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Auf dem Weg nach 2030

Ein Jahr Perspektivpapier – eine Zwischenbilanz

Mit dem Perspektivpapier „Apotheke 2030“ verfolgt die ABDA den hohen Anspruch, die Zukunft der Apotheker zu sichern. Schon der Titel verrät, dass die Ziele nicht kurzfristig zu erreichen sind. Doch es ist keine Zeit zu verlieren. Ein Jahr nach Verabschiedung des Perspektivpapiers stellt sich daher die Frage, was inzwischen geschehen ist. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt kündigte kürzlich im Interview mit der DAZ (siehe „Apothekertag wird Einigkeit ausstrahlen“ in DAZ 2015, Nr. 38, S. 20) an, die ABDA werde beim Deutschen Apothekertag 2015 erste Ergebnisse präsentieren und diskutieren. Als Beitrag zu dieser Diskussion wird hier hinterfragt: Was hat die ABDA unternommen? Was hat sich verändert? Sind die Apotheker ihren Zielen näher gekommen?

Von Thomas Müller-Bohn

Das Perspektivpapier „Apotheke 2030“ stand im Mittelpunkt des Deutschen Apothekertages 2014. Unmittelbar nach der Verabschiedung erklärte ABDA-Vizepräsident Mathias Arnold, das Perspektivpapier sei ein Ziel und es sei ein langer Weg, dieses Ziel zu erreichen. Dafür sei eine strategische Diskussion nötig, die sofort beginnen solle. Damit eröffnete er drei Diskussionsrunden über das Medikationsmanagement, über Versorgungsstrukturen und über die nötige Qualifikation.

Strategiediskussion beim Apothekertag 2014

Dabei wurde schnell deutlich, dass es nicht „das eine“ Medikationsmanagement gibt, sondern viele Abstufungen entstehen dürften. Einerseits wird nicht jeder Patient die intensivste Form benötigen, andererseits wurde die Sorge deutlich, es könnten mehrere Klassen von Apotheken entstehen, die das Medikationsmanagement in unterschiedlicher Intensität anbieten. Um vielen Apothekern den Einstieg zu ermöglichen, sollten die Apothekerorganisationen gezielte Fortbildungen erarbeiten.

Im Zusammenhang mit den Versorgungsstrukturen wurde insbesondere über die Beziehung zu den Ärzten diskutiert. Demnach müssen die Ärzte davon überzeugt werden, dass die Apotheker mit ihren neuen Leistungen keine Konkurrenz um Honorare eröffnen wollen. Zugleich wurde berichtet, dass viele, insbesondere junge Ärzte oft schon vorurteilsfrei mit Apothekern zusammenarbeiten. Hinsichtlich der Qualifikation wurde intensiv darüber diskutiert, ob das Pharmaziestudium eher vorsichtig um weitere Inhalte der Klinischen Pharmazie ergänzt oder von Grund auf neu gestaltet werden soll.

ABDA-Bilanz vom Juli 2015

Doch wie ging es nach diesem Einstieg weiter? – Die ABDA selbst erklärte in ihrem Bericht vom Juli 2015 über die Behandlung der Anträge zum Apothekertag 2014, dass die ABDA-Geschäftsstelle nach der Verabschiedung des Perspektivpapiers „umgehend in die öffentliche Verbreitung und Umsetzung der Inhalte des Perspektivpapiers eingetreten“ sei. Zunächst sei eine Fassung des Papiers für Multiplikatoren produziert und an Mitgliedsorganisationen, Politik, Medien und Verbände im Gesundheitswesen verteilt worden. Eine Kurzfassung, die auf die Notwendigkeit und die Vorteile einer Kooperation zwischen Ärzten und Apothekern fokussiert, sei an Ärzteverbände geschickt worden. Für die Apotheker selbst wurde ein Magazin gestaltet, das das Perspektivpapier journalistisch aufgearbeitet habe.

Während die ABDA über die Verbreitung des Perspektivpapiers vergleichsweise ausführlich berichtet hat, heißt es zur inhaltlichen Arbeit nur, das Perspektivpapier sei in die folgenden sieben Handlungsfelder gegliedert worden, die kontinuierlich und systematisch bearbeitet würden:

  • neue und bessere Leistungen,
  • heilberufliches Netzwerk,
  • Sicherheit in der Arzneimittelversorgung,
  • ausreichende wirtschaftliche Rahmenbedingungen,
  • Qualifikation,
  • flächendeckende Versorgung und
  • Erhalt des freien Berufs.

