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GKV-Gesetzespaket geht in die entscheidende Phase

BERLIN (lk/ks). Nach der parlamentarischen Sommerpause gehen jetzt die Beratungen und Verhandlungen für das umfassende Sparpaket zur Sanierung der GKV-Finanzen in die entscheidenden Wochen. Am 5. September trafen dazu die Gesundheitspolitiker von CDU, CSU und FDP bei ersten Gesprächen mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) einige Vorentscheidungen. Auch am Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wird weiter geschliffen.
Ende der Sommerpause Die Beratungen für die Reformen im Gesundheitswesen ­laufen auf Hochtouren – am 1. Januar 2011 sollen die Neuregelungen in Kraft treten.
Foto: DAZ/Sket

Am 22. September soll das Bundeskabinett die GKV-Finanzreform beschließen. Den gesetzlichen Kassen droht im kommenden Jahr ein Defizit von bis zu elf Milliarden Euro. Mit der Erhöhung des GKV-Einheitsbeitrages sollen sechs Milliarden Euro zusätzlich ins Gesundheitssystem fließen. Über die geplante Freigabe der Zusatzbeiträge sollen die künftigen Kostensteigerungen finanziert werden. Umstritten in der Koalition ist noch der damit verbundene Sozialausgleich wegen des Bürokratieaufwandes.

Noch vor der Sommerpause auf den gesetzgeberischen Weg gebracht hatte das Bundeskabinett bereits das AMNOG. Als nächstes steht hierzu am 29. September die Anhörungen im Gesundheitsausschuss des Bundestages an.

Hier ein Überblick über die am vergangenen Wochenende von den Gesundheitspolitikern der Regierungskoalition erfolgten Weichenstellungen:

PKV soll von niedrigen GKV-Arzneipreisen profitieren

Die bereits beschlossenen Sparmaßnahmen im Arzneimittelbereich sollen jetzt weitgehend auf die Privatversicherten übertragen werden. Neben dem erhöhten Zwangsrabatt sollen künftig auch die zwischen dem GKV-Spitzenverband und Herstellern ausgehandelten Preise für neue Arzneimittel für die Versicherten der privaten Krankenkassen gelten.

"Es ist rechtlich möglich, das Ergebnis der künftigen Preisverhandlungen zwischen GKV und Herstellern auf die Privatversicherten zu übertragen", sagte FDP-Gesundheitspolitikerin Ulrike Flach gegenüber der DAZ. Bisher zahlen die Privatversicherer weit höhere Preise für Arzneimittel als gesetzliche Kassen, da sie von den staatlichen Preisregeln für Medikamente ausgeschlossen sind.

Nacharbeiten muss Gesundheitsminister Rösler bei der geplanten Übertragung des von sechs auf 16 Prozent erhöhten Zwangsrabattes auf die PKV. Die Gesundheitspolitiker der Koalition verwarfen einen Vorschlag der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), die praktische Umsetzung mit neuen, maschinenlesbaren Rezepten durchzuführen. Dagegen hatten Ärzteverbände protestiert. Man wolle an anderer Stelle kein neues Konfliktfeld mit den Ärzten aufmachen, hieß es in der Koalition. Das Bundesgesundheitsministerium wurde von den Gesundheitspolitikern der Regierungsfraktionen daher aufgefordert, eine neue Konstruktion zu entwickeln. Die Übertragung des Zwangsrabattes auf die PKV steht dadurch aber nicht infrage.

Erhöhter Zwangsrabatt doch auf Reimporte

Reimportierte Arzneimittel werden nicht vom erhöhten Zwangsrabatt befreit. Stattdessen soll Bundesgesundheitsminister Rösler einen neuen Vorschlag vorlegen, wie ab 2013 mit den Reimporten verfahren werden soll. Damit lehnten die Gesundheitspolitiker der Regierungsfraktionen einen Vorschlag des Ministers zur Befreiung der Reimporte vom erhöhten Zwangsrabatt ab. Zudem hatte Rösler vorgeschlagen, einen neuen Mindestabstand für die Abgabepflicht von Reimporten durch Apotheken einzuführen. Danach sollte der Preis für Reimporte 15 Prozent oder 60 Euro günstiger als für das Originalpräparat sein. Derzeit beträgt der Mindestabstand 15 Prozent oder 15 Euro. Jetzt bleibt es bei dieser Regelung.

