Aus der Hochschule

Pharmaziehistoriker feiern 100. Geburtstag von Rudolf Schmitz

Festveranstaltung „Perspektiven der Pharmaziegeschichte“ in Marburg

MARBURG (cha) | Am 17. Februar wäre Prof. Dr. Rudolf Schmitz 100 Jahre alt geworden. Diesen Anlass feierte das von ihm vor mehr als 50 Jahren gegründete Institut in Marburg am 10. November mit der Festveranstaltung „Perspektiven der Pharmaziegeschichte“.
Foto: Philipps-Universität Marburg
Pharmaziehistoriker Christoph Friedrich

Zum Auftakt erinnerte der jetzige Geschäftsführende Direktor des Instituts für Pharmaziegeschichte Prof. Dr. Christoph Friedrich daran, dass Schmitz das erste und damals einzige pharmaziehistorische Institut in Deutschland und Europa gründete und zu einem „Mekka der Pharmaziegeschichte“ machte. Jetzt, da seine eigene Emeritierung näher rücke, sei es sinnvoll, über die Perspektiven der Pharmaziegeschichte nachzudenken.

Diese scheinen durchaus positiv zu sein, wie aus den verschiedenen Grußworten hervorging. So erinnerte der Vizepräsident der Universität Marburg Prof. Dr. Michael Bölker daran, dass es für alle Fächer wichtig sei, sich mit der eigenen Geschichte zu befassen, auch da dies die Leistungen der Forscher des Faches anders hervortreten lasse. Der Dekan des Fachbereichs Prof. Dr. Michael Keusgen sicherte zu: „Das Institut wird natürlich weitergeführt.“ Über die zukünftige Ausrichtung werde derzeit noch diskutiert.

Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, betonte, dass gerade jetzt, da es in der Standespolitik enorme Weichenstellungen für die zukünftige ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Deutschland gebe, die Pharmaziegeschichte helfe, die anstehenden Entscheidungen auch im geschichtlichen Blickwinkel einzuordnen.

Der Präsident der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (IGGP) Prof. Dr. Axel Helmstädter verwies darauf, dass die Existenz von 29 nationalen Gesellschaften mit rund 4000 Mitgliedern zeige, dass weltweit die Notwendigkeit der Pharmaziegeschichte gesehen werde. Aber es gebe nicht überall eine solche Institutionalisierung mit hochprofessioneller Lehre durch promovierte Kollegen wie in Deutschland. Der Vorsitzende der hessischen Landesgruppe der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie (DGGP) Dr. Peter H. Graepel machte auf die 124 bei Schmitz abgeschlossenen Dissertationen aufmerksam und auf die von ihm im Jahr 1960 begründete Reihe „Quellen und Stu­dien zur Geschichte der Pharmazie“, die im Deutschen Apotheker Verlag erscheint.

Foto: Philipps-Universität Marburg
Ariane Löhnert arbeitet an einer ­Dissertation über Schmitz

Ein Höhepunkt der Veranstaltung war der Vortrag „Rudolf Schmitz und Pharmaziegeschichte in Marburg“, den Ariane Löhnert, die an einer Dissertation über Schmitz arbeitet, zusammen mit Prof. Friedrich hielt. Darin wurde deutlich, wieso gerade Schmitz dazu prädes­tiniert war, die Pharmaziegeschichte in Deutschland zu institutionalisieren. Während seiner humanistischen Schulbildung am Staatlichen Gymnasium in Siegburg zeigte Schmitz ein besonderes Interesse an Geschichte und Sprachen. Doch nach dem Abitur musste er zunächst Arbeitsdienstpflicht und Wehrdienst ableisten. Durch seine spätere Frau Ursula Fuchs, die in Marburg Pharmazie studierte, kam er dann selbst in Kontakt mit der Apotheke. Und da diese ein sicheres Einkommen versprach im Gegensatz zur Philologie, studierte er in Marburg Pharmazie. Nach der Promotion in Pharmazeutischer Chemie wandte er sich dann seinem eigentlichen Interessensgebiet zu und fertigte parallel zum Studium der Geschichte seine Habilitationsschrift an – die erste im Fach Pharmaziegeschichte in Deutschland. Damit begann eine steile akademische Karriere bis hin zum persönlichen Ordinarius und Dekan. Zugleich nahm das Marburger Institut konkrete Formen an. Aus dem Seminar wurde ein eigenständiges Institut, das sich heute am Roten Graben 10 befindet.

