Arzneimittel und Therapie

Abnehmhilfe für alle?

Was Liraglutid, Semaglutid und Tirzepatid bei der Gewichtsreduktion leisten können

mab | Appetitzügler hatten lange keinen guten Ruf: So waren das Abhängigkeitsrisiko unter Amphetaminen, aber auch die kardiotoxischen (Fenfluramin) und krebsfördernden Effekte (Lorcaserin) für den Rückruf etlicher Appetithemmer verantwortlich. Dagegen erscheinen die Nebenwirkungen von Inkretin-Analoga ja beinahe harmlos. Gleichzeitig sind sie noch effektiv bei der Gewichts­reduktion. Für welche Patienten sie infrage kommen und welche Rolle Leptin bei übergewichtigen Kindern spielt, darüber berichteten Prof. Dr. med. Jochen Seufert und Prof. Dr. Martin Wabitsch auf der Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V.

Mehr als die Hälfte der Deutschen gilt mit einem Body-Mass-Index zwischen 25 und 30 kg/m2 als übergewichtig. Lange Zeit wurden diese Menschen stigmatisiert und einer mangelnden Selbstkontrolle beschuldigt. Heute ist das anders, und Adipositas und Übergewicht gelten als eigenständige Erkrankungen. Aktuell arbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss an der Entwicklung eines Disease-Management-Programmes (DMP) bei Adipositas, mit dem ein früher kardiovaskulärer Tod vermieden werden soll.

Gewichtsverlust - wie ist das möglich?

Mit Bewegung und Ernährungsumstellung lassen sich häufig nur unzureichende und kurzfristige Gewichtsreduktionen erzielen. Der Frust bei den Betroffenen ist entsprechend groß. Doch welche Interventionen versprechen langfristigen und effizienten Erfolg bei der Gewichtsabnahme? Die Nase vorn hat hier die bariatrische Chirurgie, bei der eine Verkleinerung des Magens und/oder des Darms erfolgt. In Deutschland fristet diese Methode zwar (noch) ein Schatten­dasein, in anderen Ländern erzielt sie hingegen sehr gute Erfolge: So sind Gewichtsreduktionen von bis zu 40 kg möglich, die langfristig auch das Mortalitätsrisiko der Betroffenen senken. Daneben sind in den vergangenen Monaten mehr und mehr die Inkretin-Analoga in den Fokus der Gewichts­reduktion gerutscht, die ursprünglich zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes entwickelt wurden. Inkretine sind im Darm produzierte Hormone, die physiologisch bei der Nahrungsaufnahme ins Blut ausgeschüttet werden und an verschiedenen Organen unter anderem über Glucagon-Like-Peptide-1-­Rezeptoren unterschiedliche Wirkungen hervorrufen: Neben der Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse bewirken sie auch eine verlangsamte Magenentleerung und vermitteln dem Gehirn ein Sättigungsgefühl. Unabhängig von einem bestehenden Diabetes mellitus führen diese Effekte – vor allem in höheren Dosierungen – zur Gewichtsabnahme.

Foto: Dmytro Flisak/AdobeStock

Sehr gute Studienergebnisse

Dabei konnten in Studien mit 15 bis 20% Gewichtsreduktion nahezu ähn­liche Erfolge wie in der bariatrischen Chirurgie verzeichnet werden. Aktuell ist nur ein Inkretin-Analogon zur Gewichtsreduktion für Erwachsene und Kinder ab zwölf Jahren (BMI > 30 kg/m2) zugelassen: der Glucagon-like-Peptid(GLP) 1-Rezeptor-Agonist Liraglutid (Saxenda®, vgl. Victoza®: enthält ebenfalls Liraglutid und ist zur Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen), welcher einmal täglich in einer Dosis bis 3 mg subkutan injiziert wird. Parallel muss der Patient sich jedoch körperlich betätigen und die Kalorienzufuhr herunterfahren. Aktuell werden auch andere Darreichungsintervalle (z. B. 2,4 mg Sema­glutid einmal pro Woche) und Darreichungsformen (orale Gabe) von Inkretin-Analoga in Studien untersucht. Die neueste Entwicklung stellen die sogenannten Co-Agonisten dar, die neben dem GLP-1-Rezeptor noch andere Rezeptoren aktivieren und damit die Gewichtsreduktion noch effizienter machen. Ein Beispiel ist Tirzepatid, das neben GLP-1- auch GIP-(glucoseabhängige insulinotrope Peptid)-Rezeptoren stimuliert. In zulassungsrelevanten Studien senkte Tirzepatid innerhalb von einem Jahr das Gewicht um bis zu 20%. Eine Genehmigung zur Behandlung des Diabetes und der Adipositas in Europa wird für 2022 erwartet.

