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„Dynamisches Pricing“ – Tankstellen als Vorbild für Apotheken?

Schlüsselbegriffe der Apothekenführung

Foto: privat
Prof. Dr. Dieter Benatzky ist Leiter des Instituts für Gesundheitswirtschaft in Bad Endorf und emeritierter Professor für Marketing an der FH Rosenheim.

Sehr verehrte Apothekerinnen, sehr verehrte Apotheker, die Preisgestaltung in der Apotheke ist ein sehr sensibles und wichtiges Thema: Gelegentliche Preisüberprüfungen und -änderungen sind selbstverständlich, ebenso die laufende Angleichung der sogenannten Indikatorartikel an den Wettbewerb. Aber können Sie sich vorstellen, dass Sie die Preise monatlich, wöchentlich, ja sogar täglich und nach Tageszeit verändern, um Ihre Rendite zu verbessern?

Bei Tankstellen und etlichen weiteren Branchen ist das üblich. Das kennen wir doch alle: Die Sprit­preise von Tankstellen ändern sich inzwischen stündlich. Eine Studie des ADAC hat festgestellt, dass es Zyklen im Tages-, Wochen- und Monatsverlauf gibt. Am teuersten ist das Tanken in den Monaten April, Mai und Juni, und zwar zwischen 23 und 5 Uhr und um die Mittagszeit. In bewährter Weise folgen alle Spritmarken diesem Trend. Wir haben es dort ja mit Oligopolisten zu tun, die sich offenbar gut verstehen.

Diese Preispolitik nennen wir dyna­misches Pricing oder dynamische Preisgestaltung. Wir finden dies nicht nur bei Tankstellen, sondern auch z. B. bei Hotelbuchungen, Ticketpreisen von Fluggesellschaften und der Bahn. Sogar bei Lebensmitteln im Supermarkt ist dies schon teilweise üblich. Einer Studie zufolge (Exco Strategic Consulting AG von 2016) haben sich die Verbraucher bei den genannten Branchen inzwischen ziemlich gut an die dynamische Preisgestaltung gewöhnt. Die Akzeptanzwerte in Tabelle 1 zeigen, dass dynamische Preis­gestaltung erstaunlich positiv aufgenommen wird.

Tab. 1: Akzeptanz von dynamischem Pricing (Prozent der Befragten)
Branche
hoch
mittel
keine
Tankstellen
32%
35%
33%
Hotelübernachtungen
37%
40%
23%
Flugtickets
41%
36%
23%
Bahntickets
35%
35%
30%
Lebensmittel im Supermarkt
30%
35%
35%

Zurück zu den Tankstellen: Zielsetzung der flexiblen Preisgestaltung ist hier, den Durchschnitts-Literpreis des Kraftstoffs und damit den Gewinn zu steigern. Die Preise werden immer dann erhöht, wenn der Autofahrer keine andere Wahl hat und unbedingt tanken muss. Wir nennen dies auch „Abschöpfen der Konsumentenrente“. Bei Tankstellen funktioniert dies. Aber kann es auch ein probates Vorgehen für Apotheken sein?

Grundlage für dynamisches Pricing ist die Tatsache, dass die Preis-Absatz-Elastizität nicht nur von Produkt zu Produkt unterschiedlich ist, sondern auch entsprechend den Kaufumständen und dem Kaufzeitpunkt schwankt. Die Preis-Absatz-Elastizität ist starr, wenn der Käufer das Produkt auch bei erhöhtem Preis erwerben möchte. Dies ist immer der Fall, wenn entweder ein Produkt dringend benötigt wird, wenn es sehr kurzfristig beschafft werden muss oder aber wenn keine Substitutionsprodukte verfügbar sind. Für Apotheken könnte dies bedeuten, dass Preiserhöhungen z. B. in der Grippesaison, bei Abendöffnungszeiten oder vor der Ferien- und Reisezeit möglich wären. Es ist auch vorstellbar, dass die Preisakzeptanz bei den Kunden im Laufe des Tages unterschiedlich ist. Ist das eine realistische Option für Apotheken? Diese Frage stellt sich bei allen Produkten im OTC-Bereich und des Randsortiments.

Spontan ist es schwer vorstellbar; denn für viele Apothekenkunden sind Preistreue, Preisklarheit und Preisehrlichkeit wichtige Werte. Sie geben Sicherheit und Orientierung und stehen für Zuverlässigkeit und Vertrauen. Allerdings hat die oben angeführte Befragung gezeigt, dass die Verbraucher in Wirklichkeit kein Problem mit dynamischer Preisgestaltung haben. Ist dies nun doch eine Chance, welche Sie nutzen könnten?