Die Reimporteure hatten gegen die Erhöhung des Zwangsrabattes in den vergangenen Wochen heftig protestiert – erfolglos. Nun soll Rösler in den kommenden zwei Jahren bis zum Auslaufen des erhöhten Zwangsrabattes ein neues Gesamtkonzept für reimportierte Arzneimittel entwickeln. In den ersten Eckpunkten für das AMNOG stand noch zur Debatte, die Importquote für Arzneimittel komplett abzuschaffen.

Noch wenige offeneFragen zum Sozialausgleich

Die Bedenken der CSU gegen den geplanten Sozialausgleich konnten zu einem guten Teil ausgeräumt werden. "Es sind nur wenige Fragezeichen übrig geblieben", sagte FDP-Gesundheitsexpertin Ulrike Flach gegenüber der DAZ. Damit steht dem für den 22. September geplanten Kabinettsbeschluss zur GKV-Finanzreform offenbar nichts mehr im Wege.

Bei den Beratungen am Sonntag ging es vor allem um die Frage, wie der Sozialausgleich gerecht gestaltet werden kann, wenn krankenversicherte Arbeitnehmer mehrere Einkünfte beziehen. Der Vizechef der Unionsfraktion, Johannes Singhammer (CSU), sagte anschließend: "Wir haben eine ganze Reihe von Fragen mitgegeben, die vom Ministerium noch beantwortet werden." In Koalitionskreisen wird davon ausgegangen, dass von den rund 50 Millionen gesetzlichen Kassenmitgliedern etwa vier Millionen mehrere Einkommen oder Renten beziehen.

Laut Rösler-Entwurf sollen die Krankenkassen die Daten sammeln und dem Arbeitgeber mitteilen, welches Einkommen er beim Sozialausgleich zugrunde legen soll. Singhammer sagte: "Wir haben noch keine Festlegungen getroffen." Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) hatte den Sozialausgleich wegen des damit befürchteten Bürokratieaufwandes kritisiert. In der "Süddeutschen Zeitung" (Montag) rief er erneut auf, das Regelwerk zu überarbeiten. "Was wir in den Planungen sehen, ist bürokratisch und macht Beitragszahler in bestimmten Fällen sogar zu Bittstellern."

Ob Arbeitslosengeld-I-Empfänger (ALG I) den Zusatzbeitrag künftig selbst zahlen müssen, ist entgegen anderen Meldungen nach DAZ-Informationen offen geblieben. Der Gesetzentwurf Röslers sieht die Kostenübernahme durch die Arbeitsämter vor. Weil das ALG I aber durchaus deutlich über dem niedrigeren ALG II für Sozialhilfeempfänger liegen kann, war darüber in der Koalition eine Diskussion entstanden.

Noch keine Lösung für Pick-up-Verbot

Die Umsetzung des von der Regierungskoalition zugesagten Pick-up-Verbotes bereitet weiterhin größere rechtliche Schwierigkeiten. Bis jetzt haben die Gesundheitspolitiker von Union und FDP noch keine verfassungsfeste Formulierung entwickelt. Daher könne es aus zeitlichen Gründen notwendig werden, das Pick-up-Verbot vom AMNOG-Gesetzgebungsverfahren abzutrennen und später umzusetzen, sagte die FDP-Gesundheitspolitikerin Ulrike Flach gegenüber der DAZ: "Wir wollen das Pick-up-Verbot umsetzen. Aber wir wollen das rechtlich unangreifbar machen, damit wir nicht vor dem Bundesverfassungsgericht landen."

