Betriebswirtschaft

T. Müller-Bohn OTC – Preissenkungen und Preis

Betriebswirtschaftlich optimale Preise können sich nicht allein an Preisuntergrenzen und kostenrechnerischen Daten aus der Apotheke orientieren, sondern müssen immer auch die Reaktionen der Nachfrager berücksichtigen. Sowohl Preissenkungen als auch Preiserhöhungen sind mit vielen Problemen und Risiken behaftet. Daher sprechen viele Argumente dafür, die Preise aufgrund der alten Arzneimittelpreisverordnung für die künftig frei kalkulierbaren OTC-Arzneimittel weiter gelten zu lassen. Eine Übersicht über die vielfältigen Argumente zur Preisbildung und über praktische Erfahrungen mit freien Arzneimittelpreisen in Großbritannien vermittelt diese letzte Folge der DAZ-Serie "Betriebswirtschaft für die Apotheke 2004".

Bei der Bildung betriebswirtschaftlich optimaler Preise ist zu klären, welcher Preis zum größtmöglichen Produkt aus abgesetzter Menge und Preis führt. Der bereits am Markt etablierte Preis aufgrund der alten Arzneimittelpreisverordnung bildet die Grundlage für alle weiteren Überlegungen.

Davon ausgehend sind zwei Fragen zu beantworten:

  • Können Preissenkungen die mengenmäßige Nachfrage so anregen, dass sie die wertmäßigen Verluste überkompensieren?
  • Können höhere Preise am Markt durchgesetzt werden, ohne dabei wesentliche Verluste beim Mengenumsatz zu erleiden?

Preissenkungen ...

Hinsichtlich der Preissenkungen sollen nur die Effekte auf den Umsatz des betreffenden Arzneimittels betrachtet werden. Wie diverse Überlegungen in den vorangegangenen Folgen gezeigt haben, sind Mischkalkulationen nicht mehr zu rechtfertigen. Jedes Produkt in der Apotheke muss für sich allein betrachtet werden. Demnach ist zu fragen, um wie viel die Mengennachfrage steigen muss, damit eine Preissenkung kompensiert wird.

Damit der Rohertrag in beiden Fällen gleich groß ist, muss gelten:

Rohertragneu = Rohertragalt

Das heißt:

Mengeneu • (AVPneu – AEP) = Mengealt • (AVPalt – AEP)

Dabei ist AVP der Apothekenverkaufspreis und AEP der Apothekeneinstandspreis unter Berücksichtigung der Rabatte und Skonti. Die obige Bedingung lässt sich umformen zu:

Mengeneu / Mengealt = (AVPalt – AEP) / (AVPneu – AEP)

Demnach gibt der Quotient auf der rechten Seite der Gleichung an, um wie viel mehr Ware verkauft werden muss, damit der Rohertrag gleich bleibt. In anderen Darstellungen zu diesem Thema wurden bereits Tabellen veröffentlicht, die die Rohertragsänderung und die nötigen Mehrumsätze in Abhängigkeit von der ursprünglichen Spanne und der Preisänderung angeben, so beispielsweise in einem ausführlichen Beitrag von Herzog (vgl. DAZ 48, S. 56 ff., insbesondere Tab. 1 und 2).

Im Unterschied dazu zeigen die hier dargestellten Tabellen 1 und 2 die Auswirkungen nicht für hypothetische Spannen, sondern für die tatsächliche Handelsspanne aufgrund der bisherigen Arzneimittelpreisverordnung bei verschiedenen Einkaufskonditionen.

Dafür werden als Beispiele Produkte mit einem Verkaufspreis (einschließlich Umsatzsteuer) von 5 Euro (Tab. 1) bzw. 10 Euro (Tab. 2) gewählt. Die Beispiele sind auf alle Produkte mit den gleichen Aufschlagssätzen übertragbar, d. h. die Ergebnisse aus Tabelle 1 gelten für Einkaufspreise von 1,35 Euro bis 3,88 Euro, die Ergebnisse aus Tabelle 2 für Einkaufspreise von 4,23 Euro bis 7,30 Euro.

