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„Der Schiedsspruch fördert die Oligopolisierung“

BERLIN (ks) | Am 19. Januar 2018 hat die Schiedsstelle um Dr. Rainer Hess die Preise für parenterale Zubereitungen aus onkologischen Fertigarzneimitteln neu geregelt. Zuvor hatten sich die Vertragspartner der Hilfstaxe – GKV-Spitzenverband und Deutscher Apothekerverband (DAV) – nicht einigen können. Dass es neue Preise geben soll, hatte der Gesetzgeber 2017 im Rahmen des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes (AMVSG) beschlossen. Die angepasste Hilfstaxe soll – ggf. gemeinsam mit Hersteller-Rabattverträgen – die durch die Streichung der Ausschreibungen auf Apotheken­ebene wegfallenden Einsparungen kompensieren. Doch die betroffenen Apotheker laufen Sturm gegen den Schiedsspruch. Der DAV ist bereits vor Gericht gezogen – mit Unterstützung des Verbands der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA). Die DAZ hat mit den mit der Klage betrauten Rechtsanwälten Dr. Constanze Püschel und Dr. Ulrich Grau gesprochen.
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Dr. Ulrich Grau

DAZ: Seit Januar liegt der Schiedsspruch zur Anlage 3 der Hilfstaxe vor. Was bedeutet dieser für die zytostatikaherstellenden Apotheken?

Grau: Der Gesetzgeber hatte mit dem AMVSG das Konzept einer onkologischen Versorgung durch Onkologe und Apotheke vor Ort vor Augen. Für die selbstherstellenden Apotheken, die der Gesetzgeber also gerade mit der Beendigung der Ausschreibungen auf Apothekenebene schützen wollte, bedeutet der Schiedsspruch zur Hilfstaxe nicht nur erhebliche wirtschaftliche Einbußen. Für viele dieser Apotheken steht zu befürchten, dass die vom Gesetzgeber gewünschte regionale Eigenherstellung schlicht nicht mehr kostendeckend erfolgen kann. Bestätigt sich diese Befürchtung, wird das zwangsläufig zur Folge haben, dass diese spezialisierten Apotheken die Eigenherstellung aufgeben – eine Folge, die den gesetzgeberischen Zielen eindeutig widerspricht.

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Dr. Constanze Püschel

DAZ: Sind die vorgegebenen Rabatte überhaupt erzielbar?

Püschel: Im generischen Bereich dürfte die Erzielbarkeit der von der Schiedsstelle festgesetzten Abschläge von Wirkstoff zu Wirkstoff unterschiedlich sein. Sie hängt nach meiner Einschätzung maßgeblich davon ab, wie viele Zubereitungen in der jeweiligen Apotheke hergestellt werden. Während Apotheken mit sehr vielen Herstellungen und einer entsprechend großen Einkaufsmenge die neuen Preise womöglich bei den meisten Wirkstoffen erzielen, dürften Apotheken mit wenigen Herstellungen die Preise voraussichtlich nicht mit den pharmazeutischen Unternehmern verhandeln können. Bei den Originalen wurden und werden den Apothekern z. T. überhaupt keine Rabatte gewährt. Das leuchtet auch ein, wenn man bedenkt, dass die Unternehmen ihren Preis mit dem GKV-Spitzenverband schon im AMNOG-Verfahren verhandeln.

DAZ: Ist es denkbar, dass manche Apotheken am Ende draufzahlen müssen?

Püschel: Ja, das ist denkbar, obwohl es klar der Intention des Arzneimittelpreisrechts widerspricht. Hier hat der Schiedsspruch eine eklatante Regelungslücke. Die pharmazeutischen Unternehmer sind durch die Hilfstaxe, die ja nur im Verhältnis Apotheke – Krankenkasse gilt, nicht verpflichtet, den Apotheken die von der Schiedsstelle ersonnenen Abschläge zu gewähren.

DAZ: Die Klage des DAV gegen den Schiedsspruch richtet sich unter anderem gegen dessen rückwirkende Geltung zum 1. November 2017. Wo steckt hier das Problem?

Grau: Die Anordnung der rückwirkenden Geltung der festgesetzten Abschläge ab dem 1. November 2017 ist nach meiner Auffassung eindeutig rechtswidrig, weil es sich um eine echte Rückwirkung handelt. Die Wirkstoffe für Zubereitungen, die in den Monaten November 2017 bis Januar 2018, teilweise wohl auch noch im Februar 2018, hergestellt wurden, hatten die Apotheken bereits vor Bekanntwerden des Schiedsspruchs eingekauft und auf der Grundlage der geltenden Anlage 3 zur Hilfstaxe überwiegend abgerechnet. Um eine Rückabwicklung der Lieferverträge mit den pharmazeutischen Unternehmern und eine Neuverhandlung der Einkaufspreise entsprechend der am 19. Januar 2018 festgesetzten neuen Abschläge können die Apotheken die pharmazeutischen Unternehmern zwar bitten. Eine Pflicht der pharmazeutischen Unternehmer, dieser Bitte nachzukommen, sehe ich aber nicht.

