DAZ wissenswert

Quanten und Adrenozeptoren

Nobelpreise 2012 für Physik und Chemie

Die Nobelpreise für Physik und Chemie gehen in diesem Jahr in die USA und nach Frankreich. Ausgezeichnet wird mit der Quantenmechanik eine reine Grundlagenforschung. Die Charakterisierung von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren lässt dagegen auf baldige breite Anwendungen hoffen.

Die Welt der Quanten

Die Physiknobelpreisträger dieses Jahres haben das Tor weit aufgestoßen, die Wirklichkeit der Quantenwelt besser zu beobachten und zu verstehen. Die Dinge hinter den Dingen werden damit in der Zukunft vielleicht etwas klarer. Sie haben der langen Reihe grandioser, aber vor allem theoretischer Erkenntnisse praktische Werkzeuge an die Hand gegeben, um das Wissen über die Quantenmechanik zu vergrößern. Angefangen hat es mit Max Planck (1858 – 1947; Nobelpreis 1918), der zu Weihnachten 1900 widerstrebend seine Erkenntnis veröffentlichte, dass die Energie des Lichts nicht kontinuierlich fließt, sondern in diskrete Päckchen oder Quanten aufgeteilt ist.

Es war der erste große Schritt in ein zweites physikalisches Universum. Denn auf der Quanten-ebene gelten die Gesetze der klassischen Physik nicht. Werner Heisenberg (1901 – 1976; Nobelpreis 1932) hat dies mit seiner Unschärferelation deutlich gemacht. Demnach ist es nicht möglich, Ort und Geschwindigkeit eines Quants exakt zu bestimmen. Je genauer man die Teilchen beobachtet, umso unschärfer wird das Ergebnis. Das liegt daran, dass die Beobachtung oder Messung eines Teilchens eine Wechselwirkung mit diesem darstellt. Legt man an ein Quant eine Spannung an oder bestrahlt es, verändert dies seine Eigenschaften. "Messung ist Erpressung der Natur", hat Heisenberg das genannt. Wenn ein einzelnes Photon auf ein Elektron trifft, kommt es zur Wechselwirkung. Das Photon verliert seine quantenphysikalische Welleneigenschaft und wird zu einem Masseteilchen. Dieser "Dekohärenz" genannte Prozess ist irreversibel und zugleich Ursache und Grund für unsere erfahrbare Welt. Ohne den Dekohärenzübergang von der Quantenwelt in unsere Welt gäbe es buchstäblich nichts.

Ionen in der Falle

David Wineland (geb. 1944 in Milwaukee) vom National Institute of Standards and Technology (NIST) in Boulder, Colorado (USA), hat, aufbauend vor allem auf der Penningfalle von Hans Dehmelt (geb. 1922; Nobelpreis 1989), eine Ionenfalle gebaut, mit der sich die Quantenzustände von Ionen untersuchen lassen. Die Ionenfalle steht in einem extrem reinen Vakuum und wird durch die Kombination eines statischen und eines oszillierenden elektrischen Feldes gebildet. Darin befinden sich wenige Beryllium-Ionen, die wegen der elektrischen Felder nicht daraus entkommen können. Wenn die Ionenfalle auf eine Temperatur von nahezu 0 Kelvin (absoluter Nullpunkt) gekühlt wird, kommen die Ionen weitgehend zur Ruhe. Wineland hat dann einzelne Ionen durch gepulste Laserstrahlen in den niedrigsten Energiezustand versetzt und einigermaßen stabil positioniert, sodass er deren Quantenzustände untersuchen und auch modulieren konnte. So gelang es ihm, Superpositionen aufzubauen, d. h. dass die Ionen verschiedene Quantenzustände zugleich aufwiesen.


Abb. 1: Ionenfalle Starke elektrische Felder halten drei Beryllium-Ionen "gefangen". Winelands große Kunst war es, in solchen Ionenfallen mit einem Laserstrahl die Bewegung der Ionen so sehr zu verringern, dass er ihre Quantenzustände untersuchen konnte (wenn auch nicht mit dem bloßen Auge).


Superpositionen gehören zu den Widersprüchen, die in der klassischen Physik nicht möglich sind, wohl aber in der Welt der Quantenmechanik. Erwin Schrödinger (1887 – 1961; Nobelpreis 1933) hat sie mit seinem Katzenparadoxon zu erklären versucht: Er stellte sich eine Katze vor, die gemeinsam mit einem Radionuklid in eine schwarze Kiste eingeschlossen ist. Zerfällt das Atom, wird über einen Detektor ein Giftgas freigesetzt, das die Katze tötet. Um zu klären, ob das Radionuklid zerfallen ist oder nicht, muss man die Kiste öffnen und sehen, ob die Katze tot oder lebendig ist. Entweder oder – etwas anderes gibt es nicht. In der Quantenmechanik aber schon. Superposition hieße in diesem Beispiel: beides gleichzeitig – zerfallen und nicht zerfallen, tot und lebendig.

Isolierte Photonen

Serge Haroche (geb. 1944 in Casablanca) vom Collège de France in Paris (Frankreich) fand mit der Optischen Hohlraum-Quantenelektrodynamik (Cavity-QED) einen anderen Weg in die mysteriöse Quantenwelt. Er stellte in einem Vakuum zwei Hohlspiegel mit extrem hoher Reflexion aus supraleitendem Niob in 2,7 cm Abstand gegenüber, kühlte sie auf 0,8 Kelvin ab und leitete einzelne Photonen in den Hohlraum; unter diesen Bedingungen springt ein Photon 0,13 Sekunden lang zwischen den Spiegeln hin und her und legt dabei 40.000 km zurück, bevor es absorbiert wird. Haroche prüfte, wie die Photonen mit Rydberg-Atomen wechselwirken; das sind extrem angeregte und durch das hohe Energieniveau des äußersten Elektrons sehr große Atome mit einem Durchmesser von etwa 125 nm, dem 1000-fachen eines gewöhnlichen Atoms. Er schickte die Atome mit langsamer Geschwindigkeit durch den Hohlraum hindurch; dabei veränderten die Photonen die Wellenfunktion der Rydberg-Atome, ohne selbst zerstört zu werden (Quantum-non-demolition-Messung). Wenn aber kein Photon im Hohlraum war, verließ das Atom unverändert den Hohlraum.