... vernichten Rohgewinne

Gemäß Tabelle 1 erfordert eine Preissenkung um 5% je nach Einkaufskonditionen Mehrumsätze von 12 bis 15% der Packungen, um den gleichen Rohgewinn zu erzielen. Doch dürften viele Verbraucher eine solche Preissenkung kaum bemerken.

Größere und damit eher wahrnehmbare Preissenkungen erfordern noch größere Wachstumswerte der Mengenumsätze. Bei einem Einkaufsrabatt von 5% und einer Preissenkung um 15% müssen 57,5% mehr Packungen und bei einer Preissenkung um 20% sogar 93,5% mehr Packungen verkauft werden.

Gemäß Tabelle 2 sind jeweils noch größere Mengensteigerungen erforderlich. Aufgrund der degressiven Struktur der bisherigen Arzneimittelpreisverordnung sind Preissenkungen bei hochpreisigen Arzneimitteln noch ertragsschädigender als in den unteren Taxbereichen.

Dabei wären die ermittelten Mengenerhöhungen nötig, um die gleichen Rohgewinne zu erzielen. Ein Vorteil für die Apotheke würde aber nur entstehen, wenn noch größere Mengen abgesetzt werden.

Solche Mengensteigerungen erscheinen allerdings aus mehreren Gründen vollkommen unrealistisch. So ist die Nachfrage nach Arzneimitteln weitgehend unelastisch, wie in der zweiten Folge dargestellt wurde. Die Nachfrager reagieren demnach kaum mit vermehrten Käufen auf Preissenkungen. Stattdessen müssten neue Kunden von anderen Apotheken abgeworben werden.

Dies ist aber nur realistisch, soweit es die Wettbewerber in der unmittelbaren Nähe betrifft, weil die Kunden anderenfalls Nachteile durch weite Wege hätten. Außerdem müssten die Kunden erst einmal von den Angeboten erfahren. Angesichts der Vielzahl der Arzneimittel kann sich aber eine wirksame Werbung mit Preisangeboten, beispielsweise durch Preisauszeichnung im Schaufenster, nur auf sehr wenige Produkte beziehen.

Übrigens sprechen empirische Untersuchungen dafür, dass die meisten Verbraucher die Preise von Arzneimitteln nicht wissen bzw. nicht in Erinnerung behalten und folglich auch nicht vergleichen können. Einer Studie zufolge haben 43% der Apothekenkunden bereits unmittelbar nach dem Verlassen der Apotheke den Preis vergessen (nach Andreas Renner, Bayer Vital).

Üblicherweise werden die gleichen Arzneimittel nicht innerhalb kurzer Zeit erneut gekauft. Die Wahrscheinlichkeit, den Preis bis zum nächsten Einkauf zu vergessen, ist daher erheblich größer als bei regelmäßig gekauften Konsumartikeln.

Prämiensysteme statt Preissenkungen

Wenn die Preise aber kaum wahrgenommen werden, können mit niedrigen Preisen auch keine Kunden angelockt oder gebunden werden. Sogar bei gewöhnlichen Konsumartikeln sind Preissenkungen zur Kundenbindung eine Idee von vorgestern. Stattdessen wird dort vermehrt mit Rabattsystemen oder Punktekonten gearbeitet.

Dieses Konzept verbindet geschickt das Bestreben nach einem günstigen Einkauf mit der weit verbreiteten Sammelleidenschaft und lässt sich eher mit der typischen Ausrichtung einer Apotheke in Einklang bringen. Denn die Kundenbindung ist nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus pharmazeutischen Gründen sinnvoll.

So könnten Kundenkarten mit dem Sammeln von Einkaufsvorteilen verbunden werden, die weitaus geringer bemessen sein können als bei einer klassischen Preissenkungsstrategie. Letztere zieht allenfalls Schnäppchenjäger an, kann aber in einen ruinösen Preiskampf münden. Kundenkarten, bei denen beispielsweise Punkte für eine Sachprämie gesammelt werden, richten sich dagegen an Stammkunden und zielen direkt auf die gewünschte Kundenbindung.

Preiserhöhungen steigern direkt den Gewinn

Angesichts der erforderlichen Mehrumsätze erscheint es praktisch aussichtslos, durch Preissenkungen bei Arzneimitteln höhere Rohgewinne zu erzielen. Doch bleibt die eingangs erwähnte zweite Möglichkeit der Abweichung von den etablierten Preisen zu betrachten, die Preiserhöhung.

