Feuilleton

Mumien – aus Ägypten und aus aller Welt

Leichname, die nicht auf natürliche Weise verwest sind, sondern im Laufe von Jahrhunderten und Jahrtausenden mehr oder weniger vollständig erhalten geblieben sind, wurden auf allen Kontinenten gefunden. Die dafür verantwortlichen Naturphänomene sowie die künstlichen Techniken der Mumifizierung, die Bestattungsriten und Jenseitsvorstellungen, aber auch die aktuelle naturwissenschaftlich-medizinische Erforschung der Leichname sind Themen von zwei Sonderausstellungen, die bis zum 24. März in Mannheim und Stuttgart zu sehen sind.

Das trocken-heiße Wüstenklima Ägyptens verlangsamt die Verwesung von verstorbenen Lebewesen oder verhindert sie sogar unter bestimmten Umständen. In der freien Natur werden die Verstorbenen in der Regel eine Beute von Aasfressern. Wenn sie allerdings bestattet werden, trocknen sie aus und können in diesem veränderten Zustand sehr lange erhalten bleiben.

Mumifizierung

Die Beobachtung der natürlichen Leichenkonservierung spielte wahrscheinlich eine Rolle für die Entwicklung der religiösen Vorstellungen der alten Ägypter. Sie glaubten, dass der Tote im Jenseits weiterlebt, sofern die Hülle seines Körpers intakt bleibt. So begannen sie, der Natur nachzuhelfen und ihre Toten zu mumifizieren. Der Vorgang lief im Wesentlichen folgendermaßen ab:

Das Gehirn und die inneren Organe – mit Ausnahme des Herzens – wurden durch die Nase bzw, einen Bauchschnitt entfernt.

Während einer etwa siebenwöchige Behandlung mit "Natron", einem Gemisch von Soda, Natriumhydrogencarbonat und Kochsalz, wurde dem Körpergewebe möglichst viel Wasser entzogen.

Danach wurde der Körper gereinigt, balsamiert und die Hohlräume mit pflanzlichem Material gefüllt.

Schließlich wurde er mit harzgetränkter Leinwand umwickelt und, mit Amuletten und einer Totenmaske versehen, in einen Sarg gelegt.

Die dem Körper entnommenen Eingeweide wurden ebenfalls konserviert und in bestimmten Gefäßen, den Kanopen, aufbewahrt. Nach Abschluss dieser Arbeiten folgte die Beisetzung in einer unterirdischen, gewölbten Grabkammer oder – bei einigen Pharaonen – in einer Pyramide.

Die Geschichte der Mumifizierung begann im 3. Jahrtausend v. Chr. und endete im 2. Jahrhundert n. Chr., als Ägypten zum römischen Reich gehörte.

Im Land der Pharaonen

Die Ausstellung in Stuttgart versetzt den Besucher durch eine geschickte Gestaltung der Räume gleichsam in die Landschaft Ägyptens und in die geistige Welt der alten Ägypter. Architekturteile ägyptischer Tempel, eine rekonstruierte Grabkammer, Wandmalereien mit Darstellungen von Gottheiten, Mischwesen und Hieroglyphen bilden den stimmungsvollen Hintergrund für die sachliche Information über die Exponate. Außer Mumien und Mumiensärgen sind viele Grabbeigaben ausgestellt – darunter einige Mumienporträts aus römischer Zeit. Sie sind auf dünne Holztafeln gemalt und zeigen die Verstorbenen im Dreiviertelprofil, wobei die Frauen Haar- und Ohrenschmuck tragen.

Auch Tiere wie der Apis-Stier, Katzen, Falken, Ibisse und Krokodile, die den Ägyptern heilig waren, erfuhren eine Behandlung, die ihnen ein Weiterleben im Jenseits ermöglichen sollte; im Gegensatz zu den Menschen blieben dabei die Eingeweide meistens komplett erhalten, was Rückschlüsse auf ihre Ernährung ermöglicht. So fand man in einem Ibis einen Olivenkern und andere Pflanzensamen; da Ibisse von Natur aus Fleischfresser sind, erhielten sie die pflanzliche Nahrung sicher von Menschen, vermutlich in einer Tempelanlage.

Diagnostik mit CT und MRT

Die Computertomographie (CT) dient schon seit längerer Zeit zur posthumen Diagnostik der Mumien. Mit ihrer Hilfe lassen sich, ohne den Sarg zu öffnen oder die Mumie zu beschädigen, das Geschlecht, das Alter und eventuelle Krankheiten, an denen der Tote zu Lebzeiten gelitten hat, feststellen. Einer Forschergruppe am Anatomischen Institut der Universität Zürich ist es im letzten Jahr gelungen, die Magnetresonanztomographie (MRT) so weiter zu entwickeln, dass sie ebenfalls für die Untersuchung von Mumien anwendbar ist. Die auf der Anregung von Wasserstoff-Atomkernen (Protonen) beruhende Technik setzt voraus, dass das zu untersuchende Gewebe Wasser enthält; dies ist bei Mumien der Fall, wenn auch in einem sehr viel geringeren Maß als bei lebendem Gewebe.

Im Moor, im Eis, im Verlies

Die Ausstellung in Mannheim dokumentiert mit 70 ausgestellten Mumien die Mumifizierung weltweit. Das Phänomen, das unter besonderen Umweltbedingungen – Trockenheit, Hitze, Kälte, Eis, Moor, Radioaktivität – auftritt, kann vom Menschen absichtlich herbeigeführt werden, indem er diese Bedingungen künstlich erzeugt. So war die Technik der Balsamierung auch im vorkolumbischen Amerika bekannt.

Erst 1994 wurden in der Dominikanerkirche von Vac in Ungarn die mumifizierten Leichname von 265 Menschen entdeckt; sie liegen dort in einem trockenen, gleichmäßig temperierten Raum mit einem leichten ständigen Luftzug, den Bakterien und Schimmelpilze nicht vertragen. Viele Tote konnten aufgrund der Sterberegister sicher identifiziert werden. Einige wurden computertomographisch untersucht, wobei – im Gegensatz zu den ägyptischen Mumien – auch Aussagen über die Ernährung und den Befall mit Eingeweideparasiten möglich waren.

Mumie als Arzneidroge

Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit war "Mumia vera" eine offizinelle Arzneidroge, wie Leihgaben der Firma Merck und des Deutschen Apotheken-Museums sowie zeitgenössische Arzneibücher belegen. Ihre therapeutische Anwendung, vor allem bei Verletzungen, erschien nicht nur durch die Heilerfolge, sondern auch aus ethischer Sicht gerechtfertigt, wie ein evangelischer Theologe im frühen 18. Jahrhundert dargelegt hat [1].

Kryonik

Das abschließende Kapitel der Mannheimer Ausstellung ist einer Erscheinung der zukunftsgläubigen Gegenwart gewidmet: der Kryonik. Dieses Verfahren, dessen Anwendung am Menschen in Deutschland verboten ist, lässt den Verstorbenen in flüssigem Stickstoff tiefgefroren weiter existieren, bis einmal bessere Zeiten gekommen sind, um ihn ins Leben zurückzuholen. Die neueste Variante begnügt sich mit der Konservierung des Gehirns; denn alle anderen Körperteile können ja bei Bedarf aus einzelnen Zellen regeneriert werden …

 

Literatur

[1] Caesar, W.: Mumiographia medica – Mumie als gottgefällige Arznei in der Medizin des Pietismus. Jahrbuch des Deutschen Medizinhistorischen Museums [Ingolstadt] 7 , 123-131 (1988/92).

 


 

W. Caesar

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.