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Neue Moleküle durch Metathese

Die Metathese ist eine der wichtigsten Reaktionen in der organischen Chemie. Sie ermöglicht die rationale Synthese neuer Molekülkombinationen und damit auch neuer pharmazeutischer Wirkstoffe. Für wegweisende Entdeckungen auf diesem Gebiet wurden Yves Chauvin, Richard Schrock und Robert Grubbs mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

 

Das Mysterium der Lebenskraft

Kohlenstoff ist die Grundlage des Lebens. Die vierarmigen C-Atome verbinden sich mit ihres gleichen und mit H-Atomen zu Kohlenwasserstoffen und schaffen so das Grundgerüst der organischen Materie. Es entstehen Kohlenwasserstoffketten und -ringe, die als Substituenten vor allem der H-Atome, aber auch einzelner C-Atome zahlreiche weitere Elemente aufnehmen, insbesondere Sauerstoff und Stickstoff. Wie sich diese Moleküle umorganisieren (lassen), erforschen organische Chemiker seit vielen Generationen.

Früher versuchte man den organischen Umbau der Stoffe und die andersartigen Eigenschaften von Edukten und Produkten mit dem Wirken einer allen Lebewesen innewohnenden Lebenskraft zu erklären. Diese Anschauung wurde erschüttert, als es Friedrich Wöhler vor fast 180 Jahren gelang, Harnstoff ohne Beteiligung eines Organismus allein durch Eindampfen von Ammoniumcyanat zu synthetisieren. Wöhlers bahnbrechende Entdeckung gilt als Geburtsstunde der organischen Chemie, obwohl Harnstoff als Diamid der Kohlensäure im strengen Sinne kein organisches Molekül ist.

Wie stabil ist C=C?

Jakob Berzelius hatte schon 1835 den Begriff Katalysator geprägt, Wilhelm Ostwald (Chemienobelpreis 1909) hatte dessen Eigenschaften genauer definiert, und einige Wissenschaftler entdeckten nach ihnen benannte Reaktionen oder Synthesen. Doch die Erfolge der Suche nach effektiven Katalysatoren waren bis in die 1950er-Jahre eher bescheiden. Das Cracken des Erdöls, der stofflichen Basis der modernen Industriegesellschaft, wurde bis dahin mit Mischkatalysatoren unbekannter Struktur durchgeführt. Deren geringe Chemoselektivität erlaubte es nicht, sie im Bereich der Fein- oder gar Wirkstoffchemie einzusetzen.

Eher zufällig entdeckte Herbert Eleuterio bei Du Pont 1957 die Olefin-Metathese (heute: Alken-Metathese). Es sah so aus, als ob sich die Doppelbindung des Norbornens, sobald dieses mit metallhaltigen Verbindungen zusammengebracht wurde, öffnet, worauf sich ein neuer Cyclopentenring mit anderer Struktur bildet. Kurz darauf fand er das gleiche Phänomen beim Propen: Die Doppelbindung öffnet sich und die Hälften setzten sich neu zusammen, sodass neben dem Edukt auch Buten und Ethen entstehen (Abb. 1). Das widersprach der Erfahrung, dass Kohlenstoff-Doppelbindungen sehr stabil sind und sich unter moderaten Bedingungen nicht spalten lassen.

Die Alken-Metathese hat die organische Chemie revolutioniert, doch der zugrunde liegende chemische Vorgang blieb noch lange ein Mysterium. Die Chemiker bissen sich die Zähne daran aus, weil sie die organischen Syntheseprozesse nur dann gezielt verbessert konnten, wenn sie den zugrunde liegenden Mechanismus verstanden.

Tanz mit Partnertausch

Schließlich kam dem Franzosen Yves Chauvin (geb. 1930) als erstem der richtige Gedanke. Der Chemiker am Institut für Erdölforschung in Rueil-Malmaison stellte sich die Metathese als einen "Tanz der Moleküle" vor (Abb. 2). Er kombinierte die Erkenntnisse der Chemienobelpreisträger Ernst Fischer (1973) über die Synthese von Sandwichverbindungen aus Wolfram und Kohlenstoff und von Giulio Natta (1963) über die Polymerisation von Cycloalkenen und veröffentlichte die Ergebnisse 1971 gemeinsam mit seinem Doktoranden Jean-Louis Hérrison.

Das Metallatom im Katalysatormolekül muss eine Doppelbindung zu einer organischen Gruppe besitzen. Dann kann dieses mit einem der Substratmoleküle an dessen Doppelbindung so reagieren, dass sich ein gesättigter Cycloalkanring bildet. Im nächsten Schritt brechen zwei Bindungen des Rings auf, und es entstehen ein neues Alken und ein neues Katalysatormolekül, das sich wieder ein Substratmolekül zum Tanz mit Partnertausch sucht. Es tun sich also immer wieder zwei Paare zusammen und gehen in einer veränderten Konstellation wieder auseinander.