Der gleiche beträchtliche Effekt, durch den eine Preissenkung unmittelbar zulasten des Rohgewinns und letztlich des Gewinns wirkt, gilt in umgekehrter Weise für die Preiserhöhung. Jede noch so geringe Preiserhöhung vergrößert direkt den Rohgewinn und schließlich den Gewinn, sofern die abgesetzten Mengen nicht einbrechen.

Doch verminderte Umsatzmengen sind bei Arzneimitteln kaum zu erwarten, weil die Nachfrage nach Arzneimitteln vergleichsweise unelastisch ist. Wer ein Arzneimittel benötigt, hat nur wenige Alternativen, es sei denn vergleichbare andere Arzneimittel oder benachbarte Apotheken, die das Arzneimittel billiger anbieten. Dies setzt voraus, dass die Preisunterschiede transparent gemacht und tatsächlich wahrgenommen werden.

Für sehr bekannte Arzneimittel dürften Preiserhöhungen damit kaum durchsetzbar sein. Doch je unbekannter das Produkt ist, umso weniger greifen die Regeln der Marktwirtschaft. Für ein selten benötigtes Arzneimittel, dessen Namen sich die meisten Menschen kaum merken können, etabliert sich kein transparenter Markt. Für solche Produkte erscheinen Preiserhöhungen aus Apothekensicht durchaus sinnvoll und durchsetzbar.

Je differenzierter das Angebot ist, umso weniger wird dies zu durchschauen sein. Produkte in unterschiedlichen Stärken für Kinder und Erwachsene, in verschiedenen Darreichungsformen und Packungsgrößen bieten sich vergleichsweise gut für Preiserhöhungsstrategien an.

Als Beispiel mögen Nasentropfen und -sprays dienen. Wenn für jeden besonderen Wunsch eine passende Variante vorrätig gehalten und die Beratung zur angemessenen Auswahl angeboten wird, lassen sich höhere Preise eher rechtfertigen als bei standardisierten Produkten. Auch für beratungsintensive Phytopharmaka könnten Preiserhöhungen möglich sein. Eine Preiserhöhung bei der gängigsten Packungsgröße eines bekannten Schmerzmittels wird dagegen schwerer umzusetzen sein.

Money for value

Unabhängig von der Produktvielfalt und dem Beratungsumfang sollte der Grundsatz "money for value" gelten – in Abwandlung des pharmakoökonomischen Leitgedankens "value for money". "Money for value" bedeutet, dass ein Produkt, das mit hohem Marketing- und Forschungsaufwand als wertvoll und wirkungsvoll präsentiert wird, zu einem dementsprechenden Preis verkauft werden muss. Je mehr der Hersteller eines Produktes die Marke in der Öffentlichkeit pflegt, umso eher kann und sollte die Apotheke einen hohen Preis durchsetzen oder diesen möglicherweise sogar erhöhen.

In der Markenartikelindustrie dient der Aufwand des Herstellers für ein gutes Markenimage dem Händler als Gestaltungsspielraum für höhere Preise. Dafür mögen die Einkaufsvorteile, die ein solcher Markenartikelhersteller gewährt, geringer sein als bei No-name-Herstellern, deren Produkte nur über einen geringen Preis zu vermarkten sind. Der Händler muss daher solche Produkte unterscheiden und die jeweils angemessene Preisstrategie wählen. Bisher erübrigte sich dies in Apotheken durch die Preisbindung.

Indikatorartikel

Doch künftig werden in Apotheken Produkte zu unterscheiden sein, bei denen sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen oder die als Indikatorartikel vielleicht für eine Preissenkung in Betracht kommen. Durch die große Bekanntheit seiner Marke eignet sich ein Produkt noch keineswegs als Indikatorartikel, der ein niedriges Preisniveau signalisieren soll.

Im Gegenteil, bei einer qualitätsorientierten "Edel"-Marke ist der Preis gerade kein geeignetes Marketinginstrument. Originalpräparate, deren Wirkstoff auch als Generikum verfügbar ist, sind damit als Indikatorartikel ungeeignet. Kunden, die bei diesen Produkten preissensibel reagieren, wählen ohnehin das Generikum.