Was die ABDA in den einzelnen Handlungsfeldern erreicht hat, wurde in dem Bericht über den Umgang mit den Apothekertagsanträgen nicht ausgeführt. Daher befragte die DAZ den ABDA-Vizepräsidenten Mathias Arnold nach seiner Bilanz zum Perspektivpapier. Seine Antworten finden Sie im Interview „Apotheker wollen mitreden“ auf Seite 21 dieser DAZ. Er betont darin die erzielten Ergebnisse. Doch auch innerhalb der ABDA gibt es andere Sichtweisen. So konstatiert der Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbandes, Dr. Detlef Weidemann, dass die ABDA sich viel mit dem Perspektivpapier beschäftigt, beklagt aber den ausgebliebenen Erfolg in der Gesetzgebung und den Mangel an wirtschaftlichen Perspektiven. Siehe im Kasten stehendes Statement „Qualität wird der Maßstab sein“.

Einstieg in das Medikationsmanagement

Da die ABDA das Handlungsfeld „neue und bessere Leistungen“ mit dem Medikationsmanagement stark in den Vordergrund rückt, liegt es nahe, nach den Erfolgen auf diesem Gebiet zu fragen. Das Vorzeigeprojekt der ABDA dazu ist ARMIN, aber das dritte Modul von ARMIN, mit dem das Medikationsmanagement eingeführt werden soll, wird – entgegen früheren Planungen – erst im Laufe des Herbstes starten können, weil länger als erwartet an den technischen Voraussetzungen gearbeitet werden musste.

Mit dem E-Health-Gesetz hat auch der Gesetzgeber das Thema aufgegriffen. Der vorgesehene Medikationsplan ist dem Gesetzgeber sogar so wichtig, dass eine Papierversion vorgeschrieben werden soll, bevor die technischen Voraussetzungen für einen elektronischen Plan gegeben sind. Doch nach den bisherigen Entwürfen werden nicht die Apotheker, sondern nur die Ärzte mit der Erstellung dieses Plans beauftragt. Die Apotheker sollen nur OTC-Arzneimittel ergänzen. Wenn das Projekt, das die Apotheker in ihrem Perspektivpapier als wesentliche Zukunftsperspektive betrachten, praktisch ohne Beteiligung der Apotheker starten würde, könnte dies wohl nur als Fehlschlag betrachtet werden. Allerdings sind Änderungen im Gesetzgebungsverfahren noch vorstellbar, worauf auch die ABDA offenbar setzt, wie die Antwort von Arnold (siehe Interview „Apotheker wollen mitreden, Seite 21 dieser DAZ) und ein diesbezüglicher Antrag zum Apothekertag 2015 zeigen.

Problematisch erscheint auch, dass der im E-Health-Gesetz vorgesehene „Medikationsplan“ eher eine unkritisch zusammengetragene Medikationsliste ist. Eine solche Liste zu erstellen ist noch kein Medikationsmanagement, aber die Liste bietet immerhin eine erste Voraussetzung, um bei Patienten mit entsprechendem Bedarf in das Medikationsmanagement einsteigen zu können. Das E-Health-Gesetz könnte damit sowohl bei den Patienten als auch im politischen Raum zu einem Türöffner für das Medikationsmanagement werden. Dies scheint auch dringend nötig, denn in der öffentlichen Wahrnehmung ist das Thema offenbar noch nicht angekommen.

Regionale statt zentrale Entwicklungen

Besonders mit Blick auf die patientenorientierte Pharmazie fragte die DAZ Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Leiter der Klinischen Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, nach seiner Jahresbilanz zum Perspektivpapier. Jaehde erklärte dazu, seine Bilanz falle ziemlich ernüchternd aus. „Ich denke nicht, dass die Apotheker den Zielen des Perspektivpapiers wesentlich nähergekommen sind“, so Jaehde. Seit dem Apothekertag 2014 seien von der ABDA keine wesentlichen Impulse mehr gekommen. „Interessante Entwicklungen gab es aus meiner Sicht nur auf regionaler Ebene, zum Teil unterstützt von den Landesapothekerkammern. Nach wie vor ist es eine überschaubare, immerhin leicht steigende Anzahl an Aktivisten, die die patientenorientierte Pharmazie voranbringt, und nicht das Perspektivpapier“, erklärte Jaehde. Die weitere Entwicklung werde nach seiner Einschätzung auch davon abhängen, wie die Apotheker im ­E-Health-Gesetz am Medikationsplan beteiligt werden.