Damit setzte sich die FDP-Politikerin von Aussagen des CDU-Gesundheitsexperten Jens Spahn ab. Im DAZ-TV-Interview hatte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Zusage der Regierungskoalition bekräftigt, mit einem weitgehenden Verbot von Pick-up-Stellen den ausufernden Handel mit Arzneimitteln in die Schranken zu weisen: "Das Versprechen gilt. Wir wollen eine verfassungsmäßig saubere Lösung haben. Wir wollen, wenn es eben möglich ist, das Pick-up-Verbot umsetzen, weil wir es für falsch halten, wenn es Arzneimittel bei Schlecker gibt", sagte Spahn im DAZ-TV-Interview. Die Koalition scheitere lieber vor dem Verfassungsgericht, als dass sie sich sagen lassen müsse, "wir hätten es nicht probiert".

Neben dem Pick-up-Verbot betreffen die Apotheken vor allem die geplante Umstellung der Großhandelsvergütung und die Mehrkostenregelung. Auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Nach Informationen der DAZ besteht zu diesen Themenkomplexen noch einiger Diskussionsbedarf innerhalb der Koalition.

Packungsgrößenverordnung mit Übergangsfristen

Die Gesundheitsexperten verständigten sich nach DAZ-Informationen zudem darauf, die Packungsgrößenverordnung in zwei Schritten zu verändern. Die zunächst angedachte Kennzeichnung nach Dauer der Behandlung soll nun erst am 1. Juli 2013 in Kraft treten. Bis dahin sollen die bisherigen Messzahlen für die Normgrößen weitergelten. Allerdings ist geplant, die vorgesehenen prozentualen Spannbreiten für die Abweichungen von den Normgrößen bereits zum 1. Januar 2011 in Kraft zu lassen. Das heißt, als N1-Packung gilt künftig auch eine Packung, deren Anzahl von den als N1 bezeichneten Messzahlen nicht um mehr als 20 Prozent abweicht. Bei den N2-Packungen darf um bis zu 10 Prozent abgewichen werden. Bei N3 darf die Anzahl in der Packung um nicht mehr als 5 Prozent niedriger sein als die Messzahl.

Durch die Änderung werde gewährleistet, dass die Mengenunterschiede bei Packungen mit gleichem Packungsgrößenkennzeichen nur gering ausfallen, heißt es in der Begründung der Formulierungshilfe für den Änderungsantrag. Eine Eingrenzung der Messzahlen N1, N2 und N3 innerhalb von Bandbreiten erleichtere den Austausch von Arzneimitteln mit gleichen Packungsgrößenkennzeichen – und damit auch die Umsetzung von Rabattverträgen. In den Apotheken werde so Rechtssicherheit bezüglich der Austauschbarkeit von Arzneimitteln geschaffen. Die derzeit geltende weniger präzise Regelung hat für Zündstoff gesorgt, weil Krankenkassen, Hersteller und Apotheken das für die Aut-idem-Substitution vorausgesetzte Tatbestandsmerkmal "identische Packungsgröße" unterschiedlich auslegten.

Für die Eingrenzung durch die neuen Spannbreiten ist im AMNOG-Entwurf eine Übergangsfrist von sechs Monaten vorgesehen. Dies soll es den Unternehmen ermöglichen, Packungen mit N-Kennzeichen außerhalb der jeweiligen Spannweite abzuverkaufen.

Zum Juli 2013 soll dann – bei Beibehaltung der Spannbreiten – die Reichdauerorientierung erfolgen. So sollen Packungen für die Akuttherapie oder zur Therapieeinstellung mit Anwendungseinheiten für eine Behandlungsdauer von zehn Tagen als N1 gekennzeichnet werden. Packungen für die Dauertherapie, die einer besonderen ärztlichen Begleitung bedarf, werden mit N2 gekennzeichnet und dürfen eine Anzahl von einzelnen Anwendungseinheiten für eine Behandlungsdauer von 30 Tagen enthalten. Mit N3 werden Packungen für die Dauertherapie gekennzeichnet, die für eine Behandlungsdauer von 100 Tagen vorgesehen sind.

DAZ-TV-Interview

Das vollständige DAZ-TV-Interview mit dem Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Jens Spahn zum Verbot von Pick-up-Stellen können Sie bei DAZ.online in der Rubrik "Video-News" ansehen.

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