Feuilleton

Altägypten: Blumenschmuck für die Jenseitsreise

In einer Dauerausstellung zeigt das Botanische Museum Berlin-Dahlem rund 500 archäologisch-botanische Funde aus dem Nachlass des Botanikers und Paläontologen Georg Schweinfurth. Sie belegen, dass Pflanzen im Totenkult der Ägypter im Verlauf von 2000 Jahren eine Rolle gespielt haben.
Girlande des Pharaos Ahmose I. mit Weidenblättern sowie verblassten Blüten von Akazie, Rittersporn, Lotosblume und Stockrose.
Foto: C. Hillmann-Huber, Bot. Mus. Berlin

"All die königliche Pracht, all die königliche Herrlichkeit, all der Glanz des Goldes verblasst gegen die armen, verdorrten Blumen, die noch im matten Schein ihrer einstigen Farben leuchteten. Sie sprachen am eindringlichsten von der Flüchtigkeit der Jahrtausende", notierte Howard Carter (1874 – 1939) beeindruckt in sein Tagebuch. Der britische Archäologe und Ägyptologe hatte am 4. November 1922 nach siebenjähriger Suche das Grab des Tutanchamun entdeckt. Ein halbes Jahr später konnte er endlich die Grabkammer betreten.

Nach neueren CT-Untersuchungen ist der Pharao, der von 1332 bis 1323 v. Chr. regierte, 18 bis 20 Jahre alt geworden. Anhand der Blütezeit von Blumen, welche dem Verstorbenen für die Jenseitsreise mit auf den Weg gegeben worden waren, lässt sich das Bestattungsdatum in die Zeit zwischen Mitte März und Anfang Mai eingrenzen. Vor der Beisetzung war der Leichnam einem 70-tägigen Einbalsamierungsritual unterzogen worden, was wiederum auf einen Todeszeitpunkt zwischen Ende Dezember 1324 und Mitte Februar 1323 schließen lässt.

3600 Jahre altes Ölbaumblatt, gefunden 1898.
Foto: I. Haas, Bot. Mus. Berlin

Dieses Beispiel verdeutlicht, welch wichtige Rolle archäologische Pflanzenfunde für die Geschichtsforschung spielen können. Zu Carters Zeit interessierten sich die Ägyptologen aber offenbar mehr für spektakuläre Grabbeigaben aus Gold und anderen edlen Materialien, meinte der greise Berliner Botaniker und Paläontologe Georg Schweinfurth (1836 – 1925) in einem Brief an den Ägyptologen Ludwig Keimer (1892 – 1957). So unterblieb es, die über Jahrtausende erhalten gebliebenen Girlanden, Kräutersträuße und anderen floristische Beigaben aus der Ruhestätte des Tutanchamun zu sichten, zu bestimmen und durch Konservierungsmaßnahmen für die Nachwelt zu bewahren.

Nur drei Blumenkragen aus dem Grab des Tutanchamun sind erhalten geblieben. Sie waren offenbar für hohe Würdenträger anlässlich der Begräbniszeremonie aus Beeren der Solanacee Withania somnifera , Blättern und Blütenständen des Sellerie sowie Blättern des Ölbaums und von Mimusops laurifolia zusammen mit Fayenceperlen angefertigt worden.Stockrose, Rittersporn und Lotosblume

Schweinfurth war in Heidelberg mit einer Dissertation über die Flora der Nilländer promoviert worden und hatte in den 1860er Jahren an Ausgrabungen im Tal der Könige teilgenommen und die pflanzlichen Grabbeigaben untersucht. Er trug 500 floristische Belege aus der Zeit des Neuen Reiches zusammen, die heute im Botanischen Museum Berlin-Dahlem aufbewahrt werden und als größte Spezialsammlung dieser Art außerhalb Ägyptens gelten. Sie spiegelt nicht nur die Pflanzenwelt im Reich der Pharaonen wider, sondern legt auch Zeugnis ab von dem Totenkult, der Landwirtschaft, den Handelsbeziehungen und Einflüssen fremder Kulturen.

