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Pflanzliche Wirkstoffe, 1. Teil

Pflanzliche Arzneimittel standen früher im Mittelpunkt der pharmazeutischen Praxis. Heute stehen sie im Schatten der chemisch-synthetischen Arzneistoffe, erfreuen sich aber bei bestimmten Indikationen noch großer, teilweise wieder zunehmender Beliebtheit. Im Gegensatz zu synthetischen Arzneimitteln enthält jedes pflanzliche Arzneimittel ein komplexes Stoffgemisch. Die jeweils darin enthaltenen Wirkstoffe sind in ihrer Gesamtheit für die therapeutische Wirkung verantwortlich. Dieser zweiteilige Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten pflanzlichen Wirkstoffe.

Pharmazeutische Biologie – was ist das?

Die Pharmazeutische Biologie als eine der Kerndisziplinen der Pharmazie beschäftigt sich mit den unterschiedlichsten Aspekten von biogenen Arzneistoffen; dazu zählen die chemische Struktur und Analytik, Biogenese, Gewinnung und arzneiliche Verwendung.

Unter biogenen Arzneistoffen versteht man Stoffe natürlichen Ursprungs im weitesten Sinne. Sie umfassen getrocknete Arzneipflanzen oder -pflanzenteile (pflanzliche Drogen) sowie daraus gewonnene Zubereitungen oder Reinsubstanzen, aber auch Produkte aus tierischen Organen (tierische Drogen) oder von bestimmten Mikroorganismen (z. B. Penicillin, Impfstoffe). Im Folgenden beschränken wir uns auf die pflanzlichen Drogen.

Bedeutung von pflanzlichen Arzneimitteln

Obwohl heutzutage chemisch-synthetische Arzneistoffe im Arzneimittelmarkt dominieren, spielen pflanzliche Arzneimittel bei bestimmten Indikationen eine wichtige Rolle. Gerade für die Behandlung von Befindlichkeitsstörungen und leichteren chronischen Erkrankungen wie Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen oder Atemwegserkrankungen sind sie aufgrund ihrer großen therapeutischen Breite und des meist günstigen Nebenwirkungsprofils sehr gut geeignet. Sie haben vor allem im Bereich der Selbstmedikation eine bedeutende Marktrelevanz erlangt.

Grundlagen der Phytotherapie

Ausgangsstoffe für die Herstellung von pflanzlichen Arzneimitteln (Phytopharmaka) sind pflanzliche Drogen. Dazu gehören Kraut, Blätter, Blüten, Früchte, Samen, Wurzeln, Wurzelstöcke, Rinden und andere Teile. Der Grund dafür, dass vorwiegend Pflanzenteile (und nicht die ganze Pflanze) pharmazeutisch verwendet werden, ist, dass die Wirkstoffe meist in bestimmten Organen angereichert sind.

Unter Phytopharmaka versteht man Arzneimittel, die als wirksame Bestandteile Pflanzen oder Pflanzenteile in rohem oder verarbeitetem Zustand (z. B. als Extrakt, Presssaft oder Destillat) enthalten. Sie werden im Sinne einer rationalen Therapie, d. h. nach naturwissenschaftlich orientierten Grundsätzen, angewendet. Arzneimittel der Homöopathie und Anthroposophie zählen nicht zu den Phytopharmaka.

Im Gegensatz zu chemisch-synthetischen Arzneistoffen ist der arzneilich wirksame Bestandteil von Phytotherapeutika nicht eine einzige Substanz, sondern stets ein komplex zusammengesetztes Substanzgemisch. Der Wirkstoff ist also der Extrakt (oder Presssaft, Destillat usw.) in seiner Gesamtheit. Aus Pflanzen isolierte Reinsubstanzen wie beispielsweise Menthol, Digitoxin, Morphin oder Colchicin werden übrigens nicht als pflanzliche Arzneimittel eingestuft.

Pflanzliche Wirkstoffe

In jeder Pflanze steckt eine Vielzahl unterschiedlichster Substanzen. Neben den therapeutisch wirksamen Stoffen sind es stets auch nicht wirksame Stoffe (z. B. Cellulose, Stärke, Fette, Wachse), die aus pharmazeutischer Sicht Begleit- oder Ballaststoffe sind. Durch geeignete pharmazeutisch-technologische Verfahren wie Extraktion, Mazeration, Perkolation oder Destillation erhält man Zubereitungen, in denen die Wirkstoffe angereichert sind.

