Aus der Hochschule

Gute Daten – böse Daten

Big Data ante portas – Nutzen und Risiken

BERLIN (diz) | Das Geschäft mit der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten ist in vollem Gange. Der Markt von Big Data ist ein Wachstumsmarkt. Was man allerdings genau unter dem Schlagwort Big Data versteht, ist bis jetzt noch nicht einheitlich definiert. Prof. Dr. Marion Schaefer, Consumer Health Care-Studiengang (CHC) an der Charité Berlin, durchleuchtete auf der CHC-Jahrestagung am 16. Oktober in Berlin Risiken und Chancen dieses Marktes. Die Tagung versuchte aufzuzeigen, wovor wir uns fürchten müssen und wovor nicht.

Prof. Dr. Marion Schaefer freute sich, dass der Studiengang „Consumer Health Care“ an der Charité sein 15-jähriges Bestehen feiern kann.

Durch die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche werden heute personenbezogene Daten in einer neuen Dimension erzeugt. Die steigende Verbreitung von mobilen Endgeräten, die intensive Nutzung von Apps, die technischen Möglichkeiten zur Speicherung von Massendaten begünstigen diese Entwicklung. Das Schlagwort von Big Data macht die Runde, allerdings gibt es keine einheitliche Definition, was man unter diesem Begriff versteht. Schaefer versuchte daher für den Gesundheitsbereich eine eigene Definition: „Unter Big (Medical) Data versteht man massenhaft aus unterschiedlichen Prozessen anfallende personenbezogene Daten, bei deren Auswertung mithilfe zweckmäßiger Algorithmen Muster erkannt werden, die zu neuartigen Erkenntnissen führen und zur Optimierung der gesundheitlichen Betreuung genutzt werden können.“

Zahlreiche Unternehmen entwickeln Ideen, wie solche personenbezogenen Daten verwertet werden können. Allerdings, die Verwertungsalgorithmen sind meist intransparent oder unbekannt, Nutzeffekte hat oft nur der Verwerter, nicht der Datenlieferant.

Einerseits entstehen dadurch in der Bevölkerung diffuse Ängste, vor allem im sensiblen Bereich der Gesundheitsdaten. Auf der andere Seite jedoch stellen viele Menschen sorglos persönliche Daten zur Verfügung oder hinterlassen Datenspuren im Netz, beispielsweise durch die Verwendung von (kosten­losen) Apps und Wearables (Fitness-Tracker), durch Online-Käufe, Such­anfragen, Nutzung von Ortungs­diensten, Zahlungsverkehr, Eingabe von Kontaktdaten.

Vorteile durch Nutzung von ­Gesundheitsdaten

Betrachtet man den Bereich der Gesundheitsdaten, lassen sich viele Vorteile durch die Verwertung personenbezogener Daten erkennen. Schaefer nannte hier die Signalerkennung in der Pharmakovigilanz, die Detektion von erfolgversprechenden Wirkstoffkandidaten, eine Optimierung in der Diagnostik, Vermeidung von Fehl­diagnosen, die klinische Bewertung von Interaktionen, die Optimierung der individuellen Dosierung und vieles mehr. Die personenbezogenen Daten lassen sich beispielsweise auch verwenden für ein personalisiertes Gesundheitsmanagement, für personalisierte Schulung, Information und Werbung. Voraussetzung hierfür müsste allerdings eine einheitliche elektronische Patientenakte sein inklusive eines maschinenlesbaren Medikationsplans.

Schaefer wies aber auch darauf hin, dass im Bereich Big Data heute noch viele Fragen offen sind. So gibt es noch keine klar geregelten Löschstrategien von Daten, das Prinzip der Datenvermeidung und Datensparsamkeit hat sich noch lange nicht durchgesetzt, zu diskutieren ist auch die ethische Abwägung auf individueller und gesellschaftlicher Ebene.

Für die Apotheke sieht Schaefer einen Erkenntnisgewinn durch Big Data z. B. bei der systematischen Erfassung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, bei der Prüfung auf Interaktionen, bei der individuellen Dosisanpassung, bei der Dokumentation von Therapieabbrüchen oder der Berücksichtigung individueller Merkmale (Cytochrom-P450-Variabilitäten). Die in Apotheken gesammelten Daten können in pharmakoepidemiologische Auswertungen einfließen und Aussagen zur Prävalenz liefern.