Wenn überhaupt einzelne Indikatorartikel geschaffen werden, die mit besonders günstigen Preisen auf die Kunden wirken sollen, dann sollten dies Produkte sein, die bereits vom Hersteller als besonders preisgünstig positioniert werden.

Doch sollten immer nur sehr wenige Produkte als Indikatorartikel herausgestellt werden. Denn einerseits kennen die Kunden ohnehin nur die Preise weniger Produkte und andererseits wären Preissenkungen bei vielen Artikeln für die Apotheke viel zu unrentabel.

Die etablierten OTC-Preise und ihre Vorteile

Beide Möglichkeiten der Preisänderung – Preissenkung und Preiserhöhung – weisen demnach etliche Schwierigkeiten auf. Die Reaktionen der Kunden und der Kollegen lassen sich aus grundsätzlichen Überlegungen ableiten, aber dies ersetzt keine praktischen Erfahrungen.

Andererseits birgt jede Änderung die Gefahr einen Fehler zu machen, der später nicht mehr zu korrigieren ist. Insbesondere Preissenkungen sind nachträglich kaum zurückzunehmen.

Dies spricht dafür, die Preise für OTC-Arzneimittel zunächst auf dem bisherigen Stand zu belassen. Die bestehenden Preise aufgrund der alten Arzneimittelpreisverordnung bieten drei große Vorteile:

  • Sie sichern bei vielen Produkten eine angemessene Spanne.
  • Sie sind am Markt durchgesetzt.
  • Sie sind praktikabler zu ermitteln als alle anderen Preise.

Aufgrund des zweiten genannten Vorteils erübrigen sich die Betrachtungen, ob Verbraucher bereit sind, diese Preise zu zahlen. Denn die Preise werden seit langer Zeit akzeptiert. Dies ist ein sehr starkes Argument, auch in Zukunft die bisher gültigen Preise aufgrund der alten Arzneimittelpreisverordnung anzuwenden.

Der dritte Vorteil beruht auf einer Regelung des GMG. Die Preise aufgrund der alten Arzneimittelpreisverordnung werden auch in Zukunft berechnet und in der "Lauer-Taxe" veröffentlicht, weil sie weiterhin gesetzlich verbindlich sind, wenn sie ausnahmsweise zulasten der GKV verordnet werden.

Dies betrifft beispielsweise Verordnungen für Kinder oder bei bestimmten schweren Krankheiten. Angesichts der Vielzahl der Arzneimittel würde dies mühsame Kalkulationen erübrigen. Im Apothekenalltag könnte der Preis weiterhin durch den gewohnten Blick in die EDV gefunden werden, wenn der GKV-Preis auch als Preis für Selbstzahler gelten soll.

Listenpreise des Großhandels

Dieser praktische Vorteil könnte große Bedeutung erlangen, weil sich künftig durch die Preisfreigabe bei den OTC-Arzneimitteln auch die Großhandelsabgabepreise bei verschiedenen Anbietern unterscheiden können, nicht nur hinsichtlich der individuellen Einkaufskonditionen.

So können nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel künftig von verschiedenen Großhändlern zu unterschiedlichen Preisen fakturiert werden. Dann würden sich auch bei Anwendung der alten Arzneimittelpreisverordnung auf diese Listenpreise unterschiedliche Verkaufspreise ergeben. (Doch hat beispielsweise die Noweda angekündigt, sie werde auch künftig OTC-Arzneimittel nach den Regeln der alten Arzneimittelpreisverordnung fakturieren.)

Dagegen ist der GKV-Abrechnungspreis stets eindeutig und leicht aus der EDV zu entnehmen. Daneben wird es allerdings voraussichtlich künftig eine weitere Verkaufspreisangabe in der Apotheken-EDV geben.

Wie ABDA-Vizepräsident Heinz-Günter Wolf bei der Mitgliederversammlung des LAV Niedersachsen am 22. November in Hannover erklärte, habe die Industrie eine neue Spalte für die unverbindlichen Preisempfehlungen durchgesetzt.