Von den wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffen, die maßgeblich an der Wirksamkeit eines pflanzlichen Arzneimittels beteiligt sind, werden die wirksamkeitsmitbestimmenden Substanzen unterschieden. Letztere beeinflussen die Wirkung der eigentlichen Wirkstoffe in positiver Weise, indem sie z. B. resorptionsfördernd wirken oder die Löslichkeit oder Stabilität der Zubereitung verbessern.

Daneben gibt es noch die sogenannten Leitsubstanzen. Diese leisten in der Regel keinen Beitrag zur Wirksamkeit und dienen ausschließlich analytischen Zwecken im Rahmen der pharmazeutischen Qualitätssicherung.

Biogenetische Aspekte

Die pflanzlichen Wirkstoffe gehen aus dem Sekundärstoffwechsel der Pflanze hervor.

Während der Primärstoffwechsel für Wachstum und Entwicklung der Pflanze unentbehrlich ist und universell in allen Lebewesen vorkommt, ist der Sekundärstoffwechsel für die Wechselwirkung der Pflanze mit ihrer Umwelt zuständig. Viele sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe sind unentbehrlich für Existenz und Fortbestand jeder Art in ihrer Umwelt, bei einigen Sekundärstoffen ist die Funktion allerdings noch nicht bekannt.

Der Primärstoffwechsel umfasst im Wesentlichen den Protein-, Kohlenhydrat-, Lipid- und Nucleinsäuremetabolismus. Aus dessen Produkten werden auch die Sekundärstoffe synthetisiert.

Sie sind strukturell äußerst vielfältig und werden nach biogenetischen und chemisch-strukturellen Aspekten in Polyketide, Terpenoide, Alkaloide, Phenylpropanoide und Naturstoffe mit gemischtem Bautyp gegliedert.

Im Folgenden werden die wesentlichen pharmazeutisch relevanten pflanzlichen Stoffgruppen hinsichtlich ihrer chemischen Struktur, ihrer physiologischen Wirkung und ihrem Vorkommen im Pflanzenreich vorgestellt.

Ätherische Öle

Charakteristische Eigenschaften

Unter ätherischen Ölen versteht man komplexe Stoffgemische, die ölartig, aber im Gegensatz zu fettem Öl vollständig flüchtig sind. Sie zeichnen sich durch intensiven Geruch und Geschmack aus, sind farblos bis hellgelb gefärbt, mit Ausnahme von Nelkenöl (gelbbraun) und Kamillenöl (grün-blau) und stark lichtbrechend.

Abb. 1: Monoterpene als Bestandteile von ätherischen Ölen.Alle Formeln aus: Teuscher et al.: Biogene Arzneimittel [1].

Ätherische Öle sind gut löslich in lipophilen Lösungsmitteln wie Chloroform, Benzol, Ethanol, fettem Öl, überkritischem Kohlendioxid und Wasserdampf, während die Löslichkeit in Wasser sehr gering ist. Sie haben in der Regel eine geringere Dichte als Wasser, d. h. sie schwimmen auf Wasser (Ausnahme: Zimt- und Nelkenöl aufgrund des relativ hohen Anteils an aromatischen Verbindungen). Unter Licht- oder Sauerstoffeinfluss kommt es zur Polymerisation und damit zur Verharzung, die mit einer Geruchsänderung und Qualitätsminderung verbunden ist. Daher sind ätherische Öle stets vor Licht geschützt aufzubewahren, z. B. in braunen, kleinen, gut verschließbaren Glasflaschen.

Die Gewinnung von ätherischen Ölen erfolgt durch Wasserdampfdestillation, Extraktion mit leicht flüchtigen Lösungsmitteln oder durch Auspressen.

Abb. 2: Sesquiterpene als Bestandteile von ätherischen Ölen.


Zusammensetzung

Wie erwähnt sind ätherische Öle komplexe Stoffgemische. Sie bestehen hauptsächlich (zu ca. 90%) aus Terpenen, und zwar aus Mono- und Sesquiterpenen. Daneben sind Phenylpropanderivate, geringe Mengen geradkettiger Kohlenwasserstoffe und deren Derivate sowie stickstoff- oder schwefelhaltige Verbindungen enthalten.