Reste des bisher ältesten bekannten Blumenschmucks aus Ägypten entdeckte Schweinfurth im Grabversteck von Ahmose I. (reg. 1550 – 1525 v. Chr.) in der Nekropole Deir el-Bahari bei Luxor. Der Gründer der 18. Dynastie hatte Ober- und Unterägypten wiedervereinigt. Seine Mumie war mit Girlanden aus Wiedenblättern (Salix aegyptiaca) , gelben Blüten von Acacia nilotica und rosavioletten Blütenblättern der Stockrose Alcea ficifolia geschmückt. Außerdem fand der Botaniker blaue Infloreszenzen des Feldrittersporns Consolida regalis , Laub von Mimusops laurifolia und Blütenblätter der Blauen Seerose oder Lotosblume Nymphaea caerulea. Es ist bekannt, dass Ahmose ursprünglich in einem Kammergrab bestattet worden war und später umgebettet wurde. Einer neueren C14-Datierung zufolge sind die geborgenen Girlanden erst 200 Jahre nach seinem Tod angefertigt worden.

Sträuße aus duftenden Kräutern

Als 1881 der bescheidene Holzsarkophag von Amenophis I. (reg. 1525 –1504), dem Sohn und Nachfolger von Ahmose I., geöffnet wurde, waren Ägyptologen und Botaniker gleichermaßen beeindruckt von dem üppigen Blumenschmuck, den sie nach Abnahme der vergoldeten Totenmaske auf dem Gesicht der Mumie entdeckten. "Die Farben der Blüten sind nur um wenige Nuancen tiefer als die der lebenden Exemplare", notierte Schweinfurth schwärmerisch. Experimente im Botanischen Garten Berlin-Dahlem bestätigten, dass Pflanzen durch Trocknen in Sand nahezu ihre natürliche Färbung behalten können.

Amenophis I. war ebenfalls aus seinem ursprünglichen Grab nach Deir el-Bahari umgebettet und in orangerot gefärbte Leinentücher gewickelt worden. Für den Blumenschmuck hatten die Blumenbinder die gleichen Pflanzenarten wie bei seinem Vater verwendet. Außerdem wurden Teile der Färberdistel (Saflor) Carthamus tinctorius gefunden. Bemerkenswert war eine Girlande mit Blättern von Mimusops laurifolia , die ursprünglich auf einer Unterlage aus einem Dattelpalmenblatt gefaltet gewesen sind.

Ein einzelnes Ölbaumblatt aus Schweinfurths Nachlass war vermutlich einst Bestandteil eines Kranzes, der den Kopf der Mumie von Amenophis II. (reg. 1427 – 1401) geschmückt hatte. Dessen Grab war im März 1898 durch den französischen Ägyptologen Victor Loret (1859 – 1946) im Tal der Könige bei Theben entdeckt worden. Anderthalb Wochen später besuchte Schweinfurth das Grab, um den Blumenschmuck zu sichten. Auf dem Sarkophag des Pharaos fand er noch eine Handvoll belaubter Stängel von Conyza dioscoridis.

Sträuße oder Gebinde aus aromatischen Kräutern waren bei den Ägyptern als Abschiedsgabe für die Jenseitsreise offenbar beliebt. Auch der aus Vorderasien stammende Dill (Anethum graveolens) war im Reich der Pharaonen eine häufig verwendete Schmuckpflanze. Es wird vermutet, dass er auch den Sarkophag des Pharaos Merenpath (reg. 1213 – 1204) bedeckte. Vermutlich haben Priester seine Mumie um 1000 v. Chr. in das Grabversteck von Amenophis II. umgebettet.

 

Ägyptische Stockrose Alcea ficifolia . Foto: I. Haas, Bot. Mus. Berlin
Blaue Seerose oder Lotosblume Nymphaea caerulea Foto: I. Haas, Bot. Mus. Berlin

 

Blumenzwiebeln hielten Dämonen fern

Mit Pflanzen versuchten die Ägypter vermutlich auch Dämonen von den Toten fernzuhalten. Darauf weisen Schalen von Narzissenzwiebeln hin, die um den Hals der Mumie von Ramses II. (reg. 1279 – 1213) gelegt worden waren. In seine Nasenlöcher hatten die Priester Pfefferkörner gesteckt, um durch deren belebende und regenerierende Wirkung die Wiedergeburt des Königs im Jenseits zu erleichtern.

