Pandemie Spezial

COVID-19-Risiken bei Kindern mit Krebs

Schwere Corona-Verläufe und Unterbrechung der Chemotherapie drohen

Die Ständige Impfkommission empfiehlt eine COVID-19-Indikationsimpfung bei Kindern zwischen fünf und elf Jahren, wenn sie aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen komplizierten SARS-CoV-2-Infektionsverlauf aufweisen. Hierzu zählen z. B. kleine Patienten, die hämatologisch-onkologisch behandelt werden. Es wird erwartet, dass die Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie ihre Impfempfehlung auch auf diese Altersgruppe ausweiten wird. Wie hoch bei Kindern mit Krebs das Risiko ist, schwer zu erkranken und welche Faktoren eine Rolle spielen, wurde in einer multinationalen Studie untersucht.

131 an COVID-19 erkrankte Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren mit angeborener oder erworbener Immundefizienz, maßgeblich aufgrund einer onkologischen Grunderkrankung, waren in die Beobachtungsstudie eingeschlossen [1]. Bei den aus zehn Ländern rekrutierten Kindern und Jugendlichen hatten 78 eine Leukämie oder ein Lymphom, 48 einen soliden Tumor und fünf hatten sich aufgrund eines primären Immundefekts einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT) unterzogen. Während die Mehrheit der untersuchten pädiatrischen Patienten mit Krebs­erkrankungen entweder asymptomatisch infiziert waren (32%, n = 42) oder nur leichte Symptome aufwiesen (47%, n = 61), wurde der Schweregrad der COVID-19-Erkrankung bei elf Patienten als mittelschwer (8%), bei fünf als schwer (4%) und in zwölf Fällen als kritisch (9%) gewertet.

Foto: Monkey Business/AdobeStock

Für Kinder mit Vorerkrankungen im Alter von fünf bis elf Jahren wird eine Impfung gegen COVID-19 empfohlen.

Ein Drittel im Krankenhaus

Etwas mehr als ein Drittel der vor­erkrankten Kinder musste wegen COVID-19 hospitalisiert werden, 11% wurden intensivmedizinisch behandelt (n = 15, davon zehn mit Beatmung), und leider waren vier COVID-19-bedingte Todesfälle (3%) zu beklagen. Hundert Kinder der Studien­gruppe wurden zum Zeitpunkt ihrer Infektion onkologisch behandelt, wobei die Chemotherapie in 30 Fällen unterbrochen und in sechs Fällen modifiziert werden musste. Inwiefern dies Auswirkungen auf das Ansprechen der Krebsbehandlung und das Rezidiv­risiko hat, wurde nicht untersucht.

Risiken durch Komorbidität, Koinfektion, Neutropenie

Zu den Faktoren, die in dieser kleinen, heterogenen Gruppe signifikant mit einem erhöhten COVID-19-Schwere­grad verbunden waren, zählen das Vorhandensein von mindestens einer Komorbidität (odds ratio [OR] 2,94; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI]: 1,81 bis 5,21, p < 0,001), einer Koinfektion zum Zeitpunkt der SARS-CoV-2-Infektion (OR 1,74; 95%-KI: 1,03 bis 3,03, p < 0,036) oder Neutropenie zum Infektionszeitpunkt (OR 1,82; 95%-KI: 1,13 bis 3,09, p < 0,013). Generell ist festzuhalten, dass das Infektionsrisiko und der Verlauf einer COVID-19-Erkrankung bei hämatologisch-onkologisch vorerkrankten Kindern nicht vorhersagbar ist und in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Erkrankung, etwaiger Komorbiditäten sowie des Chemotherapieprotokolls betrachtet werden muss.

Keine Aussage zu Delta und Omikron

Ein Manko bezüglich der Aussagekraft der Studie ist, dass die Daten­erfassung Ende Februar 2021 abgeschlossen wurde. Somit kann nicht beurteilt werden, welchen Einfluss neuere Virus­varianten (Delta oder Omikron) auf den Schweregrad einer Infektion bei ungeimpften jungen Patienten mit onkolo­gischen Grunderkrankungen haben werden. Aktuell mangelt es an Daten, wie gut pädiatrische onkologische Patienten tatsächlich durch Impfungen geschützt werden, also inwiefern sie eine krankheits- oder therapiebedingt reduzierte Immunantwort zeigen und wie sich neue Varianten auf die Impfstoffeffektivität auswirken.

Erweiterte Grundimmunisierung

Es ist zu begrüßen, dass Comirnaty® bei stark immungeschwächten Patienten ab fünf Jahren im Sinne einer erweiterten Grundimmunisierung zu­gelassen wurde. Dabei wird die dritte Impfstoffdosis mindestens vier Wochen nach der zweiten Impfung ver­abreicht. Zu klären ist noch, ob und wenn ja wie eine Überprüfung der Immunantwort nach COVID-19-Impfung bei Kindern in onkologischer Behandlung erfolgen sollte [2]. Gemäß STIKO-Beschluss zur Immunisierung von Jugendlichen und Erwachsenen wird bei Personen mit erwartbar stark verminderter Immunantwort eine sero­logische Kontrolle der Impfantwort unmittelbar vor der dritten Gabe und vier Wochen danach empfohlen [3].