Schaefers Fazit: Personenbezogene Massendaten sind längst Realität, ­werden aber häufig noch gar nicht zur Routineauswertung genutzt. Ihre Auswertung kann Nutzen stiften, allerdings müssen die Algorithmen dafür offengelegt, ein Missbrauch und Kontrollverlust muss verhindert werden. Nutzer- bzw. patientenorientierte Lösungen sind stärker zu fördern. Die öffentliche Diskussion um den Schutz der Daten wird weiterhin geführt werden müssen.

Fotos: DAZ/diz

Auf der 15. Jahrestagung „Consumer Health Care“: Die Absolventen des CHC-Studiengangs haben ihre Masterurkunden in Empfang genommen.

Was mit den Daten passiert

Dass sich aus Big Data und der Verwendung und Verarbeitung der Daten zahlreiche rechtliche Fragen und Probleme ergeben, führte Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Christian Dierks, Berlin, vor Augen. Er wies darauf hin, dass vor allem bei kostenlosen Apps der ­Patient als Verwender der App das ­Produkt, das Target ist: Seine Daten werden abgegriffen und vom Vertreiber der App verwendet. Das aktuelle EuGH-Urteil zum Datenschutz (Urteil zu Safe Harbor) wird allerdings deut­liche Veränderungen bringen. So werden die in Europa gewonnenen Daten ohne Einwilligung des Verwenders/Patienten nicht mehr an Firmen in den USA zur Weiterverarbeitung übermittelt werden dürfen. Wie das geregelt werden wird, ist derzeit noch offen.

Wie Krankenkassen heute schon die große Datenflut von Abrechnungs- und Leistungsdaten nutzen, zeigte Dr. Thomas Zahn von der AOK Nordost, Stabsstelle GeWINO. So lassen sich aus den Daten beispielsweise die regionale Versorgungssituation bestimmter Patientengruppen und die Ursachen für Versorgungsprobleme analysieren oder eine Prognose von Gesundheitsrisiken erstellen.

Eine weitere Verwendung von Big Data im Gesundheitsbereich zeigte Dominic Bertram vom SAP Innovation Center Potsdam. An einem Beispiel zeigte er, wie eine spezielle Software mit Daten aus unterschiedlichsten Quellen (Datenbanken, Arztbriefe, Genom-Daten, Biomarker, Krebsregister usw.) nach geeigneten Kohorten für klinische Studien im onkologischen Bereich suchen kann.

Priv.-Doz. Dr. Frank Andersohn, Berlin, stellte die Verwendung von Daten in der pharmakoepidemiologischen Forschung vor. Datensätze mit vielen Variablen aus Abrechnungsdaten, Krankenhausdaten und Krankenakten können für Erkenntnisse in der Versorgungsforschung, der Erkrankungsepidemiologie und vieles mehr genutzt werden.

Zählt nur noch die Datenmenge?

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ­versuchte sich Dr. Susanne Michl, Uni Mainz, dem Thema Big Data zu ­nähern. Sie räumte ein, dass Big Data ungeahnte Möglichkeiten von neuen Erkenntniswegen bietet. Fraglich sei allerdings, ob mehr immer gleich besser ist. Als Gefahren sieht sie beispielsweise, dass die quantitativ arbeitende Wissenschaft zum Goldstandard werden könnte, während die qualitative Forschung und deren Ergebnisse ab­gewertet werden könnten. Die Daten-getriebene Forschung könnte selbst-­referenziell werden, Gegenstände der Forschung (in der Biomedizin: Gene, Moleküle, Proteine) können aus dem Blick geraten. Es ergeben sich zwar, basierend auf neuem und besserem Wissen, individuell, institutionell oder staatlich neue Steuerungsmöglichkeiten, die zu besseren Entscheidungen und Handlungen führen. So kann es beispielsweise durch Erkenntnisse aus Daten individuelle Chancen auf Lebensstiländerungen geben. Aber dies könnte auch eine Pflicht zur Selbst­optimierung hervorrufen.

Anhand einer Online-Recherche untersuchte Malena Johannes, Studiengang Consumer Health Care, wie Big Pharma mit Big Data umgeht. Wie ihre Nachforschungen zeigen, greifen alle großen Pharmafirmen auf Big Data ­zurück und nutzen Daten aus der Forschung und Entwicklung, Patienten- und Abrechnungsdaten sowie Daten zum Patientenverhalten. Potenzial für Big Data zeigt sich vor allem bei klinischen Studien, bei der Pharma­kovigilanz und im Vertrieb und Marketing. |

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