Eine Apotheke ist keine Tankstelle. Tankstellen bieten einige wenige Sorten Kraftstoff an. Die Apotheke hat ein umfangreiches OTC- und Randsortiment. Ständige Preisänderungen sind mit erheblichem Aufwand verbunden; dies ist realistischerweise nur mit elektronischen Preisschienen oder bei einer virtuellen Sichtwahl möglich.

Außerdem haben Tankstellen völlig andere Markt- und Wettbewerbs­bedingungen. Die oligopolistische Marktstruktur sorgt dafür, dass alle Wettbewerber die Preisveränderungen in ähnlicher Weise vollziehen, sodass kein Anbieter dadurch Wettbewerbsvorteile erzielt. Bei Apotheken sieht das völlig anders aus. Sie stehen in teils erheblichem Preiswettbewerb mit anderen Apotheken, Drogeriemärkten und vor allem mit Versendern. Letztere praktizieren dynamische Preisgestaltung seit Langem. DocMorris z. B. weist einen hohen Anteil an Produkten mit dynamischer Preisbildung auf. Auch im stationären Handel hält dynamisches Pricing Einzug. So werden bei Douglas die Preise mithilfe einer intelligenten Software permanent optimiert.

Diese Situation erschwert eine eigenständige flexible Preisgestaltung. Die einzelne Apotheke ist ja aufgrund ihrer Markt- und Wettbewerbsposition immer Preisanpasser. Dies gilt aber nur für Indikatorartikel und stark umworbene Produkte. Eine dynamische Preisgestaltung und Abschöpfung der Konsumentenrente kann sie sich bei diesen Produkten nicht erlauben. Allerdings ist durchaus möglich, dass sie bei anderen, insbesondere exklusiven Produkten, zeitliche Preisanpassungen nach oben nutzt.

Daher gibt es für alle Apotheken, die ihre Rendite durch flexible Preisgestaltung verbessern möchten, zwei Herausforderungen: Einerseits müssen sie gegenüber dem Wettbewerb, der mit ständig wechselnden Preisen arbeitet, preislich attraktiv sein. Andererseits soll – und das ist ja das Anliegen der dynamischen Preisgestaltung – das Preisniveau insgesamt so angehoben werden, dass damit die Rendite verbessert wird. Ein schwieriger Spagat, der machbar ist.

Zunächst ist es wichtig, dass die Apotheke bei allen Indikatorartikeln möglichst rasch auf die dynamische Preisgestaltung des Wettbewerbs, vor allem der Versender reagiert. Daher müssen die Preise dieser Indikatorartikel des stärksten Wettbewerbers permanent verfolgt und möglichst umgehend angepasst werden. Wenn die Preise kurzfristig schwanken, etwa nicht nur wöchentlich, sondern täglich, dann sollte die Apotheke Mut haben und ebenfalls entsprechend nachziehen. Damit wird die Preisattraktivität sichergestellt.

Alle anderen Produkte bleiben jedoch davon unberührt. Hier können die zeitlichen Preisspielräume nach oben genutzt werden. Erhöhte Preise werden immer dann akzeptiert, wenn der Bedarf dringend ist und die Preiskenntnis gering. Es liegt nun an jeder Apotheke selbst, solche Zeiten herauszufinden und die Preisspielräume nach oben zu testen. Dies ist mit zusätzlicher Arbeit verbunden, sofern hierfür keine entsprechende Software verfügbar ist. Die Mühe wird jedoch durch eine Erhöhung der Rendite belohnt.

Es gibt ja immer zwei Optionen. Entweder Sie betreiben mit einem großen OTC- und Freiwahlangebot die Preisgestaltung wie beschrieben. Sie profilieren sich dann als preisaktive, kundenorientierte Gesundheits-Apotheke und erhöhen ihre Rendite mit flexibler Preis­gestaltung. Oder aber Sie machen das Gegenteil: Sie fokussieren Ihre Apotheke auf Ihre pharmazeutische Kompetenz und auf entsprechende Beratungs- und Serviceleistungen. Die Preise im überschaubaren OTC-Bereich sowie Ergänzungssortiment werden möglichst konstant gehalten und signalisieren bewusst die Seriosität und Zuverlässigkeit der Apotheke. Immer aber gilt: Apotheke bleibt Apotheke und wird niemals Tankstelle – so oder so. |

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