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Zytostatikaversorgung

Der Wert steriler Ad-hoc-Zubereitungen

Krankenkassen sparen enorme Beträge auf Kosten der Apotheken

In der ambulanten Behandlung onkologischer Patienten mit Chemotherapie ist die so­genannte Ad-hoc-Zubereitung von Chemotherapeutika eine zentrale Säule. Eine Umfrage unter Zytostatika-herstellenden Apothekern unterstreicht den hohen Wert dieser individuellen Versorgung nicht nur für Patienten. Den Gesetzlichen Krankenkassen werden jährliche Kosten von über einer halben Milliarde Euro erspart. | Von Thomas Wellenhofer

Dass im Rahmen der Zytostatikaversorgung häufig sogenannte Ad-hoc-Zubereitungen gefragt sind, ist vielen nicht geläufig. Dabei liegt es auf der Hand, dass die Chemotherapie immer wieder an den Gesundheitszustand des Patienten angepasst werden muss. Dazu wird der Patient beim Onkologen vorstellig und erst dann wird in Abhängigkeit seines aktuellen Gesundheitszustandes und seines vor Ort erstellten Blutbildes der Auftrag für seine Chemotherapie bei der herstellenden Apotheke freigegeben. Die Pharmazeuten bereiten nun „ad-hoc“ – also direkt nach der Freigabe des Auftrages – die benötigten Injektionen oder Infusionen individuell dosiert zu und liefern die Zubereitung anschließend an die Praxis. Dort hat der Patient bereits seine Vorbehandlung erhalten und kann nun ohne weitere Wartezeit behandelt werden.

Die Vorteile dieses Systems sind offensichtlich:

  • Der Patient erhält ambulant mit geringem zeitlichen Aufwand eine für ihn optimierte Therapie.
  • Für die Krankenkassen ist so sichergestellt, dass keine Zubereitungen abgerufen werden, die wegen akuter Änderungen des Gesundheitszustandes des Patienten verworfen werden müssten.

Die Voraussetzung für diese flexible wie individuelle Art der Versorgung ist eine deutschlandweit flächendeckende Verteilung von Apotheken, die mit Sterillaboren ausgestattet in der Lage sind, ad hoc zuzubereiten und auch zu liefern. Dies bedingt die räumliche Nähe zwischen Praxis und Apotheke einerseits und die Vorhaltung von Ressourcen auf Apothekenseite (Personal, Material, Transport) andererseits. Zudem müssen sämtliche Rezepturen bereits vorbereitet sein, um überhaupt zeitnah fertiggestellt werden zu können.

Die Umfrage

Ziel unserer Arbeit war es, den Aufwand und die Effekte der Ad-hoc-Zubereitungen zu quantifizieren. Dazu wurde ein Erhebungsbogen erstellt und an 35 Apotheken mit Steril­laboren versandt. Wir bekamen zehn Antworten, was einer Quote von knapp 29% entspricht.

Alle zehn Apotheken stellen selbst im apothekenüblichen Rahmen Sterilzubereitungen her. Die Freigabe der einzelnen Rezepturen durch die Arztpraxen erfolgt zu durchschnittlich 5,2% (0 – 28,89%) länger als 24 Stunden vor der Verabreichung, in 33,3% innerhalb von 24 Stunden, jedoch mit Vorlaufzeit und in 61,5% ad hoc, also während der Patient bereits in der Praxis vorbehandelt wird (Abb. 1).

Abb. 1: Durchschnittliche Vorlaufzeit für die Zubereitung von Sterilrezepturen in Apotheken.

Die Durchführung einer geplanten Chemotherapie ist stets auch vom aktuellen Gesundheitsstatus des einzelnen Patienten abhängig. Daher kann es nötig sein, kurzfristige Anpassungen durchzuführen. Rezepturen werden in ihrer Zusammensetzung modifiziert, zeitlich verschoben (in der Regel um Tage bis Wochen) oder ausgesetzt. Dabei zeigt die quantitative Auswertung folgendes Bild: Von allen geplanten Rezepturen erfahren während der Freigabe durch die Arztpraxis 5,9% eine Stornierung, 5,3% werden verschoben und 4,1% werden in ihrer Dosierung angepasst. 84,7% können wie geplant verabreicht werden (Abb. 2).

Abb. 2: Anteil kurzfristiger Veränderungen bei Steril­rezepturen.

Es fallen damit 11,2% der geplanten Rezepturen wegen Stornierung oder Terminverschiebung kurzfristig aus. Weitere 4,1% können nur aufgrund der Flexibilität der Apotheken im Herstellungsprozess durchgeführt werden. Sowohl auf den Ausfall von Rezepturen als auch auf akute Änderungen kann nur eine in räumlicher Nähe befindliche Apotheke reagieren – und damit den andernfalls zwingenden Verwurf vermeiden.

Nimmt man den Anteil von 85% der tatsächlich unveränderten Rezepturen als Maßstab (für den Kostenträger stellen sie 100% der abgerechneten Zubereitungen dar), so müssten bei Wegfall der flächendeckend vorhandenen Apotheken mit Sterillabor 18,1% zusätzliche Zubereitungen als Verwürfe anfallen.