Monoterpene bestehen grundsätzlich aus zehn Kohlenstoff-Atomen und leiten sich von dem Kohlenwasserstoff Dimethyloctadien ab. Sie können als Kohlenwasserstoffe oder – je nach Substituent – als Alkohole, Ester, Oxide, Aldehyde, Ketone oder Ether vorliegen. Sie besitzen entweder ein azyklisches, ein monozyklisches oder ein bizyklisches Grundgerüst; typische Vertreter dieser drei Gruppen sind das Geraniol, das Menthol und der Campher (Abb. 1).

Sesquiterpene bestehen aus 15 Kohlenstoff-Atomen; die möglichen funktionellen Gruppen entsprechen denen der Monoterpene. Der einfachste azyklische Vertreter ist der Alkohol Farnesol, monozyklische Kohlenwasserstoffe sind α-Bisabolol und β‑Caryophyllen (Abb. 2). Es gibt auch bi- und trizyklische Sesquiterpene.

Phenylpropanderivate besitzen ein C6-C3-Grundgerüst; als Komponenten ätherischer Öle weisen sie in der Regel eine Doppelbindung in der Seitenkette auf und leiten sich von der Zimtsäure (Phenylpropensäure) ab. Sie liegen – je nach Substituent – als Aldehyde (z. B. Zimtaldehyd, Abb. 3), Phenole oder Phenolether (z. B. Eugenol, Abb. 3) vor.

Abb. 3: Phenylpropanderivate als Bestandteilevon ätherischen Ölen.


Wirkung und Vorkommen

Ätherische Öle besitzen aufgrund ihrer Strukturvielfalt ganz unterschiedliche Wirkungen. Bedingt durch ihre lipophilen Eigenschaften, werden sie nach oraler Einnahme rasch aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert. Aber auch bei Anwendung auf der Haut oder durch Inhalation werden sie gut über die Haut bzw. Schleimhaut resorbiert.

Im Folgenden werden die wichtigsten Anwendungsgebiete kurz erläutert und jeweils charakteristische Vertreter genannt:


  • Antineuralgika und Antirheumatika

Bei äußerlicher Anwendung von bestimmten ätherischen Ölen in Form von Salben, Linimenten oder auch Badezusätzen kommt es zu verstärkter Durchblutung und Wärmegefühl (hyperämisierende Wirkung). Anwendungsgebiete sind rheumatische, neuralgische und arthrotische Beschwerden, Muskelschmerzen, Gelenkserkrankungen und Durchblutungsstörungen.

Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind gereinigtes Terpentinöl, Kiefernnadelöl, Latschenkiefernöl, Fichtennadelöl, Rosmarinöl und Lavendelöl sowie als Reinsubstanz das Sesquiterpen Campher (s. o.); das im Wintergrün- oder Gaultheriaöl enthaltene Methylsalicylat, das auch als Reinsubstanz bei diesen Indikationen eingesetzt wird, ist kein ätherisches Öl gemäß der oben stehenden Definition.


  • Antiphlogistika

Antiphlogistika wirken entzündungshemmend. Ätherische Öle mit dieser Eigenschaft werden einerseits innerlich als Tee bei entzündlichen Magen-Darm-Erkrankungen angewendet. Andererseits ist die äußerliche Anwendung von wässrigen oder alkoholischen Auszügen in Form von Spülungen, Pinselungen oder Sitzbädern bei Haut- und Schleimhautentzündungen weit verbreitet.

Charakteristische Vertreter sind Kamillenblüten und Schafgarbenkraut.


  • Antiseptika

Wässrige oder ethanolische Auszüge antiseptisch wirkender Drogen werden lokal bei Haut- und Schleimhautinfektionen eingesetzt, vor allem bei Entzündungen des Mund- und Rachenraums zum Gurgeln. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe sind Salbeiblätter.


  • Stomachika, Cholagoga, Karminativa

Diese drei Gruppen sind sowohl hinsichtlich der Wirkweise als auch der chemischen Zusammensetzung ihrer Vertreter sehr ähnlich, wobei die Übergänge fließend sind.