Mehr Geld für mehr Nachwuchs

Ulrich Ströh, Vizepräsident des MVDA, Mitglied der Kammerversammlung der Apothekerkammer Schleswig-Holstein und Inhaber der Belvedere-Apotheke in Kiel, lobte gegenüber der DAZ den Weg, den die ABDA für die Erstellung des Perspektivpapiers gewählt hat, und die zentrale Botschaft, auf die heilberufliche Perspektive zu setzen. Doch gerade deshalb bedauert er, dass die Apotheker nun beim Medikationsplan nicht berücksichtigt werden sollen. „Die ersten Signale für 2030 sprechen dafür, dass die Stützpfeiler nicht stabil stehen, sondern von der Politik angenagt sind“, so Ströh. Außerdem beklagte Ströh: „Mir fehlt ein Beitrag zur Wirtschaftlichkeit der Apotheken.“ Die Apotheker könnten die neuen Aufgaben nicht erfüllen, wenn qualifiziertes Personal fehle. Doch „wir werden junge Kollegen nicht dauerhaft in der Präsenzapotheke halten können“, so Ströh. Er erwartet eine „Völkerwanderung in die Industrie und in die Verwaltung“ und fragt: „Wie sollen wir ohne Personal die Ideen umsetzen?“

Weitere Handlungsfelder

Damit richtet sich der Blick auf die weiteren Handlungsfelder. Bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist seit der Verabschiedung des Perspektivpapiers keine Verbesserung zu verzeichnen. Die Honorarforderungen, die beim Apothekertag 2014 erhoben wurden, stehen in Form von Anträgen 2015 erneut auf der Tagesordnung. Auch wenn dies nur eines von sieben Handlungsfeldern ist, stellt die Vergütung doch die Voraussetzung für jedes weitere Engagement dar. Auch hinsichtlich der flächendeckenden Versorgung gibt es keine Verbesserung. Die Apothekenzahl sinkt nicht mehr so schnell wie zu Zeiten des AMNOG. Die Versorgung ist insgesamt gesichert, aber auf lokaler Ebene gibt es immer wieder Diskussionen, wenn die Schließung einer versorgungsrelevanten Apotheke droht. Ob strukturelle Hilfen oder weitergehende Ausnahmen von Vorschriften hier der bessere Weg sind, bleibt zu diskutieren.

Für den „Erhalt des freien Berufs“ gab es im zurückliegenden Jahr keine unmittelbare Bedrohung in der deutschen Politik, doch dies liegt wohl mehr an den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen und weniger an der Arbeit der ABDA. Probleme dürften eher von internationalen Verträgen wie dem TTIP-Abkommen drohen. Bereits beim Apothekertag 2014 wurde in diesem Zusammenhang an die Verantwortlichen appelliert, auch 2015 gibt es dazu zwei Anträge, aber greifbare Ergebnisse wurden in der Zeit dazwischen nicht erzielt. Bei der „Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ ist das SecurPharm-Projekt eine vorzeigbare Leistung, doch ist diese kein Ergebnis des Perspektivpapiers.

Zum Handlungsfeld „heilberufliches Netzwerk“ verweist Arnold im DAZ-Interview auf die Arbeiten an EDV-Netzwerken, aber der Begriff hat nicht nur eine technische Bedeutung, sondern steht auch für die inhaltliche Zusammenarbeit von Partnern im Interesse gemeinsamer Patienten und Kunden. Doch neue Initiativen zur Zusammenarbeit mit den Ärzten außerhalb von Modellprojekten sind nicht zu erkennen.

Wege zur Qualifikation

Für das Handlungsfeld „Qualifikation“ kann auf Schulungen für die patientenorientierte Pharmazie verwiesen werden. Die Diskussion über die Approbationsordnung hat nach Einschätzung der ABDA-Spitze gezeigt, dass das Berufsbild überarbeitet werden soll, um auf der Grundlage eines möglicherweise veränderten Berufsbildes über eventuell nötige Änderungen der Ausbildung beraten zu können. Um das neue Berufsbild vorzubereiten, ist eine erneute Online-Debatte im November vorgesehen, die ähnlich wie die Diskussion über das Perspektivpapier ablaufen soll. Damit ist der Weg in das zweite Jahr mit dem Perspektivpapier vorgezeichnet.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob mehr Themen gleichzeitig intensiver bearbeitet werden müssten, um die gesetzten Ziele erreichen zu können. Diese Idee drängt sich auch aufgrund der Einschätzung des Präsidenten der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, Gerd Ehmen, auf. Bei der Kammerversammlung am 16. September in Kiel erklärte er mit Blick auf die Entwicklung im Gesundheitswesen: „Die Geschwindigkeit verändert sich. Die Taktung nimmt zu.“ Das Perspektivpapier ziele auf das Jahr 2030, aber „wir werden Tempo aufnehmen müssen“, so Ehmen. – So bleibt gespannt abzuwarten, was das zweite Jahr mit dem Perspektivpapier bringen wird. |

Autor

Dr. Thomas Müller-Bohn ist Apotheker und Diplom-Kaufmann. Er ist externes Redaktionsmitglied der DAZ.

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