"Ich habe keine Ahnung, welche Anwendung es für unsere Arbeit geben könnte."

Serge Haroche

Wineland und Haroche sind vor allem für ihre "bahnbrechenden experimentellen Verfahren" ausgezeichnet worden, die die Forscher in aller Welt beflügelt haben. Sie haben aber auch gezeigt, wie durch Messung eine Superposition kollabiert. Und es ist ihnen gelungen, Dekohärenz zu beobachten. Die Gemeinschaft der Physiker erkennt die Preiswürdigkeit an. Denn ohne ihre Arbeiten hätte sich kaum jemand vorstellen können, einzelne Photonen isolieren und vermessen zu können. Der Weg hin zum Quantencomputer wurde geebnet, und noch genauere Atomuhren sollen bald möglich werden.

Erforschung G-Protein-gekoppelter Rezeptoren

Ohne Kommunikation ist alles nichts. Das ist auf der menschlichen Ebene genauso wie auf der Ebene der Zellen. Doch wie Zellen ihre Umwelt wahrnehmen und mit ihr Informationen austauschen, war bis in die 1970er Jahre unklar. Dass es Rezeptoren für bioaktive Substanzen wie Stimulatoren und Inhibitoren gibt, war schon lange postuliert worden. Aber wie beispielsweise Adrenalin die Blutgefäße veranlasst, den Blutdruck steigen zu lassen, blieb Spekulation.


Abb. 2: G-Protein gekoppelter Rezeptor (blau) in der Zellmembran Links im inaktiven Zustand: An der Innenseite (unten) ist das G-Protein mit GDP an den Rezeptor gebunden. Rechts im aktivierten Zustand: Nachdem ein Ligand (dunkelrot) an den Rezeptor gebunden hat, wird das GDP zu GTP phosphoryliert, worauf das G-Protein dissoziiert und im Zytosol eine Signaltransduktionskette in Gang setzt.

Robert Lefkowitz (geb. 1943 in New York) vom Medizinischen Zentrum der Duke-Universität in Durham (USA) spürte den Rezeptoren seit 1968 nach. Zunächst koppelte er Iod-Radioisotope an Nebennierenrindenhormone. Unter anderem fand er den β2-adrenergen Rezeptor (β2‑Adrenozeptor, β2-AR) für das Adrenalin. Es gelang ihm, ihn zu isolieren und erste Einsichten in die Funktion zu gewinnen.


"Als ich vor 40 Jahren damit anfing, staunten alle Fachleute und waren skeptisch. Heute staunen meine Studenten über diesen Skeptizismus."


Robert Lefkowitz

In den 1980er Jahren stieß Brian Kobilka (geb. 1955 in Little Falls), der später an die Stanford-Universität wechselte, zu seiner Arbeitsgruppe. Ihm gelang es, das Gen, das den β2-AR kodiert, zu identifizieren und daraus die Struktur des Rezeptors mit seinen sieben transmembranären Domänen vorherzusagen. Die Sequenz- und Funktionsanalyse zeigte, dass der β2-AR dem Rhodopsin ähnelt, das in der Netzhaut des Auges Photonen (Licht) einfängt. Es musste wohl eine ganze Familie von Rezeptoren geben, die ähnlich aufgebaut sind und auch ähnlich arbeiten. Damit begann die eigentliche Forschung der beiden erst.

1980 postulierte Lefkowitz das Modell des ternären Komplexes, bestehend aus einem extrazellulären Liganden (z. B. Adrenalin), dem G-Protein-gekoppelten Rezeptor (GPCR) in der Zellmembran und dem intrazellulären G-Protein, benannt nach dem beteiligten Guanosindiphosphat und -triphosphat (GDP/GTP).

Kobilka ist es in der Folge gelungen, das Postulat von Lefkowitz zu bestätigen, indem er mithilfe der Röntgenstrukturanalyse die dreidimensionale Struktur des ternären Komplexes aufklärte: den β2-Adrenozeptor in Verbindung mit einem Liganden und dem G-Protein. Er nannte seine hochaufgelöste Kristallstruktur des ternären Komplexes den Heiligen Gral.

Andere Forschergruppen bestätigten dann dieses Ergebnis, und allmählich wurde klar, dass die GPCR eine große "Familie" mit enger struktureller Verwandtschaft bilden. Die GPCR sind modular aufgebaut und können deshalb spezifisch auf viele unterschiedliche Agonisten reagieren. Obwohl die Liganden sehr stark differieren – die Spannbreite reicht vom Photon über kleine Moleküle bis zu Peptiden – läuft die Signaltransduktion stets auf ähnlichem Wege ab.

Heute ist die Signaltransduktionskette, die sich an die Aktivierung eines GPCR anschließt, auf molekularer Ebene in allen Einzelheiten verstanden. Die Basis ist bereitet für die Entwicklung neuer Arzneistoffe mit hoher Spezifität, Effizienz und entsprechend wenigen Nebenwirkungen.


Dr. Uwe Schulte

Königsallee 43, 71638 Ludwigsburg

schulte.uwe@t-online.de



DAZ 2012, Nr. 44, S. 120

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