Unter Stomachika versteht man Arzneidrogen, die appetit- und verdauungsanregend wirken. Sie werden in Aromatika (Wirkungsentfaltung durch ihren aromatischen Geruch und Geschmack), Amara (Wirkung aufgrund ihres bitteren Geschmacks) und Amara-Aromatika (Kombination aus den beiden Erstgenannten) untergliedert.

Zur Gruppe der Aromatika zählen beispielsweise Pfefferminzblätter, Melissenblätter und Kümmel, zur Gruppe der Amara-Aromatika Bitterorangenschalen, Kalmus und Angelikawurzel. Die Amara werden unter der Stoffgruppe Bitterstoffe (in Teil 2) näher erläutert.

Cholagoga erhöhen die Ausschüttung von Gallenflüssigkeit aus der Gallenblase in den Dünndarm und wirken dadurch ebenfalls verdauungsfördernd. Curcumawurzelstock, Pfefferminzblätter und Boldoblätter zählen zur Gruppe der Cholagoga.

Karminativa sind blähungstreibende Arzneimittel. Sie enthalten ätherische Öle, die im Magen-Darm-Trakt spasmolytisch, gärungswidrig und verdauungsfördernd wirken. Dazu zählen beispielsweise Anis, Fenchel und Kümmel.

Stomachika, Cholagoga und Karminativa werden in Form von Teeaufgüssen (häufig in Kombination) angewendet oder sind als Trocken- oder Flüssigextrakt Bestandteil von Fertigarzneimitteln.


  • Expektoranzien

Expektorierende Ätherisch-Öl-Drogen wirken im Wesentlichen sekretolytisch durch Verflüssigung des Bronchialschleims und sekretomotorisch durch Abtransport des Schleims.

Zu den wichtigsten Vertretern gehören Thymian, Fenchel, Anis und Eukalyptusblätter. Diese werden entweder als Bestandteil von Teemischungen (Brust-, Hustentees) oder Hustentropfen und -säften verwendet, während die darin enthaltenen ätherischen Öle in Erkältungssalben, zur Inhalation oder als Badezusatz angewendet werden.


  • Diuretika

Pflanzliche Diuretika werden zur Durchspülungstherapie bei Harnwegsentzündungen vorwiegend als Bestandteil von Teemischungen verwendet. Dazu gehören Liebstöckelwurzel, Petersilienwurzel und Wacholderbeeren.


  • Sedativa

Beruhigend wirkende Ätherisch-Öl-Drogen wie Baldrianwurzel, Melissenblätter oder Lavendelblüten werden hauptsächlich innerlich als Bestandteil von Teemischungen oder als Trockenextrakte in Fertigarzneimitteln angewendet.

Neben der arzneilichen Anwendung wird eine Vielzahl von Ätherisch-Öl-Drogen in der Küche als Gewürze verwendet.

Saponine

Saponine sind oberflächenaktive Substanzen: In Wasser gelöst geben sie durch Schütteln einen haltbaren Schaum. Diese Eigenschaft ist durch ihren bipolaren Charakter bedingt. Eine weitere charakteristische Eigenschaft der Saponine ist die hämolytische Wirkung. Diese kommt durch eine Zerstörung der Erythrozytenmembran und damit verbundenes Austreten von Hämoglobin zustande.


Struktur der Saponine

Saponine bestehen prinzipiell aus einem apolaren Sapogenin (Aglykon), das glykosidisch mit einem oder mehreren (polaren) Zuckermolekülen verbunden ist. Abhängig von der Struktur des Sapogenins unterscheidet man Triterpen- und Steroidsaponine.

Triterpensaponine besitzen als Sapogenin ein C30-Grundgerüst, das pentazyklisch oder (seltener) tetrazyklisch aufgebaut ist. Am häufigsten ist der pentazyklische Oleanan-Typ (Abb. 4), weiterhin gibt es den pentazyklischen Ursan-Typ und den tetrazyklischen Dammaran-Typ. Triterpensaponine sind grundsätzlich sauer. Der saure Charakter kann durch eine Carboxylgruppe am Aglykon, an einem Zucker oder an beiden Komponenten bedingt sein.