Girlanden aus Blütenblättern der Blauen und der Weißen Seerose sowie Laubblättern von Mimusops laurifolia schmückten den Leib des Pharao.

Während sich die Infloreszenzen der Blauen Seerose morgens öffnen und bei Einbruch der Nacht wieder schließen und in das Wasser zurücksinken, gehört die Weiße Seerose zu den wenigen Pflanzenarten, deren Blüten sich bei Dunkelheit öffnen. Beide Spezies symbolisierten daher bei den alten Ägyptern den Zyklus von Tag und Nacht, von Leben und Tod.

Mimusops laurifolia (Sapotaceae) stammt aus Äthiopien und war der heilige Baum von Hathor, einer Tochter des Sonnengottes Re. Da Ramses II. sich selbst als Sohn der Sonne betrachtete, hatte dieses Gehölz für ihn sicherlich eine besondere Bedeutung. Neueren Untersuchungen zufolge wurden auch Teile des durch Schweinfurth geborgenen und konservierten Blumenschmucks für den "Sonnenkönig" erst 200 Jahre nach dessen Tod angefertigt.

Auf die magische Wirkung der Zwiebeln der Hakenlilie Crinum zeylanicum vertrauten die Priester bei der Beisetzung von Nes-Chonsu um 950 v. Chr. Sie hatten der Gemahlin von Pinjudem II., einem Hohenpriester im Heiligtum des Gottes Amun zu Theben, nicht nur die Augen mit Zwiebelschalen dieser aus Äthiopien stammenden Amaryllidacee bedeckt. Man fand diese auch auf dem Mund und in den Nasenlöchern der Mumie. Als Dämonenschutz stehen sie in krassem Kontrast zu den Girlanden mit gelben, blauen und roten Blüten, welche Nes-Chonsu vom Hals bis zu den Füßen schmückten.

Kunstblumen aus gefärbtem Papyrus

Um 600 v. Chr. gelangte Ägypten unter den Herrschern der 26. Dynastie noch einmal zur Blüte. Man besann sich auf die geistigen und künstlerischen Traditionen früherer Zeiten. Diese "Renaissance" spiegelt sich auch in pflanzlichen Beigaben für die Bestattung wohlhabender Privatleute in der Nekropole von Theben-West wider: Bei Ausgrabungen fand man die gleichen Pflanzenarten wie in den fast tausend Jahre älteren Gräbern. Der Girlandenschmuck des um 650 v. Chr. bestatteten Priesters Menthu-Thot-anf-ankh bestand zudem aus gelben Blütenblättern der Flockenblume Centaurea orientalis und der Goldblume Chrysanthemum coronarium.

In der griechisch-römischen Zeit ab 300 v. Chr. wurde dann die ägyptische Kultur zusehends durch Einwanderer aus Südeuropa beeinflusst. Mit ihnen gelangten auch bis dahin unbekannte Pflanzenarten wie Rosen, Majoran, Lichtnelken, Immortellen und Myrten an den Nil. Aus Indien wurde Henna importiert, aus dem Sudan der Hahnenkamm Celosia. Auch die ägyptische Blumenbindekunst wurde durch europäische Techniken beeinflusst. Schließlich versuchten die Floristen sogar, die Natur zu übertreffen, indem sie aus gefärbtem Papyrus und anderen heimischen Gräsern künstliche Blumen fertigten.

Der durch Fresken und Reliefs seit 2000 v. Chr. belegte Brauch, den Toten ganze Zweige mit in das Grab zu geben, hielt sich bis ins dritte nachchristliche Jahrhundert.

Reinhard Wylegalla

Ausstellung


Botanischer Garten und Botanisches Museum

Königin-Luise-Straße 6 – 8, 14195 Berlin

Tel. (0 30) 83 85 01 00

Geöffnet: täglich von 10 bis 18 Uhr

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