Zeitpunkt der Impfung

Nationale und internationale Erkenntnisse zu anderen Erkrankungen legen nahe, dass unter einer Chemotherapie die Immunantwort auf verabreichte Vakzine leidet [4]. Während sich Anzahl und Funktion der CD8+-T-Zellen, natürlichen Killerzellen und ­B-Zellen circa drei Monate nach Ende einer antineoplastischen Therapie normalisieren, kann mit einer Normalisierung bei den CD4+-T-Lymphozyten unter Umständen erst nach zwölf Monaten gerechnet werden [4]. Von einem effektiven Impfansprechen ist in der Regel erst drei Monate nach Ende der Immunsuppression auszugehen, weshalb der Zeitpunkt einer Impfung folglich nach Abschluss der Behandlung und Erholung des Immunsystems am sinnvollsten ist [2, 4]. Bei autologer oder allogener Stammzelltransplantation sollte daher eine Wartezeit von sechs Monaten eingehalten werden [4]. Sicherheits­bedenken, Impfstoffe (mit Ausnahme von Lebendvakzinen) unter laufender antineoplastischer Therapie zu verabreichen, bestehen ausdrücklich nicht. Das genaue Vorgehen bei der COVID-19-Impfung ist aber in jedem Fall individuell mit dem behandelnden Zentrum abzustimmen. Dabei muss zwischen möglichst frühzeitigem Schutz und gegebenenfalls verminderter Effektivität abgewogen werden. Aus Erfahrungen mit Influenzaimpfungen bei Kindern mit onkologischen Erkrankungen ist z. B. bekannt, dass Patienten mit einer Lymphozytenzahl kleiner 1000/µl häufig kein serologisches Ansprechen zeigen [4], weshalb dieser Parameter bei der Entscheidung über den Zeitpunkt der Impfung miteinbezogen werden sollte. Wichtig ist, die Einleitung oder Intensivierung einer antineoplastischen Therapie nicht aufgrund ausstehender Impfungen zu verschieben [4].

Umgebungs­prophylaxe schützt

Um das Impfansprechen vorerkrankter, stark immunsupprimierter Kinder zu verbessern, sollte die erweiterte COVID-19-Grundimmunisierung (siehe oben) durchgeführt werden. Neben dieser Möglichkeit zum direkten Schutz der Patienten erscheint der vollständige und aufgefrischte Immunschutz ihrer engen Kontaktpersonen (Angehörige, Pflegende, medizinisches Personal) im Sinne eines indirekten Schutzes besonders geboten. Zusätzlich müssen sämtliche Hygienemaßnahmen auch von vollständig geimpften Personen und Genesenen eingehalten werden. Durch diese Umgebungsprophylaxe lässt sich das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 auf eventuell unzureichend oder noch nicht geschützte Patienten und auch auf das Personal in der Kinderonkologie weiter reduzieren [2].

Empfehlungen der Fachgesellschaft

In einer Stellungnahme der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) zur COVID-19-Impfung wird der Schutz onkologisch behandelter Kinder und Jugendlicher vor einer SARS-CoV-2-Infektion als besonders wichtig erachtet. Explizit wird eine infektionsbedingte, unerwünschte Unterbrechung der onkologischen Therapie als nachteilig angesehen [2]. Bei entsprechend behandelten Kindern und Jugendlichen könnten sich Unterbrechungen oder Anpassungen auf die Therapieintensität und damit auf den Therapieerfolg auswirken. Eine Infek­tion mit SARS-CoV-2 sollte daher spe­ziell unter diesem Aspekt bei kinder­onkologischen Patienten vermieden werden. Es ist zu erwarten, dass die Fachgesellschaft ihre bisher nur für Kinder ab zwölf Jahren ausgesprochene Impfempfehlung, gemäß der aktuellen STIKO-Empfehlung vorzugehen, auch auf Kinder zwischen fünf und zwölf Jahre ausweiten wird. Danach sollte die Impfung mit zwei Impfstoffdosen des mRNA-Impfstoffs Comirnaty® (10 µg für Kinder unter zwölf Jahren bzw. 30 µg für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren) im Abstand von drei bis sechs Wochen durchgeführt und die Möglichkeit der erweiterten Grund­immunisierung bei stark immunsupprimierten Patienten genutzt werden [3, 5]. Zudem erinnert die Fachgesellschaft daran, dass schwere Erkrankungen der Atemwege in dieser Patientengruppe nicht nur durch SARS-CoV-2, sondern auch durch Influenza- (impfpräven­tabel) oder Respiratorische-synzytial­(RS)-Viren (nicht impfpräventabel) hervorgerufen werden können [2]. |

Literatur

[1] Haeusler GM et al. SARS-CoV-2 in children with cancer or after haematopoietic stem cell transplant: An analysis of 131 patients. Eur J Cancer 2021;159:78-86, doi: 10.1016/j.ejca.2021.09.027

[2] Hinweise zur Impfung gegen SARS-CoV-2 (COVID-19-Impfung) bei kinderonkologischen Patienten – Ergänzung November 2021 zur letzten Fassung Juni 2021. Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie (GPOH) in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), www.gpoh.de/sites/gpoh/content/e45/e69/e232165/HinweisederGPOH_DGPI_COVIDImpfungNov152021-final-3.pdf

[3] Beschluss der STIKO zur 14. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung. Epid Bull 2021;48:3-14, doi 10.25646/9326

[4] Laws H-L et al. Impfen bei Immundefizienz - Anwendungshinweise zu den von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Impfungen. (III) Impfen bei hämatologischen und onkologischen Erkrankungen (antineoplastische Therapie, Stammzelltransplantation), Organtransplantation und Asplenie. Bundesgesundheitsbl 2020;63:588–644, https://doi.org/10.1007/s00103-020-03123-w

[5] Pressemitteilung der STIKO zur COVID-19-Impfempfehlung für Kinder im Alter von 5 bis 11 Jahren. 9. Dezember 2021, www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Empfehlungen/PM_2021-12-09.html

Apothekerin Dr. Verena Stahl

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