Wie in anderen Wirtschaftsbereichen wird es künftig unverbindliche Preisempfehlungen der Hersteller geben. Diese haben keine rechtlich bindende Wirkung, sollen aber als Orientierung für den Handel – hier die Apotheken – dienen.

Unverbindliche Preisempfehlungen der Industrie

Angesichts der Vielfalt der Produkte ist dies sicher ein sinnvoller Service, dahinter steckt jedoch auch ein Interesse der Industrie. Hersteller, die viel Geld in ein hochwertiges Image ihrer Produkte investieren, wollen diese langfristig hochpreisig verkaufen. Marken, die ein solches Image transportieren, haben enorme Werte und spielen bei der Bewertung von Unternehmen regelmäßig eine große Rolle.

Daher ist es logisch, dass die Hersteller an hohen Verkaufspreisen ihrer Produkte interessiert sind. Zu niedrige Preise können ein Produkt im Bewusstsein der Verbraucher abwerten und damit den Wert der Marke zerstören. Für das Herstellerunternehmen wäre dies ein enormer Verlust. Um dies zu vermeiden, untersuchen die Hersteller das Marktumfeld für ihre Produkte und geben entsprechende Preisempfehlungen.

Es darf angenommen werden, dass landes- oder sogar weltweit tätige Arzneimittelhersteller über ein besseres System zur Beobachtung der Marktentwicklung verfügen als eine einzelne Apotheke, die sich um viele Produkte gleichzeitig kümmern muss.

Daher sollten die Empfehlungen der Hersteller ernst genommen werden. Problematisch könnte dies allerdings werden, wenn die Preisempfehlungen nennenswert von den GKV-Abrechnungspreisen abweichen sollten. Es ist daher zu hoffen, dass solche Abweichungen nur selten vorkommen.

Nicht nur die unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller werden dazu beitragen, dass die Industrie sich künftig noch mehr für die Apotheken interessieren wird. Denn die Apotheken entscheiden mit ihrer Preispolitik über das Image der Produkte.

Die Position der Apotheken gegenüber der Industrie wird dadurch erheblich gestärkt. Andererseits könnte die Industrie etwaige Zusatzleistungen zugunsten der Apotheken schnell wieder einstellen, wenn diese eine Preispolitik betreiben, die dem Markenimage schadet. Mögliche Kalkulationsspielräume sollten daher nicht als Aufforderungen zur Preissenkung fehlinterpretiert werden.

Übereinstimmende Empfehlungen für die Preisbildung

So gibt es zahlreiche Argumente für eine herausragende Rolle der GKV-Abrechnungspreise in der künftigen Preisbildung bei OTC-Arzneimitteln. In dieser Richtung äußerten sich beispielsweise ein Großhandel (s. o.) und die Vorsitzenden mehrerer Landesapothekerverbände.

Vor dem Hintergrund des Kartellrechts haben solche Aussagen stets nur empfehlenden Charakter. Die Entscheidung verbleibt immer in der einzelnen Apotheke. Eine verbindliche Absprache zwischen Anbietern könnte wettbewerbsrechtliche Folgen haben.

Angesichts der Ausführungen zur Kostenrechnung in der vorigen Folge bleibt ein Nachteil der Preise gemäß alter Arzneimittelpreisverordnung zu bedenken: Bei sehr niedrigpreisigen Arzneimitteln liegen diese Preise unter den errechneten Preisuntergrenzen.

Damit würde die Entscheidung für diese Preise die heute bestehende Mischkalkulation an dieser Stelle fortschreiben. Es ist damit durchaus betriebswirtschaftlich begründbar, bei diesen Arzneimitteln Preiserhöhungen zu versuchen. Wer dies nicht versucht oder keinen Erfolg dabei hat, sollte sich der Mischkalkulation bewusst sein. Dies kann als weiteres Argument für den forcierten Absatz höherpreisiger OTC-Produkte interpretiert werden.