Ein dauerhafter Effekt?

Doch wie lange hält die Wirkung der Pharmaka nach Absetzen? Prof. Seubert erläutert, dass Inkretin-Analoga nur so lange wirken, wie sie eingesetzt werden. Da nach dem Absetzen ein Rebound-Effekt eintreten kann, muss neben der Anwendung auch eine konsequente Änderung des Lebensstils erfolgen. Auf die Frage, für welchen Patienten eine bariatrische OP bzw. die Anwendung von Inkretin-Analoga bevorzugt werden sollte, erläutert er, dass aufgrund der wenigen Studien die Evidenz für Liraglutid und andere Inkretin-Analoga im Moment noch gering ist. Zwar gibt es gute evidente Ergebnisse zur bariatrischen Chirurgie, leider wird diese aber in Deutschland seiner Meinung nach zu wenig durchgeführt. Bei der chirurgischen Methode müssen jedoch auch immer Alter und andere Risikofaktoren bedacht werden. Eine Therapie mit Inkretin-Analoga geht oft nur mit wenigen milden Nebenwirkungen (Übelkeit, Durchfall, Erbrechen) einher, die sich durch langsame Dosissteigerung reduzieren lassen. Seubert ist aber auch der Meinung, dass sich die Evidenzlage in den nächsten Jahren wandeln wird und die Inkretin-Analoga damit auch im Therapiegeschehen nach vorne rücken werden.

Leptin als Zielstruktur

Ein anderes Target zur Therapie von Übergewicht bei Kindern, das im ­Moment im Fokus der Forschung steht, spricht Prof. Wabitsch in seinem Vortrag zu übergewichtigen Kindern an: den Leptin-Stoffwechsel. Leptin wird im Fettgewebe gebildet und meldet an das Gehirn, dass genug Energiereserven vorhanden sind. Von allen Hunger- und Sättigungs­hormonen hat Leptin den bedeutendsten Einfluss auf die Regulation des Körpergewichts. In seltenen Fällen kann es aufgrund eines Gendefekts vorkommen, dass physiologisch zu wenig oder gar kein Leptin gebildet wird. In diesem Fall registriert das Gehirn fälschlicherweise einen Mangel an Energiereserven und stellt den Energiesparmodus ein: Betroffene Kinder sind dann immer hungrig, wachsen und entwickeln sich lang­samer und haben einen geringen Energieumsatz und eine geringere Körpertemperatur. Bekommen solche Kinder eine Leptin-Injektion pro Tag, sind sie innerhalb kürzester Zeit normalgewichtig.

Wabitsch hebt in seinem Vortrag hervor, dass häufig nicht die Eltern oder Kinder Schuld am Übergewicht sind, sondern viel eher eine Fehlregulierung des Leptin-Stoffwechsels, der nicht willentlich beeinflusst werden kann. Bei den meisten Kindern liegen nicht erniedrigte, sondern erhöhte Leptin-Spiegel vor, und es kommt zur Störung des Hungergefühls. Das Hormon arbeitet nicht mehr so, wie es soll, eine Leptin-Resistenz ist die Folge. Aktuell wird daran geforscht, wie man hier intervenieren kann, z. B. durch aktivierende Antikörper am Leptin-Rezeptor. Es bleibt also spannend. |

Literatur

Seufert J. Übergewicht: Effizient und schonend abnehmen mit hormonwirksamen Medikamenten aus dem Magen-Darm-Trakt („Inkretinmimetika“)? Für wen die neuen Antidiabetika in Frage kommen. Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE), 14. September 2021

Wabitsch M. Adipositas bei Kindern ist kein selbstgewählter Zustand (sondern eine Krankheit): die Rolle des Hungerhormons „Leptin“. Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE), 14. September 2021

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