzen bei Schwarz-Gelb. „Wir hatten ein riesiges Finanzproblem 2011 zu lösen“, sagte Rösler der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Die Bundesregierung habe sich „in einem der schwierigsten Politikfelder“ handlungsfähig gezeigt. „Das gibt Schub für die Koalition“, sagte der FDP-Minister. Auf die Frage, ob die Koalition jetzt bis zum Ende der Wahlperiode 2013 halten werde, sagte Rösler: „Jetzt umso mehr, gerne auch darüber hinaus.“

Kritische Töne kommen hingegen auch aus der CSU: „Ich kann nicht erkennen, wie das umgesetzt werden soll“, sagte der sozialpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger, der „Passauer Neuen Presse“ mit Blick auf den Sozialausgleich. „Hier ist der Bundesgesundheitsminister in der Pflicht.“ Um überprüfen zu können, ob im Einzelfall die Zwei-Prozent-Grenze des Einkommens durch Zusatzbeiträge überschritten wird und Anspruch auf Sozialausgleich besteht, seien umfangreiche Datenzusammenführungen nötig. „Bei Rentnern müssen beispielsweise die Daten für Betriebsrenten und gesetzliche Renten zusammengeführt werden, die bisher getrennt erfasst sind“, sagte Straubinger.

Der Chef der Techniker-Krankenkasse (TK), Norbert Klusen, fordert auch künftig eine Beteiligung der Arbeitgeber an den Kostensteigerungen bei den gesetzlichen Krankenkassen. Dies solle von der Entwicklung der Wirtschaft abhängig gemacht werden, schlug Klusen in der „Frankfurter Rundschau“ vor. „Wenn die Konjunktur gut läuft, wäre auch eine Erhöhung des Arbeitgeberanteils zur gesetzlichen Krankenversicherung angemessen.“ Die Betriebe schätzten zu wenig, welchen Nutzen das Gesundheitssystem auch für sie habe.

Klusen erwartet, dass die Zusatzbeiträge bis 2014 die Höhe von durchschnittlich 16 Euro übersteigen werden. Damit würden auch mehr Menschen als prognostiziert Hilfe über den Sozialausgleich benötigen. „Eine Milliarde Euro aus Steuergeldern wird da vermutlich nicht reichen, das kostet mehr Geld“, sagte der TK-Chef voraus.

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner will sich dafür einsetzen, dass die Gesundheitskosten weniger ausufern als bisher. „Preiserhöhungen und Kostensteigerungen dürfen kein Automatismus sein“, sagte die CSU-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa. „Mehr Effizienz im Gesundheitswesen ist eine Daueraufgabe.“ Dies wolle ihr Haus zum Beispiel für Leistungen prüfen, die die Patienten selbst zahlen. „Wir wollen uns im Verbraucherministerium der Aufgabe stellen, wie die unterschiedlichen Angebote auf dem Gesundheitsmarkt transparenter werden und die Patienten einen besseren Überblick bekommen können.“


Lothar Klein/dpa