Steroidsaponine enthalten als Aglykon ein Steroid-Grundgerüst mit 27 C-Atomen, das je nach Art des Rings bzw. der Kette am C-24 dem Spirostanol- oder dem Furostanol-Typ zugerechnet wird (Abb. 5). Im Gegensatz zu den sauren Triterpensaponinen sind Steroidsaponine neutral.

Sowohl bei den Triterpen- als auch bei den Steroidsaponinen ist das (sind die) Zuckermolekül(e) glykosidisch, d. h. esterartig an das Aglykon gebunden, und zwar meistens am C-3. Es handelt sich dabei um ubiquitär vorkommende Zucker wie Glucose, Galaktose oder Fructose, die meistens zu Di- oder Trisacchariden verbunden sind. Saponine mit einer Zuckerkette heißen monodesmosidisch, solche mit zwei Zuckerketten bisdesmosidisch. Zusätzlich können kurzkettige organische Säuren wie Essigsäure oder Buttersäure direkt an das Aglykon oder an einen Zucker gebunden sein. 

Abb. 4: Oleanan – eine von drei Grundstrukturen der Triterpensaponine.
Abb. 5: Grundstrukturen der Steroidsaponine.


Wirkungen der Saponine

  • Expektoranzien / Antitussiva

Die expektorierende Wirkung der Saponine kommt durch eine Erhöhung der Oberflächenaktivität und die damit verbundene Verflüssigung des zähen Schleims und eine lokale Schleimhautreizung zustande. Charakteristische Vertreter sind Primelwurzel, Senegawurzel und Süßholzwurzel. Sie werden entweder als Bestandteil von Husten- oder Bronchialtees oder in Fertigarzneimitteln eingesetzt.

Efeublättern wird neben der expektorierenden zusätzlich eine antitussive, also hustenstillende Wirkung zugeschrieben. Sie werden hauptsächlich als Extrakt in Fertigarzneimitteln verwendet.


  • Diuretika

Saponindrogen werden auch zur Durchspülungstherapie bei entzündlichen Erkrankungen der Harnwege eingesetzt. Dazu zählen z. B. Riesengoldrutenkraut oder Echtes Goldrutenkraut. Sie werden als Bestandteil von Teemischungen oder in Fertigarzneimitteln als Trockenextrakt eingesetzt.


  • Ödemprotektiva

Ödemprotektiva wirken gefäßabdichtend, wodurch der Übertritt von Flüssigkeit ins Gewebe verhindert wird. Als charakteristischer Vertreter dieser Gruppe gilt Rosskastaniensamen bzw. das daraus isolierte Saponingemisch Aescin. Beides wird zur Behandlung der chronischen Veneninsuffizienz verwendet. Extrakte aus Rosskastaniensamen oder Aescin sind Bestandteil von Fertigarzneimitteln, die entweder oral oder lokal angewendet werden.


  • Tonika

Ginsengwurzel als prominentester Vertreter dieser Gruppe wird als Tonikum zur Stärkung und Kräftigung bei Müdigkeits- und Schwächegefühl, nachlassender Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit und in der Rekonvaleszenz angewendet. Ginsengextrakte sind Bestandteil verschiedener Fertigarzneimittel.

Herzwirksame Glykoside

Wie der Name bereits vermuten lässt, steigern herzwirksame Glykoside die Leistung des Herzmuskels, und zwar erhöhen sie seine Kontraktionskraft, d. h. sie wirken positiv inotrop.


Struktur

Herzwirksame Glykoside – auch herzwirksame Steroide genannt – sind glykosidische Verbindungen wie die Saponine. Abhängig von der Struktur des Aglykons werden sie in Cardenolide und Bufadienolide untergliedert. Cardenolide besitzen am C-17 einen 5-gliedrigen, einfach ungesättigten Lactonring (Butenolidring), während Bufadienolide am C-17 einen 6-gliedrigen, zweifach ungesättigten Lactonring (Pentadienolidring) besitzen (Abb. 6). An dem Steroidgrundgerüst sind Hydroxylgruppen vorhanden. Zusätzlich können Doppelbindungen auftreten.

Neben ubiquitären Zuckern wie Glucose oder Rhamnose kommen in herzwirksamen Glykosiden häufig ungewöhnliche Zucker vor, und zwar 6-Desoxyzucker oder 2,6-Bisdesoxyzucker wie Digitalose oder Digitoxose. Die Zucker sind in Form einer Kette meist an das C-3 des Aglykons gebunden.