Durchbruch mit Molybdän

Das enorme Potenzial der Metathese war sofort allen Fachleuten offensichtlich. Doch ihr Einsatz in der chemischen Industrie scheiterte vor allem an der Empfindlichkeit der Katalysatoren. Gesucht wurden Katalysatoren, die länger haltbar und sehr spezifisch für die gewünschte Reaktion waren. Doch es sollte noch zwanzig Jahre dauern, bis Richard Schrock so weit war. Er hatte bereits in den 1970er-Jahren bei Du Pont einen stabilen Tantal-Alkyliden-Komplex mit der Formel Ta(CH2CMe3)3(=CHCMe3) synthetisiert – als ersten Vertreter einer neuen metallorganischen Verbindungsklasse.

Schrock spezialisierte sich ganz auf diese Katalysatoren und ging zur weiteren Forschung an das Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (MIT). Dort hatte er den ersten großen Erfolg mit Ta(=CHC(CH3)3)Cl(PMe3)(O-C(CH3)3)2, das die Metathese von cis-2-Penten katalysiert. Neben Tantal verwendete Schrock Wolfram und Molybdän als Metallkomponenten der Katalysatoren.

Molybdän erwies sich schließlich als am effektivsten. Schrock entwickelte einen Molybdän-Alkyliden-Katalysator, der neben der Alken-Gruppe drei weitere Liganden enthielt (Abb. 3). Er zeigte eine hohe Selektivität, Aktivität und Produktivität, war leicht zu handhaben, und störende Nebenreaktionen traten kaum auf. Damit war im Jahr 1990 der Weg frei für den großindustriellen Einsatz der Schrock-Katalysatoren.

Noch besser mit Ruthenium

Einen Nachteil hatten die Schrock-Katalysatoren aber immer noch: Sie waren empfindlich gegenüber Wasser und Luftfeuchtigkeit, weshalb die Reaktion in organischen Lösungsmitteln ablaufen musste. Hier konnte nun Robert Grubbs vom California Institute of Technology in Pasadena weiterhelfen. Seine zwei Jahre später entwickelten Grubbs-Katalysatoren sind Ruthenium-Alkyliden-Komplexe (Abb. 4). Das sehr seltene Platinmetall Ruthenium war zwar bereits als Reaktionsbeschleuniger bekannt, doch erst Grubbs entwickelte Ruthenium-Alkyliden-Komplexe mit hoher Selektivität. Darüber hinaus sind sie unempfindlich gegen Luft und Wasser und arbeiten auch in Alkohol und sogar in organischen Säuren.

Bemerkenswerte Breite der Anwendungen

Heute werden die Metathese-Reaktionen in vielen Prozessen sowohl in der Forschung als auch in der Industrie eingesetzt. Sie machen aufwändige Synthesen in wenigen Schritten möglich, sodass weniger Ressourcen benötigt werden und weniger Nebenprodukte entstehen. Die Breite der Anwendungen sei besonders deswegen so bemerkenswert, weil die Katalysatoren von Schrock und Grubbs erst seit kurzer Zeit zur Verfügung stehen, kommentiert das Nobelkomitee die Preisverleihung. Besonders aus der pharmazeutischen Industrie ist die Metathese nicht mehr wegzudenken, da sie es ermöglicht, mit einfachen Mitteln immer wieder neue potenzielle Wirkstoffe herzustellen. Eine vielversprechende Substanzgruppe, die sich auf diese Weise synthetisieren lässt, sind die Epothilone, die zuerst aus Myxobakterien isoliert wurden. Derzeit testen Pharmaunternehmen wie Bristol-Myers Squibb und Schering einzelne Epothilone wegen ihres antikarzinogenen Potenzials.

Die Katalysatoren helfen auch, flüssige Kunststoffe in andere Materialien einzubringen, beispielsweise in hölzerne Baseballschläger, wo sie nach Behandlung mit dem Katalysator aushärten. Yves Chauvin, der Entdecker der Metathese, hat zu ihrer weiteren Erforschung wenig beigetragen und scheint die Auszeichnung mit dem Nobelpreis gleichgültig hinzunehmen. Seine viel jüngeren Kollegen dagegen wollen ihren Triumph richtig feiern.

 

Dr. Uwe Schulte
Händelstraße 10,
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schulte.uwe@t-online.de

Literatur
Robert H. Grubbs: Handbook of Metathe- sis. 3 Bände. Wiley-VCH, Weinheim 2003.

Ringschluss 

Die Metathese ist für die chemische Industrie auch deshalb so interessant, weil man mit ihrer Hilfe Alkene relativ einfach zyklisieren kann.

Zwei Preise für Yves Chauvin 

1994 hat die Deutsche wissenschaftliche Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle (DGMK) Yves Chauvin die Carl-Engler-Medaille verliehen. Darauf ist der Forscher, der sich Zeit seines Lebens mit Erdöl in allen seinen Spielarten beschäftigt hat, sehr stolz. Ganz anders empfindet er den Nobelpreis: "Alles in allem finde ich den Preis peinlich. Ich bin Ruhm nicht gewöhnt; und Ruhm ist so schwer zu ertragen. Ich kann nicht sagen, dass mich das mit Freude erfüllt... Ich war der erste, und deshalb geben sie mir den Preis. Aber dieses Arbeitsgebiet habe ich schnell verlassen. Ich habe nicht viel dazu zu sagen... Das Geld bekommen meine Kinder."

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