Gespaltene Preise

Als mögliche Lösung der vielfältigen Probleme bei der Suche nach betriebswirtschaftlich angemessenen Preisen für OTC-Arzneimittel werden mitunter gespaltene Preise vorgeschlagen. Theoretisch könnten drei verschiedene Preise unterschieden werden:

  • die gesetzlich festgeschriebenen Preise zulasten der GKV,
  • die frei kalkulierbaren Preise zulasten der PKV und
  • die frei kalkulierbaren Preise für selbstzahlende Patienten.

Zusätzlich wäre sogar eine gesonderte Preisbildung für den Notdienst denkbar.

Doch werfen gespaltene Preise für gleiche Markenprodukte gewaltige Akzeptanzprobleme auf. Was bei nicht standardisierten Waren oder Dienstleistungen – beispielsweise Eisenbahnfahrten – nur mit Mühe gelingt, ist bei Markenwaren – beispielsweise Arzneimitteln – praktisch unmöglich. Apotheken, die gespaltene Preise für gleiche Produkte verlangen, werden sich gegenüber der Kritik von Patienten und Medien kaum rechtfertigen können.

Patienten würden sich vermutlich nicht beschweren, wenn sie Arzneimittel billiger als die GKV erhielten. Doch wäre dies keine praktikable Strategie gegenüber den Krankenversicherungen, die immerhin die Hauptgeschäftspartner der weitaus meisten Apotheken darstellen. Ein Massenkunde würde im Vergleich zu den Einzelkunden keine schlechteren Konditionen akzeptieren.

Wenn keine gespaltenen Preise erhoben werden sollen, würde sich ohnehin jegliche Diskussion über die Höhe der künftigen OTC-Preise erübrigen. Denn die Preise für die verbleibenden Umsätze zulasten der GKV sind festgeschrieben.

Wenn alle Preise für ein Produkt gleich sein sollen, müssten die GKV-Abrechnungspreise zwangsläufig auch für alle anderen Umsätze gelten. Andere Preise wären dann allenfalls für solche Arzneimittel denkbar, die praktisch nie zulasten einer gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung verordnet werden.

Erfahrungen aus Großbritannien

Nach diesen theoretischen Überlegungen zur künftigen Preisbildung bleibt zu fragen, ob auch empirische Argumente für die Strategie konstanter Preise sprechen. Hierfür bieten sich Erfahrungen aus Großbritannien an.

Dort wurden im Mai 2001 die Preise für OTC-Arzneimittel, die dort auch in Supermärkten erhältlich sind, freigegeben. Danach reduzierten die Supermärkte die Preise für viele gängige OTC-Arzneimitttel beträchtlich. Die Preise in Apotheken blieben dagegen weitgehend unverändert oder stiegen im Verlauf von einigen Monaten sogar geringfügig an. Ausnahmen bildeten Vitamin- und Mineralstoffpräparate.

Die Supermärkte konnten ihre Mengenumsätze zunächst steigern, doch brachte dies nicht den gewünschten finanziellen Erfolg. So erhöhten sie bei einzelnen Präparaten die Preise wieder, wenn auch nicht ganz auf das ursprüngliche Niveau. Daraufhin gewannen die Apotheken bei konstanten Preisen die alten Marktanteile zurück.

So wurden insgesamt die gleichen Mengen wie früher abgesetzt, aber in den Supermärkten zu etwas geringeren Preisen. Im Fall eines Antacidums gewannen die Supermärkte durch massive dauerhafte Preissenkungen Marktanteile hinzu. Auch in diesem Fall hielten die Apotheken ihre Preise konstant. Daraufhin gingen die Mengenumsätze in den Apotheken etwas zurück (nach Jürgen Petersen, IMS Consumer Health Care).

Auch bei massiven Preissenkungen der Supermärkte hielten sich die Einbußen der Apotheken in Grenzen. In den ersten zwölf Monaten nach der Preisfreigabe setzten die Apotheken im gesamten OTC-Markt 6,2% weniger Packungen um, im zweiten Jahr verloren sie nochmals 2,6%. Gemessen an Umsatzwerten waren dies aber nur Verluste von 3,9% bzw. 4,5%.

Die Preise blieben demnach stabil. Die Supermärkte erhöhten dagegen ihre Mengenumsätze um zunächst 6% und im zweiten Jahr nochmals um 1,9%. Gemessen in Umsatzwerten ergab dies aber im ersten Jahr keine Änderung und im zweiten Jahr einen Rückgang von 5,3% (Quelle: IMS Health).