Abb. 6: Grundstruktur der herzwirksamen Glykoside

Therapeutische Bedeutung

Aufgrund ihrer geringen therapeutischen Breite müssen herzwirksame Glykoside sehr exakt dosiert werden. Die Anwendung der Drogen und ihrer Zubereitungen ist obsolet. Isolierte Reinsubstanzen werden ebenfalls nur noch selten zur Therapie der chronischen Herzinsuffizienz verwendet. Zu den bekanntesten Drogen zählen die Blätter des Roten und Wolligen Fingerhuts, Maiglöckchenkraut sowie die Meerzwiebel.

Uzarawurzel, deren Inhaltsstoffe sehr geringe Herzaktivität besitzen, wird als Trockenextrakt in Fertigarzneimitteln gegen Durchfall eingesetzt.

Flavonoide

Flavonoide sind ubiquitäre Pflanzeninhaltsstoffe. Sie kommen in allen höheren Pflanzen vor. Die Bezeichnung dieser Stoffgruppe kommt vom Lateinischen "flavus" (gelb). Früher wurden Auszüge aus bestimmten Flavonoid-haltigen Pflanzen (Färbereiche, Färberwau, Färbemaulbeerbaum) zum Färben von Wolle und Baumwolle verwendet. Tatsächlich haben die meisten Flavonoide eine gelbe Farbe. Allerdings gehören dazu auch die blau-violett gefärbten Blütenfarbstoffe, die sogenannten Anthocyanidine, sowie farblose Substanzen. Bei Letzteren handelt es sich um die sogenannten Flavandiole (Leukoanthocyanidine, Catechine), die uns später noch als Bausteine der Gerbstoffe begegnen werden.


Struktur

Flavonoide sind phenolische Pflanzeninhaltsstoffe. Sie leiten sich vom 2-Phenylchroman ab.

Charakteristisch für alle Flavonoide ist ein Grundgerüst aus 15 C-Atomen (C6-C3-C6). Diese Grundstruktur besteht aus zwei aromatischen Ringen, die über eine 3-gliedrige Kohlenstoffbrücke miteinander verbunden sind. Die beiden aromatischen Ringe sind unterschiedlich mit Hydroxylgruppen substituiert, die frei, methyliert oder glykosidiert sein können. Abhängig vom Oxidationsgrad der C3-Brücke und davon, ob sie einen Ring bildet oder nicht, unterscheidet man die verschiedenen Flavonoid-Unterklassen: Chalkone (kein Ring) sowie (mit Ring) Flavanone, Flavone, Flavanonole, Flavonole, Flavandiole, Flavanole (Abb. 7) und Anthocyanidine.

Die Flavonoide in Arzneidrogen sind meistens Mono- oder Diglykoside, d. h. sie besitzen eine oder zwei Zuckerkomponenten; es sind gewöhnliche Zucker wie Glucose, Galaktose, Rhamnose oder Arabinose sowie Uronsäuren (Glucuronsäure, Galakturonsäure). Man unterscheidet dabei O- und C-Glykoside. 

Abb. 7: Biogenese der Flavonoide, ausgehend vom Chalkon

Wirkung und Anwendung

Aufgrund ihres Vorkommens in Obst und Gemüse nimmt der Mensch Flavonoide in nicht unwesentlichen Mengen mit der Nahrung auf. Man geht davon aus, dass sie aufgrund ihrer antioxidativen und radikalfangenden Eigenschaften zur Gesundheit des Menschen beitragen.

Daneben besitzen Flavonoide eine Reihe pharmakologischer Wirkungen, weshalb Flavonoid-Drogen therapeutisch eingesetzt werden. Nachfolgend werden charakteristische Vertreter genannt und ihre wichtigsten Anwendungsgebiete beschrieben:


  • Venotonika

Isolierte Flavonoide, aber auch Flavonoiddrogen werden aufgrund ihrer kapillarabdichtenden und antiödematösen Eigenschaften zur Behandlung der chronischen Veneninsuffizienz und von Ödemen eingesetzt.