Dabei spielte die ABDA eine bedeutende Rolle: Sie leistete für einige Jahre die Finanzierung des Stiftungslehrstuhls, später übernahm dies das Land Hessen.

Archivfoto: Knoll AG
Rudolf Schmitz, der 1992 plötzlich verstarb.

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zeigte sich Schmitz als exzellenter Kenner der Pharmazie und war in verschiedenen Ausschüssen u. a. zur Ausbildung tätig. Auch übernahm er zahlreiche Präsidentschaften, z. B. der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Dabei hatte Schmitz stets die gesamte Pharmazie im Blick und setzte sich sowohl für das achte Fachsemester ein als auch für die Pharmakologie.

Auch nach seiner Emeritierung im Jahr 1986 betreute Schmitz weiterhin Doktoranden – bis er am 14. Mai 1992 völlig unerwartet starb.

Schmitz widmete sich einer Fülle von Arbeitsgebieten – von apothekengeschichtlichen Studien über berufspolitische Themen, Arzneimittelgeschichte, Biographien bis hin zur Geschichte der pharmazeutischen Industrie. Der Abschluss seines wissenschaftlichen Schaffens sollte das zweibändige Handbuch „Geschichte der Pharmazie“ werden. Noch während der Arbeiten am ersten Band verstarb Schmitz; das Handbuch wurde dann von seinen Schülern fertiggestellt.

Als „Gegenspieler“ der Schmitz-Schule in Marburg gab und gibt es die Braunschweiger Pharmaziegeschichte, deren Entwicklung Prof. Dr. Bettina Wahrig, Leiterin der Abteilung Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte, darstellte. Auch deren Begründer Wolfgang Schneider promovierte zunächst in Pharmazeutischer Chemie und wandte sich dann der Pharmaziegeschichte zu. 1958 gründete er in Braunschweig das pharmaziegeschichtliche Seminar. Schneider legte nicht nur umfang­reiche Sammlungen an, sondern rekonstruierte und analysierte historische Arzneimittel. Auf Schneider folgte in Marburg Erika Hickel, die das Fach sehr stark als Sozial- und Kulturgeschichte betrieb, und auch unter ihrer Nachfolgerin liegen Schwerpunkte auf Gender Studies und der Geschichte des Gesundheitswesens.

Foto: Philipps-Universität Marburg
Grußwortredner und Referenten Prof. Dr. Michael Keusgen, Dr. Gudrun Abel, Prof. Dr. Michael Bölker, Prof. Dr. Christoph Friedrich, Prof. Dr. Bettina Wahrig, Prof. Dr. Dietrich von Engelhardt, Prof. Dr. Gerhard Folkers und Dr. Andreas Kiefer (v. l.)

Eine Fülle an Informationen zum aktuellen Stand der pharmazeutischen Wissenschaft bot der Vortrag „Pharmaziegeschichte und das neue Weltbild der Arzneimittelforschung“ von Prof. Dr. Gerhard Folkers, ETH Zürich. An einzelnen Beispielen zeigte er den Weg von der spirituell geprägten Medizin bis hin zu Big Data auf. Dabei spielte insbesondere der technische Fortschritt eine große Rolle. So waren die hervorragenden anatomischen Darstellungen von Nicholas Culpeper nur möglich aufgrund der Entwicklungen im Buchdruck. Und die Erfindung des Mikro­skops markierte den Übergang von der humoralen zur zellulären Pathologie.

Die Geschichte der Firma Bionorica stand im Mittelpunkt des Vortrags „Pharmaziegeschichte für die pharmazeutische Industrie?“ von Dr. Gudrun Abel. Aus pharmaziehistorischer Sicht sind es vor allem die alten Kräuterbücher, die wertvolle Anregungen gerade bei den Phytopharmaka geben können.

Der Abschlussvortrag von Prof. Dr. Dietrich von Engelhardt, Universität Lübeck, war der Frage gewidmet: „Medical humanities – eine Perspek­tive für die Pharmaziegeschichte?“ Die Medical humanities verbinden Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Künste und Leben. Eines ihrer Themen ist die Medizin in der Literatur. Engelhardt verwies auf die Rolle, die auch Apotheker in der Literatur spielen, z. B. bei „Uhr ohne Zeiger“ von Carson ­McCullers oder bei Flauberts „Madame Bovary“.

Zum Abschluss des Symposiums betonte Prof. Friedrich, das die Pharmaziegeschichte ein Brückenfach sei. Und sie habe sich deshalb zu Recht als zunächst fünftes und mittlerweile sechstes Fach der Pharmazie etabliert. |

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