DAZ: Wie könnte sich die Zyto-Apo­thekenlandschaft mittelfristig ent­wickeln, wenn es bei der jetzigen Regelung bleibt?

Püschel: Der Schiedsspruch fördert die Oligopolisierung im Bereich der Versorgung mit onkologischen Zubereitungen. Denn die mittelständischen Apotheken vor Ort werden vermutlich intensiv darüber nachdenken, ob sie vor dem Hintergrund der von der Schiedsstelle festgesetzten Abschläge ihr Reinraumlabor noch wirtschaftlich betreiben können. Das wird dann nicht nur Auswirkungen auf die Versorgung mit originären onkologischen Thera­pien, sondern auch für die Versorgung mit individuellen Schmerz- und Ernährungstherapien haben.

DAZ: Große Herstellerbetriebe können sich also freuen?

Püschel: Der Schiedsspruch dürfte die Herstellungsbetriebe einerseits begünstigen, da sie wegen ihrer größeren Einkaufsmengen mehr Erfolg bei der Verhandlung der Einkaufspreise für die Wirkstoffe haben dürften. Andererseits werden auch die Herstellungsbetriebe von den deutlich geringeren Abrechnungspreisen zumindest mittelbar negativ betroffen sein.

DAZ: Sie gehen für den DAV rechtlich gegen den Schiedsspruch vor. Lohnt sich ein langer Atem für die Zytostatika herstellenden Apotheken? Wann könnte mit einer ersten Entscheidung des Landessozialgerichts gerechnet werden? Und was genau ist Ihr Ziel?

Püschel: Wir haben sowohl Klage gegen den Schiedsspruch erhoben als auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beim LSG Berlin-Brandenburg gestellt, da die Klage gegen den Schiedsspruch kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat. Eine Entscheidung in dem vorläufigen Rechtsschutz-Verfahren ist hoffentlich sehr bald, das heißt im Frühling, zu erwarten, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren naturgemäß später. Ziel des DAV ist es, dass der Schiedsspruch wegen seiner gravierenden strukturellen Mängel und der unzureichenden Befassung der Schiedsstelle mit den Gesamtzusammenhängen insgesamt aufgehoben wird.

DAZ: Was wäre aus Ihrer Sicht der richtige Weg, um die wohnortnahe Zyto-Versorgung zukunftsfest zu gestalten?

Grau: Bei den Verhandlungen zur Hilfstaxe sollten beiden Verhandlungspartnern, also GKV-Spitzenverband und DAV, die tatsächlichen Einkaufspreise der öffentlichen Apotheken bekannt sein. Zu diesen gehören nur Einkaufspreise von ­Akteuren, die selbst nach der Anlage 3 zur Hilfstaxe abrechnen. Nur an diesen Preisen dürften sich die Abschläge orientieren. Einkaufspreise von Krankenhausapotheken oder Herstellerbetrieben, die ihre günstigeren Einkaufspreise ja gerade nicht eins zu eins an die abrechnenden Apotheken weitergeben, dürfen – anders als im Schiedsspruch erfolgt – nicht schlicht „abgebildet“ werden. Um die wohnortnahe Versorgung auch für die Zukunft sicherzustellen, muss gewährleistet sein, dass alle Apotheken die Abschläge erzielen können.

DAZ: Wird der GKV-Spitzenverband da mitmachen?

Püschel: Die Verhandlung von Abschlägen in der Hilfstaxe durch die Vertragspartner bzw. deren Festsetzung durch die Schiedsstelle darf nicht dazu führen, dass die Krankenkassen über dieses Instrument einseitig die von ihr gewünschten Rabatte festsetzen kann und die Apotheken zusehen müssen, ob sie diese Abschläge bei dem pharmazeutischen Unternehmer erhalten können oder nicht. Die jetzige Konstruktion mutet für die Apotheken wie ein riesiger, von ihnen zu beachtender Open-House-Vertrag an, nur dass keines der pharmazeutischen Unternehmen sich bereit erklärt hat mitzumachen. In so eine „Bedrängnis“ darf die Hilfstaxe die herstellenden Apotheken nicht bringen. Für gewünschte Rabatte, die über die Einkaufspreise der Apotheken hinausgehen, müssen die Krankenkassen das Instrument der Rabattverträge nach § 130a Abs. 8a SGB V nutzen.

DAZ: Könnte eine (teilweise) Kündigung der Hilfstaxe jetzt helfen? Welche Folgen hätte dies?

Grau: Ad hoc kann nur das LSG Berlin-Brandenburg eingreifen, indem der Suspensiveffekt der Klage gegen den Schiedsspruch hergestellt wird. Die Kündigung kann dann bewirken, dass man sehr zeitnah an den Verhandlungstisch zurückkehrt. |

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