Dazu gehören Rutin und sein halbsynthetisches Derivat Troxerutin, außerdem Quercetin, Diosmin und Hesperidin, die als Reinsubstanzen verwendet werden. Die Drogen Buchweizenkraut und Rotes Weinlaub werden als Extrakte in Fertigarzneimitteln eingesetzt.


  • Kardiotonika

Dazu zählen unterschiedliche Pflanzenteile des Weißdorns, und zwar Weißdornblätter mit Blüten sowie Weißdornfrüchte. Sie verbessern die Koronar- und Myokarddurchblutung, erhöhen die Toleranz des Myokards gegenüber Sauerstoffmangel, wirken positiv inotrop, leicht antiarrhythmisch und blutdrucksenkend.

Eine ganze Reihe von Zubereitungen wie Teeaufguss, Presssaft, Fluid- oder Trockenextrakt wird bei nachlassender Leistungsfähigkeit des Herzens entsprechend Stadium II nach NYHA (New York Heart Association) eingesetzt. Wie bei vielen anderen Phytotherapeutika erfolgt der Wirkungseintritt verzögert im Laufe einiger Wochen.


  • Nootropika

Als bekanntestes pflanzliches Nootropikum gelten Ginkgoblätter. Durch unterschiedliche pharmakologische Mechanismen werden degenerative Prozesse im Gehirn verzögert, das Lernvermögen und die Gedächtnisleistung verbessert sowie die Durchblutung peripherer Körperregionen verbessert. Neben Flavonoiden sind Diterpenlactone (Ginkgolide) und Triterpenlactone (Bilobalid) an der Wirksamkeit beteiligt. Therapeutisch verwendet wird hauptsächlich ein Ginkgo-Spezialextrakt als Bestandteil von Fertigarzneimitteln.


  • Diuretika

Birkenblätter, Orthosiphonblätter, Brennnesselkraut und Schachtelhalmkraut werden meist in Form von Teeaufgüssen zur Durchspülungstherapie bei entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege und bei Nierengrieß verwendet.


  • Diaphoretika

Unter Diaphoretika versteht man schweißtreibende Mittel, die bei fieberhaften Erkältungskrankheiten eingesetzt werden. Dazu gehören Holunderblüten und Lindenblüten. Beide Drogen werden vorwiegend in Form von Teeaufgüssen angewendet.


  • Hepatika

Mariendistelfrüchte bzw. das darin enthaltene Silymarin, ein Gemisch von Flavonolignanen, wirken hepatoprotektiv. Sie werden unterstützend bei der Therapie von Lebererkrankungen (Leberentzündung, Leberzirrhose, toxische Leberschäden) sowie bei dyspeptischen Beschwerden eingesetzt. Als Bestandteil von Fertigarzneimitteln werden vorwiegend Trockenextrakte verwendet.


  • Sedativa

Passionsblumenkraut wird bei nervösen Unruhezuständen und Einschlafstörungen verwendet. Die Anwendung erfolgt – oft in Kombination mit Baldrian, Hopfen oder Melisse – als Teeaufguss oder als Trockenextrakt in Fertigarzneimitteln.




Literatur

[1] E. Teuscher, M.F. Melzig, U. Lindequist. Biogene Arzneimittel, 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2004.

[2] H. Wagner. Pharmazeutische Biologie – Arzneidrogen und ihre Inhaltsstoffe, 6. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1999.

[3] R. Hänsel, O. Sticher. Pharmakognosie – Phytopharmazie, 8. Auflage. Springer, Heidelberg 2007.




Der 2. Teil folgt in DAZ 46.

Autorin

1996 – 2003: Studium der Pharmazie, Universität Wien

2003 – 2007: Dissertation im Fach Pharmakognosie, Universität Wien

Seit 2007: Wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Bereichen Medizinische Wissenschaft und Innovationsmanagement, PhytoLab GmbH & Co. KG, Vestenbergsgreuth

Seit 2010: Sekretärin der Gesellschaft für Arzneipflanzen- und Naturstoff-Forschung e. V. (GA)

Preise und Auszeichnungen: ÖGPhyt-Preis 2006, Egon-Stahl-Preis in Bronze 2008.


Anschrift:
Dr. Birgit Benedek, Uttenreuther Str. 1, 91077 Neunkirchen am Brand,
me@birgit-benedek.com



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