Arzneimittel und Therapie

Erkennen, was krank macht

Von der prädiktiven Molekularpathologie zur personalisierten Tumorbehandlung

Um eine stratifizierte Therapie bei onkologischen Erkrankungen erfolgreich anzuwenden, müssen zuvor krankheitsverursachende Veränderungen nachgewiesen werden. Wie Prof. Dr. Manfred Dietel, Berlin, beim 22. Norddeutschen Zytostatika-Workshop in Hamburg erläuterte, übernimmt der Pathologe daher zunehmend molekulargenetische Untersuchungen, um eine individualisierte Behandlung zu ermöglichen.

Das Ziel einer stratifizierten Tumor-therapie (synonym verwendet werden die Begriffe personalisierte, individualisierte oder zielgerichtete Therapie) ist die Hemmung überaktivierter Signalwege, die das Krebswachstum fördern oder die Apoptose verhindern. Voraussetzung hierfür ist die Detektion der fehlgeleiteten Signalwege mithilfe eines geeigneten Biomarkers. Durch prädiktive Biomarker kann im Vorfeld vorhergesagt werden, ob ein Patient auf eine bestimmte Therapie ansprechen wird. Das heißt, mittels prädiktiver Diagnostik (Translokations- und Mutationsanalyse, Nachweis einer Rezeptorüberexpression) können Tumore identifiziert werden, bei denen eine zielgerichtete Therapie zu einem klinisch relevanten Erfolg führen wird.

Prädiktive Tests für rund ein Drittel aller Tumore

Den Anfang der individualisierten Tumortherapie machte die Hormonrezeptorbestimmung beim Mammakarzinom in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts; nur bei einem positiven Estrogen- oder Progesteronrezeptor ist eine antihormonelle Therapie sinnvoll. Ein weiterer wichtiger Schritt war der Nachweis einer HER2-Überexpression und die darauf basierende Behandlung mit Trastuzumab bei einer Untergruppe von Brustkrebspatientinnen. Im Verlauf der letzten zehn bis fünfzehn Jahre wurden weitere fehlgeleitete Signalwege erkannt, die beim Wachstum von Tumorzellen eine Rolle spielen. Derzeit liegen für rund 35% aller Tumore bereits gewebebasierte prädiktive molekulare Tests vor. Parallel mit dem Erkennen der krankheitsverursachenden Fehlsteuerung läuft die Entwicklung spezifischer Therapeutika, von denen bereits etliche zur Verfügung stehen (siehe Tabelle) und zahlreiche in Studien untersucht werden. Neue zielgerichtete Therapeutik werden von der EMA mit der Auflage zugelassen, dass vor ihrer Anwendung ein molekular-pathologischer Test durchgeführt werden muss, um das Zielmolekül im Tumorgewebe zu identifizieren.

Mit der zunehmenden Bedeutung prädiktiver Diagnostik haben sich auch die Aufgaben der Pathologen verändert, und neben der Diagnostik werden vermehrt molekulare Analysen durchgeführt. Nach der histologischen Befundung erfolgt die Markierung des Tumorareals, dem sich eine manuelle Mikrodissektion anschließt, um gesundes Gewebe von Tumorgewebe zu trennen. Erst dann erfolgen Immunhistochemie, In-situ-Hybridisierung oder genetische DNA-Isolierung sowie eine direkte Sequenzierung. Um die Qualität der Befunde objektiveren zu können, werden durch die Deutsche Gesellschaft für Pathologie regelmäßig Ringversuche durchgeführt, deren Ergebnisse eingesehen werden können (www.dgp-berlin.de). In Zukunft werden Multi-Gene-Assays eine wichtige Rolle spielen, um bereits im Vorfeld abschätzen zu können, welcher Patient von welcher Therapie profitiert. Eingesetzt werden bereits Tests wie etwa Oncotype DX® oder EndoPredict®, um das Risiko von Mammakarzinom-Patientinnen einschätzen zu können. Ein nächster Schritt wird das Screening auf tumorrelevante Genmutationen sein.

Beispiele für eine stratifizierte Therapie

Stratifizierte Therapien spielen bei vielen Tumorentitäten eine wichtige Rolle. Ein Beispiel ist das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, bei dem bisher unterschiedliche onkogene Treibermutationen nachgewiesen wurden. Damit einher ging die Entwicklung molekular-stratifizierter Therapeutika, die in den gestörten Signalweg eingreifen. Die ersten spezifisch wirksamen Arzneistoffe waren Gefitinib und Erlotinib, die beim EGFR-(epidermal growth factor receptor) positiven NSCLC eingesetzt werden. Dann folgte der Tyrosinkinase-Hemmer Crizotinib, der bei Mutationen im anaplastischen Lymphomkinase (ALK)-Gen Verwendung findet. Ein weiteres Beispiel ist die Bestimmung des KRAS- und NRAS-Status bei Patienten mit einem metastasierten kolorektalen Karzinom vor der Gabe von Panitumumab oder Cetuximab. Diese Anti-EGFR-Antikörper sind nur wirksam, wenn die durch EGFR gesteuerten Signalwege noch regulierbar sind. Treten nachfolgende Mutationen in den KRAS- und NRAS-Genen auf, kommt es zu einer Daueraktivierung des Signalwegs, der nicht mehr durch die Aktivität des EGFR reguliert werden kann. Dann ist eine Anti-EGFR-Therapie wirkungslos.

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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