Generell gilt für Arzneimittel, dass Preissenkungen den Markt wertmäßig verringern; sie erzeugen keine neue Mengennachfrage, weil die Menschen nicht kränker werden.

Gesamtbild der Apotheke beachten

Damit sprechen sowohl theoretische Überlegungen als auch praktische Erfahrungen dafür, Preise nicht als offensive Marketinginstrumente in Apotheken einzusetzen. Aufgrund ihrer Struktur und der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit können Apotheken nur durch Qualität überzeugen, aber nicht durch besonders niedrige Preise.

Neben allen kostenrechnerischen Überlegungen muss auch das Erscheinungsbild der Apotheken und ihre Wahrnehmung bei den Kunden berücksichtigt werden. Daraufhin lässt sich hohe Qualität mit dementsprechenden Preisen weitaus schlüssiger vermitteln als ein Billigpreisimage. Denn Marketing lebt wesentlich von schlüssigen und emotional vermittelbaren Bildern.

Im OTC-Bereich sind sowohl Preissenkungen als auch Preiserhöhungen mit vielen Problemen und Risiken behaftet. Vieles spricht dafür, sich weiterhin an der alten Arzneimittelpreisverordnung zu orientieren. Erfahrungen aus Großbritannien zeigen, dass die Apotheke mit dieser Strategie nicht schlecht fährt. 

Das Wichtigste in Kürze

  • Geringfügige Preissenkungen werden kaum wahrgenommen.
  • Preissenkungen wirken ertragsschädigend, weil der Rohertragsverlust höchstwahrscheinlich nicht durch vermehrte Mengenumsätze aufgefangen werden kann.
  • Preiserhöhungen sind bei besonders niedrigpreisigen Präparaten aus kostenrechnerischer Sicht geboten. Sie bieten sich bei Produkten mit einem besonders hochwertigen Image und bei relativ wenig bekannten Produkten an.
  • Verbraucher sind nicht gewohnt, Preise bei Arzneimitteln zu vergleichen, und erinnern sich kaum an diese Preise.
  • Die Preisstrategie der Apotheke sollte das Marketing des Herstellers für das jeweilige Produkt berücksichtigen.
  • Nur Produkte, die bereits vom Hersteller als besonders preisgünstig positioniert werden, bieten sich als Indikatorartikel an.
  • Die GKV-Abrechnungspreise für OTC-Arzneimittel werden künftig in allen Apotheken einheitlich vorliegen, auch wenn Verordnungen dieser Produkte zu Lasten der GKV Ausnahmen bleiben sollten. Damit bieten sich die GKV-Abrechnungspreise als naheliegende Orientierungswerte für die freie Preisbildung an.
  • Unverbindliche Preisempfehlungen der Hersteller werden weitere Orientierungsmöglichkeiten bieten.
  • Gespaltene Preise für gleiche Produkte sind denkbar, aber in der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln und daher nicht empfehlenswert.
  • Die Apotheken in Großbritannien haben ihre Preise für OTC-Arzneimittel nach der Preisfreigabe weitgehend unverändert gelassen und dabei kaum wertmäßige Marktanteile an die wesentlich preisgünstigeren Supermärkte abgegeben.

Die Serie im Überblick 1. Folge: Preise frei kalkulieren, aber wie? DAZ 46, Seite 63 2. Folge: Preise kalkulieren: Auf die Nachfrage kommt es an. DAZ 47, Seite 73 3. Folge: Das Kombimodell und seine Auswirkungen. DAZ 48, Seite 65 4. Folge: Wie lohnt sich das OTC-Geschäft? DAZ 49, Seite 65

Erfahrungen aus GB Die Entwicklung nach der Preisfreigabe in Großbritannien lässt sich so zusammenfassen:

  • Es ist den Apotheken gelungen, die Preise etwa konstant zu halten.
  • Die Mengenumsätze sind im Gesamtmarkt stabil geblieben.
  • Der Gesamtmarkt hat an Wert verloren.
  • Die Preissenkungsstrategie hat den Supermärkten keine zusätzlichen Umsatzwerte eingebracht.

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