Es bedeutet Aufwand, diese 18,1% Verwurf zu vermeiden. Wie hoch dieser Aufwand ist, war Gegenstand des zweiten Teils der Untersuchung. Dazu wurden die Schritte zur Planung und Vorbereitung einer Rezepturherstellung erfasst, mithin alle Tätigkeiten, die vor der ärztlichen Freigabe er­folgen müssen. Ebenso wurden die Arbeitsschritte für die Auflösung einer vorbereitenden Rezeptur betrachtet (siehe Abb. 3). Der zeitliche Aufwand dieser Abläufe wurde dann bei den Apotheken abgefragt.

Abb. 3: Viele Schritte bis zur Sterilrezeptur. Zur Herstellung einer Sterilrezeptur sind viele Schritte nötig. Die meisten davon finden auch bei Rezepturen statt, die kurzfristig storniert werden.

Die zeitliche Summe der vorbereitenden Arbeitsschritte beläuft sich demnach durchschnittlich auf 39,7 Minuten bis zur Entscheidungsmitteilung durch die Praxis. Fällt die Rezeptur aus, so sind für die gesamte Rückabwicklung im Schnitt 15,3 Minuten Aufwand nötig. Im Falle einer Rezepturveränderung kostet dies durchschnittlich 8,1 Minuten zusätzliche Zeit für die erneute Digitalisierung und Dokumentation (Abb. 4).

Abb. 4: Durchschnittlicher Zeitaufwand der auch für nicht abgerufene Rezepturen nötigen Arbeitsschritte.

Die Betrachtung der wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Aspekte der Ad-hoc-Zubereitungen ergibt Folgendes:

Die auf Sterilrezepturen spezialisierten Apotheken reduzieren durch ihre Fähigkeit zur Ad-hoc-Zubereitung die Gefahr von Verwürfen auf ein Minimum und sparen der GKV 18,1% der zu finanzierenden Rezepturen ein. Setzt man die aktuell verfügbaren Daten zu Menge und Umsatz der Sterilrezepturen (ADBA, Stand 2016) ein, so ergibt sich ein eingespartes Volumen von 657 Millionen Euro pro Jahr (Abb. 5).

Abb. 5: Vermeidung von Rezepturverwürfen – Nutznießer und Kostenträger. Obwohl der Vorteil für die GKV enorm ist, bekommen die Apotheken bis dato nicht einmal ihren Aufwand für die Vermeidung entlohnt.

Demgegenüber steht ein – bisher unentgeltlicher – Netto-Aufwand für besagte Apotheken von zusammen 55 Minuten pro eingesparter Rezeptur. Der zusätzliche Aufwand für die kontinuierliche Vorhaltung entsprechend qualifizierten Personals zur Ad-hoc-Herstellung ist darin NICHT enthalten.

Der Versuch, diesen Aufwand finanziell zu fassen, macht die Analyse der beteiligten Personen mit ihrer jeweiligen Qualifikation und deren Lohnkosten nötig. Hierzu greifen wir auf den Ansatz des 2HM-Gutachtens zurück und erhalten über die dort publizierten Werte einen durchschnittlichen Kostenansatz von 0,75 Euro/min. Dies bedeutet, dass je eingesparter Rezeptur 41,25 Euro Kosten bei den Apotheken entstehen. Gesamtwirtschaftlich investieren die Apotheken somit 26,73 Millionen Euro zugunsten der Einsparungen für die GKV, also durchschnittlich etwa 100.000 Euro pro Apotheke.

Zusammenfassung und Wertung

Die Ad-hoc-Versorgung ist unbestritten ein Erfolgsmodell. Sie erspart den Patienten lange Aufenthalte in Kliniken und ermöglicht ihnen, trotz ihrer Erkrankungen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen. Sie spart darüber hinaus der GKV jährlich 657 Millionen Euro alleine durch die Vermeidung von Verwürfen. Durch die ambulante Applikation werden damit – erneut zugunsten der GKV – erhebliche Zusatzkosten im stationären Bereich vermieden.

Im Zuge der nötigen Neuverhandlungen der Hilfstaxe sollte die beschriebene Leistung der Sterilapotheken, deutlich mehr als eine halbe Milliarde Euro jährlich an Einsparungen für die gesetzlichen Krankenkassen alleine durch die Vermeidung an Verwürfen zu verwirklichen, zum Thema gemacht werden.

Es wäre ein Gebot der Fairness von Kassenseite aus, zumindest den Personalaufwand für diese Leistung künftig zu übernehmen. Gerade einmal vier Prozent der Einsparungen wären dafür nötig, eigentlich nicht der Rede wert. |

Autor

Dr. Thomas Wellenhofer, Apotheker, Studium der Pharmazie in Regensburg, 1994 Promotion in Pharmakologie und Toxikologie, seit 1997 Inhaber der Bahnhof Apotheke Freilassing, Schwerpunkte Ernährungsberatung, Diabetes, Zyto­statikaversorgung und Management

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